Entscheidungsdatum: 18.08.2015
Werden im Verfahren um die Verbindlicherklärung eines Ziels der Raumordnung mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB von der Aufsichtsbehörde einzelne ausgewiesene Standorte für Windenergieanlagen beanstandet, muss sich der Planungsträger erneut mit seiner Konzentrationszonenplanung befassen und hierüber abwägend entscheiden, bevor eine Verbindlicherklärung erfolgen kann.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Wirksamkeit von Festsetzungen zur Windenergienutzung im Regionalen Raumentwicklungsprogramm Vorpommern.
Das Programm ordnet in Abschnitt 6.5 Abs. 7 Satz 1 als Ziel der Raumordnung an, dass die Errichtung von Windenergieanlagen, der Ersatz sowie die Erneuerung bestehender Anlagen ausschließlich innerhalb der in der Gesamtkarte (M 1 : 100 000) ausgewiesenen Eignungsgebiete für Windenergieanlagen zulässig sind. Die Landesverordnung vom 19. August 2010 (GVOBl. M-V S. 453), mit der das Programm festgestellt wurde, bestimmt in ihrem § 1 Abs. 2 Satz 1, dass sich die verbindliche Wirkung des Programms auf die Ziele, Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung und die raumordnerischen Festlegungen der Karte erstreckt. § 1 Abs. 3 der Landesverordnung nimmt einige Eignungsgebiete von der Verbindlichkeit aus.
Die Antragstellerin, eine Firma, die als Tochterunternehmen eines großen deutschen Energieversorgers Windenergieanlagen projektiert und betreibt, plant die Errichtung derartiger Anlagen im Gebiet der Gemeinde P. Sie hat für eine Reihe von Grundstücken zu diesem Zweck bereits Pachtverträge abgeschlossen. Die Standorte der projektierten Anlagen liegen im Eignungsgebiet P., das § 1 Abs. 3 Nr. 1 der Landesverordnung von der Verbindlichkeit ausgenommen hat.
Mit ihrem Normenkontrollantrag wendet sich die Antragstellerin dagegen, dass das Eignungsgebiet P. nicht für verbindlich erklärt worden ist. Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt. Die Konzentrationsflächenplanung sei insofern nicht zu beanstanden. Sie beruhe namentlich nicht auf einem beachtlichen Verstoß gegen das Abwägungsgebot. Die Landesregierung habe ihre Kompetenzen nicht dadurch überschritten, dass sie das Eignungsgebiet P. nicht für verbindlich erklärt habe. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision. Die Antragsgegnerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Die zulässige Revision der Antragstellerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist begründet.
Das Normenkontrollgericht hat angenommen, die gesamträumliche Gebietskulisse Windenergie in Abschnitt 6.5 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. den in der Gesamtkarte (M 1 : 100 000) ausgewiesenen Eignungsgebieten für Windenergieanlagen im Regionalen Raumentwicklungsprogramm Vorpommern (RREP VP), wie sie durch die Landesverordnung vom 19. August 2010 (RREP VP-LVO) Verbindlichkeit erlangt hat, sei weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Die Planung sei abwägungsfehlerfrei erfolgt; hierdurch werde der Windenergienutzung substanziell Raum verschafft. Diese Annahme steht mit Bundesrecht nicht im Einklang.
1. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG 2008/§ 7 Abs. 7 ROG 2004 sind bei der Aufstellung der Raumordnungspläne die öffentlichen und privaten Belange, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind, gegeneinander und untereinander abzuwägen. Für die Abwägung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Raumordnungsplan maßgebend (§ 12 Abs. 3 Satz 1 ROG 2008).
