Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 21.12.2012


BVerwG 21.12.2012 - 4 BN 32/12

Zur Notwendigkeit des Rückgriffs auf Sortimentslisten; Bestimmung der Art der baulichen Nutzung in Sondergebieten


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
21.12.2012
Aktenzeichen:
4 BN 32/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 8. Mai 2012, Az: 8 S 1739/10, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.

2

1. Die Grundsatzrügen nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen nicht zur Zulassung der Revision.

3

1.1 Die Frage,

ob die Festsetzung der Zulässigkeit eines "Verkaufs von Rand- und Ergänzungssortimenten" in einem Sondergebiet ... mit Zulassung eines Hofladens ... ohne weitere Präzisierung, etwa durch eine Sortimentsliste, hinreichend bestimmt ist; insbesondere ob die Festsetzung nicht schon dann unbestimmt ist, wenn die Beantwortung der Frage, was ein branchentypisches Rand- und Ergänzungssortiment eines Hofladens ist, die Einholung eines Gutachtens erfordern kann,

lässt sich - soweit sie überhaupt einer grundsätzlichen Klärung zugänglich ist - auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats beantworten.

4

Wie der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat (UA S. 25), können textliche Festsetzungen in einem Bebauungsplan auch mit unbestimmten Rechtsbegriffen getroffen werden, wenn sich ihr näherer Inhalt unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und des erkennbaren Willens des Normgebers erschließen lässt (Beschluss vom 24. Januar 1995 - BVerwG 4 NB 3.95 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 75). Ob eine Planaussage dem Bestimmtheitserfordernis genügt, ist in aller Regel eine Frage der Auslegung des Planes im Einzelfall und keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung zugänglich (Beschluss vom 14. Dezember 1995 - BVerwG 4 N 2.95 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 21; Urteil vom 29. Januar 2009 - BVerwG 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 16). Bundesrecht verlangt nicht, dass das Ergebnis der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans durch dessen Begründung gestützt wird (Urteil vom 29. Januar 2009 a.a.O. Rn. 16). Ob es einer Präzisierung durch Rückgriff auf sog. Sortimentslisten bedarf, hängt - wie der vorliegende Fall belegt - von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der Art der jeweiligen Festsetzung ab (Urteil vom 11. März 1988 - BVerwG 4 C 56.84 - Buchholz 406.11 § 9 BBauG Nr. 30). Mit ihren Einwänden zeigt die Antragstellerin keinen über diese Grundsätze hinausgehenden Klärungsbedarf auf, sondern wendet sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, die Begriffsfolge der "branchentypischen innenstadtrelevanten Randsortimente" könne in Abgrenzung zum branchenüblichen Kernsortiment eines Hofladens definiert werden. Soweit der Verwaltungsgerichtshof gleichsam ergänzend auf die nicht auszuschließende Möglichkeit verwiesen hat, die Beantwortung der Frage, was ein branchentypisches Rand- bzw. Ergänzungssortiment eines Hofladens sei, könne im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten und gegebenenfalls die Einholung eines Gutachtens erfordern, ist dies kein Hinweis auf die mangelnde Bestimmtheit der Begrifflichkeit. Damit bringt der Verwaltungsgerichtshof lediglich zum Ausdruck, dass sich bei einem Streit auf der Ebene des Planvollzugs die Branchenüblichkeit des (Haupt- und Rand-)Sortiments eines Hofladens verlässlich bestimmen lässt.

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1.2 Die Frage,

ob eine Gemeinde, deren Einwohnerzahl seit Jahren rückläufig ist ("sterbende Gemeinde"), ... ein Bedürfnis für bauliche Erweiterungen von Wohngebieten abwägungsfehlerfrei unterstellen und deren künftige Schutzwürdigkeit in der Abwägung zulasten vorhandener landwirtschaftlicher Nutzung ... ohne Bevölkerungsprognose als überwiegend annehmen darf, und ob sich die gerichtliche Kontrolle der Abwägung allein auf einen nicht substantiierten Verweis auf die "geographische Lage ... in der (Wirtschafts-)Region" beschränken darf (Klammerzusätze im Original),

beruht auf Annahmen, von denen der Verwaltungsgerichtshof nicht ausgegangen ist, und ist im Übrigen einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

6

Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass es sich bei der Antragsgegnerin um eine "sterbende" Gemeinde handelt. Nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs belegen die von der Antragstellerin vorgelegten Zahlen einen geringfügigen Einwohnerrückgang in den letzten Jahren. Er hat auch nicht etwa "allein" und "unsubstantiiert" auf die geographische Lage der Gemeinde abgestellt, sondern mit dem Schlagwort "Wirtschaftsregion Stuttgart" die räumliche Nähe zur Landeshauptstadt als einen besonderen Gesichtspunkt gewürdigt, der ebenso wie der Umstand, dass sich die Attraktivität des Standorts durch Ausweisung von Neubaugebieten ändern könne, eher für als gegen eine mittel- und langfristige Erhöhung des Wohnflächenbedarfs spreche. Der Sache nach wendet sich die Antragstellerin lediglich gegen die Sachverhaltswürdigung durch das Tatsachengericht, weil sie meint, der demographischen Entwicklung komme ein anderes Gewicht zu als vom Verwaltungsgerichtshof angenommen. Grundsätzlicher Klärungsbedarf wird damit nicht aufgezeigt.

