Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 08.04.2014


BPatG 08.04.2014 - 4 Ni 34/12 (EP)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Fettabsaugevorrichtung (europäisches Patent)" – Nichtigkeitsklage, die auf eine unzulässige Erweiterung des Inhalts der Anmeldung gestützt ist - unzulässige Aufnahme eines einschränkenden Merkmals (uneigentliche Erweiterung) – Verteidigung durch Aufnahme einer entsprechenden Schutzrechtserklärung (Disclaimer) - Nichtigerklärung des Streitpatents Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
08.04.2014
Aktenzeichen:
4 Ni 34/12 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
nachgehend BGH, 20. Dezember 2016, Az: X ZR 84/14, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 123 Abs 2 EuPatÜbk
Art 123 Abs 3 EuPatÜbk
Art 138 Abs 1 Buchst c EuPatÜbk
Art II § 6 Abs 1 Nr 3 IntPatÜbkG
Art II § 6 Abs 1 Nr 4 IntPatÜbkG

Leitsätze

Fettabsaugevorrichtung

Anders als beim nationalen Patent führt die auf eine unzulässige Erweiterung des Inhalts der Anmeldung gestützte Nichtigkeitsklage bei einem angegriffenen EP-Patents nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst c EPÜ auch dann zur Nichtigerklärung des Streitpatents, wenn die unzulässige Erweiterung in der unzulässigen Aufnahme eines einschränkenden Merkmals besteht (uneigentliche Erweiterung) und der Patentinhaber das Streitpatent auch durch Aufnahme einer entsprechenden Schutzrechtserklärung (Disclaimer) verteidigt.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 0 971 754

(DE 698 00 998)

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 08. April 2014 durch den Vorsitzenden Richter Engels sowie die Richterin Kopacek, die Richter Dipl.-Phys. Univ. Dr. Müller, Dipl.-Ing. Veit und die Richterin Dipl.-Phys. Univ. Zimmerer für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 0 971 754 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents Nr. 0 971 754 (Streitpatent), das am 02.04.1998 unter Inanspruchnahme einer belgischen Priorität (BE 9700305 vom 03.04.1997) angemeldet worden ist und eine Fettsaugvorrichtung betrifft. Das in französischer Sprache abgefasste Streitpatent mit der Bezeichnung „Appareil de Lipo-Aspiration“ wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 698 00 998 T2 geführt. Es umfasst 9 Patentansprüche, von denen Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat:

2

1. Appareil de lipo-aspiration comprenant une canule d'aspiration (3) agencée pour aspirer de la graisse sous-cutanée par un orifice (14) d'entrée la canule ayant un axe longitudinal (16) et étant montée sur un organe d'entrainement mécanique (10 11) logé dans un boîtier (2) ledit organe d'entraînement ayant une entrée pourvue pour y connecter une source d'énergie et agencée pour produire un mouvement et le transmettre à ladite canule et le mouvement de la canule comprenant un composant de translation suivant l’axe de la canule caractèrisé en ce que le mouvement de la canule est un mouvement de nutation comprenant un composant de vibration perpendiculaire à l’axe de la canule et le composant de translation suivant l’axe de la canule le composant de translation ayant une amplitude entre 2 mm et 1 cm et un espace (18) étant prevu entre la canule (3) et le boîtier (2) ledit espace étant suffisamment dimensionné de facon a permettre au composant de vibration de provoquer la dislocation de la graisse

3

in der deutschen Übersetzung:

4

Fettabsaugvorrichtung, umfassend eine Saugkanüle (3) zum Absaugen von subkutanem Fett durch eine Eingangsöffnung (14), wobei die Kanüle eine Längsachse (16) aufweist und mit einem mechanischen Antriebselement (10, 11) verbunden ist, das sich in einem Gehäuse (2) befindet, wobei das Antriebselement eine Öffnung aufweist, die dazu vorgesehen ist, dort eine Energiequelle anzuschließen und geeignet ist, eine Bewegung hervorzurufen und diese an die Kanüle zu übertragen, und wobei die Bewegung der Kanüle eine Parallelverschiebung entlang der Achse der Kanüle umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass die Bewegung der Kanüle unrund ist, und eine zur Kanülenachse senkrechte Vibration umfasst, und die Parallelverschiebung entlang der Kanülenachse verläuft, wobei die Parallelverschiebung eine Amplitude zwischen 2 mm und 1 cm aufweist, und wobei ein Zwischenraum (18) zwischen der Kanüle (3) und dem Gehäuse (2) vorgesehen ist, wobei der Zwischenraum groß genug ist, dass die Vibration die Ablösung des Fetts auslösen kann.

5

Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Ansprüche 2 bis 9 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

6

Mit ihrer Nichtigkeitsklage greifen die Klägerinnen das Streitpatent vollumfänglich mit den Nichtigkeitsgründen der unzulässigen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung, der mangelnden Ausführbarkeit und der fehlenden Patentfähigkeit an.

7

Sie machen geltend, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Insbesondere sei das Merkmal, dass der Zwischenraum groß genug ist, dass die Vibration die Ablösung des Fettes auslösen kann (Merkmal 1.9.1), in der ursprünglichen Anmeldung nicht enthalten. In dieser werde die Größe des Zwischenraums nicht einmal erwähnt. Eine Größenbeschreibung dahingehend, dass der Zwischenraum groß genug sei, um durch die Vibration das Fett abzulösen, wodurch eine Unterscheidung zwischen einem zur Fettablösung geeigneten und nicht geeigneten Zwischenraum getroffen werde, sei vom ursprünglichen Offenbarungsgehalt nicht umfasst.

8

Zudem sei die Offenbarung des Streitpatents nicht ausreichend deutlich und vollständig, dass ein Fachmann die Erfindung ausführen könne; im Streitpatent sei nicht erläutert, wie eine zur Kanülenachse senkrechte Vibration erzeugt und wie die Größe des Zwischenraums ermittelt werde.

9

Der patentgemäße Gegenstand sei auch nicht patentfähig, da er weder neu noch erfinderisch sei. Die Klägerinnen sind der Auffassung, die Priorität der belgischen Patentanmeldung werde im Hinblick auf die Merkmale 1.8.1 und 1.9.1 zu Unrecht beansprucht, so dass die D5 und D7 auch zum Stand der Technik nach Art. 54 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ zählten. Neuheitsschädlich stünden jeweils die Druckschriften D1, D2, D5 und D7 entgegen. Durch eine Kombination der Druckschrift D3 mit den Druckschriften D2, D5 oder D6 sei der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents darüber hinaus nahegelegt. Ferner beziehen sich die Klägerinnen auf eine offenkundige Vorbenutzung. Die abhängigen Ansprüche seien ebenfalls weder neu noch erfinderisch.

10

Mit Schriftsatz vom 18.11.2013 hat der Beklagte 4 Hilfsanträge eingereicht, die aufgrund des neuen, in der mündlichen Verhandlung am 8.04.2014 gestellten Hilfsantrags 1, der einen Disclaimer zu Patentanspruch 1 enthält, zu den Hilfsanträgen 2 bis 5 umnummeriert worden sind.

