Entscheidungsdatum: 06.12.2011
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan, der es durch Ausweisung eines allgemeinen Wohngebiets dem Beigeladenen ermöglichen soll, eine Einrichtung zur Unterbringung und Betreuung von 25 psychisch kranken Menschen zu errichten. Der Antragsteller betreibt außerhalb des Plangebiets, aber innerhalb desselben Ortsteils ein Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung, in dem derzeit 13 Bewohner wohnen und von ihm betreut werden. Er macht geltend, seine Arbeit mit geistig Behinderten werde durch die geplante Einrichtung für psychisch Kranke nachhaltig beeinträchtigt. Es sei insbesondere mit sexuellen Übergriffen und anderen Grenzverletzungen seitens der dortigen Bewohner zu rechnen. Das Oberverwaltungsgericht hat durch Zwischenurteil festgestellt, dass der Normenkontrollantrag des Antragstellers zulässig ist.
II.
Die Beschwerden der Antragsgegnerin und des Beigeladenen sind mit dem Ergebnis der Zurückverweisung an die Vorinstanz begründet (§ 133 Abs. 6 VwGO).
1. Die Beschwerden machen zu Recht einen Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend. Das Oberverwaltungsgericht hat, indem es den Normenkontrollantrag des Antragstellers als zulässig angesehen hat, zu geringe Anforderungen an das Geltendmachen einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt und damit die prozessuale Bedeutung dieser Vorschrift verkannt.
Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (Urteil vom 30. April 2004 - BVerwG 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165; stRspr). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es - wie hier - um das Recht auf gerechte Abwägung geht. Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen (Urteil vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <218 f.>). Antragsbefugt ist hiernach, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten Belang berufen kann; denn wenn es einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat (Urteil vom 30. April 2004 a.a.O. und Beschluss vom 8. Juni 2011 - BVerwG 4 BN 42.10 - BauR 2011, 1641 Rn. 3).
In der Abwägung ist nicht jeder private Belang zu berücksichtigen; abzuwägen sind nur solche Belange, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben (Urteil vom 24. September 1998 a.a.O.). Städtebauliche Bedeutung kann grundsätzlich jeder nur denkbare Gesichtspunkt erhalten, sobald er die Bodennutzung betrifft oder sich auf diese auswirkt; das ist insbesondere dann der Fall, wenn vorhandene oder durch eine Planung entstehende Probleme oder Konflikte dadurch bewältigt werden sollen, dass für Grundstücke bestimmte Nutzungen zugewiesen, eingeschränkt oder untersagt werden oder dass eine räumliche Zuordnung oder Trennung von Nutzungen erfolgt; so sind auch die in § 1 Abs. 6 BauGB beispielhaft aufgeführten, bei der Aufstellung der Bauleitpläne zu berücksichtigenden Belange im Einzelfall nur dann städtebaulich bedeutsam und damit abwägungserheblich, wenn sie nach der konkreten Situation die Bodennutzung betreffen oder sich auf diese auswirken (Urteil vom 25. Januar 2007 - BVerwG 4 C 1.06 - BVerwGE 128, 118 Rn. 14). Handelt es sich um Auswirkungen, die nicht auf die Verwirklichung des Vorhabens selbst, sondern auf das Fehlverhalten von Bewohnern einer Einrichtung zurückzuführen sind, haben diese Auswirkungen allerdings nur dann bodenrechtliche Relevanz, wenn das Fehlverhalten dem Vorhaben zuzurechnen ist, etwa weil sich die Bewohner einer solchen Einrichtung üblicherweise in dieser Weise verhalten (vgl. Beschluss vom 29. Mai 1989 - BVerwG 4 B 26.89 - juris Rn. 4). Hierfür bedarf es belastbarer Anhaltspunkte; die bloße Möglichkeit, dass die Bewohner einer Einrichtung zu einem bestimmten Fehlverhalten neigen könnten, genügt für die Zurechnung nicht. Denn individuelles Fehlverhalten ist städtebaulich nicht relevant; ihm ist mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts zu begegnen (Beschluss vom 29. Mai 1989 a.a.O.).
