Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 12.07.2017


BVerwG 12.07.2017 - 4 BN 9/17

Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
12.07.2017
Aktenzeichen:
4 BN 9/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2017:120717B4BN9.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 15. Dezember 2016, Az: 8 S 327/16, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Die auf sämtliche Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Verfahrensrüge, mit der die Antragsgegnerin geltend macht, der Verwaltungsgerichtshof habe die Wiederöffnung der mündlichen Verhandlung zu Unrecht abgelehnt, ist unbegründet.

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Die in § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO vorgesehene Wiederöffnung der mündlichen Verhandlung liegt im grundsätzlich revisionsgerichtlich nicht nachprüfbaren Ermessen des Tatsachengerichts (BVerwG, Beschlüsse vom 5. November 2001 - 9 B 50.01 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 95 S. 18 und vom 29. Juni 2007 - 4 BN 22.07 - juris Rn. 3). Zwar kann sich dieses Ermessen, etwa durch die Verpflichtung des Gerichts nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren, oder durch die Pflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO, den Sachverhalt umfassend aufzuklären, zu einer Rechtspflicht zur Wiedereröffnung verdichten (BVerwG, Beschluss vom 19. März 1991 - 9 B 56.91 - Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25). Nachgelassene oder - wie hier - nachgereichte Schriftsätze erzwingen jedoch nur dann eine Wiedereröffnung, wenn das Gericht ihnen wesentlich neues Vorbringen entnimmt, auf das es seine Entscheidung stützen will (BVerwG, Beschlüsse vom 5. November 2001 - 9 B 50.01 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 95 S. 18 und vom 16. Februar 2016 - 10 BN 4.15 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 191 Rn. 11). Eine solche Konstellation hat der Verwaltungsgerichtshof verneint.

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Der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 12. Dezember 2016 enthält insofern neuen Sachvortrag, als die Antragsgegnerin darauf aufmerksam gemacht hat, dass sich der Projektträger in § 8 des mit der Antragsgegnerin geschlossenen städtebaulichen Vertrags vom 27. August 2015 zur Aufbringung des lärmmindernden Belags in der Breslauer Straße verpflichtet hatte. Mit der Vertragsklausel wollte die Antragsgegnerin belegen, dass der planbedingte Lärmkonflikt bewältigt werden könne, und die in der mündlichen Verhandlung vorläufig vertretene Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs entkräften, im Hinblick auf die Festsetzung der Lärmpegelbereiche in dem neuen Baugebiet hätte es auch einer Festsetzung des vorgesehenen Flüsterasphalts im Bebauungsplan bedurft. Auf diesen Sachvortrag hat der Verwaltungsgerichtshof seine Entscheidung nicht gestützt, weil es jedenfalls an einer Festlegung der Qualität des lärmmindernden Belags fehle (UA S. 18 f.). Da vertraglich nicht näher bestimmt sei, welche Art von lärmminderndem Belag der Investor aufbringen müsse, sei nicht sichergestellt, dass tatsächlich ein Flüsterasphalt mit der unterstellten lärmmindernden Wirkung von 3 dB(A) aufgetragen werde. Erst recht habe die Antragsgegnerin nicht geregelt, wie gewährleistet werden solle, dass die lärmmindernde Wirkung des Flüsterasphalts, der im Laufe der Zeit seine Wirkung verliere, dauerhaft aufrechterhalten werden solle (UA S. 46).

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Aus dem weiteren Vorbringen der Beschwerde ergibt sich ebenfalls nicht, dass der Verwaltungsgerichtshof dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 12. Dezember 2016 wesentlich neues Vorbringen entnommen und darauf seine Entscheidung gestützt hat. Mit der Rüge, die Vorinstanz habe eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu Unrecht abgelehnt, wird die Möglichkeit zu einer umfassenden Kritik an deren Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung nicht eröffnet.

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2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

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Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712). § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, dass der Tatbestand der Divergenz nicht nur durch die Angabe der höchstrichterlichen Entscheidung, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch eine präzise Gegenüberstellung der miteinander unvereinbaren Rechtssätze dargelegt wird (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 17. Dezember 2010 - 8 B 38.10 - juris Rn. 15 und vom 17. Februar 2015 - 1 B 3.15 - juris Rn. 7). Hieran lässt es die Beschwerde fehlen.