11

Hinsichtlich des Wortlauts von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 wird auf die Wiedergabe des Antrags des Beklagten verwiesen. Die Hilfsanträge 2 bis 5 enthalten in ihrem jeweiligen Anspruch 1 u.a. folgenden Wortlaut:

12

„wobei der Zwischenraum groß genug ist, um die Nutationsbewegung zu erlauben und so dass die Vibration die Ablösung des Fetts auslösen kann.“

13

Die Klägerinnen berufen sich insgesamt auf folgende Druckschriften:

14

D1 US 4,735,604

15

D2   US 5,352,194

16

D3 EP 0 391 511

17

D4 US 4,634,420

18

D5 FR 2 744 369 (veröffentlicht am 08.08.1997)

19

D6 US 5,112,302

20

D7 WO 98/40021 (eingereicht am 09.03.1998 und veröffentlicht am 17.09.1998)

21

D8 US 4,940,468

22

D9 US 5,242,386

23

D10 CN 2219093 Y

24

D11 WO 89/11883 A1

25

D12 WO 97/49340 A1

26

Die Klägerinnen beantragen,

27

das europäische Patent 0 971 754 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

28

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

29

die Klage abzuweisen,

30

hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Patent in der erteilten Fassung unter Hinzufügung folgenden Disclaimers verteidigt wird. Der Wortlaut „wobei der Zwischenraum groß genug ist, dass die Vibration die Ablösung des Fetts auslösen kann“ soll im Patentanspruch in eckige Klammern gesetzt werden und hinzugefügt werden: „Hierbei handelt es sich um eine unzulässige Erweiterung“ (Hilfsantrag 1),

31

ferner die Klage abzuweisen, sofern das Patent mit den Hilfsanträgen 2 bis 5 (ehemalige Hilfsanträge 1 bis vom 18.11.2013) verteidigt wird.

32

Der Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent für bestandsfähig. Hinsichtlich der geltend gemachten unzulässigen Erweiterung vertritt der Beklagte die Auffassung, dass auch in der ursprünglichen Anmeldung die Erläuterung der Nutationsbewegung sich auf die „erfindungsgemäße“ Nutationsbewegung beziehe, d.h. für den Fachmann sei klar gewesen bzw. er habe mitgelesen, dass der Zwischenraum so groß sei, dass er zu einer Nutationsbewegung führe, welche das Fett ablöse.

33

Der Senat hat den Parteien einen frühen gerichtlichen Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet. Auf den Hinweis vom 13.09.2013 wird Bezug genommen (Bl. 217 ff. d.A.).

34

Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 08.04.2014 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

35

Die zulässige Klage ist begründet, da der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ, zur vollumfänglichen Nichtigerklärung des Streitpatents führt.

36

1. Der Gegenstand des Streitpatents betrifft eine Fettabsaugvorrichtung, die eine Absaugkanüle aufweist, die eingerichtet ist, um das subkutane Fett durch eine Eingangsöffnung abzusaugen, wobei die Kanüle eine Längsachse hat und an einem mechanischen Antriebselement angebracht ist, welches einen Eingang zum Anschließen einer Energiequelle hat und eingerichtet ist, um eine Bewegung zu erzeugen und sie an die Kanüle zu übertragen, und wobei die Bewegung der Kanüle einen Translationsanteil entlang der Achse der Kanüle aufweist. (siehe dt. Übersetzung des Streitpatents – im Folgenden DE-Streitpatent - S.1 Z.9-17).

37

Fettabsaugvorrichtungen waren in verschiedenen Ausführungen bereits vor dem Prioritätstag des Streitpatents bekannt. Wie in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents erläutert wird, sind Fettabsaugvorrichtungen mit einem mechanischen Antriebselement bekannt, die eine Bewegung erzeugen und eine translatorische Bewegung an die Kanüle übertragen. Um die Translationsbewegung dieses Elements zu führen, weisen diese Vorrichtungen eine innere Kanüle auf, die in einer äußeren Führungskanüle gleitet (siehe DE-Streitpatent S.1 Z.25-36).

38

Als Nachteil derartiger im Stand der Technik bekannter Vorrichtungen beschreibt die Streitpatentschrift unter Hinweis u.a. auf die D1, D2 und D5, dass die Translationsbewegung der inneren Kanüle bezüglich der äußeren Kanüle bei großer Amplitude von mindestens 1 cm wie bei der D2 einen gefährlichen Abschabeeffekt erzeuge; bei den bekannten Vorrichtungen komme es entweder zu einem Guillotine-Effekt oder – wie bei der D2 – zu einem Abschabeffekt oder die Fettabsaugung sei – wie bei der D1 - nicht wirkungsvoll möglich (DE-Streitpatent S. 2 Z. 34- S.3. Z.1; S.4 Z.10-12). So komme es bei der D5 zur Wirkung einer „Guillotine“ oder Schere, das heißt, dass sie ein Abschneiden der Gefäße und der Nerven hervorrufen könne. Dies mache praktisch eine Vollnarkose unbedingt notwendig. Ferner bestehe die Gefahr, dass sich das Fett zwischen die innere Kanüle und die äußeren Kanüle hineinziehe, was eine Blockade der Translationsbewegung hervorrufen könne. Weiter sei bei Vorhandensein einer doppelten Kanüle, d.h. einer inneren Kanüle und einer äußeren Kanüle, der Durchmesser der Kanüle relativ groß (DE-Streitpatent S.1 Z.36 – S.2 Z.9).

39

2. Ausgehend hiervon bezeichnet es die Patentschrift als Aufgabe der Erfindung, eine Fettabsaugvorrichtung herzustellen, deren Verwendung beträchtlich weniger Verletzungen der Gefäße und der Nerven zur Folge hat, obgleich sie eine mechanische Unterstützung mit einschließt, die erlaubt, das subkutane Fett des Patienten auf wirkungsvolle Weise zu entfernen (siehe Streitpatent S. 3 Z.2-7).

40

3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent die Lehre nach Patentanspruch 1 in deutscher Übersetzung und mit hinzugefügter Merkmalsgliederung vor:

41

1. Fettabsaugvorrichtung,

42

1.1 umfassend eine Saugkanüle (3) zum Absaugen von subkutanem Fett durch eine Eingangsöffnung (14),

43

1.2 wobei die Kanüle eine Längsachse (16) aufweist und

44

1.3 mit einem mechanischen Antriebselement (10, 11) verbunden ist, das sich in einem Gehäuse (2) befindet,

45

1.4 wobei das Antriebselement eine Öffnung aufweist, die dazu vorgesehen ist, dort eine Energiequelle anzuschließen und geeignet ist, eine Bewegung hervorzurufen und diese an die Kanüle zu übertragen, und

46

1.5 wobei die Bewegung der Kanüle eine Parallelverschiebung entlang der Achse der Kanüle umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass

47

1.6 die Bewegung der Kanüle unrund ist, und

48

1.7 eine zur Kanülenachse senkrechte Vibration umfasst, und

49

1.8 die Parallelverschiebung entlang der Kanülenachse

50

verläuft,

51

1.8.1 wobei die Parallelverschiebung eine Amplitude zwischen 2 mm und 1 cm aufweist, und

52

1.9 wobei ein Zwischenraum (18) zwischen der Kanüle (3) und dem Gehäuse (2) vorgesehen ist,

53

1.9.1 wobei der Zwischenraum groß genug ist, dass die Vibration die Ablösung des Fetts auslösen kann.

