Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 21.02.2019


BVerwG 21.02.2019 - 4 C 9/18

Bauplanungsrechtliche Begünstigung einer Flüchtlingsunterkunft


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
21.02.2019
Aktenzeichen:
4 C 9/18
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2019:210219U4C9.18.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 22. Februar 2018, Az: 4 A 1837/17, Urteilvorgehend VG Kassel, 3. Mai 2017, Az: 2 K 278/16.KS, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden im Sinne des § 246 Abs. 9 BauGB dienen nur Vorhaben, mit denen die öffentliche Hand ihre Unterbringungsverantwortung wahrnimmt. Vorhaben privater Bauherrn sind nur begünstigt, wenn sie in Abstimmung mit der öffentlichen Hand errichtet werden oder in zumindest vergleichbarer Weise gesichert ist, dass sie der Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe dienen werden.

Tatbestand

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Die Klägerin verlangt eine Baugenehmigung für eine Unterkunft für Flüchtlinge und Asylbewerber.

2

Das eingeschossige Gebäude mit vier Bewohnerzimmern, einer Küche sowie zwei Bädern soll auf einem unbeplanten Grundstück errichtet werden. Die Grundstücke auf der gegenüberliegenden, nördlichen Straßenseite sind unbebaut, ebenso die in südlicher Richtung an das Vorhabengrundstück anschließende Fläche. Nach Osten folgen, getrennt durch einen Stichweg, ein Grundstück mit einem Villengebäude und weitere Bebauung. Auf dem westlich gelegenen Grundstück steht im hinteren Bereich eine kleine Villa, dem schließt sich eine regellose und kleinteilige Bebauung auf großen Grundstücken an.

3

Die beklagte Gemeinde sieht keinen Bedarf für die Unterkunft und lehnt es ab, der Klägerin Ausländer zuzuweisen, für die sie - die Beklagte - die Unterbringungsverantwortung trägt.

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Ausgangs- und Widerspruchsbehörde lehnten den Bauantrag ab. Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos (VG Kassel, Urteil vom 3. Mai 2017 - 2 K 278/16.KS -; VGH Kassel, Urteil vom 22. Februar 2018 - 4 A 1837/17 - ZfBR 2018, 482 = BauR 2018, 1697 = ESVGH 68, 189). Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs ist das Vorhaben als sonstiges Vorhaben im Außenbereich nach § 35 Abs. 2 BauGB unzulässig, weil es die Erweiterung und Verfestigung der westlich liegenden Splittersiedlung befürchten lasse. Dieser Belang könne dem Vorhaben entgegengehalten werden. Denn § 246 Abs. 9 BauGB begünstige nur die Flüchtlingsunterbringung in öffentlicher Verantwortung. Errichtet ein privater Bauherr eine solche Unterkunft, müsse das Vorhaben in Abstimmung mit dem öffentlich-rechtlichen Unterbringungsverpflichteten errichtet werden. Daran fehle es.

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Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie hält ihr Vorhaben für begünstigt nach § 246 Abs. 9 BauGB. Dem tritt die Beklagte entgegen.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision bleibt erfolglos. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs steht mit revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) in Einklang. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Baugenehmigung, weil ihr Vorhaben gegen Bauplanungsrecht verstößt.

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Nach Auffassung der Vorinstanz nimmt das unbeplante Baugrundstück nicht am Bebauungszusammenhang teil. Die Unterkunft ist ein sonstiges Vorhaben im Außenbereich nach § 35 Abs. 2 BauGB und beeinträchtigt einen öffentlichen Belang, weil es die Verfestigung und Erweiterung einer Splittersiedlung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB befürchten lässt. § 246 Abs. 13 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB kommt ihm nicht zugute, weil es jedenfalls an einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage fehlt. Dies nimmt die Revision hin.

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Die Beteiligten streiten um die Auslegung des § 246 Abs. 9 BauGB. Danach gilt bis zum 31. Dezember 2019 die Rechtsfolge des § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB für Vorhaben entsprechend, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienen, wenn das Vorhaben im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit nach § 30 Abs. 1 oder § 34 BauGB zu beurteilenden Flächen innerhalb des Siedlungsbereichs steht. Einem nach § 246 Abs. 9 BauGB begünstigten Vorhaben kann daher nach § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB nicht entgegengehalten werden, dass es die Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt. § 246 Abs. 9 BauGB greift indes nicht zugunsten der Klägerin ein, weil ihr Vorhaben nicht der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dient.

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"Unterbringung" in § 246 Abs. 9 BauGB bezeichnet weder eine herkömmliche noch eine neue Art der baulichen Nutzung (Blechschmidt, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2018, § 246 Rn. 56), sondern eine Aufgabe, die öffentlich-rechtliche Träger erfüllen. Im allgemeinen Sprachgebrauch mag das Wort die Gewährung von Obdach durch Private bezeichnen, maßgebend ist seine fachsprachliche Bedeutung. Das Asylgesetz benennt in der amtlichen Überschrift von § 53 AsylG ("Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften") eine Aufgabe der öffentlichen Hand. Auch Ländergesetze bezeichnen als Unterbringung eine staatliche oder kommunale Aufgabe, so etwa das bayerische Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Aufnahmegesetz - AufnG) vom 24. Mai 2002 (GVBl S. 192), das hessische Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen und anderen ausländischen Personen (Landesaufnahmegesetz) vom 5. Juli 2007 (GVBl I S. 399), das sächsische Gesetz zur Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Flüchtlingsaufnahmegesetz - SächsFlüAG) vom 25. Juni 2007 (SächsGVBl S. 190) und das Thüringer Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern und anderen ausländischen Flüchtlingen (Thüringer Flüchtlingsaufnahmegesetz - ThürFlüAG) vom 16. Dezember 1997 (GVBl. S. 541). Unterbringung meint damit eine Aufgabe öffentlich-rechtlicher Gebietskörperschaften, auch wenn diese in § 246 Abs. 9 BauGB nicht ausdrücklich erwähnt werden.

