Entscheidungsdatum: 14.12.2017
Nebenanlagen können nur Anlagen sein, die nicht Bestandteil des (Haupt-)Gebäudes sind. Zur Abgrenzung einer Nebenanlage vom Teil einer Hauptanlage können funktionelle und räumliche Gesichtspunkte herangezogen werden. Von dieser Abgrenzung zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Nebenanlage untergeordnet ist.
Der Kläger begehrt eine Baugenehmigung, hilfsweise einen Vorbescheid für eine auf einem Anbau zu einem Mehrfamilienhaus gebaute Dachterrasse und einen darüber errichteten Balkon.
Auf dem im Eigentum des Klägers stehenden Vorhabengrundstück befindet sich ein dreigeschossiges Mehrfamilienhaus. Die umliegenden Grundstücke sind mit Wohnhäusern bebaut, ein Bebauungsplan fehlt. An das Mehrfamilienhaus ist zum rückwärtigen Garten hin ein eingeschossiger, etwa 15 qm großer Raum angebaut. Dieser wurde im Mai 2011 in einer Nachtragsgenehmigung zur Baugenehmigung als "Abstellraum" genehmigt. Er verfügt über eine Glastür und ein Fenster zum Garten und kann vom Wohnzimmer aus betreten werden. Auf dem Anbau errichtete der Kläger die Dachterrasse und darüber einen Balkon in Form eines Altans, deren Genehmigung er anstrebt.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Die Berufung blieb erfolglos. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts fügt sich das Vorhaben nach der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die maßgebliche Bebauung weise im rückwärtigen Bereich eine faktische Baugrenze auf. Die Dachterrasse und der Balkon überschritten diese Grenze deutlich. Der als Abstellraum genehmigte Anbau scheide als Vorbild für die überbaubare Grundstücksfläche aus, weil er eine nicht prägende Nebenanlage zum Haupthaus sei. Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben sei geeignet, bodenrechtlich beachtliche Spannungen auszulösen oder zu erhöhen und daher unzulässig.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er meint, das Bauvorhaben liege innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen. Der Anbau sei ein Teil des Hauptgebäudes, so dass Terrasse und Balkon auf einer bereits überbauten und damit überbaubaren Grundstücksfläche errichtet werden sollten. Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
Der Senat entscheidet über die Revision mit Einverständnis der Beteiligten nach § 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung. Die Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zur abschließenden Entscheidung bedarf es weiterer Feststellungen. Die Sache ist daher nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen.
Das Vorhaben des Klägers liegt innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils. Das Oberverwaltungsgericht meint, das Vorhaben füge sich entgegen § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die Vorinstanz hat für ihre Prüfung die nähere Umgebung nach den Maßstäben der Rechtsprechung abgegrenzt (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Mai 1978 - 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <380>, vom 15. Februar 1990 - 4 C 23.86 - BVerwGE 84, 322 <326 f.> und vom 8. Dezember 2016 - 4 C 7.15 - BVerwGE 157, 1 Rn. 9) und angenommen, dass in der Umgebung des Vorhabengrundstücks im rückwärtigen Bereich eine faktische Baugrenze bestehe, die von der Terrasse und dem Balkon überschritten werde. Dies nimmt die Revision hin.
Das Oberverwaltungsgericht hat darüber hinaus seine Prüfung auf den vorhandenen Anbau erstreckt, weil nicht nur die auf den umliegenden Grundstücken, sondern auch die auf dem Baugrundstück selbst vorhandene Bebauung den Maßstab für die weitere Bebauung bildet (BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1993 - 4 C 17.91 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 158 S. 101 f.). Nach Auffassung der Vorinstanz kann der Anbau nicht als Vorbild hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche dienen. Er sei eine Nebenanlage, so dass sich eine rückwärtige Bebauung nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge (unter Berufung auf BVerwG, Beschluss vom 6. November 1997 - 4 B 172.97 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 188 S. 58). Dies verstößt gegen Bundesrecht. Der Anbau ist keine Nebenanlage, sondern Teil der Hauptanlage.
Nebenanlagen können nur Anlagen sein, die nicht Bestandteil des (Haupt-)Gebäudes sind (BVerwG, Beschluss vom 14. Februar 1994 - 4 B 18.94 - Buchholz 406.12 § 23 BauNVO Nr. 1 S. 1). Zur Abgrenzung einer Nebenanlage vom Teil einer Hauptanlage können funktionelle und räumliche Gesichtspunkte herangezogen werden (BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 4 B 27.05 - Buchholz 406.12 § 14 BauNVO Nr. 17 S. 8).