54

Die Patentansprüche 2 bis 9 erteilter Fassung sind jeweils unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen. Hinsichtlich ihres Wortlauts wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

55

4. Als für die hier maßgebliche Entwicklung und für die Beurteilung der objektiven Problemstellung berufener Fachmann sieht der Senat einen Ingenieur mit langjähriger Erfahrung in der Entwicklung von Fettabsaugvorrichtungen, der außerdem jedenfalls einfache medizinische Grundkenntnisse erworben hat und bezüglich der spezifischen medizinischen Probleme mit einem Chirurgen in engem Kontakt steht, mit diesem ggf. ein Team bildet oder diesen ergänzend heranzieht (zum Teamfachmann vgl. BGH GRUR 2012, 482 – Pfeffersäckchen; GRUR 2010, 41 – Diodenbeleuchtung; GRUR 2007, 404 – Carvedilol II; Senat 4 Ni 68/09, Urt, v. 7.2.2012). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist für die Beurteilung des angesprochenen Fachmanns nicht auf den Anwender der beanspruchten Erfindung, also auf den Arzt bzw. Chirurgen abzustellen, sondern den für die Entwicklungsleistung angesprochenen Fachmann, den Ingenieur, der sich zur Problemlösung insbesondere hinsichtlich der spezifischen medizinischen Probleme und Anforderungen durchaus der Kenntnisse des Chirurgen bedient und dessen Wünsche berücksichtigt.

56

5. Nach dessen maßgeblichem Verständnis und einer sich am Gesamtzusam-menhang orientierenden Betrachtung ist zu beurteilen, welche technische Lehre Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist und welcher technische Sinngehalt den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit zukommt (st. Rspr., BGH, Urt. v. 12.3.2002, X ZR 168/00, GRUR 2002, 515 –Schneidmesser I).

57

Maßgeblich ist danach der seinem technischen Sinn nach aufzufassende Patentanspruch und ergänzend der Offenbarungsgehalt der Patentschrift, soweit dieser Niederschlag in dem betreffenden Patentanspruch gefunden hat (vgl. zur st. Rspr. BGH, Urt. v. 17.04.2007, X ZR 1/05 – Rn. 30 – Pumpeinrichtung, GRUR 2007, 959; BPatG, Urt. v. 26.06.2007, 3 Ni 22/04 – Fentanylpflaster, GRUR 2009, 145, 147 m. w. N.).

58

Der Senat legt danach folgendes Verständnis zu Grunde, wobei im Hinblick auf die nach der Verfahrenssprache maßgebende Begrifflichkeit insoweit auf die französische Fassung abgestellt wird, als die Übersetzung sich als ungenau oder nicht eindeutig erweist.

59

Der Erfindungsgegenstand nach Patentanspruch 1 betrifft eine Fettabsaugvorrichtung, die nach Merkmal 1.1. eine Saugkanüle zum Absaugen von subkutanem Fett und nach Merkmal 1.3 ein in einem Gehäuse befindliches mechanisches Antriebselement umfasst, welches nach Merkmal 1.4. die Kanüle in der im kennzeichnenden Teil beschrieben Weise bewegen soll, um durch die erzeugte Vibration die Ablösung des Fetts auszulösen. Als wesentliches Erfindungselement wird hierbei in der Beschreibung auf die Bewegung der Kanüle abgestellt, die eine „Nutationsbewegung“ darstellen soll, wie im Streitpatent näher beschrieben wird (DE-Streitpatent S.3 Z.15 – 33) und deren Übertragung eine Vibration in das abzutragende subkutane Fettgewebe hinein erlauben soll, welches ein leichteres Eintreten des Fetts in die Kanüle und eine sichere, wirksame Fettabsaugung ermöglichen soll (DE-Streitpatent S.3 Z.15 – 33). Im Einzelnen bedürfen folgende Merkmale der näheren Erläuterung:

60

5.1. Fettabsaugung (1., 1.1)

61

Die gegenständliche Fettabsaugvorrichtung ist danach eine Vorrichtung, die aufgrund der Ausgestaltung und Zweckangabe in 1.1.

62

1.1 umfassend eine Saugkanüle (3) zum Absaugen von subkutanem Fett durch eine Eingangsöffnung (14),

63

zur Verringerung von subkutanem Fettgewebe mittels Absaugung zumindest geeignet sein muss, ohne auf diesen Zweck gegenständlich beschränkt zu sein (z.B. Senat Urt. v. 20.11.2012, 4 Ni 36/10).

64

5.2. Antriebselement (1.3, 1.4)

65

1.3 mit einem mechanischen Antriebselement (10, 11) verbunden ist, das sich in einem Gehäuse (2) befindet,

66

1.4 wobei das Antriebselement eine Öffnung aufweist, die dazu vorgesehen ist, dort eine Energiequelle anzuschließen und geeignet ist, eine Bewegung hervorzurufen und diese an die Kanüle zu übertragen, und

67

Das mechanische Antriebselement ist somit nicht die Energiequelle, sondern das Element, das eine Bewegung hervorruft und an die Kanüle überträgt.

68

Im Streitpatent sind als Ausführungsbeispiel ein Zylinder (10) und Druckluftkolben (11) genannt (DE-Streitpatent S.5 Z.6, S.7 Z.6-9, Fig.1) oder ein Element (20) mit Kolben (22) (DE-Streitpatent S.10 Z.1-3, Fig.6 – 8). Es sind jedoch auch andere Antriebselemente vorstellbar, die nur irgendwie eine Bewegung hervorrufen können, die an die Kanüle übertragbar ist (z.B. ein Elektromotor).

69

Als Energiequelle wird in der Streitpatentschrift Druckgas, elektrischer Strom, magnetische Induktion oder eine unter Druck stehende Flüssigkeit genannt (DE-Streitpatent S.8 Z.1-9). Weiter weiß der Fachmann, dass Kolben i.d.R. von Motoren angetrieben werden.

70

Unter einer „Öffnung“ für eine derartige Energiequelle versteht der Fachmann daher einen Stromanschluss, ein Batteriefach, eine Induktionsschnittstelle, einen Druckluftanschluss oder einen Flüssigkeitsanschluss oder auch eine mechanische Verbindung zu einem Motor.

