Entscheidungsdatum: 10.11.2016
Die beabsichtigte Entscheidung des 2. Strafsenats widerspricht der Rechtsprechung des 4. Strafsenats, der an dieser festhält.
1. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs beabsichtigt zu entscheiden:
„Die Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln richtet sich nicht gegen das Vermögen des Genötigten und erfüllt daher nicht den Tatbestand der Erpressung.“
Er hat daher mit Beschluss vom 1. Juni 2016 (2 StR 335/15) bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob sie dem zustimmen oder an etwa entgegenstehender Rechtsprechung festhalten.
2. Der beabsichtigten Entscheidung des 2. Strafsenats steht Rechtsprechung des 4. Strafsenats entgegen. Der Senat hat in zahlreichen nicht begründeten Beschlüssen nach § 349 Abs. 2 StPO vorausgesetzt, dass Betäubungsmittel – auch wenn diese in strafbarer Weise besessen werden – zu dem nach §§ 253 ff. StGB geschützten Vermögen gehören, so zuletzt mit Beschluss vom 27. September 2016 im Verfahren 4 StR 392/16. Auch dem Urteil vom 27. Mai 2008 (4 StR 150/08, NStZ 2008, 569 f.) liegt diese Rechtsauffassung zugrunde. Weil der Angeklagte in dem dort zu entscheidenden Fall vom Tatopfer aber ein Kilogramm Kokain oder – alternativ – den entsprechenden Gegenwert in Geld gefordert hatte, kam es für die Annahme einer versuchten räuberischen Erpressung auf die vom anfragenden Senat aufgeworfene Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich an.
3. Der Senat hält – nach Beratung im Plenum – an dieser Rechtsprechung fest. Er kann der beabsichtigten Entscheidung des 2. Strafsenats schon mit Blick auf die weit gefasste Vorlegungsfrage nicht zustimmen. Von ihr werden jegliche Betäubungsmittel und jegliche Form des Besitzes an Betäubungsmitteln erfasst, also auch solche, die nach Maßgabe von § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. den Anlagen I bis III zum BtMG verkehrsfähig bzw. verschreibungsfähig sind.
Auch in den Fällen des nicht erlaubnispflichtigen beziehungsweise erlaubten Betäubungsmittelbesitzes (§§ 3, 4 BtMG) besteht kein sachlicher Grund, den Anwendungsbereich der Vermögensdelikte einzuschränken.
Soweit sich die Anfrage auf illegal besessene Betäubungsmittel bezieht, kann sich der Senat der Rechtsansicht des 2. Strafsenats nicht anschließen. Eine Versagung des Vermögensschutzes ist auch in diesen Fällen nicht angezeigt.
Der Senat hat sich zu dieser Frage in seinem Urteil vom 25. November 1951 (4 StR 574/51, BGHSt 2, 364, 365 ff.) der Rechtsprechung des Reichsgerichts angeschlossen, die seit der Entscheidung vom 14. Dezember 1910 – II 1214/10, RGSt 44, 230) vom wirtschaftlichen Vermögensbegriff ausgeht. Danach sind auch in strafbarer Weise besessene Gegenstände dem Vermögen zuzuordnen. Maßgeblich ist allein, ob dem Besitz ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, was regelmäßig zu bejahen ist, wenn mit dem Besitz wirtschaftlich messbare Gebrauchsvorteile verbunden sind, die der Täter nutzen will (zuletzt Senat, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 701 mwN). Dies ist bei illegalen Betäubungsmitteln der Fall.
Die Anfrage gibt keinen Anlass, den in der Praxis bewährten und insbesondere aus kriminalpolitischen Gesichtspunkten sachgerechten wirtschaftlichen Vermögensbegriff – mit erheblichen Weiterungen auch für zahlreiche andere Fallkonstellationen – generell aufzugeben. Auch eine ausnahmsweise Einschränkung des Vermögensschutzes nur für den illegalen Betäubungsmittelbesitz kommt aus Sicht des Senats nicht in Betracht. Vielmehr ist auf der Grundlage des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs auch in diesen Fallkonstellationen an der strafrechtlichen Sanktionierung festzuhalten.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin