Entscheidungsdatum: 29.09.2015
Ob für einen Normenkontrollantrag ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, richtet sich nach den jeweiligen Interessen im Einzelfall. Es kann ausreichend sein, dass die Unwirksamkeit eines Bebauungsplans das Gewicht eines Abwägungspostens bei einer bereits absehbaren Planung verändert, die im engen konzeptionellen Zusammenhang mit dem angegriffenen Plan steht.
I
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans für ein Fachmarktzentrum, der Sondergebiete für Einzelhandelsbetriebe und deren jeweils maximale Verkaufsfläche festsetzt. Die Festsetzungen sind durch bestandskräftig genehmigte und verwirklichte Vorhaben bereits ausgenutzt. Nach der Begründung des Plans beabsichtigt die Antragsgegnerin, Lebensmitteleinzelhandel auf einem zwar in der Nähe, aber außerhalb des Plangebiets liegenden Grundstück auszuschließen, um Anforderungen der Raumordnung an die zulässige Verkaufsfläche in ihrem Gemeindegebiet Rechnung zu tragen. Der Antragsteller ist Miteigentümer dieses benachbarten Grundstücks, das derzeit für einen Lebensmittelmarkt genutzt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat den Bebauungsplan wegen Fehlern in der Abwägung für unwirksam erklärt. Der Antragsteller sei antragsbefugt, weil zwischen dem Plan und dem geplanten Einzelhandelsausschluss ein enger konzeptioneller Zusammenhang im Sinne des Senatsurteils vom 16. Juni 2011 - 4 CN 1.10 - (BVerwGE 140, 41) bestehe. Ihm, dem Antragsteller, stehe auch in Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Denn bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans komme der Konzeption, Lebensmitteleinzelhandel im Bereich des Fachmarktzentrums zu konzentrieren, in der Abwägung über den Bebauungsplan für das Grundstück des Antragstellers geringeres Gewicht zu (VGH Mannheim, Urteil vom 3. März 2015 - 5 S 1591/13 - BauR 2015, 1273).
II
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde sieht grundsätzlichen Klärungsbedarf für die Frage,
ob ein enger konzeptioneller Zusammenhang zweier Planungen ein Rechtsschutzbedürfnis begründen kann, wenn das durch die angegriffene Planung zugelassene Vorhaben bereits bestandskräftig genehmigt und vollständig umgesetzt ist und keine Möglichkeit besteht, das durch die Planung zugelassene Vorhaben noch zu verhindern.
Auf diese Frage lässt sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation antworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf (BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> und vom 16. November 2004 - 4 B 71.04 - NVwZ 2005, 449 <450>).
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Antragsbefugnis bejaht, die Beschwerde zieht dies nicht in Zweifel. Bei bestehender Antragsbefugnis ist regelmäßig auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse gegeben. Das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll nur verhindern, dass Gerichte in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist, weil es seine Rechtsstellung nicht verbessern kann (BVerwG, Beschluss vom 4. Juni 2008 - 4 BN 13.08 - BRS 73 Nr. 51 Rn. 5). Es ist aber nicht erforderlich, dass die begehrte Erklärung einer Norm als unwirksam unmittelbar zum eigentlichen Rechtsschutzziel führt (BVerwG, Urteile vom 23. April 2002 - 4 CN 3.01 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 156 S. 87 und vom 16. April 2015 - 4 CN 6.14 - juris Rn. 15). Ist ein Bebauungsplan durch eine genehmigte oder genehmigungsfreie Maßnahme vollständig verwirklicht, so wird der Antragsteller allerdings in der Regel seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan nicht mehr aktuell verbessern können (BVerwG, Beschluss vom 28. August 1987 - 4 N 3.86 - BVerwGE 78, 85 <92>). Ungeachtet dessen richtet es sich nach den jeweiligen Interessen im Einzelfall, ob das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 1989 - 4 NB 1.89 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 37), die beantragte Rechtsverfolgung also nutzlos ist (BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2011 - 4 CN 1.10 - BVerwGE 140, 41 Rn. 33).