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a) Die Antragsgegnerin zitiert den Beschluss des Senats vom 11. August 2016 - 4 BN 23.16 - (NVwZ 2017, 165) und die darin zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit dem Rechtssatz, Mängel, die einzelnen Festsetzungen eines Bebauungsplans anhaften, führten dann nicht zu dessen Gesamtunwirksamkeit, wenn - erstens - die übrigen Regelungen, Maßnahmen oder Festsetzungen, für sich betrachtet noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken könnten und - zweitens - die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck kommenden Willen im Zweifel auch eine Satzung dieses einschränkenden Inhalts beschlossen hätte. Einen davon abweichenden Rechtssatz des Inhalts, dass Mängel einzelner Festsetzungen eines Bebauungsplans auch unter den vom Bundesverwaltungsgericht genannten Voraussetzungen die Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge hätten, entnimmt sie dem angefochtenen Urteil nicht. Sie wirft dem Verwaltungsgerichtshof vor, nicht erkannt zu haben, dass die von ihm markierten Mängel nur zur Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans führen könnten. Darauf, dass die Vorinstanz einen höchstrichterlichen Rechtssatz im Einzelfall nicht oder nicht richtig angewandt habe, kann eine Divergenzrüge aber nicht gestützt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 2003 - 7 B 62.03 - NVwZ-RR 2003, 902).

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b) Das Urteil des Senats vom 22. März 2007 - 4 CN 2.06 - (BVerwGE 128, 238) zitiert die Antragsgegnerin mit seinen im Leitsatz formulierten Rechtssätzen: "Weist ein Bebauungsplan ein neues Wohngebiet (WA) aus, das durch vorhandene Verkehrswege Lärmbelastungen ausgesetzt wird, die an den Gebietsrändern deutlich über den Orientierungswerten der DIN 18005 liegen, ist es nicht von vornherein abwägungsfehlerhaft, auf aktiven Schallschutz durch Lärmschutzwälle oder -wände zu verzichten. Je nach den Umständen des Einzelfalls, z.B. in dicht besiedelten Räumen, kann es abwägungsfehlerfrei sein, eine Minderung der Immissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen." Divergierende Rechtsätze aus dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs arbeitet sie nicht heraus.

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3. Die Revision ist schließlich nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragsgegnerin beimisst.

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Die Antragsgegnerin hält die Frage für grundsätzlich klärungsfähig und -bedürftig, ob die Anordnung passiver Schallschutzmaßnahmen an Gebäuden nach § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB in Verbindung mit DIN 4109 aufgrund der Überschreitung des städtebaulichen Orientierungswerts gemäß DIN 18005 ausreichend ist, ohne (wirksam) konkrete Lärmpegelbereiche im Bebauungsplan festzusetzen, oder ob Lärmpegelbereiche im Bebauungsplan konkret (auf Baufenster bezogen) festgesetzt werden müssen, um das Planungsziel des passiven Lärmschutzes bei heranrückender Wohnbebauung zu gewährleisten.

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Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie nicht entscheidungserheblich ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat keinen Anstoß daran genommen, dass die Antragsgegnerin auf die Festsetzung konkreter Lärmpegelbereiche im Bebauungsplan verzichtet hat, sondern beanstandet, dass die Antragsgegnerin bei den Festsetzungen zur Geräuschminderung über die Luftschalldämmung nach DIN 4109 von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen ist (UA S. 44).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

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Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG. Da das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs nur insoweit Gegenstand der Beschwerde ist, als es um die Wirksamkeit des Bebauungsplans "Parksiedlung Nord-Ost" der Antragsgegnerin und nicht auch um die zugehörigen örtlichen Bauvorschriften geht, und die Antragstellerin zu 2 nicht Beschwerdegegnerin ist, weil sie vorinstanzlich in vollem Umfang unterlegen ist, beträgt der Streitwert nicht, wie von der Antragsgegnerin beantragt, 120 000 €, sondern 60 000 € (20 000 € x 3).