71

5.3. Bewegung des Antriebselements (1.4)

72

1.4 wobei das Antriebselement eine Öffnung aufweist, die dazu vorgesehen ist, dort eine Energiequelle anzuschließen und geeignet ist, eine Bewegung hervorzurufen und diese an die Kanüle zu übertragen, und

73

Das Merkmal 1.4 gibt lediglich an, dass das Antriebselement eine Bewegung ausführt und diese an die Kanüle überträgt. Über die Art der Bewegung (reine Translationsbewegung, Nutationsbewegung, …) macht das Merkmal 1.4 keine Aussage.

74

Es ist zwischen der Bewegung der Kanüle, die eindeutig definiert ist (siehe folgender Absatz) und der Bewegung des Antriebselements zu unterscheiden (Merkmal 1.4: „pour produire un mouvement“, Merkmal 1.5: „le mouvement de la canule“). Insbesondere ist weder im Patentanspruch gelehrt noch in der Beschreibung angegeben, dass das Antriebselement ebenfalls eine Bewegung nach den Merkmalen 1.5-1.8.1 (eine Nutationsbewegung) ausführt. Eine Bewegung des Antriebselements in Quer- und Längsrichtung ist durch den Anspruch nicht vorgegeben und würde eine Einschränkung des beanspruchten Gegenstandes darstellen.

75

5.4. Bewegung der Kanüle (1.5, 1.6, 1.7, 1.8, 1.8.1)

76

1.5 wobei die Bewegung der Kanüle eine Parallelverschiebung entlang der Achse der Kanüle umfasst,

77

dadurch gekennzeichnet, dass

78

1.6 die Bewegung der Kanüle unrund ist, und

79

1.7 eine zur Kanülenachse senkrechte Vibration umfasst, und

80

1.8 die Parallelverschiebung entlang der Kanülenachse verläuft,

81

5.4.1 Die Merkmale 1.5-1.8 bestimmen die Bewegung der Kanüle, die in der maßgeblichen Verfahrenssprache zur Kennzeichnung von Merkmal 1.6. als „mouvement de la canule est un mouvement de nutation“, also wie auch in der Beschreibung als „Nutationsbewegung“ bezeichnet ist und damit auch in einer korrekten Übersetzung so zu bezeichnen wäre. Diese soll entsprechend dem Merkmal 1.7 nach dem Wortlaut „comprenant un composant de vibration perpendiculaire à l’axe de la canule“ eine senkrechte Vibration zur Achse der Kanüle umfassen, so wie es auch in der Beschreibung zur Definition der Nutrationsbewegung erläutert wird, wenn es dort heißt „Eine Nutationsbewegung wird auf diese Weise erzeugt, die einen Vibrationsanteil senkrecht zur Achse der Kanüle und einen Translationsanteil entlang der Achse der Kanüle aufweist“ (vgl. DE-Streitpatent S.3 Z.17-19). Dieser Translationsanteil entspricht nach den Merkmalen 1.5 und 1.8. der „Parallelverschiebung entlang der Kanülenachse“.

82

Der in der deutschen Übersetzung zu Merkmal 1.6 verwendete Begriff „unrund“ findet dagegen im französischen Text keine Entsprechung und geht im Übrigen auch nicht über die auch der französischen Fassung entsprechenden Merkmale 1.7 und 1.8 hinaus.

83

5.4.2 Die dem Streitpatent zugrundeliegende Definition einer Nutationsbewegung entspricht allerdings nicht der physikalisch korrekten Definition (Kreiselbewegung siehe A5 bis A6a), sie ist jedoch nach dem Inhalt der gesamten Patentschrift und insbesondere nach dem mit der offenbarten technischen Lehre verfolgten Zweck auszulegen und bildet ihr eigenes Lexikon (BGH, Urt. v. 2.3.1999, X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, – Spannschraube; Mitt. 2000, 105, – Extrusionskopf).

Abbildung

84

Figur 5 zeigt nach Angaben des Streitpatents (DE-Streitpatent S.5 Z.29) schematisch, die auf die Kanüle übertragene Nutationsbewegung:

85

Für das in Fig. 5 dargestellte Ausführungsbeispiel mit der Kanülenlänge von ca. 25 cm bedeutet die Nutationsbewegung, „daß das freie Ende der Kanüle eine Nutationsbewegung innerhalb eines Kreises beschreibt“ (DE-Streitpatent S.8 Z.23-25).

86

Eine Nutationsbewegung im Sinne des Streitpatents ist jedoch nicht auf eine Kreisbewegung eingeschränkt, sondern es ist eine beliebige Bewegung mit Längs-(Translations-) und Quer-(Vibrations-)anteil (DE-Streitpatent S.3 Z.17-19).

87

5.5. Amplitude der Parallelverschiebung/senkrechte Vibration (1.8.1)

88

1.8.1 wobei die Parallelverschiebung eine Amplitude zwischen 2 mm und 1 cm aufweist, und

89

Sowohl die Längs-(Translations-) als auch die Quer-(Vibrations-)bewegung weisen eine Amplitude auf.

90

Für die Querbewegung (Vibrationsanteil senkrecht zur Achse) ist der Begriff Amplitude eindeutig am Beispiel von Fig.5 als halber Gesamthub definiert (vgl. DE-Streitpatent S.8 Z.20-27): „Durch Verwendung einer Kanüle … kann man am freien Ende der Kanüle eine Amplitude in der Größenordnung von 1 cm erzielen. Dies bedeutet, daß das freie Ende der Kanüle eine Nutationsbewegung innerhalb eines Kreises beschreibt, so wie er in Figur 5 dargestellt ist, in welcher der Kreis einen Durchmesser in der Größenordnung von 2 cm hat. Dies bedeutet, dass bei der Querbewegung der Gesamthub der Bewegung der doppelten Amplitude entspricht“.

91

Für die mit Merkmal 1.8.1 beanspruchte Amplitude der Translationsbewegung gibt die Streitpatentschrift keine Definition der Amplitude vor, sondern lediglich die Größenordnung wie sie auch beansprucht ist (vgl. DE-Streitpatent S.8 Z.10-15): „Die Amplitude des Translationsanteils ist zwischen 2 mm und 1 cm, um die Verletzungen der Gefäße und Nerven des Patienten maximal zu begrenzen. Insbesondere ist die Amplitude in der Größenordnung von 3 bis 5 mm. Man muß hier anmerken, daß Amplituden von 2 bis 6 mm also ebenfalls mit eingeschlossen sind.“

92

Der Fachmann wird – auch seinem üblichen Fachverständnis entsprechend– den Begriff Amplitude einheitlich auslegen, d.h. auch bei der Translationsbewegung analog zur Querbewegung dahingehend interpretieren, dass der Gesamthub der Translationsbewegung der doppelten Amplitude entspricht, also zwischen 4 mm und 2 cm liegt.

93

5.6. Zwischenraum (1.9, 1.9.1)

94

1.9 wobei ein Zwischenraum (18) zwischen der Kanüle (3) und dem Gehäuse (2) vorgesehen ist,

95

1.9.1 wobei der Zwischenraum groß genug ist, dass die Vibration die Ablösung des Fetts auslösen kann.

