Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 22.02.2018


BPatG 22.02.2018 - 35 W (pat) 405/12

Gebrauchsmusterbeschwerdeverfahren – Löschungsverfahren – Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss - "Doppelvertretungskosten im Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren" – zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Rechtsanwalts zusätzlich zu den Kosten eines Patentanwalts


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
35. Senat
Entscheidungsdatum:
22.02.2018
Aktenzeichen:
35 W (pat) 405/12
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:220218B35Wpat405.12.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In Sachen

betreffend das Gebrauchsmuster …

(hier: Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss)

hat der 35. Senat (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 22. Februar 2018 durch den Vorsitzenden Richter Metternich sowie die Richterin Bayer und den Richter Eisenrauch

beschlossen:

1. Auf die Erinnerung der Antragsgegnerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Bundespatentgerichts vom 7. März 2017 aufgehoben und es werden die aufgrund des am 26. September 2013 zwischen den Parteien vor dem 35. Senat des Bundespatentgerichts geschlossenen Vergleichs von der Antragstellerin der Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten auf insgesamt

14.749,75 €

(– in Worten: vierzehntausendsiebenhundertneunundvierzig und 75/100 EURO –)

festgesetzt.

Der zu erstattende Betrag ist vom 8. August 2014 an mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

2. Die Kosten des Erinnerungsverfahrens hat die Antragstellerin und Erinnerungsgegnerin zu tragen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Die vorliegende Antragsgegnerin, Beschwerdegegnerin und Erinnerungsführerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) war Inhaberin des am 13. Januar 2005 eingetragenen Gebrauchsmusters … (Streitgebrauchsmuster) mit der Bezeichnung „…“, das zwischenzeitlich nach Erreichen der maximalen Schutzdauer erloschen ist.

2

Die Antragstellerin, Beschwerdeführerin und Erinnerungsgegnerin (im Folgenden: Antragstellerin) hatte am 13. November 2009 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) den Antrag gestellt, das Streitgebrauchsmuster in vollem Umfang zu löschen. Vor Stellung des Löschungsantrags hatte die Antragsgegnerin eine einstweilige Verfügung gegen die Antragstellerin vor dem LG D… (Az. …) wegen Verletzung des Streitgebrauchsmusters erwirkt. Die Beteiligten hatten sodann eine schriftliche Vereinbarung getroffen, dass das vor dem LG D… anhängige Verletzungsverfahren solange von keiner der Beteiligten weiterbetrieben würde, bis das patentamtliche Löschungsverfahrens rechtskräftig abgeschlossen sei (im Folgenden: Stillhaltevereinbarung).

3

Mit einem am 26. September 2013 in der Beschwerdeinstanz vor dem erkennenden Senat geschlossenen Vergleich, in der die Antragsgegnerin durch ihren Patentanwalt und ihren Rechtsanwalt vertreten war, haben die Beteiligten sowohl das Löschungsverfahren als auch das parallele Verletzungsverfahren einvernehmlich für erledigt erklärt. In dem Vergleich hat sich die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin zur Erstattung der „Verfahrenskosten der Löschungsverfahren in beiden Rechtszügen aus dem Gegenstandswert von 250.000 €“ verpflichtet. Die Antragsgegnerin sieht in dem Umstand, dass ihr Rechtsanwalt aus dem Verletzungsverfahren auch in der Beschwerdeinstanz zum Löschungsverfahren tätig geworden war, die Grundlage dafür, dass ihr ein Erstattungsanspruch sowohl hinsichtlich der Kosten ihres Patentanwalts als auch hinsichtlich der Kosten ihres mitwirkenden Rechtsanwalts zustehe.

