Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 10.12.2012


BVerwG 10.12.2012 - 4 B 16/12

Anforderungen an die Rüge gegen eine unzulässige Überraschungsentscheidung


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
10.12.2012
Aktenzeichen:
4 B 16/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 15. Dezember 2011, Az: 2 L 152/06, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus den Darlegungen der Klägerin ergibt sich nicht, dass das angefochtene Urteil auf den geltend gemachten Verfahrensfehlern beruht.

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1. Die Klägerin hält dem Oberverwaltungsgericht vor, seiner sich aus § 86 Abs. 1 VwGO ergebenden Pflicht zur Erforschung des entscheidungserheblichen Sachverhalts in verschiedener Hinsicht nicht gerecht geworden zu sein und gegen Denkgesetze verstoßen zu haben. Ihre Rüge greift nicht durch.

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a) Die Klägerin bemängelt, dass das Oberverwaltungsgericht den Gutachter S... in der mündlichen Verhandlung nicht zu den Mieterträgen befragt hat, die sich für die Objekte A und C erzielen lassen (Beschwerdebegründung S. 8). Das Oberverwaltungsgericht hat von einer Befragung abgesehen, weil es den Vortrag der Klägerin für unplausibel gehalten hat, dass die Kaltmiete der sanierten Räume nur noch 4,09 € je qm betragen soll, während sie in unsaniertem Zustand noch 5,00 € je qm betrug, und unterstellt hat, dass auch dort eine Kaltmiete von 6,50 € je qm zu erzielen sei, wie dies der Gutachter S... für die Geschosse 1 bis 4 im sanierten F...-Hochhaus angenommen habe (UA S. 57). Die Klägerin zeigt nicht auf, dass die vorinstanzliche Argumentation fehlerhaft ist, und legt auch nicht dar, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der vermissten Sachverständigenanhörung voraussichtlich getroffen worden wären. Ihre Rüge entspricht deshalb nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328).

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b) Die Klägerin kritisiert ferner, dass das Oberverwaltungsgericht die Kosten für die Sanierung der Gebäude A und C nicht von den Erträgen abgezogen hat, die durch die Vermietung der Gebäude erwirtschaftet werden können (Beschwerdebegründung S. 9). Sie kleidet ihren Vorwurf zwar in das Gewand der Aufklärungsrüge, beanstandet jedoch in Wahrheit eine fehlerhafte Rechtsauffassung der Vorinstanz. Damit lässt sich ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO nicht dartun.

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Die Klägerin sieht einen Verstoß gegen Denkgesetze darin, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Berechnung der Rückstellungen für (größere) Reparaturen den Wert der Gebäude A und C mit ca. 728 000 € beziffert habe, obwohl die Gebäude in den Jahren 2004 bis 2007 mit einem Kostenaufwand von ca. 2 750 000 € umgebaut und saniert worden seien (Beschwerdebegründung S. 9). Außerdem hätte die Vorinstanz den Wert mangels eigener Sachkunde durch einen Gutachter ermitteln lassen müssen (Beschwerdebegründung S. 10). Durch ihr Versäumnis habe sie § 86 Abs. 1 VwGO verletzt. Diese Rügen verhelfen der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg.

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Das Oberverwaltungsgericht hat den Wert der Gebäude A und C in unsaniertem Zustand auf 728 000 € taxiert (UA S. 51 f.). In die Berechnung der Bewirtschaftungskosten der Gebäude in saniertem Zustand hat es einen Betrag für Rücklagen auf der Basis des Werts der unsanierten Gebäude eingestellt (1 % des auf die Gebäude entfallenden restlichen Wertanteils von ca. 728 000 €; UA S. 57). Der Vorwurf der Klägerin, das Oberverwaltungsgericht habe denkgesetzwidrig außer Acht gelassen, dass sich eine Gebäudesanierung werterhöhend auswirken müsse, geht daher an dem angefochtenen Urteil vorbei. Dass das Oberverwaltungsgericht auf den Wert der unsanierten Gebäude abgestellt hat, kritisiert die Klägerin als fehlerhaft (Beschwerdebegründung S. 10). Ob ihre Kritik berechtigt ist, kann offen bleiben; denn der Bereich der Tatsachenfeststellung ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz aus zu beurteilen, auch wenn dieser Standpunkt rechtlich verfehlt sein sollte (Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183; stRspr). Auf der Grundlage seines rechtlichen Ansatzes hatte das Oberverwaltungsgericht keinen Anlass, den Wert der Gebäude A und C nach deren Sanierung zu ermitteln.