Das Oberverwaltungsgericht hat nach räumlichen Gesichtspunkten eine Nebenanlage angenommen: Der Anbau wirke wie ein "Anhängsel" zum Wohnhaus, er sei bloß eingeschossig und nicht unterkellert. Diese Überlegung verfehlt den bundesrechtlichen Maßstab. Die angeführten optischen Kriterien beantworten nicht die Frage nach dem Vorliegen einer Nebenanlage. Für die räumliche Lage von Nebenanlagen sieht das Bauplanungsrecht gewisse Erleichterungen vor (vgl. § 23 Abs. 5 BauNVO). Gleiches gilt für die Art der baulichen Nutzung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Die letztgenannte Vorschrift begünstigt indes nicht alle, sondern nur die untergeordneten Nebenanlagen (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1976 - 4 C 6.75 - Buchholz 406.11 § 29 BBauG Nr. 19 S. 5 f.). Zu den Wesensmerkmalen einer untergeordneten Nebenanlage gehört, dass die Anlage sowohl in ihrer Funktion als auch räumlich-gegenständlich dem primären Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke (oder des Baugebiets selbst) sowie der diesem Nutzungszweck entsprechenden Bebauung dienend zu- und untergeordnet ist (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1976 a.a.O. LS 2). Für die räumlich-gegenständliche Unterordnung sind optische Kriterien maßgeblich (Arnold, in: Bönker/Bischopink, BauNVO, 1. Aufl. 2014, § 14 Rn. 18; Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 3. Aufl. 2014, § 14 Rn. 18), welche die Nebenanlage als "Anhängsel" erscheinen lassen (Stange, BauNVO, 3. Aufl. 2015, § 14 Rn. 15; ebenso Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2017, § 14 BauNVO Rn. 28
Das vom Oberverwaltungsgericht herangezogene Kriterium beantwortet aber nicht die Frage, ob eine Anlage keine Nebenanlage ist, weil sie Teil der Hauptanlage ist. Dafür ist in räumlicher Hinsicht maßgeblich, ob das Vorhaben ein eigenständiges Gebäude ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 2004 - 4 C 10.03 - Buchholz 406.12 § 3 BauNVO Nr. 15 S. 6), es in das Hauptgebäude integriert (BVerwG, Beschluss vom 14. Februar 1994 - 4 B 18.94 - Buchholz 406.12 § 23 BauNVO Nr. 1 S. 1) oder mit ihm konstruktiv verbunden ist (BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 4 B 27.05 - Buchholz 406.12 § 14 BauNVO Nr. 17 S. 8 f.). Jedenfalls im Regelfall wird eine Nebenanlage baulich selbständig sein (Determann/Stühler, in: Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 14 Rn. 4.1; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, Stand April 2017, § 14 BauNVO Rn. 15; ebenso OVG Münster, Beschluss vom 16. Mai 2011 - 2 B 385/11 - juris Rn. 30), während ein an ein Wohnhaus angebauter Raum als Erweiterung der Hauptanlage keine Nebenanlage ist (Arnold, in: Bönker/Bischopink, BauNVO, 2014, § 14 Rn. 17). Zwar sind auch Nebenanlagen denkbar, die an die Hauptanlage angebaut sind (Blechschmidt, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2017, § 23 BauNVO Rn. 49). In solchen Fällen muss aber durch die Bauweise, die Gestaltung des Zugangs oder auf andere Weise die auf eine Nebenanlage beschränkte Funktion deutlich hervortreten. Nach diesem Maßstab ist der Anbau in räumlicher Hinsicht Teil der Hauptanlage. Er ist kein eigenständiges Gebäude. Vielmehr entspricht die Bauweise dem Hauptgebäude, der Anbau schließt nahtlos an das Hauptgebäude an, nutzt die bisherige Außenwand als Zimmerwand, ist vom Wohnzimmer aus zugänglich und vergrößert die Erdgeschosswohnung um einen Raum.
Funktionelle Gesichtspunkte führen nicht zu einer anderen Einordnung. In welchem Verhältnis räumliche und funktionelle Gesichtspunkte bei der Abgrenzung zwischen einem Teil einer Hauptanlage und einer Nebenanlage stehen, hat der Senat bisher nicht geklärt. Einer abschließenden Entscheidung bedarf es hier nicht. Die genehmigte Nutzung als Abstellraum kann gegenüber der Wohnnutzung eine Nebenanlage sein (Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 3. Aufl. 2014, § 14 Rn. 24 zu Abstellschuppen oder -räumen). Dies gibt indes nicht den Ausschlag. Denn die Funktion als Nebenanlage findet in der baulichen Gestaltung keinen Ausdruck, der Raum ist vielmehr einem Aufenthaltsraum mindestens deutlich angenähert. Zudem kann auch ein Abstellraum je nach gelagerten Gegenständen (etwa: Lebensmittel, Winterkleidung, Spielsachen) funktionell der Wohnnutzung zugeordnet sein. Dem entspricht es, dass aus den Genehmigungsunterlagen eine ursprüngliche Planung als "Allzweckraum" hervorgeht.
Das Oberverwaltungsgericht wird danach die von ihm offen gelassene Frage zu beantworten haben, ob es an einem Einfügen nach der Grundfläche, die überbaut werden soll, dennoch fehlt, weil sich die durch den Anbau überbaute Fläche als unbeachtlicher "Ausreißer" gegenüber der Baugrenze erweist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 4 C 23.86 - BVerwGE 84, 322 <326 f.>) oder ob andere rechtliche Gesichtspunkte der Erteilung einer Baugenehmigung oder hilfsweise eines Vorbescheides entgegenstehen.