96

Was im Streitpatent mit Zwischenraum/freien Raum (18) zwischen der Kanüle (3) und dem Gehäuse (2) gemeint ist, offenbart beispielhaft Fig. 4 und die dazugehörige Beschreibung (vgl. DE Streitpatent S.8 Z.33-35: „Um die Nutationsbewegung zu erlauben, ist zwischen der Kanüle und dem Griff ein freier Raum 18 vorgesehen, wie in Figur 4 dargestellt ist, …“.

Abbildung

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97

In Figur 4 ist mit Bezugszeichen 18 ein freier Raum (weites Durchgangsloch) für eine Bewegung in Längs- und Querrichtung offenbart.

98

Auf eine derartige Ausgestaltung ist der Patentanspruch jedoch nicht festgelegt. Denn der Zwischenraum muss nach dem Wortlaut nicht zwangsläufig dadurch entstehen, dass sich auch die Kanüle – und nicht nur das Antriebselement (M 1.3)  innerhalb des Gehäuses befindet und das Gehäuse ein weites Durchgangsloch besitzt. Der Wortlaut des Anspruchs umfasst daher z.B. auch Kanülen, die sich außerhalb des Gehäuses befinden und einen Zwischenraum/Abstand/freien Raum/Spiel zum daneben liegenden – und nicht umschließenden – Gehäuse besitzen.

99

Die Formulierung des Merkmals 1.9.1. „dass der Zwischenraum groß genug ist, dass die Vibration die Ablösung des Fetts auslösen kann“ stellt nicht nur sprachlich, sondern insbesondere auch unter Berücksichtigung des im Streitpatent beschriebenen intendierten Zwecks der erzeugten Nutationsbewegung einen unmittelbaren Beziehungszusammenhang zwischen der Ausgestaltung des Zwischenraums und der durch den Vibrationsanteil (Querbewegung) der Nutrationsbewegung herbeigefügten Wirkung her. Danach muss der Zwischenraum so groß sein, dass nicht nur irgendeine Translationsbewegung oder/und Vibrationsbewegung im Zusammenhang mit den weiteren Bauteilen der Vorrichtung ermöglicht wird, sondern der Zwischenraum muss so groß sein, dass die erzeugte Vibrationsbewegung eine Ablösung des Fetts ermöglicht.

II.

100

Der Senat sieht in dem Merkmal

101

1.9.1 wobei der Zwischenraum groß genug ist, dass die Vibration die Ablösung des Fetts auslösen kann.

102

des Patentanspruchs 1 erteilter Fassung eine zur Nichtigerklärung führende unzulässige Erweiterung des Inhalts der Anmeldung von Patentanspruch 1 wie sie sich in der WO 98/44966 (Anlage A11) darstellt (Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ iVm Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG).

103

1. Nach Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ iVm Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG ist das europäische Patent für nichtig zu erklären, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, was anhand eines Vergleichs des durch die Patentansprüche bestimmten Gegenstands des erteilten bzw. geänderten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen der Anmeldung in ihrer Gesamtheit festzustellen ist.

104

1.1. Maßgeblich für die Beurteilung einer identischen und den Inhalt der Anmeldung nicht erweiterten Offenbarung ist danach das Verständnis des Fachmanns zum Zeitpunkt der Patentanmeldung. Dieser muss den Gegenstand des erteilten Patentanspruchs identisch dem Inhalt der Offenbarung der gesamten Anmeldeunterlagen als zur angemeldeten Erfindung gehörig entnehmen können. Für die Beurteilung sind hierbei die auch für die Neuheitsprüfung und Prüfung der wirksamen Priorität geltenden Anforderungen einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung anzuwenden (st. Rspr. BGH, Urt. v. 14.10.2003, X ZR 4/00 = GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit; Urt. v. 30.1.2008, X ZR 107/04 = GRUR 2008, 597 – Betonstraßenfertiger). Deshalb zählen nicht dazu auch weitergehende, den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmende Erkenntnisse, die der Fachmann auch nicht als selbstverständlich mitliest, sondern zu denen er durch Ergänzung der Offenbarung aufgrund seines allgemeinen Fachwissens oder durch Abwandlung der offenbarten Lehre gelangen kann (BGH Urt. v. 16.12.2008, X ZR 89/07 = GRUR 2009, 382 – Olanzapin; GRUR 2010, 910, 916 – Fälschungssicheres Dokument), auch wenn sie ihm geläufig (Senat Urt. v. 10.1.2012, 4 Ni 6/11 = GRUR 2013, 165 – Traglaschenkette).

105

Der Bundesgerichtshof (Urt. v. 11.2.2014, X ZR 107/12 = GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal) hat hierbei im Zusammenhang mit der Frage der Zulässigkeit von Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele in seiner jüngsten Rechtsprechung herausgestellt, dass das Erfordernis der identischen Offenbarung hierbei in einer Weise anzuwenden ist, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet. Soweit in der Anmeldung bereits Ansprüche formuliert sind, haben diese vorläufigen Charakter. Erst im Verlauf des sich anschließenden Prüfungsverfahrens ist herauszuarbeiten, was unter Berücksichtigung des Standes der Technik schutzfähig ist und für welche Ansprüche der Anmelder Schutz begehrt. Erst mit der Erteilung des Patents mit bestimmten Ansprüchen erfolgt eine endgültige Festlegung des Schutzgegenstands.

106

1.2. Diesen Grundsätzen entsprechend enthält Patentanspruch 1 mit dem Merkmal 1.9.1 eine gegenüber dem Inhalt der Anmeldung unzulässig erweiterte Lehre dahingehend, dass der Zwischenraum in einen Wirkzusammenhang mit dem Vibrationsanteil und einem erstmals einbezogenen Leistungserfolg, der Ablösung des Fettes, gesetzt wird (siehe II 5.6.), während in der Anmeldung zu Fig.4 nur ausgeführt wird, dass ein Zwischenraum vorhanden ist, um die Nutationsbewegung zu erlauben (vgl. A11 S.9 Z.1-2: „Pour permettre le mouvement de nutation, un espace libre 18 est préevu entre la canule et la poignée, tel...“; Patentschrift S. 8. Z. 33-35 „Um die Nutationsbewegung zu erlauben, ist zwischen der Kanüle und dem Griff eine freier Raum 18 vorgesehen, wie in Fig. 4 dargestellt ist…“).

107

Hierdurch wird kein unmittelbarer Beziehungszusammenhang zwischen Zwischenraum und Nutrationsbewegung und insbesondere dem insoweit enthaltenen Vibrationsanteil hergestellt, der ursprünglich nicht als zur Erfindung gehörend offenbart war. In der Beschreibung der A11 wie auch der Streitpatentschrift ist zwar auch erläutert, dass die Vibration der Kanüle die Ablösung des Fetts bewirkt (vgl. A11 S. 9 Z. 8- 11 „..la vibration de la canule est transmise directement à la graisse ce qui la fait dissocier, disloquer ou éclater et la bat pour ainsi dire en mousse ce qui lat fait entrer facilement das les orifices 14 de la canule, …“; Streitpatent S.9 Z.2-5: „Während der Verwendung der Kanüle wird deren Vibration direkt auf das Fett übertragen, wodurch dieses aufgelöst, abgelöst wird oder zerplatzt und sozusagen schaumig geschlagen wird,…“).