4

Mit Schriftsätzen vom 13. August 2013 und 29. Februar 2016 hat die Antragsgegnerin in Bezug auf das Beschwerdeverfahren beantragt, unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes in Höhe von 250.000 € die ihr von der Antragstellerin zu erstattenden Kosten festzusetzen. Ihr Antrag ist auf die Erstattung von Kosten gerichtet, die ihr durch das Tätigwerden ihrer beiden Anwälte (Patentanwalt und Rechtsanwalt) entstanden sind. Daneben beansprucht sie noch den Ersatz eigener Fahrt- und Hotelkosten sowie ein Abwesenheitsgeld, die bzw. das mit der Wahrnehmung des Verhandlungstermins durch einen ihren Prokuristen im Zusammenhang steht. Die insgesamt zur Kostenfestsetzung angemeldeten Beträge summierten sich gemäß einer im Schriftsatz vom 13. August 2014 enthaltenen Kostenaufstellung auf insgesamt 17.416,64 €.

5

Zusätzlich hat die Antragsgegnerin beantragt, den festzusetzenden Endbetrag gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO ab Antragstellung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

6

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 7. März 2017 hat die Rechtspflegerin des Bundespatentgerichts die der Antragsgegnerin von der Antragstellerin zu erstattenden Kosten des Beschwerdeverfahrens auf 7.547,75 € festgesetzt. Dieser Betrag errechnet sich ausgehend von einem Gegenstandswert in Höhe von 250.000 € aus der Addition einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr (2.667,60 €), einer 1,2-fachen Terminsgebühr (2.462,40 €), einer 1,0-fachen Einigungsgebühr (2.052,00 €), der Post- und Telekommunikationspauschale (20,00 €) und eines zu Gunsten der Antragsgegnerin festgesetzten Tagegeldes einschließlich von ihr geltend gemachter Fahrt- und Übernachtungskosten in Höhe von 345,75 €.

7

Der wesentliche Grund dafür, dass die Rechtspflegerin lediglich einen Betrag in Höhe von 7.547,75 € festgesetzt hat, liegt darin, dass sie die Kosten für den hinzugezogenen Rechtsanwalt nicht für erstattungsfähig angesehen hat. Sie ist der Auffassung, dass es sich bei den Kosten für eine Doppelvertretung nicht um notwendige Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gehandelt habe. Besondere rechtliche Schwierigkeiten im Verfahren seien nicht geltend gemacht worden. Auch könne nicht zurückgegriffen werden auf die in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 2012 – Az. X ZB 11/12 – (vgl. GRUR 2013, 427 ff. – „Doppelvertretung im Nichtigkeitsverfahren“) niedergelegten Grundsätze, wonach im Patentnichtigkeitsverfahren die Beauftragung eines Rechtsanwalts neben einem bevollmächtigten Patentanwalt dann typischerweise zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sei, wenn ein paralleles Verletzungsverfahren stattgefunden habe. Die dort gemachten Rechtsausführungen seien nicht auf Gebrauchsmusterlöschungsverfahren und damit auch nicht auf entsprechende Beschwerdeverfahren übertragbar. Dies habe der 35. Senat des Bundespatentgerichts im Verfahren 35 W (pat) 16/12 mit Entscheidung vom 13. Oktober 2016 (BlPMZ 2017, 96 ff.) festgestellt. Auf die Ausführungen in dieser Entscheidung werde vollumfänglich Bezug genommen.

8

Die Entscheidungsgründe enden mit dem Hinweis, es könne dahingestellt bleiben, ob auch ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes als ein parallel anhängiges Verletzungsverfahren anzusehen sei und die Erstattung einer Doppelvergütung rechtfertige.

9

Gegen diese Entscheidung, die der Antragsgegnerin am 27. März 2017 zugestellt worden ist, richtet sich ihre am 10. April 2017 beim Bundespatentgericht eingegangene Erinnerung. Sie ist der Auffassung, dass ihr auch für die Kosten ihres hinzugezogenen Rechtsanwalts ein Erstattungsanspruch zustehe. Die Antragsgegnerin ist – anders als die Rechtspflegerin – der Meinung, dass die im angefochtenen Beschluss genannte Rechtsprechung des BGH zur „Doppelvertretung in Nichtigkeitsverfahren“ auf den vorliegenden Fall einer Beschwerde im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren in vollem Umfang übertragbar sei.

10

Die Antragsgegnerin trägt ferner vor, es könne sich bei einem Parallelverfahren im Sinne der genannten BGH-Rechtsprechung auch um ein Verfahren handeln, das auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichtet sei. Mit dem in der genannten BGH-Entscheidung gewählten Begriff eines Verletzungsrechtsstreits seien nicht nur Verletzungsklagen, sondern auch Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint. Auch bei diesen entstehe regelmäßig ein besonderer Abstimmungsbedarf, der die Hinzuziehung des Rechtsanwalts zum patentamtlichen Löschungsverfahren notwendig mache. Damit sei auch hier die Grundlage für eine typisierende Betrachtungsweise gegeben. Im vorliegenden Fall hätten die Beteiligten selbst von Anfang an das landgerichtliche Verfügungsverfahren und das patentamtliche Löschungsverfahren in unmittelbare Abhängigkeit voneinander gestellt, was sich anhand der schriftlich getroffenen Stillhaltevereinbarung und des später geschlossenen Prozessvergleichs zeige.

11

Jene Kosten, die die Antragsgegnerin zu ihren Gunsten für erstattungsfähig hält, hat diese (gemäß der einschlägigen, bis zum 31. Juli 2013 geltenden Fassung der Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 RVG) in ihrer Erinnerungsschrift vom 10. April 2017 – wie folgt – aufgelistet:

12

 Gebührentatbestand

 VV RVG Nr.

 Satz 

 Betrag

§ 13 RVG

 Gegenstandswert gemäß §§ 2 Abs. 1, 33 RVG: 250.000,-- €

 Kosten des Patentanwalts

1)    

Verfahrensgebühr

3510   

1,3     

2.667,60 €

2)    

Terminsgebühr

3516   

1,2     

2.462,40 €

3)    

Einigungsgebühr

1003   

1,0     

2.052,00 €

4)    

Entgeltpauschale für Post- und

Telekommunikationsdienstleistungen

7002   

        

20,00 €

 Kosten des Rechtsanwalts

1)    

Verfahrensgebühr

3510   

1,3     

2.667,60 €

2)    

Terminsgebühr

3516   

1,2     

2.462,40 €

3)    

Einigungsgebühr

1003   

1,0     

2.052,00 €

4)    

Entgeltpauschale für Post- und

Telekommunikationsdienstleistungen

7002   

        

20,00 €

 Eigene Kosten der Antragsgegnerin

        

Fahrt- und Hotelkosten, Tagegeld gemäß §§ 5, 6 JVEG

                 

345,75 €

        

 Summe:

 14.749,75 €

=========

13

Die vorstehend aufgelisteten Rechnungsposten sind – mit Ausnahme jener vier unter dem Titel „Kosten des Rechtsanwalts“ gelisteten Posten – zwischen den Parteien außer Streit. Auch der im angefochtenen Beschluss enthaltene Verzinsungsausspruch wird von keiner der beiden Parteien beanstandet.

14

Die Antragsgegnerin und Erinnerungsführerin beantragt gemäß ihrer vorstehenden Auflistung,

15

den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Bundespatentgerichts vom 7. März 2017 aufzuheben und die ihr von der Antragstellerin zu erstattenden Kosten in Höhe von 14.749,75 € festzusetzen.

16

Die Antragstellerin und Erinnerungsgegnerin beantragt demgegenüber,

17

die Erinnerung der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

18

Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die Doppelvertretung durch einen Patentanwalt und einen zusätzlich hinzugezogenen Rechtsanwalt nicht geboten gewesen sei. In der Vergangenheit sei gebührenrechtlich immer zwischen einem Nichtigkeitsverfahren für Patente und einem Löschungsverfahren für Gebrauchsmuster unterschieden worden. Es gelte der Grundsatz, dass im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren die Kosten für eine Doppelvertretung durch einen Rechtsanwalt und einen Patentanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig seien und eine Partei durch einen Patentanwalt auch dann „vollwertig“ vertreten werde, wenn ein paralleles Verletzungsverfahren mit Hinzuziehung eines Rechtsanwalts anhängig sei. Diese Auffassung sei vom BGH bereits bestätigt worden (BGH GRUR 1965, 621 ff.). In einem Gebrauchsmusterlöschungsverfahren seien auch keine rechtlich schwierigen Fragen zu erwarten, die ausnahmsweise das Hinzutreten eines rechtsanwaltlichen Sachverstandes erforderlich machten. Nur bei schwierigen Rechtsfragen, die zudem den Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes überstiegen – was hier aber nicht vorliege –, sei eine Ausnahme möglich (BPatGE 51, 81, 85).

19

Die Rechtspflegerin habe offen gelassen, ob bei einem parallel zum Löschungsverfahren anhängigen einstweiligen Verfügungsverfahren typischerweise ein so hinreichender Abstimmungsbedarf entstehe, wie er von der genannten BGH-Rechtsprechung zur Rechtfertigung einer Doppelvergütung vorausgesetzt werde. Im vorliegenden Falle sei jedenfalls unter diesem Aspekt ein Abstimmungsbedarf offensichtlich zu verneinen gewesen. Durch die zwischen den Parteien geschlossene Stillhaltevereinbarung sei ein Hauptsacheverfahren vor dem LG D… ausgeschlossen worden und damit die Mitwirkung des Rechtsanwalts im Löschungsverfahren definitiv nicht mehr erforderlich gewesen.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

21

1. Die Rechtspflegererinnerung der Antragsgegnerin ist gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 12, Abs. 2 Satz 1 RPflG i. V. m. § 104 ZPO, § 18 Abs. 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 PatG zulässig. Sie ist auch rechtzeitig innerhalb der zweiwöchigen Rechtsbehelfsfrist des § 23 Abs. 2 Satz 2 RPflG eingelegt worden.

22

2. Die Erinnerung hat in der Sache in vollem Umfang Erfolg. Die Kosten für den im Löschungsbeschwerdeverfahren neben dem verfahrensbevollmächtigten Patentanwalt mitwirkenden Rechtsanwalt sind im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gewesen. Die Antragsgegnerin kann daher auch Ersatz dieser Rechtsanwaltskosten beanspruchen.

23

a) Die Festsetzung der erstattungsfähigen Kosten folgt im vorliegenden Gebrauchsmusterlöschungsbeschwerdeverfahren auf der Grundlage des zwischen den Parteien am 26. September 2013 geschlossenen Prozessvergleichs. Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die hiernach zur Kostenerstattung verpflichtete Antragstellerin die der Antragsgegnerin erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit diese zur zweckentsprechenden Verteidigung des Streitgebrauchsmusters notwendig waren.

24

b) Der erkennende Senat erachtet auch für ein Gebrauchsmusterlöschungs- und ein entsprechendes Beschwerdeverfahren die Anwendung der Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH, die dieser bei der Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten im patentrechtlichen Nichtigkeitsverfahren anwendet und die die Antragsgegnerin zu Recht zitiert hat (vgl. GRUR 2013, 427 ff.), für geboten. Danach kommt es entscheidend darauf an, dass zwischen den jeweils mandatierten Patent- bzw. Rechtsanwälten ein Abstimmungsbedarf vorliegt, wenn parallel zu einem Patentnichtigkeitsverfahren ein Verletzungsrechtsstreit geführt wird. Im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise gehören wegen dieses Abstimmungsbedarfs sowohl die Kosten eines Patentanwalts als auch die Kosten eines Rechtsanwalts zu den notwendigen Kosten des Verfahrens, wenn im Falle eines parallelen Verletzungsrechtsstreits im Nichtigkeitsverfahren sowohl ein Patentanwalt als auch ein Rechtsanwalt tätig geworden ist.