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c) Die Klägerin sieht ein weiteres Aufklärungsdefizit darin, dass das Oberverwaltungsgericht auf weitere Untersuchungen zu den heutigen Sanierungskosten verzichtet hat (Beschwerdebegründung S. 10). Soweit sich die Aufklärungsrüge auf die Sanierungskosten für das F...-Hochhaus bezieht, fehlt es an der Darlegung, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen im Einzelnen in Betracht gekommen wären - die Behauptung, es hätten "die Besonderheiten der Gebäude, die notwendigen Unterhaltungsmaßnahmen und auch die zwischenzeitlich erfolgten Änderungen konkret ermittelt werden" müssen, reicht nicht aus - , welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer der Klägerin günstigeren Entscheidung hätte führen können. Soweit die Aufklärungsrüge die Sanierungskosten für die Gebäude A und C betrifft, geht sie ins Leere, weil diese Kosten aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich sind.

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d) Nach Ansicht der Klägerin liegt ein Aufklärungsmangel schließlich darin, dass das Oberverwaltungsgericht ihrem Antrag nicht entsprochen hat, das F...-Hochhaus in Augenschein zu nehmen (Beschwerdebegründung S. 13). Die Klägerin legt jedoch nicht dar, welche Feststellungen das Gericht hätte treffen können und weshalb die Feststellungen dem Gericht die Überzeugung hätten vermitteln können, dass die ortsübliche Miete für eine Büronutzung nicht zu erzielen sei. Der Vortrag, "(d)urch eine solche Ortsbesichtigung hätte sich das Gericht insbesondere davon überzeugen können, dass die vom Gutachter entscheidungserheblich unterstellte Möglichkeit, für eine Büronutzung eine ortsübliche Miete zu erhalten, nicht besteht", genügt den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht.

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2. Nach Ansicht der Klägerin handelt es sich bei dem Berufungsurteil um eine unzulässige "Überraschungsentscheidung". Das Oberverwaltungsgericht habe in mehreren Punkten den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt. Auch diese Rüge führt nicht zur Zulassung der Revision.

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a) Die Klägerin fühlt sich vom Oberverwaltungsgericht dadurch in die Irre geleitet, dass der Berichterstatter mit Verfügung vom 26. November 2007 angekündigt habe, der Senat beabsichtige, Beweis zu erheben über die voraussichtlichen Kosten für eine Sanierung des F...-Hochhauses und ggfs. weiterer zu vermietender Gebäude auf dem klägerischen Grundbesitz und die zu erwartenden Erträge durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, der Beweisbeschluss jedoch nur für das F...-Hochhaus erging und danach über die Erträge der Gebäude A und C nicht mehr gesprochen worden sei. Sie habe deshalb davon ausgehen dürfen, dass das Oberverwaltungsgericht allein auf die Erträge abstellen würde, die das F...-Hochhaus abwerfe (Beschwerdebegründung S. 16).

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Der Senat geht zu Gunsten der Klägerin davon aus, dass das Oberverwaltungsgericht mit seinem Urteil die Klägerin unzulässig überrascht hat. Gleichwohl kann die Revision nicht zugelassen werden. Wenn sich die Rüge - wie hier - auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte bezieht, erfordert sie die substantiierte Darlegung dessen, was der Beteiligte bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (vgl. Beschluss vom 22. April 1999 - BVerwG 9 B 188.99 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 44; Beschluss vom 18. Juli 2002 - BVerwG 4 BN 17.02 -). Daran fehlt es hier. Die Klägerin beschränkt sich auf die bloße Behauptung, sie hätte bei ausreichender Gehörsgewährung "ergänzend vorgetragen" (Beschwerdebegründung S. 22).