108

Allerdings wird in der Beschreibung der A11 und des Streitpatents kein weiterer Zusammenhang zwischen dem freien Raum 18 und einer wirksamen Fettabsaugung hergestellt, sondern die Beschreibung der A11 geht ausschließlich ausführlich auf die Bedeutung des Translationsanteils und der zu wählenden Amplitude des Vibrationsanteils am Ende der Kanüle für eine wirksame und schonende Fettabsaugung ein, wenn es heißt „Andererseits verstärkt der Translationsanteil den Vibrationsanteil und stellt eine wirksame Fettabsaugung sicher“ (Streitpatent S. 3 Z. 30 - 32). Ferner (Streitpatent S. 8 Z. 16 - 17) „Die Amplitude des Vibrationsanteils am Ende der Kanüle ist eine Funktion der Länge der Kanüle“ wird sodann ausführlich der insoweit bestehende Zusammenhang von Länge der Kanüle und Amplitude auch anhand von Beispielen erläutert.

109

Dies gilt im Besonderen für den nach Merkmal 1.9.1 beanspruchten Wirkzusammenhang zwischen dem Zwischenraum und dem Vibrationsanteil, als Teil der Nutationsbewegung. So findet sich in der A11 zwar auch der Hinweis „Pour permettre le mouvement de nutation , un espace libre 18 est prévu entre la canule et la poignée, tel qu’illustré a la figure 4 qui montre en coupe une partie de l’appareil suivant la figure 3“, welcher demjenigen der Patentschrift S.8 Z.33-35 entspricht: „Um die Nutationsbewegung zu erlauben, ist zwischen der Kanüle und dem Griff ein freier Raum 18 vorgesehen, wie in Figur 4 dargestellt ist, …“.

110

Allerdings findet sich die in [Abs. 009] der Patentschrift enthaltene Aussage „Un espace libre est prévu entre la canule et le boîter, ledit espace étant suffisament dimensionné de façon à permettre au composant de vibration de provoquer la dislocation de la graisse“

111

; Seite 3 Z.20-24 Übersetzung Streitpatent S.8 „Ein freier Zwischenraum ist zwischen der Kanüle und dem Gehäuse vorgesehen, wobei der Zwischenraum ausreichend bemessen ist, um den Vibrationsanteil zu erlauben, eine Ablösung des Fetts hervorzurufen“ nicht in den Anmeldeunterlagen nach A11.

112

Danach steht die Größe des Zwischenraums in keinerlei Beziehung zu einer wirksamen Nutrationsbewegung, insbesondere nicht zum Vibrationsanteil und infolge dessen zu den in Merkmal 1.9.1 beschriebenen Wirkungen. Wie die Klägerin auch zutreffend ausführt, kann – der ursprünglichen Offenbarung folgend – der Zwischenraum auch für den Vibrationsanteil völlig unberücksichtigt bleiben und es ist nur eine Translation berücksichtigen, so dass der Kolben zum Vor- und Rückschub in der Lage ist, der für die Nutationsbewegung maßgebliche Vibrationsanteil am Ende der Kanüle sich aber ohne Rücksicht auf den Zwischenraum ausschließlich oder im Wesentlichen aus den weiteren Bedingungen, wie Art und Länge der Kanüle, ergäbe.

113

Für ein insoweit eingeschränktes und einen Wirkzusammenhang zwischen Zwischenraum und Nutrationsbewegung, insbesondere den Vibrationsanteil, einbeziehendes Verständnis des angesprochenen Fachmanns fehlt in den Anmeldeunterlagen (AN) jeglicher Hinweis, wie auch aus dem in der genannten Aufgabe zum Ausdruck kommenden Erfindungsgedanken (BGH Urt. v. 4.2.2010, Xa ZR 36/08 = GRUR 2010, 602 – Gelenkanordnung) sich ein derartiges einschränkendes Verständnis nicht ergibt.

114

Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich der in Merkmal 1.9.1 hergestellte Beziehungszusammenhang deshalb nicht aus dem Hinweis auf die Ermöglichung einer Nutationsbewegung als solche auf Seite 8 der Beschreibung der A11 und der Annahme, der Fachmann werde dem bereits den allein technisch sinnvollen Informationsgehalt entnehmen, dass der freie Raum nicht irgendeine, sondern eine erfindungsgemäße, zur Ablösung des Fetts geeignete Vibration erlaubt.

115

Somit ist der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag unzulässig erweitert und hat keinen Bestand.

III.

116

Soweit der Beklagte mit Hilfsantrag 1 die hilfsweise Aufrechterhaltung des Streitpatents mit dem im Patentanspruch 1 eingefügten folgenden Disclaimer beantragt hat:

117

Der Wortlaut „wobei der Zwischenraum groß genug ist, dass die Vibration die Ablösung des Fetts auslösen kann“ soll im Patentanspruch in eckige Klammern gesetzt werden und hinzugefügt werden: „Hierbei handelt es sich um eine unzulässige Erweiterung“,

118

kann dies der Nichtigerklärung des Streitpatents nicht entgegenstehen, da sich bereits eine derartige beschränkte Verteidigung des Streitpatents als unzulässig erweist.

119

1. Vorliegend erscheint fraglich, ob die vorliegende Erweiterung des Inhalts der Anmeldung sich als unzulässig erweist, weil der Gegenstand der Lehre nach Patentanspruch 1 sich gegenüber dem Inhalt der Anmeldung als Beschränkung darstellt oder ob sich die Einfügung des ursprünglich nicht offenbarten Merkmals 1.9.1 derart auf den Inhalt der geschützten Lehre auswirkt, dass diese eine andere Erfindung als diejenige der ursprünglichen Anmeldung, damit ein aliud zum Gegenstand hat, und deshalb auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht mehr als Beschränkung angesehen werden kann (BGH Urt. v. 21.6.2011, X ZR 43/09 = GRUR 2011, 1003 – Integrationselement; Urt. v. 6.08.2013, X ZB 2/12 = GRUR 2013, 1135 – Tintenstrahldrucker). Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der schillernde Begriff des „aliuds“ (Keukenschrijver/Busse PatG, 7. Aufl., § 38 Rdn. 19) nicht nur Gegenstände erfasst, die zum ursprünglich offenbarten Gegenstand in einem Ausschließlichkeitsverhältnis stehen („exklusives aliud“), sondern ein aliud bereits dann vorliegen soll, wenn die Veränderung einen technischen Aspekt betrifft (BGH GRUR 2011, 1003 – Integrationselement).

