Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 25.04.2016


BVerwG 25.04.2016 - 4 B 11/16

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
25.04.2016
Aktenzeichen:
4 B 11/16
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2016:250416B4B11.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 4. Dezember 2015, Az: 7 A 825/14, Urteilvorgehend VG Köln, 31. März 2014, Az: 23 K 5553/13

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

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Das Oberverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sowohl unzulässig als auch unbegründet ist. Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. September 1991 - 2 B 108.91 - juris Rn. 4 und vom 9. Dezember 1994 - 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4; stRspr). Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. Vorliegend scheitert der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde schon insoweit, als er sich gegen die Abweisung der Klage als unzulässig wendet. Der Senat braucht daher nicht zu prüfen, ob die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Abweisung der Klage als unbegründet erfolgreich ist.

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Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig behandelt, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO erhoben worden sei. Die Frist habe spätestens Anfang 2008 begonnen, als der Kläger von der Erteilung der angefochtenen Baugenehmigung zuverlässige Kenntnis hätte erlangen müssen, und Anfang 2009 geendet. Bei Klageerhebung im Juni 2013 sei sie längst verstrichen gewesen (UA S. 12). Dies beanstandet der Kläger unter Berufung auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO (Beschwerdebegründung S. 14 ff.).

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1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Kläger beimisst.

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a) Der Kläger möchte in einem Revisionsverfahren grundsätzlich klären lassen, ob ein förmliches Widerspruchsverfahren gegen einen positiven Bauvoranfragebescheid eine nachfolgende Baugenehmigung als von vornherein in ein Widerspruchsverfahren einbezogen erfasst, wenn der Widerspruch von der Baugenehmigungsbehörde entgegen schriftlicher Ankündigung nicht beschieden wird, jedoch das Baugenehmigungsverfahren ohne Beteiligung des angrenzenden Nachbarn und Widerspruchsführers in dessen Unkenntnis betrieben und die Genehmigung erteilt wird. Die Frage führt ungeachtet der Tatsache, dass sie auf die Umstände des Einzelfalls zugeschnitten ist, nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision, weil sie für die Vorinstanz keine Rolle gespielt hat - für das Oberverwaltungsgericht kam es allein auf die Statthaftigkeit des vorsorglich eingelegten Widerspruchs gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung an (UA S. 16) - und eine für die Entscheidung der Tatsacheninstanz nicht maßgebliche Rechtsfrage die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen vermag (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2008 - 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65 Rn. 5). Das Revisionsgericht ist nicht dazu da, nach Art eines Gutachtens Rechtsfragen zu klären, die sich das Berufungsgericht nicht gestellt und die es deshalb auch nicht beantwortet hat.

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b) Dem Kläger geht es ferner um die Klärung der Frage, ob der von einem belastenden Verwaltungsakt Betroffene die Wahlmöglichkeit zwischen einem Widerspruch und einer Klage hat, wenn es kraft Gesetzes vor der Erhebung einer Klage der Nachprüfung im Vorverfahren nicht "bedarf". Auch diese Frage löst die Zulassung der Revision nicht aus. Nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO bedarf es vor der Erhebung einer Anfechtungsklage einer Nachprüfung der Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsakts nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt. Entgegen der These der Beschwerde räumt die Vorschrift einem Kläger nicht die Wahlmöglichkeit zwischen einem Widerspruchsverfahren und einem Klageverfahren ein. Sie ermächtigt den Bundes- oder Landesgesetzgeber zu der Anordnung, dass ein Widerspruchsverfahren entfällt. Wird eine solche Anordnung getroffen, wie sie das Oberverwaltungsgericht hier der Regelung des § 2 Nr. 3 Satz 2 des ersten Gesetzes zum Bürokratieabbau (GV. NRW. 2007 S. 133 - Bürokratieabbaugesetz I) entnommen hat (UA S. 16), ist trotz des unscharfen Wortlauts ("bedarf es nicht") der Widerspruch nicht statthaft (Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Aufl. 2014, § 68 Rn. 18). Das hat das Oberverwaltungsgericht richtig erkannt. Davon zu trennen ist die Frage, ob der Bundes- oder ein Landesgesetzgeber ein Wahlrecht zwischen Widerspruch und Klage vorsehen darf. Sie stellt sich hier nicht, weil das Oberverwaltungsgericht aus § 2 Nr. 3 Satz 2 des Bürokratieabbaugesetzes I ein solches Wahlrecht nicht abgeleitet hat. Ob seine Auslegung und Anwendung der Vorschrift richtig ist, entzieht sich nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO der revisionsgerichtlichen Prüfung, weil es sich bei der Norm um irrevisibles Landesrecht handelt.

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c) Die Frage, ob eine Klage nach Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO nach Treu und Glauben als verfristet angesehen werden kann, wenn sich die Baugenehmigungsbehörde selbst arglistig verhält, ist nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat die Geltung des § 58 Abs. 2 VwGO aus dem Grundsatz von Treu und Glauben innerhalb des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses abgeleitet (UA S. 11, 12). Ein etwaiges Fehlverhalten der Baugenehmigungsbehörde war für das Gericht nicht von Bedeutung.

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2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.

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a) Der Kläger rügt einen Verstoß gegen die Grundsätze der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht habe verkannt, dass der Telefonvermerk vom 3. Dezember 2007 keinen Beweiswert für die entscheidungserhebliche Tatsache habe, ob der Bevollmächtigte des Klägers und die Zeugin B. von der Beklagten über einen Termin zur Einsichtnahme in die maßgeblichen Baugenehmigungsakten gesprochen hätten.

