Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 09.04.2019


BVerwG 09.04.2019 - 4 B 10/19

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
09.04.2019
Aktenzeichen:
4 B 10/19
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2019:090419B4B10.19.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 27. November 2018, Az: 1 B 16.1879, Urteilvorgehend VG München, 28. Oktober 2010, Az: M 11 K 10.278, Urteil

Gründe

1

Die klagende Gemeinde wendet sich gegen eine Baugenehmigung für die Erweiterung eines Gebäudes im Außenbereich (im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 3. August 2016 - 4 C 3.15 - BVerwGE 155, 390). Der beigeladene Bauherr hält sein Vorhaben für begünstigt nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB, da ein zulässigerweise errichtetes Wohngebäude erweitert werde. Die Klage der Gemeinde war in den Vorinstanzen erfolgreich. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, eine Wohnnutzung ab dem Jahr 1959 sei nicht nachgewiesen, jedenfalls aber im Jahr 1989 aufgegeben worden (UA Rn. 29).

2

Die auf alle Revisionszulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos.

3

Das angegriffene Urteil ist auf zwei selbstständig tragende Begründungen gestützt. Die Zulassung der Revision setzt daher voraus, dass in Bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund dargelegt wird und vorliegt. Denn anderenfalls käme es auf die Begründung, für die ein Zulassungsgrund gegeben ist, nicht weiter an (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 3 B 38.16 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 3). Die Beschwerde legt bezogen auf die Begründung der Vorinstanz, die Aufnahme einer Wohnnutzung seit 1959 sei nicht nachgewiesen, keinen Zulassungsgrund dar.

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1. Die Rechtssache hat insoweit keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

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Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen,

welche Anforderungen an den Nachweis einer andauernden Wohnnutzung als Voraussetzung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 Buchstabe a BauGB zu stellen sind, insbesondere wenn die in Frage stehende zulässigerweise Errichtung mehrere Jahrzehnte zurück liegt.

6

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>).

7

Die Frage zeigt keinen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich des Beweismaßes auf. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung. Das Gericht muss die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht nur von der Wahrscheinlichkeit einer unter Beweis gestellten Tatsache gewinnen (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 - BVerwGE 71, 180 <181>), das bloße Für-Möglich-Halten einer Tatsache genügt nicht (BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2010 - 10 B 7.10 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 8). Das Gericht darf aber keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist. In zweifelhaften Fällen muss sich das Gericht daher mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BVerwG, Beschluss vom 16. Mai 2013 - 8 B 70.12 - ZOV 2013, 131 Rn. 19).

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Es besteht kein Anlass, die Anforderungen an das Beweismaß zu senken. Der Wortlaut des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB bietet dafür keinen Anhaltspunkt. Es fehlt auch eine sachtypische Beweisnot, die unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG für derartige Überlegungen Anlass geben könnte (vgl. Vierhaus, Beweisrecht im Verwaltungsprozess, 2011, Rn. 391). Zwar kann § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB lange zurückliegende Vorgänge betreffen. Es werden aber regelhaft nicht nur Zeugen als Beweismittel in Betracht kommen, sondern auch Urkunden wie Bauanträge, Baugenehmigungen und Meldeunterlagen oder Objekte des Augenscheins wie etwa Fotografien und die vorhandene Bausubstanz. Im Übrigen ist es Sache der Tatgerichte, im Rahmen der Beweiswürdigung dem Zeitablauf Rechnung zu tragen (vgl. UA Rn. 34).

9

2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

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Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14).

11

Die Beschwerde entnimmt dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. März 2004 - 4 B 15.04 - (BRS 67 Nr. 70) den Rechtssatz, dass zum Begriff des Wohnens eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts gehört. Diesem Rechtssatz hat sich der Verwaltungsgerichtshof angeschlossen (UA Rn. 30). Die Beschwerde sieht aber eine Divergenz zu der Aussage der Vorinstanz, die Abgrenzung eines dauerhaften Wohnens von der bloßen Ferien- bzw. Wochenendhausnutzung erfordere eine Gesamtbetrachtung sowohl der baulichen Gegebenheiten als auch des Nutzungszwecks (UA Rn. 30). Damit erschienen die baulichen Gegebenheiten als eigenständiges und mit dem Nutzungszweck gleichwertiges Tatbestandsmerkmal.

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Dies führt nicht auf eine Divergenz. Der Rechtssatz aus dem Senatsbeschluss vom 25. März 2004 - 4 B 5.04 - (BRS 67 Nr. 70) bestimmt nicht, anhand welcher Maßstäbe und Umstände die tatbestandlichen Voraussetzungen des Wohnens zu prüfen sind. Im Übrigen ist geklärt, dass für die Erfüllung des Wohnbegriffs das Nutzungskonzept und seine grundsätzliche Verwirklichung maßgeblich sind (BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2017 - 4 C 5.16 - BVerwGE 160, 104 Rn. 17). Dass der baulichen Gestalt eines Gebäudes insoweit indizielle Bedeutung zukommt, stellt die Beschwerde nicht in Abrede (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2017 a.a.O. Rn. 30 zu Ferienhäusern). Sie kommt in dem angegriffenen Urteil in der Formulierung zum Ausdruck, die baulichen Gegebenheiten seien Teil einer Gesamtbetrachtung. In dieser haben sie indizielle Bedeutung erlangt (vgl. UA Rn. 32: "Gegen eine Dauerwohnnutzung spricht zunächst ...").

13

3. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt nicht vor.

14

Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Der in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO niedergelegte Grundsatz der freien Beweiswürdigung eröffnet dem Tatrichter einen Wertungsrahmen und beschränkt zugleich die revisionsgerichtliche Kontrolle der Tatsachenfeststellung, weil die Grundsätze der Beweiswürdigung revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen sind. Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts ist vom Revisionsgericht nicht daraufhin zu überprüfen, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die tatrichterliche Sachverhaltsfeststellung zu tragen. Deshalb ist die Einhaltung der sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden Verpflichtungen des Tatrichters nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter aus dem vorliegenden Tatsachenmaterial andere Schlüsse ziehen will als das Tatsachengericht. Ein Verfahrensfehler in Form der Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann aber ausnahmsweise dann vorliegen, wenn die Beweiswürdigung gesetzliche Beweisregeln außer Acht lässt, objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet bzw. irrtümlich annimmt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2019 - 4 B 73.17 - juris Rn. 3 ff. m.w.N.).

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Die Kritik des Beigeladenen an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung zeigt solche Fehler nicht auf. Greifbare Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit des Tatsachengerichts legt die Beschwerde nicht dar. Der Verwaltungsgerichtshof durfte ohne Verstoß gegen Verfahrensrecht die bauliche Gestalt des Gebäudes und die Bezeichnung im Bauantrag als Wochenendhaus ebenso in seine Gesamtbetrachtung einbeziehen wie das Vorhandensein einer Wohnung der Eltern des Beigeladenen in München (UA Rn. 32 f.). Mit ihrer Annahme zum Rollenverständnis in einer Ehe in den 1950er und 1960er Jahre hat die Vorinstanz keinen allgemeinen und damit unwiderlegbaren Erfahrungssatz angenommen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. April 1994 - 8 C 29.92 - BVerwGE 95, 341 <351>), sondern nur dargelegt, warum es Gründe für ein Getrenntleben der Eltern nicht erkennen konnte. Auch die weitere Kritik des Beigeladenen an der Würdigung einzelner Zeugenaussagen führt auf keinen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO; die fehlerhafte Bezeichnung einer Aussage als wenig "glaubwürdig" (UA Rn. 35) anstelle von "glaubhaft" ist unschädlich.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.