Entscheidungsdatum: 31.01.2019
Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Kläger wenden sich gegen die von der Beklagten - der Deutschen Flugsicherung GmbH (DFS) - getroffene Regelung zur sog. Rückenwindkomponente, die im Rahmen der Steuerung der Betriebsrichtung des Flughafens Frankfurt Main anhand der Windrichtung vorgibt, dass bis zu einer Windgeschwindigkeit von fünf Knoten die Betriebsrichtung 25 (also Westbetrieb mit Anflug aus östlicher Richtung) zugewiesen wird, sofern nicht die Bremswirkung beeinflussende Witterungsverhältnisse diese Betriebsrichtung ausschließen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Zwar handle es sich bei der angefochtenen verbindlichen Festlegung der bevorzugten Landerichtung nach § 21a Abs. 1 LuftVO a.F. (jetzt § 22 Abs. 1 LuftVO) um einen Verwaltungsakt in der Form der Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 HVwVfG. Die Kläger seien hiergegen aber nicht i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt, denn der angefochtenen Rückenwindkomponente komme - auch in Ansehung des § 29b Abs. 2 LuftVG - keine drittschützende Wirkung zugunsten der Kläger zu (UA S. 15 f.). Aber selbst wenn zugunsten der Kläger eine mögliche Verletzung in ihren Rechten durch die angegriffene Regelung unter dem Gesichtspunkt ihrer Fluglärmbetroffenheit unterstellt würde, sei die Klage unzulässig, weil die Klägerin ihr Klagerecht verwirkt und die Beklagte sowie die Beigeladene sich ausdrücklich auf eine Verwirkung des Klagerechts berufen hätten (UA S. 19 f.).
Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr; vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1994 - 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (BVerwG, Beschluss vom 9. September 2009 - 4 BN 4.09 - ZfBR 2010, 67 = juris Rn. 5). Jedenfalls in Bezug auf die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die Kläger hätten ihr Klagerecht verwirkt und die Verwirkung erfasse alle von ihnen gestellten Anträge, also auch die hilfsweise gestellten Klageanträge, ist kein Zulassungsgrund dargelegt. Es kann daher offen bleiben, ob hinsichtlich der ersten Begründung ein Revisionszulassungsgrund dargelegt und gegeben ist und ob es sich bei einer Regelung zur Durchführung des Flugplatzverkehrs nach § 21a Abs. 1 LuftVO a.F. - wie vom Verwaltungsgerichtshof angenommen - um einen Verwaltungsakt in der Form der Allgemeinverfügung handelt, wovon die Beklagte ausgeht und worauf sich die Grundsatzrüge der Kläger bezieht.
Nach Auffassung der Beschwerde weicht das vorinstanzliche Urteil von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab und beruht auf dieser Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof habe - so die Beschwerde - den Rechtssatz aufgestellt, dass es bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen für die Begründung einer Verwirkung ausreiche, wenn ein Kläger unter Verhältnissen untätig geblieben sei, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflege und der Verpflichtete wegen des Zeitablaufs nicht mehr mit einem Angriff des Klägers gegen die betreffende Allgemeinverfügung oder den Verwaltungsakt zu rechnen brauche, es darüber hinaus aber nicht erforderlich sei, dass eine begründete Klage mit nicht mehr zumutbaren Nachteilen verbunden und es weiterhin nicht notwendig sei, dass die verzögerte Geltendmachung des Rechts ursächlich für bestimmte Dispositionen des Verpflichteten geworden ist. Den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Februar 1974 - 3 C 115.71 - (BVerwGE 44, 339), vom 16. Mai 1991 - 4 C 4. 89 - (Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 102), vom 10. August 2000 - 4 A 11.99 - (Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 158) und vom 27. Juli 2005 - 8 C 15.04 - (Buchholz 428 § 36 VermG Nr. 9) sowie dem Beschluss vom 20. Januar 2017 - 8 B 23.16 u.a. - (Buchholz 316 § 41 VwVfG Nr. 8) entnimmt die Beschwerde den Rechtssatz, dass es "auch" und nicht "nur" im nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis und damit letztlich allgemein eine Tatbestandsvoraussetzung für die Bejahung der Verwirkung sei, dass der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut habe, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde und die verzögerte Geltendmachung des Rechts ursächlich für bestimmte Dispositionen des Verpflichteten gewesen sei. Auf dieser Abweichung beruhe das angefochtene Urteil, denn es fänden sich keine Ausführungen, wonach sich das Land Hessen oder die Beigeladene in ihren Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hätten, dass ihnen durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Eine Divergenz wird hiermit nicht aufgezeigt.