Soll eine planerische Entscheidung die Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB auslösen - hiernach stehen öffentliche Belange u.a. einem Vorhaben zur Nutzung der Windenergie in der Regel entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist -, verlangt das Abwägungsgebot die Entwicklung eines schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzepts (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 2003 - 4 C 3.02 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 356 = juris Rn. 20). Um den Anforderungen gerecht zu werden, die an den Abwägungsvorgang zu stellen sind, muss das Konzept nicht nur Auskunft darüber geben, von welchen Erwägungen die positive Standortzuweisung getragen wird, sondern auch die Gründe für die beabsichtigte Freihaltung des übrigen Planungsraums von Windenergieanlagen aufzeigen (BVerwG, Urteil vom 11. April 2013 - 4 CN 2.12 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 391 Rn. 5). Denn der Ausschluss der Anlagen auf Teilen des Plangebiets lässt sich nach der Wertung des Gesetzgebers nur rechtfertigen, wenn der Plan sicherstellt, dass sich die betroffenen Vorhaben an anderer Stelle gegenüber konkurrierenden Nutzungen durchsetzen; die negative und die positive Komponente der festgelegten Konzentrationszonen bedingen einander (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2002 - 4 C 15.01 - BVerwGE 117, 287 <294>, vom 13. März 2003 - 4 C 4.02 - BVerwGE 118, 33 <37> und vom 21. Oktober 2004 - 4 C 2.04 - BVerwGE 122, 109 <111>; Beschlüsse vom 26. April 2006 - 4 B 7.06 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 371 Rn. 6 und vom 23. Juli 2008 - 4 B 20.08 - BauR 2008, 2009 = juris Rn. 9). Konzentrations- und Ausschlussflächen stehen damit in einem komplementären Verhältnis dergestalt zueinander, dass die Erhöhung der Positivflächen ohne weiteres zu einer Reduzierung der Ausschlussflächen führt und umgekehrt. Der Geltungsbereich der Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB wird dabei - negativ - über die Konzentrationsflächen definiert (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 4 CN 1.12 - BVerwGE 146, 40 Rn. 22). Jede Veränderung des Verhältnisses von Positiv- oder Negativflächen stört folglich das im Wege der Abwägung gefundene gesamträumliche Planungskonzept und macht eine erneute Abwägungsentscheidung erforderlich. Das gilt namentlich dann, wenn im Verfahren um die Genehmigung oder die Verbindlicherklärung eines Ziels der Raumordnung mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB von der Aufsichtsbehörde einzelne ausgewiesene Standorte für Windenergieanlagen - aus welchen Gründen auch immer - beanstandet werden mit der Folge, dass diese nicht in Geltung versetzt werden (dürfen). In einem solchen Fall muss sich der Planungsträger erneut mit seiner Konzentrationszonenplanung befassen und hierüber abermals entscheiden. Das kann in der Weise geschehen, dass er sich die Beanstandungen der Aufsichtsbehörde zu Eigen macht und eine entsprechend reduzierte Konzentrationszonenplanung beschließt (vgl. Runkel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, 1. Aufl. 2010, § 7 Rn. 34). Er kann die Beanstandung aber auch zum Anlass nehmen, erneut in den Planungsprozess einzutreten, eine neue Konzentrationszonenausweisung zu erarbeiten und diese zu beschließen. Diese rechtlichen Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht verkannt.
Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt, bei der gesamträumlichen Gebietskulisse "Windenergie" im RREP VP in der Gestalt, in der sie durch die Landesverordnung Verbindlichkeit erlangt hat, handele es sich um ein vertretbares Abwägungsergebnis und damit ein insgesamt taugliches Planungsinstrument mit Zielqualität, um für den Bereich der Windenergienutzung die Konzentrationswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB herbeizuführen. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Landesregierung in Ausübung der ihr im Zusammenhang mit der Verbindlicherklärung nach § 9 Abs. 5 LPlG M-V eingeräumten Kontrollbefugnis zwei Eignungsgebiete gänzlich (P. und Po./Gemeinde A.) und eines teilweise (I./Sp.) von der Verbindlichkeit ausgenommen habe (UA S. 39). Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn Grund für die Annahme bestehe, dass darin eine so einschneidende Reduzierung der insgesamt für die Windenergienutzung zur Verfügung gestellten Eignungsfläche im Verhältnis zur tatsächlich vorhandenen Potenzialfläche liege, dass der gesamträumlichen Gebietskulisse "Windenergie" letztlich nur noch die Wirkung einer "Feigenblattplanung" im Sinne einer Verhinderungsplanung zugesprochen werden könne und deren Fehlerhaftigkeit nur durch eine erneute Abwägungsentscheidung über die gesamte Gebietskulisse hätte überwunden werden können (UA S. 39). Das Gericht sehe bei näherer Betrachtung der Gesamtheit der in der Festsetzung verbliebenen Eignungsgebiete keine Anhaltspunkte dafür, dass von einem "der Windenergienutzung substanziell Raum geben" nicht mehr gesprochen werden könne (UA S. 39). Die Landesregierung habe sich mit der Herausnahme des Eignungsgebiets P. auch im Rahmen der ihr durch § 9 Abs. 5 LPlG M-V eingeräumten Kontrollbefugnisse gehalten (UA S. 40). Sie sei nicht in der Art einer aktiv planenden Behörde tätig geworden. Weder habe sie von sich aus den Sachverhalt weiter aufgeklärt noch sich als zweite oder übergeordnete Planungsbehörde geriert (UA S. 45). Die mit der Herausnahme des Eignungsgebiets P. aus der Verbindlichkeit verbundene Rechtsfolge, dass einer Realisierung der von der Antragstellerin geplanten Windenergieanlagen am Standort P. grundsätzlich öffentliche Belange entgegenstehen, sei nicht Regelungsinhalt der Entscheidung der Landesregierung, sondern die Konsequenz aus der gesetzlichen Regelung in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB gewesen (UA S. 45). Diese Auffassung wird den Anforderungen an eine Konzentrationsflächenplanung nicht gerecht.
Jede Reduzierung der Eignungsflächen schlägt auf das Abwägungsergebnis durch, weil sie unmittelbar das Verhältnis zwischen Positiv- und Negativflächen beeinflusst. Hierin liegt eine planerische Entscheidung. Ob durch eine Konzentrationszonenplanung der Windenergie noch substanziell Raum verschafft wird, stellt sich lediglich als unterste Grenze dessen dar, was planerisch noch vertretbar ist, um einen Abwägungsergebnisfehler zu vermeiden, nicht aber als Maßstab dafür, ob die Landesregierung selbst (unzulässig) planerisch tätig geworden ist.
In Auslegung des § 9 Abs. 5 LPlG M-V kommt das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass es Sache des Regionalen Planungsverbandes ist, die nach § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG 2008/§ 7 Abs. 7 ROG 2004 erforderliche (abschließende) Abwägungsentscheidung zu treffen (UA S. 42, 45). Hieran ist der Senat gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO gebunden. Nachdem die Landesregierung das vom Planungsverband beschlossene Windenergiekonzept nur mit Einschränkungen für verbindlich erklären wollte, hätte sie das Verfahren zur Überprüfung des Planungsergebnisses an den Regionalen Planungsverband zurückgeben können. Das ist nicht geschehen. Weder hat der Regionale Planungsverband die Konzentrationsflächenentscheidung der Landesregierung in der RREP VP-LVO vor Inkrafttreten gebilligt, noch hat er später einen Beitrittsbeschluss gefasst (siehe z.B. BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2011 - 4 B 23.11 - BauR 2012, 53 Rn. 3 zum ähnlichen Problem bei einem Bebauungsplan). Alternativ hätte sie die Verbindlicherklärung der Gebietskulisse Windenergie insgesamt ablehnen können. Das ist ebenfalls nicht erfolgt. Vielmehr hat die Landesregierung die RREP VP-LVO ohne erneute Befassung des Planungsverbandes mit den genannten Einschränkungen erlassen. Da sie aber landesrechtlich - wie das Oberverwaltungsgericht in Auslegung des irrevisiblen § 9 Abs. 5 LPlG M-V festgestellt hat - keine Planungsbefugnisse besitzt, war ihr damit bundesrechtlich ein solches Vorgehen verwehrt, denn ein Windenergiekonzept, das die Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB auslösen soll, ist nicht teilbar; wird es verändert, ist hierüber vom zuständigen Organ erneut zu beschließen. Die Landesregierung hat folglich nicht nur die ihr nach § 9 Abs. 5 LPlG M-V eingeräumten Befugnisse überschritten, weil sie planerisch tätig geworden ist, sondern sie hat auch ein nicht abschließend abgewogenes Ziel der Raumordnung i.S.v. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für verbindlich erklärt. Damit erweist sich Abschnitt 6.5 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. den in der Gesamtkarte (M 1 : 100 000) dargestellten Eignungsgebieten in der Fassung durch § 1 RREP VP-LVO als insgesamt abwägungsfehlerhaft (§ 7 Abs. 2 Satz 1 ROG 2008/§ 7 Abs. 7 ROG 2004).