25

b1) Eine vergleichbare Sach- und Interessenlage ist auch in Fällen gegeben, in denen neben dem Gebrauchsmusterlöschungsverfahren parallel ein Verletzungsrechtsstreit zwischen den Beteiligten geführt wird und das gleiche Gebrauchsmuster betroffen ist. Auch wenn die jeweilige Gebührenstruktur beim Patentnichtigkeitsverfahren und beim Gebrauchsmusterlöschungsverfahren unterschiedlich ist und das Gebrauchsmusterlöschungsverfahren zunächst nicht vor Gericht, sondern zuerst beim DPMA ausgetragen wird, so ist der Abstimmungsbedarf in Bezug auf parallel anhängige Löschungsverfahren und Verletzungsprozesse dennoch als gleichartig mit dem Abstimmungsbedarf zu erachten, wie er typischerweise bei der Führung parallel anhängiger Patentnichtigkeitsverfahren und Patentverletzungsstreit gegeben ist. Insbesondere ist selbst bei „einfachen“ Verhandlungsstrategien eine konsistente, die wechselseitigen Auswirkungen von Löschungsverfahren und Verletzungsrechtsstreit hinsichtlich Sachvortrag, Auseinandersetzung mit Entgegenhaltungen und Antragsfassungen bezüglich des Gegenstandes des betreffenden Streitgebrauchsmusters berücksichtigende Verfahrensführung erforderlich. Auch im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren sind typischerweise komplexe Fragen zur Schutzfähigkeit oder auch zur Zulässigkeit von Anspruchsfassungen, die regelmäßig auch in Form mehrerer Hilfsanträge in das Verfahren eingeführt werden, zu klären, wobei sich gerade bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit die Prüfungsmaßstäbe hinsichtlich Erfindungshöhe einerseits und erfinderischem Schritt andererseits im Wesentlichen angeglichen haben (vgl. BGH GRUR 2006, 842– „Demonstrationsschrank“).

26

b2) Soweit der BGH in seinem Beschluss vom 1. April 1965 (Ia ZB 20/64, GRUR 1965, 621 ff. – „Patentanwaltskosten“) Doppelvertretungskosten im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren als regelmäßig nicht berücksichtigungsfähig erachtet hat, geht der Senat davon aus, dass diese Entscheidung überholt ist. Neben der bereits genannten Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten im patentrechtlichen Nichtigkeitsverfahren ist zu berücksichtigen, dass zum damaligen Zeitpunkt nicht nur bei der Kostenentscheidung, sondern auch bei der Kostenfestsetzung eine Billigkeitsprüfung stattfand (zweite Billigkeitsprüfung), die nach der jetzt geltenden Gesetzeslage nicht mehr zulässig ist (vgl. Busse/Engels, PatG, 8. Aufl., § 62, Rn. 2). Gleiches gilt damit auch bezogen auf die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Rechtsanwalts und/oder eines Patentanwalts, die im Beschwerdeverfahren tätig geworden sind. Die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten richtet sich nämlich nach denselben Regelungen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 PatG, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO), die im erstinstanzlichen Löschungsverfahren anzuwenden sind (vgl. Bühring, GebrMG, 8. Aufl., § 18 Rn. 140; Benkard/ Goebel/Engel, GebrMG, 11. Aufl., § 18 Rn. 24). Wenn demnach der Abstimmungsbedarf zwischen Löschungs- und Verletzungsverfahren (im Falle eines parallelen Verletzungsstreits) das entscheidende Kriterium für die Erstattung von Doppelvertretungskosten ist, dann besteht aus den bereits genannten Gründen in dieser Hinsicht kein Unterschied zwischen Patentnichtigkeitsverfahren und Gebrauchsmusterlöschungsverfahren. Für einen bestehenden Abstimmungsbedarf macht es auch keinen Unterschied, dass das Gebrauchsmusterlöschungsverfahren kein Klageverfahren ist, sondern vor dem DPMA beginnt.