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass eine Verwirkung des Klagerechts dann anzunehmen ist, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Klageanspruchs längere Zeit verstrichen ist (sog. Zeitmoment) und der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (sog. Umstandsmoment; BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1972 - 2 BvR 255/67 - BVerfGE 32, 305 <308 f.>). Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (sog. Vertrauensmoment, vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1972 - 2 BvR 255/67 - BVerfGE 32, 305 <308 f.>; BVerwG, Urteile vom 13. November 1975 - 2 C 16.72 - BVerwGE 49, 351 <358>, vom 29. August 1996 - 2 C 23.95 - BVerwGE 102, 33 <36> und vom 15. Juni 2018 - 2 C 19.17 - juris Rn. 8; vgl. zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 - NVwZ 2018, 1866 <1868 Rn. 21>). Die von den Klägern herangezogene Konkretisierung in den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Februar 1974, vom 16. Mai 1991, vom 27. Juli 2005 und vom 20. Januar 2017 (jeweils a.a.O.) umschreibt dabei, wie schon der jeweils einleitende Begriff "insbesondere" zeigt, die Voraussetzungen einer Verwirkung als Unterfall des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium, vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1974 - 3 C 115.71 - BVerwGE 44, 339 <343>) weder umfassend noch abschließend (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2017 - 1 B 103.17 - juris Rn. 9 mit dem Hinweis, dass eine Verwirkung auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsfriedens in Betracht komme), sondern nur beispielhaft. Das gilt auch für die von den Klägern in den Vordergrund gestellte Formulierung im Urteil vom 16. Mai 1991 (a.a.O. = juris Rn. 28), wonach ein Rechtsverlust durch Verwirkung nur dann eintritt, wenn die verzögerte Geltendmachung des Rechts ursächlich für bestimmte Dispositionen des Verpflichteten ist und gerade im Hinblick auf das durch Untätigkeit des Berechtigten geschaffene und betätigte Vertrauen des Verpflichteten die verspätete Geltendmachung des Rechts treuwidrig erscheint, und die unter Verweis u.a. auf vorgenannte Entscheidung im Urteil vom 10. August 2000 (a.a.O.) enthaltene Wendung, wonach sich die beklagte Behörde auch tatsächlich in einer Weise auf das Verhalten des Berechtigten eingestellt haben muss, dass für sie eine begründete Klage nicht mehr mit zumutbaren Nachteilen verbunden wäre, die sich ersichtlich auf den vorgenannten Beispielsfall beziehen.
Von den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts danach maßgeblichen Grundsätzen ist der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen. Er hat deutlich gemacht, dass es für eine Verwirkung nicht allein auf das Zeitmoment ankommt, sondern dass es darüber hinaus auch eines Umstandsmoments bedarf. Hierzu hat er u.a. ausgeführt, dass die streitgegenständliche Regelung der bevorzugten Landerichtung Grundlage der Lärmermittlung und -bewertung des Planfeststellungsverfahrens gewesen sei. Dies sei für die Kläger erkennbar und ihnen sei ein Vorgehen gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 18. Dezember 2007 für den Ausbau des Flughafens Frankfurt Main in Bezug auf die Rückenwindkomponente auch zumutbar gewesen. Die Treuwidrigkeit der verzögerten Rechtsausübung hat der Verwaltungsgerichtshof folglich darin gesehen, dass die Kläger in dem Verfahren, in dem sie ihre Einwendungen gegen die Rückenwindkomponente hätten vorbringen können und auch müssen, untätig geblieben seien. Sie seien folglich "unter Verhältnissen untätig geblieben, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden" pflege. Damit hätten sie sowohl für das Land Hessen als Planfeststellungsbehörde als auch für die Beigeladene "eine Situation geschaffen, auf die der Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten durfte", dergestalt, dass beide in Bezug auf den dem Planfeststellungsbeschluss vom 18. Dezember 2007 zu Grunde liegenden einzelnen Teil des bestehenden Betriebsregimes des Flughafens Frankfurt Main jedenfalls zu dem Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung im Januar 2013 nicht mehr mit einem Angriff (gegen die Rückenwindkomponente) durch die Kläger zu rechnen brauchten (UA S. 24).
Offen lassen kann der Senat, ob es eines Rückgriffs auf den Verwirkungstatbestand überhaupt bedurft hätte, oder die Kläger eine Korrektur der angefochtenen Rückenwindregelung bereits deshalb nicht mehr fordern können, weil eine Auslegung des Planfeststellungsbeschlusses vom 18. Dezember 2007 ergibt, dass er die Steuerung der Betriebsrichtung anhand der Windrichtungen einschließlich der Berücksichtigung der Rückenwindkomponente zulässt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 4. April 2012 - 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234 Rn. 215) und bestandskräftig geworden ist (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 - BVerwGE 150, 294 Rn. 15).
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.