Entscheidungsdatum: 30.06.2014
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. August 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 Euro festgesetzt.
Die allein auf den Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
Die Beschwerde macht geltend, das Oberverwaltungsgericht habe seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 i.V.m. § 128 VwGO) sowie den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung (§ 96 VwGO) verletzt; der angegriffene Beschluss beruhe auf diesen Verfahrensmängeln. Das Berufungsgericht habe die klägerseits geforderte Beweisaufnahme durch Einnahme eines Augenscheins mit der in sich widersprüchlichen Begründung verneint, dass es für die Beurteilung der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankomme, die klägerseits geforderte Ortsbesichtigung aber gleichwohl nicht notwendig sei. Die entscheidungserhebliche Frage der Rücksichtslosigkeit des streitgegenständlichen Bauvorhabens lasse sich aber nicht anhand von Höhenlagen, die in der Bauvorlage vermerkt seien, oder anhand der Baugenehmigungsunterlagen abschließend beurteilen. Einen die Zulassung der Revision rechtfertigenden Verfahrensfehler legt die Beschwerde damit nicht dar.
Der Klägerin kann allerdings nicht zum Nachteil gereichen, dass sie eine Beweisaufnahme durch Augenscheineinnahme in der Berufungsinstanz nicht beantragt hatte (vgl. hierzu Beschluss vom 5. August 1997 - BVerwG 1 B 144.97 - NJW-RR 1998, 784). Im Rahmen der Anhörung zu der beabsichtigten Entscheidung nach § 130a VwGO hatte sie sich ausdrücklich auf den Standpunkt gestellt, dass die Entscheidung über eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ohne Kenntnis der Örtlichkeit aus ihrer Sicht weder möglich noch vorstellbar sei, und dass sie deshalb auch in der Berufungsinstanz die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie einer Augenscheineinnahme für erforderlich halte. Das Oberverwaltungsgericht hat gleichwohl nach § 130a VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Beschluss entschieden. Damit war der Klägerin die Möglichkeit genommen, die Augenscheineinnahme förmlich zu beantragen. Hinsichtlich der gerügten Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO ist die Klägerin deshalb so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn sie den schriftsätzlich angekündigten Beweisantrag in einer mündlichen Verhandlung gestellt hätte.
Die erhobene Verfahrensrüge ist gleichwohl nicht begründet. Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, dass das Oberverwaltungsgericht die seitens der Klägerin geforderte Augenscheineinnahme unter Verletzung ihrer Sachaufklärungspflicht abgelehnt hätte. Auszugehen ist von dem allgemeinen Grundsatz, dass das Gericht Umfang und Art der Tatsachenermittlung nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt (Urteil vom 14. November 1991 - BVerwG 4 C 1.91 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 236 m.w.N.). So hat der Senat bereits entschieden, dass auch von den Beteiligten vorgelegte und zu den Akten genommene Karten, Lagepläne, Fotos und Luftbildaufnahmen im Rahmen von § 86 Abs. 1 VwGO unbedenklich verwertbar sein können, wenn sie die Örtlichkeit in ihren für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Merkmalen so eindeutig ausweisen, dass sich der mit einer Ortsbesichtigung erreichbare Zweck mit ihrer Hilfe ebenso zuverlässig erfüllen lässt. Ist dies der Fall, bedarf es unter dem Gesichtspunkt des Untersuchungsgrundsatzes keiner Durchführung einer Ortsbesichtigung. Das gilt nur dann nicht, wenn ein Beteiligter geltend macht, dass die Karten oder Lichtbilder in Bezug auf bestimmte, für die Entscheidung wesentliche Merkmale keine Aussagekraft besitzen, und dies zutreffen kann (stRspr; vgl. z.B. Beschluss vom 3. Dezember 2008 - BVerwG 4 BN 26.08 - ZfBR 2009, 277 = BauR 2009, 617 = BRS 73 Nr. 91 Rn. 3 m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt des Oberverwaltungsgerichts, auf den bei der Prüfung eines Verfahrensfehlers abzustellen ist, auch