27

b3) Wie bereits im Senatsbeschluss vom 17. Mai 2017 zum Verfahren 35 W (pat) 1/14 ausgesprochen (BlPMZ 2017, 373 ff.), hält der Senat an seiner im Beschluss vom 13. Oktober 2016 im Verfahren 35 W (pat) 16/12 (BlPMZ 2017, 96 ff.) geäußerten Auffassung nicht mehr fest, wonach aufgrund der Unterschiede in den Funktionen von Gebrauchsmusterlöschungsverfahren und patentrechtlichem Nichtigkeitsverfahren – nämlich einerseits erste Prüfung eines bisher ungeprüften Rechts und anderseits Klageverfahren – eine regelmäßige Erstattung von Doppelvertretungskosten in Gebrauchsmusterlöschungsverfahren abzulehnen sei. Zwar sind insbesondere aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Ausgestaltung in verfahrensrechtlicher Hinsicht deutliche Unterschiede gegeben. Jedoch sind weder der materielle Gehalt der jeweils angegriffenen Schutzrechte, der in beiden Verfahrenssystemen zu beurteilen ist, gerade mit Blick auf die bereits genannten, wesentlich angeglichenen Beurteilungsmaßstäbe noch die Verfahrenssituationen bei parallel anhängigen Verletzungsprozessen zwischen Gebrauchsmusterlöschungsverfahren und patentrechtlichem Nichtigkeitsverfahren derart unterschiedlich, als dass sich hieraus ein zwingender Grund für eine sachliche Differenzierung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten ergeben könnte. Im Gegenteil: Aus Sicht des Senats wäre aus den genannten Gründen eine unterschiedliche Beurteilung der Erstattungsfähigkeit sogenannter Doppelvertretungskosten im Nichtigkeits- und im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren nicht sachgerecht.

28

c) Unstreitig war zwischen den Beteiligten parallel zum Löschungsverfahren ein Rechtsstreit vor dem LG D… anhängig, in welchem die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin wegen Verletzung des Streitgebrauchsmusters eine einstweilige Verfügung erwirkt hatte. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin macht es keinen Unterschied, ob es sich bei dem vorliegenden Verletzungsstreit um ein einstweiliges Verfügungsverfahren oder ein Hauptsacheverfahren gehandelt hat. Hierdurch wird die Notwendigkeit einer Doppelvertretung, wie dies das Bundespatentgericht für das Patentnichtigkeitsverfahren bereits entschieden hat, grundsätzlich nicht in Frage gestellt (vgl. BPatGE 53, 173, 176 – „Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren VIII“ und BPatG GRUR-Prax 2017, 542).

29

Auch die Rechtslage nach Erlass einer einstweiligen Verfügung bietet den Parteien eine Reihe von Gestaltungsmöglichkeiten, die eine gegenseitige Abstimmung anhand von den in den parallelen Verfahren jeweils erhaltenen Informationen und gewonnenen Erkenntnissen typischerweise geboten erscheinen lassen. Ein Erfolg oder auch nur teilweiser Erfolg einer der beiden am vorliegenden Löschungsbeschwerdeverfahren beteiligten Parteien hätte unmittelbar Auswirkungen auf den Verletzungsstreit gehabt. In diesem Fall hätte z. B. die erstrittene einstweilige Verfügung aufgehoben und/oder ggf. eine Hauptsacheklage eingereicht werden können. Durch die anfänglich geschlossene Stillhaltevereinbarung wurde der im Hintergrund weiterhin latent vorhandene Verletzungsstreit – im Gegensatz zur Auffassung der Antragstellerin – nicht etwa beendet, sondern ausdrücklich mit dem Ausgang des Löschungsbeschwerdeverfahrens verknüpft. Damit bestand vorliegend eine zeitliche Parallelität und auch eine inhaltliche Konnexität zwischen dem (gemäß Nr. 2 der Stillhaltevereinbarung nur ruhenden) Verletzungsstreit einerseits und dem Löschungsverfahren andererseits über den gesamten Zeitraum der ersten Instanz hinweg, und diese Zweigleisigkeit wurde schließlich erst durch den später im Beschwerdeverfahren erreichten Prozessvergleich beendet. Letztlich war es für die Antragsgegnerin aus „ex ante“ Sicht, also ab Zustellung des Löschungsantrags, objektiv sinnvoll und zweckmäßig, ihren Rechtsanwalt, der für sie bereits das einstweilige Verfügungsverfahren betrieben hatte, auch zum Löschungsbeschwerdeverfahren hinzuzuziehen und diesen nachbereitend und begleitend jene Rechts- und Strategiefragen mitbeurteilen zu lassen, die im Zusammenhang mit der zwischen den Parteien getroffenen Stillhaltevereinbarung aktuell aufgeworfen wurden.