Die Konzeption der Antragsgegnerin, Lebensmitteleinzelhandel in dem Bereich des Fachmarktzentrums zu konzentrieren und in unmittelbarer Nachbarschaft auszuschließen, ist bei der Entscheidung über einen Ausschluss von Lebensmitteleinzelhandel auf dem Grundstück des Antragstellers abzuwägen (vgl. zu Zentrenkonzepten nach § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB BVerwG, Urteile vom 29. Januar 2009 - 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 24 ff. und vom 27. März 2013 - 4 C 13.11 - BVerwGE 146, 137 Rn. 11; ebenso UA S. 16 f.). Welches Gewicht ein solches Konzept hat, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab, etwa davon, mit welcher Häufigkeit und in welchem Umfang es bereits durchbrochen worden ist (BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2009 - 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 28). Wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend angenommen hat, ist sein Gewicht aber auch davon abhängig, ob es durch einen Bebauungsplan planerisch für die Zukunft und damit auch bei Änderungen des tatsächlichen Bestandes gesichert ist oder ihm lediglich ein baurechtlich unanfechtbar genehmigter Bestand entspricht. Dieses unterschiedliche Gewicht als Abwägungsposten reicht aus, um bei bestehender Antragsbefugnis auch das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen. Denn es genügt, wenn bei Unwirksamkeit einer Planung die Gemeinde möglicherweise einen Bebauungsplan mit günstigeren Festsetzungen aufstellen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2002 - 4 CN 3.01 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 156 S. 88).
Der aufgeworfenen Frage kommt auch im Hinblick auf das von der Beschwerde angeführte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig vom 22. Oktober 2009 - 1 KN 15/08 - (NordÖR 2010, 111) keine grundsätzliche Bedeutung zu. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig hatte in dieser Entscheidung das Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag verneint, mit dem ein Antragsteller außerhalb des Plangebiets seine Abwägungsposition in einem sein Grundstück betreffenden, noch laufenden Bebauungsplanverfahren verbessern wollte (a.a.O. S. 112). Dieser Fall lag indes schon in tatsächlicher Hinsicht anders. Denn während vorliegend der Planung ein Einzelhandelsausschluss für das Grundstück des Antragstellers zugrunde liegt (UA S. 14), diente die Planung für das Grundstück des Antragstellers im Fall des Oberverwaltungsgerichts Schleswig dem Schutz eines Nahversorgungszentrums außerhalb des räumlichen Umgriffs des angegriffenen Bebauungsplans (a.a.O. juris Rn. 8
2. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Divergenz zuzulassen.
Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlich, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
a) Die Beschwerde entnimmt dem Senatsbeschluss vom 8. Februar 1999 - 4 BN 55.98 - (Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 130) und dem in der gleichen Sache ergangenen Senatsurteil vom 28. April 1999 - 4 CN 5.99 - (Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 134) den Rechtssatz, dass ein Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen ist, wenn ein Antragsteller Festsetzungen bekämpft, auf deren Grundlage bereits Vorhaben genehmigt und verwirklicht worden sind. Selbst wenn dieser Rechtssatz den genannten Entscheidungen zu entnehmen wäre, würde er sie nicht tragen. Denn die Entscheidungen betrafen einen Sachverhalt, in welchem die Erreichung wesentlicher Planungsziele noch ausstand, der Bebauungsplan also erst torsohaft verwirklicht worden war (BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 1999 a.a.O. S. 3 und Urteil vom 28. April 1999 a.a.O. S. 12).
b) Die Revision ist auch nicht wegen einer Divergenz zu dem Senatsbeschluss vom 9. Februar 1989 - 4 NB 1.89 - (Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 37) zuzulassen. Die Beschwerde möchte diesem Urteil den Rechtssatz entnehmen, dass ein Antragsteller seine Rechtsstellung dann nicht mehr verbessern kann, wenn der Normenkontrollantrag der Vorbereitung eines Verfahrens gegen die Verwirklichung der Festsetzung des Bebauungsplanes dient, die beabsichtigte Rechtsverfolgung aber offensichtlich aussichtslos ist. Von diesem Rechtssatz ist der Verwaltungsgerichtshof nicht abgewichen. Denn er hat nicht angenommen, der Normenkontrollantrag des Antragstellers diene dazu, Rechtsschutzverfahren gegen die bereits errichteten Vorhaben vorzubereiten.
c) Schließlich legt die Beschwerde keine Divergenz zu dem Senatsurteil vom 16. Juni 2011 - 4 CN 1.10 - (BVerwGE 140, 41) dar. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht, wie ihm die Beschwerde unterstellt, das Rechtsschutzbedürfnis für den Normenkontrollantrag mit dem Vorliegen eines engen konzeptionellen Zusammenhangs begründet, sondern mit der Annahme, der Konzeption der Antragsgegnerin, den Einzelhandel zu konzentrieren, werde in der Abwägung für den Bebauungsplan für das Grundstück des Antragstellers ein geringeres Gewicht zukommen.
3. Nach den vorstehenden Ausführungen ist die Revision auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.