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Mängel bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz, die mit der Verfahrensrüge beanstandet werden können, liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht (stRspr; vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 S. 1 und Beschluss vom 13. Februar 2012 - 9 B 77.11 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 73 Rn. 7), also etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert (BVerwG, Beschlüsse vom 13. Februar 2012 a.a.O. und vom 21. Mai 2013 - BVerwG 2 B 67.12 - juris Rn. 18 m.w.N.). Der Kläger behauptet zwar, das Oberverwaltungsgericht habe den Sachverhalt aktenwidrig festgestellt, unterlegt dies allerdings nicht mit Ausführungen, die den Erfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechen. Die Verfahrensrüge der aktenwidrigen Feststellung des Sachverhalts nötigt zu dem schlüssigen Vortrag, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unstreitigen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben, und verlangt eine genaue Darstellung des Widerspruchs durch konkrete Textstellen aus dem vorinstanzlichen Verfahren (BVerwG, Beschluss vom 2. November 1999 - BVerwG 4 BN 41.99 - juris Rn. 24). Diesen Anforderungen entspricht das Beschwerdevorbringen nicht. Es erschöpft sich in einer Kritik an der tatrichterlichen Würdigung des Streitstoffes. Das Oberverwaltungsgericht ist - legt man das Beschwerdevorbringen zugrunde - nicht von einem unzutreffenden Akteninhalt ausgegangen, sondern hat den insoweit unstreitigen Sachverhalt in einem Sinne gewürdigt, der für die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsposition ungünstig ist. Das stellt keine "aktenwidrige" Sachverhaltsfeststellung dar.

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Der Vorwurf des Klägers, das Oberverwaltungsgericht habe bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung gegen Denkgesetze verstoßen, verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Dies gilt unabhängig von den Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer entsprechenden Verfahrensrüge (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1988 - BVerwG 4 B 100.88 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 34 S. 4) schon deshalb, weil von einem Verstoß gegen die Denkgesetze nur dann gesprochen werden kann, wenn das Gericht - wie hier nicht - einen Schluss gezogen hat, der schlechterdings nicht gezogen werden kann, nicht dagegen schon dann, wenn eine Schlussfolgerung nicht zwingend oder nicht überzeugend oder sogar unwahrscheinlich sein sollte (BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 1996 - 8 B 98.96 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 270 S. 31).

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b) Einen Verstoß gegen die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung (§ 86 Abs. 1 VwGO) sieht der Kläger in der Ablehnung des Antrags, durch Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens und einer kriminologischen Untersuchung des Zettels mit dem Telefonvermerk Beweis über die Tatsache zu erheben, dass der Zettel nicht am 3. Dezember 2007 oder 21. Januar 2008 beschriftet, sondern erst im Verlaufe des Klageverfahrens und erst nachträglich in die Akte eingepflegt worden ist, bevor die Akte in den Besitz des Gerichts gekommen ist. Die Kritik des Klägers ist unberechtigt. Der Frage, wann die Telefonnotiz zur Akte gelangt ist, musste das Oberverwaltungsgericht nicht nachgehen, weil es nach seiner insofern allein maßgeblichen Rechtsauffassung (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 105 <119>) darauf nicht ankam. Für das Gericht war unschädlich, dass die Zeugin B. nicht sagen konnte, wann die Notiz in den Aktendeckel geklebt worden ist (UA S. 13). Es hat seine Überzeugung, dass am 3. Dezember 2007 zwischen dem Prozessbevollmächtigten des Klägers und der Zeugin ein Telefongespräch zur Abstimmung eines Termins zur Einsichtnahme in die Bauakten stattgefunden hat, auf die Aussage der Zeugin gegründet, die Telefonnotiz trage ihre Handschrift und sei von ihr mutmaßlich am Tag des Telefonats gefertigt worden, weil sie kein gesondertes Ausfertigungsdatum notiert habe. Sollte der Beweisantrag darauf gerichtet gewesen sein, die Telefonnotiz als Fälschung zu enttarnen, brauchte ihm das Oberverwaltungsgericht nicht zu entsprechen, sondern durfte ihn mit der Begründung als unsubstantiiert ablehnen, er sei ohne greifbare Anhaltspunkte für den Wahrheitsgehalt der Beweistatsache "ins Blaue hinein" gestellt worden.

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c) Mit der Gehörsrüge kritisiert der Kläger, dass das Oberverwaltungsgericht nicht den gesamten Akteninhalt zur Kenntnis genommen habe und auch auf seinen Vortrag nicht eingegangen sei, dass er eine schriftliche Beantwortung seines Widerspruchs gegen den Bauvorbescheid und eine Beteiligung am Baugenehmigungsverfahren habe erwarten können. Die Rüge geht fehl.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist in der Regel davon auszugehen, dass das Gericht bei seiner Entscheidung die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das gilt auch für Vorbringen, das in den Entscheidungsgründen nicht erörtert ist. Das Gericht ist nicht gehalten, das gesamte Vorbringen in den Entscheidungsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO), sondern darf sich auf die Gründe beschränken, die für seine Entscheidung leitend gewesen sind. Darum ist der Schluss von der Nichtbehandlung eines Vorbringens in den Entscheidungsgründen auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur unter der Voraussetzung zulässig, dass das betreffende Vorbringen nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts entscheidungserheblich und nicht offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <146>; BVerwG, Beschluss vom 25. November 1999 - 9 B 70.99 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 64 S. 8). Der Kläger zeigt nicht auf, dass diese Voraussetzung hier erfüllt ist.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.