Entscheidungsdatum: 17.11.2015
1. Die Revision ist nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beklagte beimisst.
a) Die Frage, ob ein Gericht Spruchreife annehmen und die Baurechtsbehörde zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichten darf, wenn gesetzlich vorgeschriebene Beteiligungsverfahren, insbesondere gesetzlich vorgeschriebene Nachbarbeteiligungsverfahren, noch nicht durchgeführt worden sind, führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie sich im Kern nach irrevisiblem Landesrecht beantwortet.
Die Spruchreife einer Sache ist nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO eine der Voraussetzungen dafür, dass das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde ausspricht, die beanspruchte Amtshandlung vorzunehmen. Spruchreife bedeutet, dass das Gericht zu einer abschließenden Entscheidung über den Erlass des Verwaltungsakts in der Lage ist (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 113 Rn. 193). Ob Spruchreife vorliegt, richtet sich nach den materiellrechtlich einschlägigen Vorschriften. An sie knüpft § 113 Abs. 5 VwGO an, ohne sie jedoch zu verändern (BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 1990 - 7 C 55 und 56.89 - BVerwGE 85, 368 <377 f.>). Aus dem Landesrecht - hier aus der Bauordnung des Landes Baden-Württemberg - ergibt sich, unter welchen Voraussetzungen eine Genehmigung zu erteilen ist und ob zu den Voraussetzungen namentlich die vorherige Durchführung eines Nachbarbeteiligungsverfahrens gehört. Hierzu hat der Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass dem Vorhaben entgegenstehende und von der Behörde zu prüfende Vorschriften nicht gegeben sind. An diese Auslegung und Anwendung irrevisibler Rechtsvorschriften ist der Senat gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).
b) Die Frage, ob eine Reduktion des Befreiungsermessens nach § 31 Abs. 2 BauGB auf null angenommen werden kann, wenn die vorherige Durchführung gesetzlich vorgeschriebener Verfahren zur Nachbarbeteiligung unterblieben ist, löst die Zulassung der Revision ebenfalls nicht aus. Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um die Feststellung treffen zu können, dass § 31 Abs. 2 BauGB keinen Bezug zu landesrechtlichen Vorschriften, hier zu § 55 Abs. 1 LBO BW als der die Nachbarbeteiligung regelnden Norm, herstellt. § 31 Abs. 2 BauGB setzt für die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans u.a. voraus, dass die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Dass die nachbarlichen Interessen nur gewahrt sein können, wenn die Eigentümer an das Bauvorhaben angrenzender Grundstücke nach den Vorgaben des Landesrechts benachrichtigt worden sind, ergibt sich aus § 31 Abs. 2 BauGB nicht. Erst recht ist die vorherige - förmliche - Nachbarbeteiligung kein Gesichtspunkt, der für die Frage einer Ermessensreduzierung auf null auf der Rechtsfolgeseite des § 31 Abs. 2 BauGB von Bedeutung ist. Eine Rolle spielen können hier allenfalls materielle Nachbarinteressen. Ob sie ohne förmliche Nachbarbeteiligung vollständig und ihrem Gewicht entsprechend ermittelt werden können, ist eine Tat- und keine Rechtsfrage und zudem von den Umständen des Einzelfalls abhängig.
c) Die Revision ist ferner nicht zur Klärung der Frage zuzulassen, ob eine Reduktion des Befreiungsermessens nach § 31 Abs. 2 BauGB auf null angenommen werden kann, wenn die Anhörung der Kommune nach § 7a der 26. BImSchV zur Auswahl des Standorts der Hochfrequenzanlagen nicht erfolgt ist. Dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs lässt sich nicht entnehmen, dass die Anhörung unterblieben ist, von der die Klägerin in der Beschwerdeerwiderung behauptet, dass sie erfolgt sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts scheidet die Zulassung der Revision aus, wenn die Vorinstanz eine Tatsache nicht festgestellt hat, die für die Entscheidung der angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, sondern lediglich die Möglichkeit besteht, dass die Rechtsfrage nach Zurückverweisung der Sache aufgrund weiterer Sachaufklärung entscheidungserheblich werden könnte (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. Dezember 1998 - 9 B 197.98 - juris Rn. 6 und vom 28. November 2005 - 4 B 66.05 - ZfBR 2006, 159).
Schließlich rechtfertigt die Frage, ob ein kommunales Mobilfunkkonzept, das bei Anfragen für Standorte für Hochfrequenzanlagen im Sinne der 26. BImSchV eine Standortalternativenprüfung vorsieht, ein relevanter Gesichtspunkt für die Ausübung des Befreiungsermessens nach § 31 Abs. 2 BauGB sein kann, nicht die Zulassung der Grundsatzrevision. Sie lässt sich nicht verallgemeinernd, sondern nur einzelfallbezogen unter Rückgriff auf die jeweilige Zielsetzung des Konzepts (hier: Ersetzung der Grenzwerte der 26. BImSchV durch niedrigere Werte, UA S. 33) beantworten.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.
a) Die Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe durch die Entscheidung, mit dem in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag sei keine Klageänderung verbunden, gegen § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO und durch die Hilfserwägung, eine Klageänderung wäre als sachdienlich zuzulassen, gegen § 91 Abs. 1 VwGO verstoßen, ist unzulässig. Nach § 91 Abs. 3 VwGO ist die Entscheidung, dass eine Änderung der Klage nicht vorliegt oder zuzulassen sei, nicht selbständig anfechtbar. Die gesetzliche Regelung ist dahin zu verstehen, dass über die Frage, ob von einer Klageänderung auszugehen und - bejahendenfalls - ob sie sachdienlich ist, kein gesonderter Rechtsstreit geführt werden soll. Der geltend gemachte Verfahrensfehler kann aus diesem Grunde auch kein selbständiger Beschwerdegrund im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sein (BVerwG, Beschluss vom 14. Mai 1999 - 4 B 21.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 20 S. 2).
b) Die Rüge der Beklagten, der Verwaltungsgerichtshof habe die Sache zu Unrecht für spruchreif gehalten, führt nicht auf einen Verfahrensmangel. Die Beklagte wirft dem Verwaltungsgerichtshof vor, aus § 55 Abs. 1 Satz 1 LBO nicht die gebotenen Schlussfolgerungen gezogen und zudem übersehen zu haben, dass für das modifizierte Bauvorhaben eine Anhörung nach § 7a der 26. BImSchV hätte erfolgen müssen. Die Verletzung von Verwaltungsprozessrecht auf dem Weg zum Urteil (vgl. Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 132 Rn. 45) zeigt sie damit nicht auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.