wenn er verfehlt sein sollte (Beschluss vom 23. Januar 1996 - BVerwG 11 B 150.95 - Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1 = NVwZ-RR 1996, 369), kommt den Festsetzungen des Bebauungsplans, von denen bei der Erteilung der Baugenehmigung befreit wurde, keine drittschützende Wirkung zu. Einen somit entscheidungserheblichen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme hat das Oberverwaltungsgericht (BA S. 8 ff.) unter zwei Aspekten geprüft und verneint: Zum einen sei eine wesentliche Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks wegen einer unzureichenden Belichtung bzw. einer unzumutbaren (zusätzlichen) Verschattung im Hinblick auf die Lage der Grundstücke und der Baukörper zueinander auszuschließen (BA S. 9). Zum anderen entfalte das geplante Vorhaben gegenüber dem Nachbargrundstück auch keine erdrückende Wirkung. Es sei als zweigeschossige Bebauung nebst Staffelgeschoss genehmigt und somit gegenüber dem dreigeschossigen Wohnhaus auf dem Grundstück der Klägerin nicht etwa größer dimensioniert. Die Höhe des geplanten Gebäudes biete bezogen auf die Höhe des Gebäudes der Klägerin ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine erdrückende Wirkung; dies gelte auch unter Berücksichtigung des von der Klägerin vorgetragenen Verlaufs der Geländeoberfläche; die Klägerin verkenne die Höhe der genehmigten Geländeoberfläche des Vorhabengrundstücks, die insoweit maßgeblich sei. Hinzu komme, dass die überbaubare Grundstücksfläche im Verhältnis zum Grundstück der Klägerin ebenfalls untergeordnet sei. Schließlich könne auch wegen der im Verhältnis zum streitigen Vorhaben leicht versetzten Lage des Wohngebäudes der Klägerin, des großzügigen Zuschnitts ihres Grundstücks und der verbleibenden Freiflächen um das aufstehende Gebäude, die seine Eigenständigkeit gewährleiste, von einer bedrängenden Wirkung des Vorhabens keine Rede sein (BA S. 10).
Dass das Oberverwaltungsgericht (BA S. 5) die für seine rechtlichen Schlussfolgerungen für erforderlich gehaltenen tatsächlichen Feststellungen allein der angefochtenen Baugenehmigung und den zugehörigen Bauvorlagen entnommen hat, ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Die für die Frage einer unzumutbaren (zusätzlichen) Verschattung vom Oberverwaltungsgericht für maßgeblich gehaltene Lage der Grundstücke und der Baukörper lässt sich dem in den Bauvorlagen enthaltenen Lageplan ohne Weiteres entnehmen. Die Zahl der zulässigen Geschosse und die überbaubare Grundstücksfläche, auf die das Oberverwaltungsgericht bei der Frage einer erdrückenden Wirkung des Vorhabens abstellt, sind in der Baugenehmigung geregelt. Gleiches gilt für den in der Baugenehmigung festgesetzten Verlauf der Geländeoberfläche, die das Oberverwaltungsgericht anstelle der tatsächlichen Geländeoberfläche rechtlich für maßgeblich hält. Die vom Oberverwaltungsgericht festgestellte leicht versetzte Lage des Wohngebäudes, der großzügige Zuschnitt des klägerischen Grundstücks und die verbleibenden Freiflächen, ergeben sich wiederum aus den eingereichten Lageplänen. Inwieweit diese herangezogenen Erkenntnismittel in Bezug auf bestimmte für die Entscheidung wesentliche Merkmale keine Aussagekraft besitzen sollen oder inwiefern eine Ortsbesichtigung einen darüber hinausgehenden Erkenntnisgewinn bringen soll, legt die Beschwerde nicht konkret dar. Ihr pauschal erhobener Einwand, das Oberverwaltungsgericht verhalte sich widersprüchlich, wenn es annehme, dass es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankomme, die geforderte Ortsbesichtigung aber gleichwohl für nicht notwendig erachte, hilft ihr nicht weiter. Denn die ihm zugrunde liegende Vorstellung, dass sich die Umstände des Einzelfalls ausschließlich durch gerichtlichen Augenschein ermitteln lassen, geht fehl. Das gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als nach den für den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben noch nicht verwirklicht worden ist (BA S. 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.