30

Hiernach waren in Abweichung vom angefochtenen Beschluss die der Antragsgegnerin von der Antragstellerin zu erstattenden Kosten um die Kosten des von der Antragsgegnerin hinzugezogenen Rechtsanwalts zu erweitern. Im Übrigen hat der erkennende Senat keine Bedenken, in der Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG einen Bestandteil jener Verfahrenskosten zu sehen, zu deren Erstattung sich die Antragstellerin in dem am 26. September 2013 geschlossenen Prozessvergleich gegenüber der Antragsgegnerin verpflichtet hat (vgl. hierzu: OLG Brandenburg, MDR 2006, 1017). Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses waren somit die der Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten antragsgemäß auf 14.749,75 € festzusetzen.

31

3. Der im angefochtenen Beschluss enthaltene, außer Streit stehende Verzinsungsausspruch, der seine Grundlage in § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO i. V. m. § 247 BGB hat, war bezogen auf den neu festgesetzten Betrag unverändert wieder in den Tenor des vorliegenden Beschlusses aufzunehmen.

32

4. Die Kostenentscheidung zu Lasten der im Erinnerungsverfahren unterlegenen Antragstellerin und Erinnerungsgegnerin beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Anwendbarkeit der Regelung ergibt sich aus § 18 Abs. 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG sowie aus § 23 Abs. 2 Satz 3 RPflG i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 7 RPflG (vgl. auch: Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 567 Rn. 51).

III.

33

Die Rechtsbeschwerde gegen die vorliegende Kostenfestsetzungsentscheidung wird gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO zugelassen (vgl. BGH GRUR 2013, 427, 428 [Rz. 14]). Die Regelung des § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG, die i. V. m. § 574 ZPO den Rechtsweg zum Bundesgerichtshof eröffnet, ist gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 GebrMG entsprechend auf die Kostenfestsetzungsentscheidung zum vorliegenden Beschwerdeverfahren anwendbar. Die Frage, ob die in der Entscheidung des BGH vom 18. Dezember 2012 – Az. X ZB 11/12 –„Doppelvertretung im Nichtigkeitsverfahren“ (BGH a. a. O.) niedergelegten Grundsätze ohne weiteres auf das Gebrauchsmusterlöschungsverfahren und ein sich hieran anschließendes Beschwerdeverfahren übertragbar sind, ist eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Gleiches trifft auf die Frage zu, ob im Sinne der genannten BGH-Rechtsprechung ein paralleler „Verletzungsrechtsstreit“ auch ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sein kann und ggf. ob bereits mit dem Erlass der einstweiligen Verfügung ein solcher Verletzungsrechtsstreit – unter dem hier interessierenden Kostengesichtspunkt – zwingend und in jedem Falle als beendet anzusehen wäre. Vom Senat hierzu bereits in anderen Verfahren zugelassene Rechtsbeschwerden sind nicht eingelegt worden.