Das Ergebnis ändert sich durch den Erlass der Landesverordnung zur Feststellung der ersten Änderung des Regionalen Raumentwicklungsprogramms Vorpommern (1. Änd. RREP VP-LVO) vom 7. Oktober 2013 (GVBl. M-V S. 560) nicht. Gegenstand der Änderung ist die Überarbeitung des durch die Landesverordnung von der Verbindlicherklärung ausgenommenen Eignungsgebiets Po., Gemeinde A. Dieses wurde nunmehr in die Gebietskulisse Windenergie aufgenommen, allerdings mit der Maßgabe, dass die maximal zulässige Gesamthöhe von Windenergieanlagen in diesem Gebiet 70 Meter über gewachsenem Grund nicht überschreiten darf. Hierdurch kann jedoch das Abwägungsdefizit der RREP VP-LVO in der Ursprungsfassung nicht geheilt werden, da nach § 7 Abs. 7 ROG 2008 die Vorschriften des Raumordnungsgesetzes über die Aufstellung von Raumordnungsplänen auch für deren Änderung und Ergänzung gelten. Bereits dies steht der Annahme entgegen, die Beschlussfassung durch den Regionalen Planungsverband über diese Änderung könnte konkludent als Billigung der von der Landesregierung getroffenen Planungsentscheidung zum Ursprungsplan verstanden werden (BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2011 - 4 B 23.11 - BauR 2012, 53 Rn. 3 zur vergleichbaren Situation bei einem Bebauungsplan).
Der Abwägungsfehler ist i.S.v. § 12 Abs. 3 Satz 2 ROG erheblich, weil er offensichtlich (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21. August 1981 - 4 C 57.80 - BVerwGE 64, 33 <38>) und auch auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist (siehe BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2003 - 4 BN 47.03 - BauR 2004, 1130 = juris Rn. 4). Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass der Planungsverband versucht hätte, die (vollständige/teilweise) Herausnahme der drei Eignungsgebiete durch die Ausweisung neuer oder die Erweiterung schon bestehender Eignungsgebiete zu kompensieren oder, entsprechend den Vorgaben der Landesregierung, deren Nutzbarkeit einzuschränken, wie dies nunmehr durch die Ausweisung des Eignungsgebiets Po. unter Festsetzung einer Höhenbegrenzung von 70 Metern durch die 1. Änd. RREP VP-LVO geschehen ist.
Der Abwägungsfehler führt zur Gesamtunwirksamkeit von Abschnitt 6.5 Abs. 7 Satz 1 der RREP VP-LVO, weil ein Windenergiekonzept mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht teilbar ist. Das Oberverwaltungsgericht hat allerdings - insoweit unbeanstandet von der Revision - ausgeführt, dass es sich hierbei inhaltlich um einen sachlichen Teilplan Windenergienutzung im Sinne des § 4 Abs. 3 LPlG M-V handele (vgl. auch § 7 Abs. 1 Satz 2 ROG 2008), der selbständig angreifbar sei (UA S. 19). Damit können die Unwirksamkeitsfolgen nach den Regeln über die Teilunwirksamkeit (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19. September 2002 - 4 CN 1.02 - BVerwGE 117, 58 <61>) auf diese Zielfestlegung begrenzt bleiben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.