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Diese Sicht entspricht dem Willen des historischen Gesetzgebers. § 246 Abs. 9 BauGB geht zurück auf den Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen (BR-Drs. 419/14 ) und den dort vorgeschlagenen § 2 Abs. 3 eines Flüchtlingsunterbringungs-Maßnahmengesetzes. Nach dem Allgemeinen Teil der Begründung sollten Regelungen geschaffen werden, "mit deren Hilfe die bedarfsgerechte Schaffung von öffentlichen Unterbringungseinrichtungen zeitnah ermöglicht und gesichert wird" (BT-Drs. 18/2752 S. 7). Die Bundesregierung erkannte an, dass "das massive Ansteigen der Flüchtlingszahlen Länder und Kommunen vor vielfältige Herausforderungen" stelle (BT-Drs. 18/2752 S. 9). Der federführende Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages ging davon aus, dass das Gesetz "auf die Unterbringung von Personen zielt, die im Bundesgebiet einen Asylantrag gestellt haben oder für deren Unterbringung Bund, Länder oder Kommunen aus sonstigen Gründen Verantwortung tragen" (BT-Drs. 18/3070 S. 10).

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Das Bestehen einer Unterbringungsverantwortung grenzt den in der Norm genannten Personenkreis ab. Asylbegehrende sind Ausländer, die einen Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylG gestellt haben und die sich während des Verwaltungsverfahrens zunächst in Aufnahmeeinrichtungen (vgl. §§ 47 ff. AsylG) aufhalten und im Anschluss in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden sollen (§ 53 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Ein (anerkannter) Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist zwar nach § 53 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 AsylG nicht verpflichtet, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, sofern durch ihn eine anderweitige Unterkunft nachgewiesen wird und der öffentlichen Hand dadurch Mehrkosten nicht entstehen. Die öffentliche Hand kann aber dennoch eine Unterbringungsverantwortung treffen, sei es als fortwirkende Unterbringungsverantwortung (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 23. Februar 2017 - 3 S 149/17 - NVwZ-RR 2017, 602 Rn. 15; Blechschmidt, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2018, § 246 Rn. 54; a.A. Scheidler, ZfBR 2016, 27 <28>; Roeser, in: Berliner Kommentar, Stand August 2018, § 246 Rn. 23), sei es zur Vermeidung von Obdachlosigkeit. Die Kommunen sind darüber hinaus regelmäßig für die Aufnahme und Unterbringung der Ausländer zuständig, die nach § 1 Abs. 1 AsylbLG leistungsberechtigt sind (zusammenfassend Ritgen, in: Meyer/Ritgen/Schäfer, Handbuch Flüchtlingsrecht und Integration, 2. Aufl. 2018, S. 222). Dies erfasst auch Personen, die im aufenthaltsrechtlichen Sinn weder Flüchtlinge noch Asylbegehrende sind, für deren Unterbringung die Praxis aber entsprechend dem Willen des historischen Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 18/3070 S. 10 "... aus sonstigen Gründen ...") die Begünstigung des § 246 Abs. 9 BauGB in Anspruch nimmt (Fachkommission Städtebau, Hinweise zur bauplanungsrechtlichen Beurteilung von Standorten für Unterkünfte von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in den verschiedenen Gebietskulissen , beschlossen am 15. Dezember 2015 unter 1., abgedruckt bei Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2018, § 246 Anh. II).

12

Die Errichtung eines Vorhabens nach § 246 Abs. 9 BauGB nimmt das jeweilige Außenbereichsgrundstück dauerhaft in Anspruch. Denn nach § 246 Abs. 17 BauGB bezieht sich die Befristung in § 246 Abs. 9 BauGB nicht auf die Geltungsdauer der Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende in bauaufsichtlichen Zulassungsverfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Angesichts dieser Rechtsfolge berücksichtigt die Beschränkung des § 246 Abs. 9 BauGB auf die Unterbringung in öffentlicher Verantwortung den Charakter der Norm als Ausnahmevorschrift, wie er in ihrer systematischen Stellung und amtlichen Überschrift zum Ausdruck kommt. Zugleich genügt sie dem Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs, der als Leitgedanken den gesamten § 35 BauGB beherrscht (stRspr, zuletzt BVerwG, Urteil vom 1. November 2018 - 4 C 5.17 - NVwZ 2019, 243 Rn. 16).

13

Zwar darf die öffentliche Hand ihre Unterbringungsverantwortung im Zusammenwirken mit privaten Trägern wahrnehmen. Die jeweilige Gebietskörperschaft und nicht ein privater Bauherr entscheidet aber darüber, ob und welcher Bedarf für öffentliche Unterbringungseinrichtungen und damit für die Inanspruchnahme des § 246 Abs. 9 BauGB besteht. Vorhaben privater Bauherren sind nur begünstigt, wenn diese in Abstimmung mit der öffentlichen Hand errichtet werden oder in zumindest vergleichbarer Weise gesichert ist, dass sie der Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe dienen werden. Daran fehlt es beim Vorhaben der Klägerin. Sie will ihre Einrichtung ohne Abstimmung mit der öffentlichen Hand errichten und belegen, während die Beklagte keinen Bedarf für eine Unterkunft in ihrem Gemeindegebiet erkennt.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.