120

Im vorliegenden Fall spricht im Übrigen viel dafür, dass das Merkmal 1.9.1 die ursprünglich offenbarte technische Lehre nur konkretisiert und damit einschränkt, nicht jedoch einen anderen technischen Aspekt anspricht, welche die ursprüngliche Lehre zu einer anderen technischen Lehre macht, da sich die Ausgestaltung der Fettabsaugvorrichtung nur als spezieller erweist, ohne dass deren Wirkungsweise und das wesentliche Konstruktionsprinzip verändert werden. Hierfür spricht auch, dass die Aufnahme von Merkmal 1.9.1 nicht zu einer Verschiebung des sich aus Art. 64 EPÜ, §§ 9, 10 PatG ergebenden Schutzumfangs führen dürfte, sondern diesen nur im Hinblick auf die konkretisierte Ausgestaltung des Zwischenraums beschränkt. Dies kann letztlich jedoch dahin gestellt bleiben, weil sich auch in diesem Fall das Patent als nicht bestandsfähig erweist.

121

2. Der Senat sieht vorliegend in Abweichung zur Rechtsprechung bei nationalen Patenten und der insoweit maßgeblichen Gesetzeslage nach dem PatG keine Möglichkeit, die mit der uneigentlichen Erweiterung des Streitpatents verbundene Annahme einer unentrinnbaren Falle im Hinblick auf Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ zu verneinen und das Streitpatent in der hilfsweise eingeschränkten Fassung mit einem sog. Rettungsdisclaimer zu erhalten.

122

a. Insoweit kann letztlich dahinstehen, ob es überhaupt eines Disclaimers als Ausdruck eines auf eingeschränkte Verteidigung gerichteten Willens und Antrags des Patentinhabers und einer beschränkten Verteidigung des Patentanspruchs bedarf oder ob - der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs folgend - ein Disclaimer zwar zulässig, aber nicht als erforderlich anzusehen ist und auch im Patentanspruch keinen Ausdruck finden muss, weil das nicht offenbarte einschränkende Merkmal im Anspruch verbleiben kann, bei der Prüfung der Patentfähigkeit aber jedenfalls insoweit außer Acht zu lassen ist, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf. Allerdings sieht der Senat die insoweit vom Bundesgerichtshof vertretene Ansicht nur dann als folgerichtig an, wenn sie bereits Ausdruck eines einschränkenden Verständnisses der Tatbestandsvoraussetzungen des Nichtigkeitsgrundes der unzulässigen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung ist, so dass diese Vorgehensweise und Prüfung auch von Amts zu erfolgen hat und es keines hierauf gerichteten Willens zur eingeschränkten Verteidigung oder Antrags des Patentinhabers bedarf.

123

b. Danach wären die Erwägungen des Bundesgerichtshofs bereits im Rahmen des Hauptantrags zu berücksichtigen, auf einen Hilfsantrag und entsprechenden Verteidigungswillen des Patentinhabers käme es nicht an. Für ein derartiges Verständnis der Spruchpraxis des Bundesgerichtshofs und deshalb für eine teleologisch orientierte Begrenzung bereits des Anwendungsbereichs von § 21 Abs. 1 PatG spricht, dass der Bundesgerichtshof hinsichtlich des Gesetzeswortlauts auf allgemeine Auslegungskriterien zurückgreift um die Frage zu beantworten, ob der hier maßgebliche Fall zwingend zum vollständigen Widerruf führt oder ob den berechtigten Belangen der Öffentlichkeit nicht dadurch Genüge getan ist, dass - wie sich aus § 38 Satz 2 PatG ergibt - aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden können (BGH Urt. v 21.10.2010, Xa ZB 14/09 = GRUR 2011, 40 - Winkelmesseinrichtung).

124

3. Für eine derartige einschränkende Anwendbarkeit des Nichtigkeitsgrunds der unzulässigen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung oder für eine Disclaimerlösung sieht der Senat im Rahmen der hier für das EP-Streitpatent nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG anwendbaren Bestimmung des Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ keinen Raum.

125

a. Eine bloße Streichung des einschränkenden Merkmals würde, sofern man den Tatbestand des Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ iVm Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG als erfüllt ansieht, aufgrund des hierdurch erweiterten Schutzbereichs gegen den Nichtigkeitsgrund des Art. 138 Abs. 1 Buchst. d EPÜ iVm Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG verstoßen. Eine Lösung dieses, auch als unentrinnbare Falle bezeichneten, Konflikts ist weder im Patentgesetz noch im EPÜ vorgesehen.

126

b. Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA, Entscheidung vom 2. Februar 1994 – G 1/93, ABl. EPA 1994, 541 = GRUR Int 1994, 842 – Beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products) sieht sich deshalb auch unter Berücksichtigung der für den Patentinhaber entstehenden Härte im Hinblick auf den verbindlichen Charakter von Art. 123 Abs. 2 und 3 EPÜ an der grundsätzlichen Zulassung von Disclaimern gehindert, sofern nicht ausnahmsweise bereits eine tatbestandsgemäße Erweiterung ausscheidet, weil das betreffende Merkmal keinen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung leistet oder weil dieses durch andere (engere) Merkmale zulässig ersetzt werden kann. Daraus ergibt sich aber auch, dass ein Disclaimer, der für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit oder der ausreichenden Offenbarung iSv Art. 83 EPÜ relevant ist oder wird, eine nach Art. 123 Abs. 2 EPÜ unzulässige Erweiterung darstellt (Singer/Stauder/Blumer, EPÜ, 6. Aufl., Art. 123 Rdn. 60; 123 ff).

127

c. Der Bundesgerichtshof (GRUR 2011, 40 – Winkelmesseinrichtung) hat demgegenüber für das Nichtigkeitsverfahren betreffend ein nationales Patent darauf abgestellt, dass weder aus § 21 Abs. 1 Nr. 4 noch aus § 22 Abs. 1 PatG abgeleitet werden könne, dass ein Patent stets zu widerrufen sei, wenn sein Gegenstand gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen durch Aufnahme eines darin nicht offenbarten Merkmals eingeschränkt worden sei. Aus den genannten Vorschriften ergebe sich zwar, dass das Gesetz dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gegenüber der Öffentlichkeit hohes Gewicht einräume. Gemäß § 21 Abs. 2 PatG sei diesem Interesse aber schon dann hinreichend Rechnung getragen, wenn ein Verstoß gegen eines dieser Verbote durch eine entsprechende Beschränkung des Patents rückgängig gemacht werde. Dies könne etwa dadurch geschehen, dass das nicht offenbarte einschränkende Merkmal im Anspruch verbleibe, bei der Prüfung der Patentfähigkeit aber jedenfalls insoweit außer Acht zu lassen sei, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden dürfe. Schon damit sei sichergestellt, dass das Merkmal für die Bestimmung des Schutzbereichs maßgeblich bleibe, der Rechtsbestand des Patents aber nicht auf technische Anweisungen gestützt werde, die in der Anmeldung als nicht zur Erfindung gehörend offenbart seien. Eines Widerruf bzw. einer Nichtigerklärung bedürfe es in dieser Konstellation folglich nicht (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2000, X ZR 184/98, GRUR 2001, 140, – Zeittelegramm).