Gemessen hieran hat das Oberverwaltungsgericht zu geringe Anforderungen an das Geltendmachen einer Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 VwGO gestellt. Es hat die städtebauliche Relevanz der von dem Antragsteller geltend gemachten Beeinträchtigungen bejaht, weil es im vorliegenden Fall gerade nicht ausschließlich um die Prognose von Auswirkungen künftigen Fehlverhaltens von Personen der neuen Einrichtung für psychisch Kranke gehe, sondern planungsrechtlich die Grundlage für eine konfliktträchtige Nutzung gelegt worden sein könnte (UA S. 13 - Hervorhebung im Original). Diesen Umständen sei die städtebauliche Relevanz nicht abzusprechen, da oftmals Beeinträchtigungen erst mittelbar durch bestimmte Verhaltensweisen und spezifische Nutzungen hervorgerufen würden, wie dies auch bei bestimmten Gemeinschaftseinrichtungen oftmals anzunehmen sei. Zudem sehe etwa § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB die Möglichkeit der Festsetzungen für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf ausdrücklich vor und hebe damit die städtebauliche Bedeutung dieser Problemlage hervor (UA S. 13). Vor diesem Hintergrund komme dem geplanten Vorhaben des Beigeladenen nicht nur als Einrichtung und bauliche Anlage, sondern auch hinsichtlich des geplanten Betriebskonzepts städtebauliche Relevanz zu.
Zum Betriebskonzept der geplanten Einrichtung verhält sich das Oberverwaltungsgericht indes nicht. Durch persönliche Eigenschaften der Bewohner begründete Gefahren sind in der Regel keine städtebaulichen Gesichtspunkte. Den städtebaulichen Nutzungskonflikt sieht das Gericht aber nur ganz generell in der Möglichkeit eines Fehlverhaltens der Bewohner des geplanten Vorhabens; es lässt sich ersichtlich von der Annahme leiten, dass die psychisch kranken Menschen, die in der Einrichtung des Beigeladenen untergebracht werden sollen, zu sexuellen oder sonstigen Übergriffen auf die in der Einrichtung des Antragstellers wohnenden geistig behinderten Menschen neigen könnten. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die psychisch Kranken typischerweise in stärkerem Umfang als andere Menschen zu derartigen Übergriffen auf die geistig behinderten Menschen neigen, legt es nicht dar. Der Verweis auf nicht spezifizierte andere Gemeinschaftseinrichtungen und dort anzutreffende Verhaltensweisen sowie auf § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB ist insoweit unergiebig. Die erforderlichen Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus dem der Entscheidung zugrunde gelegten Vorbringen des Antragstellers, der - wie es an anderer Stelle heißt - "substantiell die - zumindest theoretisch - mögliche Beeinträchtigung seiner Arbeit durch Übergriffe auf Bewohner" seiner Einrichtung dargelegt habe (UA S. 11). Er hat vorgetragen, es sei in der Werkstatt für behinderte Menschen, in der sowohl die Bewohner seiner Einrichtung als auch ein Teil der von dem Beigeladenen betreuten psychisch kranken Menschen beschäftigt seien, und auch in einer Kurklinik zu Übergriffen von psychisch kranken auf behinderte Menschen gekommen. Dabei handele es sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein typisches Phänomen. Dass die Gefahr, sexuellen und sonstigen Übergriffen ausgesetzt zu sein, für geistig behinderte Menschen wegen ihrer herabgesetzten Wehrfähigkeit größer ist als für andere Menschen und dass der regelmäßige Kontakt zu Dritten diese Gefahr weiter erhöht, ist ohne Weiteres plausibel. Dass psychisch kranke Menschen diese Situation typischerweise stärker ausnutzen als andere Menschen und deshalb der Einsatz des Städtebaurechts erwogen werden muss, um ein Zusammentreffen psychisch kranker und geistig behinderter Menschen in einem kleinen, dörflichen Ortsteil möglichst von vornherein zu vermeiden, folgt daraus jedoch nicht. Sollte ein psychisch kranker Mensch in der gemeinsam genutzten Werkstatt die behinderten Menschen sexuell belästigen und sollte nach Ausschöpfung der den Einrichtungsträgern möglichen und zumutbaren Gegenmaßnahmen Anlass zu der Sorge bestehen, dass es auch außerhalb der Werkstatt - wie zum Beispiel beim Einkaufen in den Geschäften des Ortsteils - zu Übergriffen kommt, müssten die Betroffenen - nicht anders als bei Gefährdungen durch sonstige Dritte aus ihrem sozialen Umfeld - mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts geschützt werden.
2. Der somit vorliegende Verfahrensfehler kann sich auf die Entscheidung der Vorinstanz ausgewirkt haben. Aus den im Zwischenurteil dargelegten Gründen hätte das Oberverwaltungsgericht die Antragsbefugnis nicht bejahen dürfen.
3. Ein die Zurückverweisung ausschließender Grund für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 VwGO liegt nicht vor. Die Fragen, die die Antragsgegnerin und der Beigeladene als rechtsgrundsätzlich bezeichnen, zielen im Kern auf die Klärung der bodenrechtlichen Relevanz der von dem Antragsteller geltend gemachten Beeinträchtigungen. Insoweit zeigen sie einen über die dargelegte Rechtsprechung hinausgehenden rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf nicht auf. Divergenzrügen haben sie nicht erhoben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.