Entscheidungsdatum: 24.07.2014
Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Juli 2013 wird verworfen.
1. Die sofortige Beschwerde ist bereits unzulässig.
Mit Beschluss vom 19. Juli 2013 hat das Oberverwaltungsgericht seine „instanzielle Zuständigkeit" für das vorliegende Verfahren festgestellt, weil hier ein Fall des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO vorliege. Gleichzeitig hat es die Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Das war indessen unzulässig.
Wie § 46 VwGO (ebenso § 49 VwGO) zeigt, meint die „instanzielle Zuständigkeit" nur die Zuständigkeit zur Entscheidung über ein Rechtsmittel. Die in § 47 VwGO und speziell in § 48 VwGO geregelten (erstinstanzlichen) Zuständigkeiten der Oberverwaltungsgerichte betreffen dagegen die sogenannte sachliche Zuständigkeit (vgl. Geiger, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 83 Rn. 2). Für diese gelten gemäß § 83 Satz 1 VwGO die §§ 17 bis 17b des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG - entsprechend. Nach § 83 Satz 2 VwGO sind jedoch Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2, Abs. 3 GVG unanfechtbar (das gilt im Übrigen auch für Entscheidungen über die instanzielle Zuständigkeit; nach h.M. ist § 83 VwGO insoweit analog anzuwenden; grundlegend: Beschluss vom 13. Februar 1964 - BVerwG 8 C 383.63 - BVerwGE 18, 53 <58> m.w.N., für instanzielle Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und Verweisung an das Berufungsgericht; vgl. auch Beschluss vom 17. April 2002 - BVerwG 3 B 137.01 - BayVBl 2003, 157 <158> = juris Rn. 14; ferner Geiger, a.a.O. § 83 Rn. 2).
Da das Oberverwaltungsgericht seine Zuständigkeit gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO bejaht hat, ist sein Beschluss nach § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG i.V.m. § 83 Satz 2 VwGO folglich unanfechtbar. Die Zulassung der Beschwerde durch das Oberverwaltungsgericht geht damit ins Leere. Ein von der Prozessordnung nicht vorgesehenes Rechtsmittel wird nicht dadurch statthaft, dass es von der Vorinstanz zugelassen wird (vgl. BFH, Urteile vom 8. März 1994 - IX R 58.93 - NVwZ 1996, 519 = juris Rn. 13 und vom 8. Januar 1991 - III R 196/90 - BFH/NV 1991, 547 = juris Rn. 7 m.w.N.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1968 - BVerwG 8 C 52.68 - BVerwGE 30, 91 <98>; Kraft, in Eyermann, a.a.O. § 132 Rn. 6).
2. Unabhängig davon teilt der Senat die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass es gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO für die von den Klägern begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verordnung über die Festsetzung des Lärmschutzbereichs für den Verkehrsflughafen Düsseldorf (Fluglärmschutzverordnung Düsseldorf - FluLärmDüsseldV) der Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 2011 (GV.NRW. S. 501) sachlich zuständig ist.
a) Nach dieser Vorschrift entscheidet das Oberverwaltungsgericht im ersten Rechtszug „über sämtliche Streitigkeiten, die ... den Betrieb von Verkehrsflughäfen" betreffen. Diese Voraussetzung wurde in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 28. Juni 2000 - BVerwG 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <277>) näher dahin konkretisiert, dass ein enger räumlicher und betrieblicher Zusammenhang mit dem Betrieb eines Verkehrsflughafens bestehen muss. Einen solchen Zusammenhang zwischen der Festsetzung des Lärmschutzbereichs des Flughafens durch Verordnung der Landesregierung und dem Betrieb des Flughafens hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen.
Bis zur Neufassung des Fluglärmschutzgesetzes (i.d.F. der Bek. vom 31. Oktober 2007, BGBl I S. 2550) fiel die gerichtliche Geltendmachung von Erstattungsansprüchen für Maßnahmen des passiven Fluglärmschutzes sowie von Entschädigungsansprüchen nach einhelliger Auffassung (vgl. z.B. VGH Kassel, Urteil vom 13. Juni 2007 - 11 A 2061/06 - NVwZ-RR 2008, 88 = juris Rn. 26 m.w.N.) in die sachliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO. Zur Begründung wurde zutreffend darauf verwiesen, dass angemessener Schallschutz bei Flughäfen regelmäßig nur durch eine Kombination aus aktiven und passiven Schallschutzmaßnahmen erreicht werden kann. Erstattungsansprüche für Maßnahmen des passiven Schallschutzes standen deshalb ebenso wie Entschädigungsleistungen in einem engen rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang mit Betriebsbeschränkungen für den Flughafen; Streitigkeiten hierüber „betrafen" den Betrieb des Flughafens im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO (VGH Kassel a.a.O.). Das galt nach bisheriger Rechtslage umso mehr, als die Anordnung von passiven Schallschutzmaßnahmen auf der Grundlage des § 9 Abs. 2 LuftVG und von Entschädigungsleistungen dem Planfeststellungsbeschluss vorbehalten war (vgl. z.B. Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116, Rn. 292 ff.), mit dem gemäß § 8 Abs. 4 LuftVG auch betriebliche Regelungen als Maßnahmen des aktiven Schallschutzes getroffen werden können.