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b) Die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zu den in Abzug zu bringenden steuerlichen Vorteilen machen das Berufungsurteil nicht zu einer unzulässigen Überraschungsentscheidung. Die Klägerin räumt ein, vom Oberverwaltungsgericht zur Vorlage von Steuerbescheiden aufgefordert worden zu sein, dieser Aufforderung aber nicht Folge geleistet zu haben (Beschwerdebegründung S. 17 f.). Mit der naheliegenden, wenn nicht gar zwingenden Konsequenz, dass das Oberverwaltungsgericht die Höhe der steuerlichen Vorteile schätzen würde (UA S. 53), musste sie ohne Weiteres rechnen. Eines vorherigen Hinweises des Oberverwaltungsgerichts, welche Folgerungen es aus der Nichtvorlage der Steuerbescheide zu ziehen gedenke, bedurfte es nicht (vgl. Beschluss vom 26. Juni 1998 - BVerwG 4 B 19.98 - NVwZ-RR 1998, 711). Der Einwand der Klägerin, sie habe die Bescheide nicht beigebracht, weil sie für die Entscheidung "offensichtlich ohne jede Bedeutung sind", ist unbeachtlich. Entscheidend ist, dass die gegenteilige Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts für die Klägerin erkennbar war.

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c) Es führt ebenfalls nicht auf eine unzulässige Überraschungsentscheidung, dass das Oberverwaltungsgericht bei den Kosten der Bewirtschaftung des F...-Hochhauses die Betriebskosten nicht eingerechnet hat (Beschwerdebegründung S. 19). Nachdem bereits der Sachverständige K... in seinem Gutachten keine Betriebskosten in die Bewirtschaftungskosten aufgenommen hatte und die Klägerin mit ihrem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag gescheitert war, zu den Betriebskosten ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen (UA S. 50), konnte sich die Klägerin auch ohne vorsorgenden gerichtlichen Hinweis ein Bild davon machen, wie sich das Oberverwaltungsgericht zu dem Thema Betriebskosten mutmaßlich äußern werde.

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d) Die Klägerin sieht das Berufungsurteil ferner als unzulässige Überraschungsentscheidung an, weil das Oberverwaltungsgericht sie so behandelt habe, als habe sie von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln für die Erhaltung des denkmalgeschützten F...-Hochhauses in Anspruch zu nehmen (UA S. 54). Sie habe im Einzelnen dargelegt, warum es aussichtslos gewesen wäre, einen Zuwendungsantrag zu stellen. Das Oberverwaltungsgericht habe in der Folgezeit nicht erkennen lassen, dass es das Nichtstellen von Förderanträgen zu Lasten der Klägerin auslegen werde (Beschwerdebegründung S. 20).

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Das Schweigen des Oberverwaltungsgerichts begründet keinen Gehörsverstoß. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht weder zu einem Rechtsgespräch noch dazu, seine Rechtsauffassung den Beteiligten vorher anzudeuten oder seine mögliche spätere Beweiswürdigung mitzuteilen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. April 1987 - 1 BvR 883/86 - DB 1987, 2287 <2288>). Etwas anderes mag gelten, wenn das Oberverwaltungsgericht einer Rechtsauffassung zuneigt, mit der ein gewissenhafter und sachkundiger Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben. Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, ein Denkmaleigentümer könne sich dann nicht mit dem Einwand entlasten, ein Förderantrag habe nach seiner Einschätzung keine Aussicht auf Erfolg, wenn eine Förderung nicht ausgeschlossen sei, hatte zuvor schon das Oberverwaltungsgericht Koblenz vertreten (OVG Koblenz, Urteil vom 26. Mai 2004 - 8 A 12009/03 - BauR 2005, 535). Und dass ein solcher Sachverhalt hier vorliegt, war der Klägerin bekannt, weil der Beklagte während des Prozesses auf verschiedene, im Einzelnen bezeichnete Möglichkeiten hingewiesen hatte, wie die Erhaltung und Sanierung des F...-Hochhauses von dritter Seite finanziell gefördert werden könnten (UA S. 54 f.).

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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.