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1.3 Mit den Fragen zur Differenzierung und Geeignetheit einer landwirtschaftlichen Sondergebietsfestsetzung, die aus Immissionsschutzgründen bestimmte Tierarten - hier: Betriebe mit Schweinezucht, Schweinemast und Geflügelmast - ausschließt, zeigt die Antragstellerin ebenfalls keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf.

8

Soweit die Antragstellerin auf § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB, § 3 Abs. 1 BImSchG und die Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) verweist, wird nicht beachtet, dass es sich nach der auf Ortsrecht beruhenden Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs bei der positiven wie negativen Festsetzung landwirtschaftlicher Betriebstypen um eine Festsetzung der Art der baulichen Nutzung i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BauGB in einem sonstigen Sondergebiet i.S.d. § 11 Abs. 1 BauNVO handelt (UA S. 23 f.). In einem auf der Grundlage des § 11 BauNVO festgesetzten Sondergebiet kann die Gemeinde die Art der baulichen Nutzung über die Möglichkeiten hinaus, die § 1 Abs. 4 bis 9 BauNVO eröffnen, konkretisieren und zu diesem Zweck die Merkmale bestimmen, die ihr am besten geeignet erscheinen, um das von ihr verfolgte Planungsziel zu erreichen (Urteil vom 28. Februar 2002 - BVerwG 4 CN 5.01 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 25). Dementsprechend kann sie auch bestimmen, welche (geruchsintensiven) Anlagenarten der landwirtschaftlichen Tierhaltung sie in einem Sondergebiet angesiedelt sehen will. Dass sich die Anlagenarten der landwirtschaftlichen Tierhaltung unterscheiden, hat der Verwaltungsgerichtshof - mit bindender Wirkung für die revisionsgerichtliche Prüfung - dargelegt: Danach setzen die Einrichtungen für die landwirtschaftliche Haltung bestimmter Tiere eine je nach gehaltener Tierart unterschiedliche Ausstattung voraus (UA S. 23). Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof - wie die Antragstellerin selbst referiert - im Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeit des Ausschlusses von Schweine- und Geflügelmastbetrieben ausgeführt, dass zwischen Geflügel- und Schweinegerüchen einerseits und Gerüchen aus der Haltung anderer Tiere wie etwa Rinder ein qualitativer Unterschied bestehe (UA S. 30). Der unter Berufung auf eine Studie erhobene Einwand der Antragstellerin, der Parameter "Hedonik" erweise sich als nicht geeignet, erschöpft sich in einem Angriff auf die Sachverhaltswürdigung. Auch soweit die Antragstellerin sinngemäß geltend macht, der Ausschluss nur von Schweinezucht-, Schweinemast- und Geflügelmastbetrieben sei ungeeignet, weil eine intensive Haltung anderer Tiere zulässig bleibe, zeigt sie keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf, sondern wendet sich nur gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, wonach die Antragsgegnerin nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit einer Planalternative den Vorzug habe geben müssen, bei der auch andere geruchsintensive Tierhaltungsbetriebe als Schweine- und Geflügelmastbetriebe ausgeschlossen bzw. beschränkt würden (UA S. 30 f.).

9

2. Die Verfahrensrüge i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Die Antragstellerin macht als Aufklärungsrüge geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe weder eine Bevölkerungsprognose noch eine sonstige Wohnflächenbedarfsanalyse als veranlasst gesehen, obwohl sich ihm diese Aufklärung habe aufdrängen müssen. Dieser Vortrag genügt nicht den Darlegungsanforderungen nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

10

Auf der Grundlage der von der Antragstellerin vorgelegten Zahlen hat der Verwaltungsgerichtshof den Einwohnerrückgang in den letzten Jahren als geringfügig eingeschätzt und festgestellt, es gebe keine konkreten Anhaltspunkte, dass die im Flächennutzungsplan für den Zeitraum bis zum Jahr 2020 angelegte Wohnbebauung nicht realisiert werden würde. Der gut vertretbaren Einschätzung der Antragsgegnerin, allein der geänderte Wohnflächenbedarf werde weiteren Flächenbedarf auslösen, sei die Antragstellerin nicht entgegengetreten.

11

Unter diesen Umständen genügt es nicht, auf die "von der Antragstellerin belegte(n) ständig schrumpfende(n) Einwohnerzahl" zu verweisen. Tatsächliche Umstände, die das Gericht hätten veranlassen müssen, seine Einschätzung in Frage zu stellen und weitere Sachverhaltsaufklärung zu betreiben, benennt die Antragstellerin mit der Beschwerde ebenso wenig wie mit ihrem Vortrag gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof. Fehlt es an konkreten Anhaltspunkten, denen das Gericht hätte nachgehen müssen, muss sich die Antragstellerin darauf verweisen lassen, dass sie die Möglichkeit gehabt hätte, einen (substantiierten) Beweisantrag zu stellen. Gründe, warum sie an der Stellung eines Beweisantrags gehindert gewesen wäre, werden nicht vorgetragen. Im Übrigen kann - wie ausgeführt - keine Rede davon sein, dass der Verwaltungsgerichtshof lediglich sehr allgemeine geographische Überlegungen angestellt habe.