An diesem engen rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang zwischen Erstattungs- und Entschädigungsansprüchen für Fluglärmbetroffene einerseits und dem Betrieb des Flughafens andererseits hat sich durch die Neufassung des Fluglärmschutzgesetzes nichts geändert. Seit dem Inkrafttreten der Neufassung am 7. Juni 2007 sind Ansprüche auf Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen (§ 9 Abs. 1 bis 4 FluglärmG) und auf Entschädigung für Beeinträchtigungen des Außenwohnbereichs (§ 9 Abs. 5 FluglärmG) nunmehr zwar grundsätzlich, d.h. soweit im Fluglärmschutzgesetz geregelt, nach den verfahrens- und materiell-rechtlichen Vorgaben des Fluglärmschutzgesetzes zu gewähren (Urteil vom 4. April 2012 - BVerwG 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234, Rn. 175 ff.). In verfahrensrechtlicher Hinsicht bestimmt dabei § 10 FluglärmG, dass die nach Landesrecht zuständige Behörde nach Anhörung der Beteiligten durch schriftlichen Bescheid festsetzt, in welcher Höhe die Aufwendungen für passiven Schallschutz erstattungsfähig sind. Über Erstattungsansprüche ist deshalb grundsätzlich nicht mehr im Planfeststellungsbeschluss, sondern in einem gesonderten Festsetzungsverfahren zu entscheiden. Entsprechendes gilt für Entschädigungsansprüche. Materiell-rechtlich sind Erstattungs- und Entschädigungsansprüche gemäß § 9 Abs. 1, 2 und 5 FluglärmG an die Belegenheit des Grundstücks im Lärmschutzbereich (Tag- oder Nacht-Schutzzone) geknüpft, die die Landesregierung gemäß § 4 Abs. 2 FluglärmG anhand der in § 2 Abs. 2 Satz 1 FluglärmG geregelten Auslösewerte durch Rechtsverordnung festsetzt. Das Fluglärmschutzgesetz ist insoweit ein Spezialgesetz zu § 9 Abs. 2 LuftVG.
In § 13 Abs. 1 Satz 1 FluglärmG hat der Gesetzgeber allerdings ausdrücklich klargestellt, dass das Fluglärmschutzgesetz die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen (einschließlich der zugrunde liegenden Schallschutzanforderungen) sowie die Entschädigung für Beeinträchtigungen des Außenwohnbereichs mit Wirkung auch für die Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren nach §§ 6 und 8 LuftVG regelt. Umgekehrt bestimmt § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG, dass zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Fluglärm die jeweils anwendbaren Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG zu beachten sind. Mit der im Fluglärmschutzgesetz getroffenen Neuregelung des § 13 FluglärmG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG wollte der Gesetzgeber die Planfeststellungsbehörde „im Interesse der Verbesserung der Rechtssicherheit und der Verfahrensbeschleunigung" mithin zwar von der Notwendigkeit befreien, im luftrechtlichen Zulassungsverfahren über Erstattungs- und Entschädigungsansprüche auf der Grundlage „lärmmedizinischer Gutachten, die sehr oft einen hohen Grad von Allgemeingültigkeit aufweisen", selbst abschließend entscheiden zu müssen (vgl. BTDrucks 16/3813 S. 11 f. und S. 19). Diese Zielsetzung ändert aber nichts daran, dass die sich aus §§ 8, 9 i.V.m. § 12 FluglärmG ergebenden Erstattungs- und Entschädigungspflichten des Flughafenbetreibers - wie das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen hat - materiell Teil der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des Betriebs sind. Den engen rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang zwischen der Festlegung des Lärmschutzbereichs und dem Betrieb des Flughafens hat der Gesetzgeber inhaltlich nicht gelockert. Erst recht fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass die gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO beim Oberverwaltungsgericht konzentrierte Zuständigkeit für „sämtliche Streitigkeiten, die ... den Betrieb von Verkehrsflughäfen" betreffen, mit der Neuregelung abgelöst werden sollte. Die Annahme der Beigeladenen, dass die Lärmschutzverordnung keine betriebsbezogene Regelung sei, sondern lediglich auf einer Sekundärebene die Folgen des Flughafenbetriebs regle, steht deshalb mit den gesetzlichen Vorgaben nicht im Einklang.
b) Eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO, die die Beigeladene in den Vordergrund rückt, rechtfertigt keine andere Sichtweise.
