Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 10.01.2013


BVerwG 10.01.2013 - 4 B 30/12

Entscheidung über die Berufung ohne mündliche Verhandlung


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
10.01.2013
Aktenzeichen:
4 B 30/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 28. März 2012, Az: 15 B 10.1351, Beschluss
Zitierte Gesetze
Art 6 Abs 1 MRK

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat die vom Kläger ohne Zulassung eingelegte Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Das ergibt sich aus folgendem:

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1. Das mit Schriftsatz vom 31. Mai 2010 eingelegte Rechtsmittel des Klägers kann - entgegen der Auffassung der Beschwerde - nicht dahin ausgelegt werden, dass ein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt war. Prozesshandlungen der Beteiligten eines Rechtsstreits unterliegen zwar der Auslegung, zu der auch das Revisionsgericht ohne Einschränkung befugt ist. Die Auslegung hat den Willen des Erklärenden zu ermitteln. Dabei kommt es nicht auf den inneren, sondern auf den erklärten Willen an. Die Auslegung darf nicht am Wortlaut der Erklärung haften. Der maßgebende objektive Erklärungswert bestimmt sich danach, wie der Empfänger nach den Umständen, insbesondere der recht verstandenen Interessenlage, die Erklärung verstehen muss (Urteil vom 27. August 2008 - BVerwG 6 C 32.07 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 38 Rn. 23, Beschlüsse vom 3. Dezember 1998 - BVerwG 1 B 110.98 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 6, juris Rn. 8 und vom 9. Februar 2005 - BVerwG 6 B 75.04 - juris Rn. 8). Danach ist nicht zweifelhaft, dass der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 31. Mai 2010 als Berufung und nicht als Antrag auf Zulassung der Berufung verstanden werden musste. Darin heißt es, dass gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts "Berufung" eingelegt werde; auch ist das Schreiben (groß) mit "Berufung" betitelt. Der Anwaltsschriftsatz enthält jedoch keine Anhaltspunkte für eine Absicht des Rechtsmittelführers, entgegen dieser eindeutigen Erklärung, die Zulassung der Berufung beantragen zu wollen. Derartiges kann insbesondere nicht aus dem - zudem in Berufungsverfahren üblichen - Hinweis gefolgert werden, dass Antragstellung und Begründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten bleiben (vgl. Beschluss vom 6. Januar 2009 - BVerwG 10 B 55.08 - juris Rn. 4).

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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorlageschreiben der stellvertretenden Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts vom 2. Juni 2010 an den Verwaltungsgerichtshof in dem es heißt, dass gegen das Urteil vom 28. April 2010 "die zugelassene Berufung eingelegt" worden sei. Maßgeblich ist, ob der Spruchkörper die Berufung (nach § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) zugelassen hat. Das ist hier nicht der Fall.

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2. Entgegen der Auffassung des Klägers kann die mit Anwaltsschriftsatz vom 31. Mai 2010 erhobene Berufung nach Ablauf der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO auch nicht (mehr) in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden. Das entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urteil vom 27. August 2008 a.a.O. Rn. 25, Beschlüsse vom 29. Januar 1962 - BVerwG 2 C 83.60 - Buchholz 310 § 132 Nr. 27, vom 12. September 1988 - BVerwG 6 CB 35.88 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 83, vom 12. März 1998 - BVerwG 2 B 20.98 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 2 = NVwZ 1999, 641, vom 15. September 2005 - BVerwG 6 B 54.05 - juris Rn. 6, vom 19. April 2010 - BVerwG 9 B 4.10 - juris Rn. 5 und vom 19. Juli 2011 - BVerwG 4 B 18.11 - juris Rn. 4). An diesem Ergebnis ändert der Schriftsatz vom 23. Juni 2010, nach welchem die "Berufung" als "Antrag auf Zulassung der Berufung" auszulegen sei, nichts, denn dieser ging erst am 24. Juni 2010 und damit nach Ablauf der Rechtsmittelfrist am 7. Juni 2010 beim Verwaltungsgerichtshof ein.

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3. Der Beschluss, mit welchem der Verwaltungsgerichtshof die Berufung als unzulässig verworfen hat, verstößt entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Gebot des fairen Verfahrens. Anders als in dem von dem Kläger angeführten, dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. April 2004 - 1 BvR 622/98 - (NJW 2004, 2149) zugrunde liegenden Fall haben weder das Verwaltungsgericht noch der Verwaltungsgerichtshof eine Vertrauensgrundlage dafür geschaffen, dass in der Sache entschieden werde. Das Verwaltungsgericht hat den Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers vom 31. Mai 2010, der am 1. Juni 2010 bei ihm eingegangen war, am 2. Juni 2010 an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet, wo er am 4. Juni 2010 einging. Mit Schreiben vom 10. Juni 2010 hat der Berichterstatter des Verwaltungsgerichtshofs auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der "Berufung" und eine Umdeutung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung hingewiesen. Danach konnte der Kläger nicht davon ausgehen, dass das Gericht die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht zur Grundlage seiner Entscheidung machen würde (vgl. Beschluss vom 9. Februar 2005 a.a.O. juris Rn. 13). Das gilt umso mehr, als der (neue) Berichterstatter mit Schreiben vom 29. Februar 2012 die Beteiligten zur Möglichkeit der Entscheidung durch Beschluss nach § 125 Abs. 2 VwGO angehört und die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Allein der Umstand, dass zwischen diesen beiden Schreiben etwa 20 Monate lagen, begründet - wie vorliegend - ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keine Vertrauensgrundlage in Richtung auf eine Sachentscheidung.

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4. Schließlich war es auch nicht verfahrensfehlerhaft, ohne mündliche Verhandlung über die Berufung zu entscheiden. § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor; die Norm ist mit höherrangigem Recht, insbesondere mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar (Urteil vom 22. Januar 1998 - BVerwG 2 C 4.97 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 113, juris Rn. 13, Beschlüsse vom 2. August 1995 - BVerwG 9 B 303.95 - Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 26, juris Rn. 3 und vom 10. September 1998 - BVerwG 8 B 102.98 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 40, juris Rn. 6; Happ, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 125 Rn. 5, Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 125 Rn. 4). Die insofern zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs erforderliche Anhörung der Beteiligten nach § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO ist erfolgt.