Entscheidungsdatum: 17.12.2012
Die Beschwerde ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet (§ 133 Abs. 6 VwGO).
1. Die Beschwerde macht zu Recht einen Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend. Das Oberverwaltungsgericht hat, indem es den Normenkontrollantrag der Antragsteller mangels Antragsbefugnis als unzulässig angesehen hat, die Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO überspannt und damit die prozessuale Bedeutung dieser Vorschrift verkannt.
Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (Urteil vom 30. April 2004 - BVerwG 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165; stRspr). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es - wie hier - um das Recht auf gerechte Abwägung geht. Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen (Urteil vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <218f.>). Antragsbefugt ist hiernach, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten Belang, d.h. ein mehr als nur geringfügig schutzwürdiges Interesse des Betroffenen (Beschluss vom 28. Juni 2007 - BVerwG 7 B 4.07 - juris Rn. 10 m.w.N.), berufen kann; denn wenn es einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat (Urteil vom 30. April 2004 a.a.O.). Die bloße verbale Behauptung einer theoretischen Rechtsverletzung mag allerdings im Einzelfall dann nicht zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO genügen, wenn diese Behauptung nur vorgeschoben erscheint, das tatsächliche Vorliegen einer Rechtsverletzung aber offensichtlich ausscheidet. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben.
Das Oberverwaltungsgericht hält es für möglich, dass die Wohngrundstücke der Antragsteller, die im Falle der Antragstellerin zu 1 1,1 km, im Falle des Antragstellers zu 2 2,1 km vom Plangebiet entfernt liegen, von planbedingt ermöglichten Immissionen in Form von Luftschadstoffen betroffen sein können (UA S. 11 Mitte). Es prognostiziert nicht, dass die Immissionsbelastung nur geringfügig ist, sondern nimmt an, dass die Abluftfahne so "wesentlichen" Umfangs auch/schon bei den Wohngebieten auftrifft, die näher am Plangebiet liegen als die Wohngrundstücke der Antragsteller (UA S. 11 unten). Nach seiner Auffassung waren diese Grundstücke bei der Abwägungsentscheidung deshalb nicht in den Blick zu nehmen, weil derjenige, der die Planänderung vollständig/maximal ausnutzen wolle, auf die Wohngebiete Rücksicht nehmen müsse und dies gar nicht anders tun könne als in einer Weise, welche - und sei es als Reflex - zum Vorteil der Antragsteller schädliche Umwelteinwirkungen ausschließe (UA S. 11 unten/12 oben). Diese Begründung überzeugt den Senat nicht. Das Oberverwaltungsgericht geht selbst davon aus, dass mit zunehmender Schornsteinhöhe die Entfernung wächst, in der die Abluftfahne wieder zur Erde zurückkehrt (UA S. 11 unten). Dann aber ist es möglich, dass bei einer entsprechenden Bebauung des Plangebiets die weiter entfernt liegenden Wohngrundstücke stärker mit Luftschadstoffen beaufschlagt werden können als die näher gelegenen Wohngebiete, und trifft es nicht zu, dass die Grundstücke der Antragsteller gleichsam automatisch an dem Schutz der Wohngebiete teilnehmen.
Dass der Abstand zwischen dem Plangebiet und den Wohngrundstücken der Antragsteller nicht nur unter dem Aspekt der Vermeidung schädlicher Luftverunreinigungen, sondern sogar unter Vorsorgesichtspunkten nach den Erfahrungswerten unbedenklich sein soll, die sich aus dem nordrhein-westfälischen Abstandserlass ergeben, hat das Oberverwaltungsgericht nur für den Fall entschieden, dass nach der Planänderung im Plangebiet eine Abfallverbrennungsanlage mit einer Feuerungswärmeleistung von 120 MW errichtet wird (UA S. 12 Mitte). Auf eine solche Anlage ist die Betrachtung aber nicht zu beschränken, weil die Antragsgegnerin mit dem geänderten Bebauungsplan kein Sondergebiet für ein Ersatzbrennstoffkraftwerk (EBS-Kraftwerk) festgesetzt hat, sondern ein Industriegebiet, in dem nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO Gewerbebetriebe aller Art und damit auch Anlagen zulässig sind, die nicht in die Abstandsliste aufgenommen worden sind (2.2 Anhang 2 Abstandserlass). Der vorinstanzlichen Auffassung wäre aber auch dann nicht zu folgen, wenn allein darauf abzustellen wäre, dass die Planänderung die Zulassung eines EBS-Kraftwerks mit einer Leistung von 