Die Beigeladene macht geltend, mit der auf Großvorhaben beschränkten Erweiterung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts sollte vor allem eine Beschleunigung der Verfahren erreicht werden, um bedeutende Infrastrukturvorhaben schneller verwirklichen zu können. Vorliegend bestehe indes - objektiv - kein Anlass, das Verfahren durch Beschränkung auf eine Tatsacheninstanz zu verkürzen, weil es weder um die Änderung oder Erweiterung des Verkehrsflughafens noch um etwaige (flug-)betriebliche Regelungen gehe, und die Lärmschutzverordnung auch keine sonstigen unmittelbaren Auswirkungen auf den Betrieb des Verkehrsflughafens habe. Da der Betrieb des Flughafens von dem Rechtsstreit somit nicht tangiert werde, ein reibungsloser Ablauf also während des gesamten Gerichtsverfahrens - gegebenenfalls über mehrere Instanzen - gewährleistet werde, sei auch kein Grund für eine „Beschleunigung" des Verfahrens ersichtlich und eine Verkürzung des Instanzenzugs nicht zu rechtfertigen.
Diese Überlegungen gehen bereits deshalb fehl, weil die Gewährleistung passiven Schallschutzes - wie dargelegt - materiell Teil der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des Flughafenbetriebes ist. Überdies hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Neufassung des Fluglärmschutzgesetzes (Urteil vom 4. April 2012 a.a.O. Rn. 165) betont, dass passiver Schallschutz auch „rechtzeitig" wirksam werden muss. Dieses Erfordernis hat der Senat durch die Regelungen des Fluglärmschutzgesetzes in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise als erfüllt angesehen: Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 3 FluglärmG „soll" die Festsetzung des Lärmschutzbereichs, die durch Rechtsverordnung der Landesregierung erfolgt (§ 4 Abs. 2 Satz 1 FluglärmG), vorgenommen werden, sobald die Genehmigung, die Planfeststellung oder die Plangenehmigung für die Anlegung oder Erweiterung des Flugplatzes erteilt ist. Für den Regelfall, der keine atypischen Besonderheiten aufweist, besteht daher die Verpflichtung, die Lärmschutzbereiche alsbald nach Erlass der genannten Zulassungsentscheidungen festzusetzen. Aus der Festlegung der entsprechenden Lärmschutzbereiche ergeben sich dann nach Maßgabe der §§ 8 und 9 FluglärmG Ansprüche auf Erstattung von Aufwendungen für baulichen Schallschutz bzw. Entschädigungsansprüche. Für den Fall, dass die rechtzeitige Festsetzung des Lärmschutzbereichs unterbleibt oder das ausgewiesene Gebiet zu klein ist, können die potentiell Begünstigten auf Erlass oder Erweiterung der Schutzbereichsverordnung klagen. Damit hat der Gesetzgeber ausreichend dafür Sorge getragen, dass Grundeigentümer, die durch Fluglärm in unzumutbarer Weise betroffen werden, im Regelfall spätestens mit der Inbetriebnahme des Flugplatzes oder seiner Erweiterung Erstattung ihrer Aufwendungen für den baulichen Schallschutz beanspruchen können, wenn auch diesbezüglich noch das Verfahren nach § 10 FluglärmG durchzuführen ist. Vor diesem Hintergrund dürfen Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO nicht einseitig dahingehend interpretiert werden, dass ein beschleunigtes Verfahren durch Konzentration der sachlichen Zuständigkeit bei den Oberverwaltungsgerichten nur mit Blick auf den Betrieb oder die alsbaldige Inbetriebnahme eines Flughafens geboten wäre. Beschleunigung ist auch geboten, wenn es darum geht, Ansprüche auf Erstattung von Aufwendungen für baulichen Schallschutz so rechtzeitig durchzusetzen, dass unzumutbare Lärmbelastungen durch den Betrieb des Flughafens vermieden werden.