128

In seiner Entscheidung „Winkelmesseinrichtung“ hat der Bundesgerichtshof seine abweichende Ansicht der Auffassung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts gegenübergestellt und ist zu dem Schluss gelangt, dass für das Einspruchsverfahren betreffend ein nationales Patent die Auffassung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts trotz der weitgehend gleichgelagerten Regelungen der §§ 21 Abs. 1 Nr. 4, 22 Abs. 1 PatG und der Art. 100 Buchst. c, Art. 138 Abs. 1 Buchst. d EPÜ nicht zu übernehmen sei. Dem von der Großen Beschwerdekammer herangezogenen Gesichtspunkt des verbindlichen Charakters von Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ komme jedenfalls für das deutsche Recht keine ausschlaggebende Bedeutung zu, wie auch Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ den Lösungsweg über einen Disclaimer nicht kategorisch ausschlössen. Auch der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung „Winkelmesseinrichtung“ zum EP-Patent keine abweichende Auffassung vertreten, sondern ist ausdrücklich nur für den Anwendungsbereich von §§ 21 und 22 PatG der Auffassung der Großen Beschwerdekammer nicht beigetreten. Der Bundesgerichtshof hat u.a. zur Begründung darauf hingewiesen, dass er sich an einer abweichenden Lösung im Hinblick auf den verbindlichen Charakter von Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ jedenfalls für das deutsche Recht nicht gehindert sieht, welches im PatG keine entsprechende Regelung aufweist. Über die vorliegende Konstellation hatte der Bundesgerichtshof bisher nicht zu entscheiden.

129

4. Der Senat sieht anders als beim nationalen Patent bei dem verfahrensgegenständlichen EP-Patent angesichts der Regelung des Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ keine Möglichkeit zum Erhalt des Streitpatents durch einschränkende Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ iVm Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG oder durch Aufnahme eines Disclaimers, so dass sich auch der von dem Beklagten verfolgte Hilfsantrag 1 als unzulässig erweist.

130

a. Der Umstand, dass eine unentrinnbare Falle zu einer großen Härte für den Patentinhaber führen kann, rechtfertigt nicht ohne weiteres eine die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ einschränkende Auslegung bzw. korrigierende Anwendung im Hinblick auf die Regelungen der Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ, die ausdrücklich bestimmen, dass Patentansprüche nicht in der Weise geändert werden dürfen, dass ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht oder dass der Schutzbereich erweitert wird, und die sich nicht darauf beschränken, dass aus der unzulässigen Änderung nur keine Rechte hergeleitet werden können und den berechtigten Belangen der Öffentlichkeit bereits dadurch Genüge getan ist.

131

Insoweit hält der Senat die in Rechtsprechung in Literatur angeführten Gründe, welche sich auch in Fällen vorliegender Art den Erhalt des Patentanspruchs aussprechen, nicht für durchgreifend, soweit diese auf eine Interessenkollision und darauf hinweisen, dass es im Ergebnis nicht gerechtfertigt erscheine, den Anmelderinteressen die Interessen der Öffentlichkeit unterzuordnen. Insoweit hat auch die Große Beschwerdekammer darauf hingewiesen, dass sich der vorliegende Fall einer unzulässigen Einschränkung die Lehre offensichtlich im Hinblick auf die Rechtssicherheit für Dritte grundlegend unterscheidet von anderen Fällen. Dritte, die sich auf die Anmeldung in der eingereichten und veröffentlichten Fassung verlassen haben und sich einem erteilten Patent gegenübersehen, das keinen breiteren, sondern einen engeren Schutzbereich hat als erwartet, werden hierdurch in ihrer Tätigkeit nicht behindert (kritisch Blumer in Singer/Stauder, EPÜ, 6. Aufl. Art 123 Rdn. 126).

132

b. Als entscheidend gegen den Erhalt des Patent sprechend sieht der Senat vielmehr die ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen des Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ, die nach den Ausführungen der Großen Beschwerdekammer voneinander unabhängig sind und deren Auslegung nicht im Einklang mit ihrem verbindlichen Charakter steht, wenn Artikel 123 Abs. 2 EPÜ je nach Lage des Einzelfalls als gegenüber Artikel 123 Abs. 3 EPÜ nachrangig angewendet wird. Die Absätze 2 und 3 des Artikels 123 EPÜ erscheinen vielmehr voneinander unabhängig.

133

Auch ist in keiner der Bestimmungen des EPÜ vorgesehen oder zugelassen, dass in die Beschreibung eines bestimmten Patents eine Erklärung aufgenommen wird, welche Rechte aus dem Vorhandensein eines bestimmten technischen Merkmals in einem Anspruch des Patents hergeleitet werden können (EPA GRUR Int 1994, 842), wenn auch insoweit anzumerken ist, dass die Aufnahme von Disclaimern zur Begründung der Neuheit gesetzlich nicht vorgesehen, aber nach der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer als zulässig angesehen wird (EPA G 1/03, G 2/03).

134

4.3. Der Senat sieht im Ergebnis die in der Literatur geäußerte Kritik (Schulte PatG, 9. Aufl., § 21 Rdn. 67, m.w.H.), diese zur unentrinnbaren Falle führende Interpretation lasse einen ausgewogenen Ausgleich der berechtigten Interessen von Öffentlichkeit und Patentinhaber vermissen, deshalb zwar als nachvollziehbar, aber nicht ausreichend an, sich über die in Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen gleichrangiger Verbote im Wege richterlicher Rechtsfortbildung hinwegzusetzen und zudem entgegen der Rechtsauffassung der Großen Beschwerdekammer als zu beachtende gewichtige rechtliche Stellungnahme (BGH Urteil vom 15.04.2010, Xa ZB 10/09 = GRUR 2010, 950 – Walzenformgebungsmaschine) allein auf ein ausgewogeneres Ergebnis abzustellen, zumal bei der EPÜ-Revision 2000 entgegen ursprünglichen Absichten der Problemkreis ausgeklammert worden ist (Schulte, PatG, 9. Aufl.,§ 21 Rdn. 67, m.w.H.) und deshalb der Lückenschließung durch richterliche Rechtsfortbildung insoweit Grenzen gesetzt sind als der Gesetzgeber diese stillschweigend billigt (BVerfGE 128, 193).

IV.

135

Auch die weiteren Hilfsanträge 2 bis 5 des Beklagten führen nicht zum Erfolg, da sämtliche danach verteidigten Patentansprüche ihrem Inhalt nach das unzulässig erweiterte Merkmal 1.9.1 enthalten.

136

Damit somit das Patent aufgrund Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ zu widerrufen war, bedarf es keiner Erörterung der weiteren, von den Klägerinnen geltend gemachten Nichtigkeitsgründe fehlender Patentfähigkeit und Ausführbarkeit nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 IntPatÜG.

V.

137

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i.V.m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.