120 MW bezweckt. Zwar hat sich der Abstandserlass ausweislich seiner Begründung dem vorbeugenden Immissionsschutz verpflichtet und es wird dem Vorsorgegesichtspunkt Rechnung getragen, wenn bei Anlagen der Abstandsklasse IV, zu denen nach Anhang 1 lfd. Nr. 37 Anlagen mit einer Feuerungswärmeleistung zwischen 50 MW und 150 MW gehören, zu Wohngebieten ein Abstand von 500 m eingehalten wird. Die Antragsteller machen aber zu Recht darauf aufmerksam, dass die Abstandsliste nach Nr. 2.2.2.9 des Abstandserlasses nur für die Planung im ebenen Gelände gilt und bei Tallagen Einzeluntersuchungen angestellt werden sollten. Sie haben im vorinstanzlichen Verfahren geltend gemacht, dass ihre Wohngrundstücke in einer lang gestreckten Tallage in West-Ost-Richtung liegen und wegen der Hauptwindrichtungsverteilung sowie den Entfernungen zum Plangebiet von dem Emissionen des Plangebiets betroffen werden (Schriftsatz vom 30. Oktober 2008 S. 4, 7). Zur Betroffenheit wegen der Entfernungen zum Plangebiet haben sie im Schriftsatz vom 22. Oktober 2009 (S. 8) ergänzend vorgetragen: Die Antragsgegnerin habe durch die Planänderung die Voraussetzung für die Ansiedlung einer industriellen Großanlage geschaffen. Bei dieser sei eine Emissionsableitung über einen Kamin sehr wahrscheinlich. Wegen der Tallage sowie bestehender Inversionswetterlagen und Kaltluftströmungen/-becken seien Kamine mit weniger als 60 m Höhe unwahrscheinlich, weil ansonsten die zwingend erforderliche freie Abluftströmung nicht gewährleistet werden könne. Wegen der zu erwartenden Schornsteinhöhen lägen die Hauptaufpunkte der Schadstoffbelastungen deutlich weiter entfernt als rund 350 m, wie die Antragsgegnerin offenbar annehme (Schriftsatz vom 22. Oktober 2009 S. 7). Damit haben die Antragsteller ausreichend substantiiert Tatsachen vorgetragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt werden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vorbringen offensichtlich aus der Luft gegriffen und der Abstand zwischen dem Plangebiet und den Wohngrundstücken der Antragsteller so groß ist, dass trotz des "immissionsmäßig schwierigen Geländes" (Schriftsatz vom 22. Oktober 2009 S. 7) eine mehr als nur geringfügige Beeinträchtigung der Grundstücke durch Luftschadstoffe ausgeschlossen erscheint.
2. Der somit vorliegende Verfahrensfehler kann sich auf die Entscheidung der Vorinstanz ausgewirkt haben. Ob sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO; vgl. zur Anwendbarkeit dieser Norm im Verfahren über die Zulassung der Revision Beschluss vom 14. Februar 2002 - BVerwG 4 BN 5.02 - BRS 65 Nr. 53 m.w.N.), lässt sich auf der Grundlage des vom Oberverwaltungsgericht ermittelten Sachverhalts nicht feststellen.
Die im Urteil mitgeteilten Tatsachen reichen zunächst nicht aus, um den Befund zu liefern, dass die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2a VwGO für die Unzulässigkeit des Normenkontrollantrags erfüllt sind. Sie genügen aber auch nicht, um dem Senat die abschließende Wertung zu ermöglichen, dass der Normenkontrollantrag jedenfalls unbegründet ist. Zwar ist davon auszugehen, dass etwaige Mängel im Abwägungsvorgang nach § 215 Abs. 1 BauGB durch rügelosen Fristablauf unbeachtlich geworden sind. Die angegriffene Planänderung wurde nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts am 29. März 2007 bekannt gemacht. Die Antragsschrift vom 28. März 2008, mit der die Antragsteller erstmals den Abwägungsvorgang als fehlerhaft beanstandet haben, wurde der Antragsgegnerin am 4. April 2008 zugestellt, und zu diesem Zeitpunkt, auf den es ankommt (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Juni 2012, § 215 Rn. 30), war die Jahresfrist verstrichen. Es ist auch nicht vorgetragen, dass ein anderer Betroffener mit einem gleich gerichteten Abwägungsinteresse wie die Antragsteller eine fristgerechte Fehlerrüge mit der Folge erhoben hat, dass diese allgemein und absolut für jedermann ("inter omnes") wirkt (vgl. dazu Beschluss vom 2. Januar 2001 - BVerwG 4 BN 13.00 - BRS 64 Nr. 57 S. 278). Nicht möglich sind dem Senat aber die Prüfung der von den Antragstellern in Abrede gestellten Vereinbarkeit des geänderten Plans mit § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB, die Kontrolle des Abwägungsergebnisses und die Prüfung der Voraussetzungen des § 4a Abs. 6 BauGB für den Eintritt der materiellen Präklusion.