Entscheidungsdatum: 07.01.2015
Das Verfahren wird mit Rücksicht auf die beim Europäischen Gerichtshof von der Europäischen Kommission gemäß Art. 258 Abs. 2 AEUV unter dem 21. März 2014 eingereichte Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland (C-137/14) ausgesetzt.
1. Die Klägerin wendet sich gegen die naturschutzrechtliche Ersatzmaßnahme „Martensches Bruch“, die der Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 6. August 2009 für die mit dem Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung-OPAL-Vorhaben verbundenen Eingriffe in Natur und Landschaft vorsieht. Inhalt der Kompensationsmaßnahme ist die Wiedervernässung des Martenschen Bruches durch Wasseranstau in dessen Wasserläufen während eines mehrjährigen Zeitraumes. Vorhabenträger sind die Beigeladenen. Die Ortslage der Klägerin befindet sich im Norden der zu vernässenden und zu überflutenden Flächen des „Martenschen Bruches“ in einer Entfernung von etwa drei bis vier Kilometern.
Die gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 6. August 2009 erhobene Klage hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 12. Juni 2014 abgewiesen. Es war der Auffassung, dass die Klage unbegründet ist, weil die Klägerin mit ihren Einwendungen gemäß § 43a Nr. 7 EnWG präkludiert sei. Das gelte auch für einen Aufhebungsanspruch nach § 4 Abs. 3, Abs. 1 Satz 2 UmwRG.
Die Klägerin hat die vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung bislang höchstrichterlich noch nicht geklärter Fragen der Einwendungspräklusion von Gemeinden in Bezug auf die Vorschriften des Umweltrechtsbehelfsgesetzes zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Meinung, dass eine Präklusion nach § 43a Nr. 7 EnWG nicht eingetreten sei. Die Auslegung des § 4 Abs. 3, Abs. 1 Satz 2 UmwRG durch das Oberverwaltungsgericht sei zudem mit Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. EU 2012 L 26 S. 1 - UVP-RL -) und der sog. Altrip-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-72/12 [ECLI:EU:C:2013:712], Gemeinde Altrip - NVwZ 2014, 49 = ZfBR 2014, 61 = DVBl 2013, 1597) nicht vereinbar.
Beklagter und Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil. Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2014 regte der Beklagte an, das vorliegende Verfahren im Hinblick auf das von der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gemäß § 94 VwGO auszusetzen. Nach Ansicht der Kommission soll die Bundesrepublik Deutschland u.a. gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 11 UVP-RL verstoßen haben, indem sie die Bestimmungen der UVP-Richtlinie grundsätzlich als keine subjektiven Rechte verleihend ansehe und damit deren gerichtliche Geltendmachung durch Einzelpersonen wegen § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO weitgehend ausschließe, sowie dadurch, dass sie die Klagebefugnis und den gerichtlichen Prüfumfang auf Einwendungen beschränke, die bereits innerhalb der Einwendungsfrist im Verwaltungsverfahren, das zur Annahme der Entscheidung geführt hat, eingebracht worden seien (§ 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 6 VwVfG). Beigeladene und Klägerin haben einer Aussetzung des Verfahrens zugestimmt.
2. Im Einverständnis mit allen Beteiligten wird das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO ohne gleichzeitige Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ausgesetzt. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:
a) Die Abweisung der Klage als unbegründet hat das Oberverwaltungsgericht damit begründet, dass die Klägerin ihre Einwendungen gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 6. August 2009 nicht rechtzeitig geltend gemacht habe; sie sei damit gemäß § 43a Nr. 7 EnWG präkludiert. Das gelte auch in Bezug auf die fehlerhafte Vorprüfung der Umweltverträglichkeit des verfahrensgegenständlichen Vorhabens. Damit ist vorliegend nicht nur die Frage entscheidungserheblich, ob die Voraussetzungen des § 43a Nr. 7 EnWG gegeben sind (was die Klägerin bestreitet), sondern vielmehr als Vorfrage hierzu zu klären, ob die Norm mit Unionsrecht im Einklang steht. Denn ist letzteres nicht der Fall, darf § 43a Nr. 7 EnWG nicht angewendet werden und muss nicht mehr geklärt werden, ob die Voraussetzungen der Präklusionsnorm erfüllt sind. Die Klägerin wäre dann mit ihren Einwendungen nicht ausgeschlossen, ihre Revision voraussichtlich erfolgreich.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar bereits mehrfach die Unionsrechtskonformität der Präklusionsregelungen im deutschen Recht geprüft und bejaht (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Juli 2011 - 9 A 12.10 - BVerwGE 140, 149 zu § 17a Nr. 7 Satz 2 FStrG und vom 14. April 2010 - 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 zu § 61 Abs. 3 BNatSchG 2002; Beschlüsse vom 14. September 2010 - 7 B 15.10 - Buchholz 406.254 URG Nr. 2 zu § 2 Abs. 3 UmwRG und zu § 10 Abs. 3 BImSchG und vom 11. November 2009 - 4 B 57.09 - Buchholz 406.254 URG Nr. 1 zu § 2 Abs. 3 UmwRG), auch in Bezug auf § 43a Nr. 7 EnWG (BVerwG, Beschluss vom 17. Juni 2011 - 7 B 79.10 - Buchholz 406.254 Nr. 3). Die Europäische Kommission hält hingegen die zu § 43a Nr. 7 EnWG vergleichbaren § 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 6 VwVfG für unionsrechtswidrig und hat u.a. deshalb beim Europäischen Gerichtshof ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet (C-137/14). Wie der Gerichtshof entscheiden wird, erscheint als offen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. September 2014 - 7 VR 1.14 - NuR 2014, 782 - juris Rn. 17).
b) Im Regelfall verpflichtet Art. 267 Abs. 3 AEUV das nationale Gericht, den Europäischen Gerichtshof zur Klärung einer - wie hier - entscheidungserheblichen und zweifelhaften Frage des Unionsrechts anzurufen. Im vorliegenden Fall kann der Rechtsstreit jedoch ohne Vorlage an den Gerichtshof in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO ausgesetzt werden.
Im Einklang mit der Praxis anderer oberster Bundesgerichte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. November 2000 - 3 C 3.00 - BVerwGE 112, 166 = juris Rn. 11 m.w.N.) hält es der Senat unter den hier gegebenen Umständen für zulässig und sachgerecht, den Rechtsstreit auszusetzen, ohne zugleich eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs einzuholen. Denn die im vorliegenden Verfahren entscheidungserhebliche Frage der Vereinbarkeit des § 43a Nr. 7 EnWG mit Unionsrecht ist in der Sache bereits Gegenstand des beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens. Die Anrufung in einem Vorlageverfahren würde zum einen den Gerichtshof zusätzlich belasten, ohne dass davon irgendein zusätzlicher Erkenntniswert zu erwarten wäre; weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht verlässt das vorliegende Verfahren den Rahmen, der Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens ist. Zum anderen bestünde die Gefahr, dass sich durch ein weiteres Vorlageverfahren die Beantwortung der entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Frage sogar hinauszögern könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. November 2000 - 3 C 3.00 - BVerwGE 112, 166 = juris Rn. 11). Schließlich haben sich die Beteiligten mit einer Aussetzung des Verfahrens ohne Vorlage an den Europäischen Gerichtshof im Hinblick auf das anhängige Vertragsverletzungsverfahren einverstanden erklärt.