Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 17.05.2018


BPatG 17.05.2018 - 35 W (pat) 3/15

Gebrauchsmusterbeschwerdeverfahren – Kostenfestsetzungsverfahren – "Doppelvertretungskosten im Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren" – zur Erstattungsfähigkeit


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
35. Senat
Entscheidungsdatum:
17.05.2018
Aktenzeichen:
35 W (pat) 3/15
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:170518B35Wpat3.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Doppelvertretungskosten im Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren

Zur Erstattungsfähigkeit sog. Doppelvertretungskosten im Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren.

Tenor

In Sachen

betreffend das Gebrauchsmusters …

(hier: Kostenfestsetzungsverfahren)

hat der 35. Senat (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 17. Mai 2018 durch den Vorsitzenden Richter Metternich sowie die Richterin Bayer und den Richter Eisenrauch

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. November 2014 aufgehoben und

die von der Antragsgegnerin der Antragstellerin zu erstattenden Kosten des patentamtlichen Löschungsverfahrens werden auf

7.208,08 €

(in Worten: siebentausendzweihundertacht 8/100 Euro)

festgesetzt.

Dieser Betrag ist ab dem 20. September 2012 mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

3. Die Erstattung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen und zwar beschränkt auf die Frage der Erstattungsfähigkeit der Kosten eines hinzugezogenen Rechtsanwalts im Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren, der in einem parallelen Verletzungsstreit tätig geworden ist.

Gründe

I.

1

Die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) war Inhaberin des am 4. Mai 2000 eingetragenen Gebrauchsmusters 298 20 129.1 (Streitgebrauchsmuster) mit der Bezeichnung „… “, das am 1. Dezember 2008 nach Erreichen der maximalen Schutzdauer erloschen war.

2

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragstellerin) hatte am 14. August 2009 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) den Antrag gestellt, festzustellen, dass das Streitgebrauchsmuster im Umfang des Schutzanspruchs 1 unwirksam gewesen war. Anlass für den Feststellungsantrag war eine Klage, die die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin vor dem LG Düsseldorf (Az. …) wegen Verletzung des Streitgebrauchsmusters eingereicht hatte. Bereits bei Einreichung des Feststellungsantrags war von der Antragstellerin angezeigt worden, dass neben ihrem Patentanwalt auch ein im parallelen Verletzungsstreit tätig gewordener Rechtsanwalt im Verfahren mitwirken würde. Die Gebrauchsmusterabteilung I des DPMA hatte sodann nach einer am 21. Mai 2010 durchgeführten mündlichen Verhandlung, an der der Patentanwalt und der Rechtsanwalt der Antragstellerin teilgenommen hatten, mit Beschluss festgestellt, dass der Schutzanspruch 1 des Streitgebrauchsmusters unwirksam gewesen sei, und der Antragsgegnerin die Kosten des patentamtlichen (Feststellungs-)Verfahrens auferlegt. Die gegen diese Entscheidung zunächst eingelegte Beschwerde (Az. 35 W (pat) 420/10) hatte die Antragsgegnerin am 20. September 2012 wieder zurückgenommen.

3

Auf der Grundlage der genannten Kostengrundentscheidung hat die Antragstellerin zuletzt mit Eingabe vom 23. Januar 2014 beantragt, die ihr für das erstinstanzliche Verfahren vor der Gebrauchsmusterabteilung zu erstattenden Kosten in Höhe von 8.793,08 € festzusetzen. Dieser Betrag errechnete sich auf der Grundlage eines unstreitigen Gegenstandswertes von 150.000 € aus einer Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) und einer Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG), die für den Patentanwalt und den Rechtsanwalt jeweils gesondert geltend gemacht wurden. In dem genannten Betrag waren ferner zwei Telekommunikationspauschalen (Nr. 7002 VV RVG), die jeweiligen Reisekosten der beiden Anwälte nach Nrn. 7003, 7005 und 7006 VV RVG und die von der Antragstellerin für den Feststellungsantrag gezahlte Amtsgebühr enthalten. Die Antragstellerin hat ferner beantragt, gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Verzinsung des festgesetzten Betrages ab Antragstellung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auszusprechen.

4

Die Kostenbeamtin der Gebrauchsmusterabteilung des DPMA hat mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. November 2014 die von der Antragsgegnerin der Antragstellerin zu erstattenden Kosten in Höhe von 2.051,15 € – also um 6.741,93 € niedriger als beantragt – festgesetzt. Der Unterschied zwischen dem beantragten und dem zugesprochenen Betrag ergibt sich u. a. daraus, dass die Gebrauchsmusterabteilung die vom Patentanwalt verdiente Vergütung nicht aus einer Kumulation der Gebührentatbestände Nr. 3100 und Nr. 3104 VV RVG, sondern nach dem Gebührentatbestand Nr. 2300 VV RVG bemessen hat. Den hierbei von ihr selbst mit 2,0 angegebenen Satz hat die Gebrauchsmusterabteilung nur in Höhe von 1.585,00 € angesetzt, was lediglich einem 1,0-fachen Satz entspricht. Ferner war die Gebrauchsmusterabteilung der Meinung, dass von den Reisekosten des Patentanwalts zwar die Fahrtkosten, nicht aber die Übernachtungskosten und das Tage- und Abwesenheitsgeld notwendig gewesen seien. Die Kosten des zusätzlich hinzugezogenen Rechtsanwalts hat die Gebrauchsmusterabteilung insgesamt als nicht erstattungsfähig angesehen. Sie hat die Nichtberücksichtigung der Rechtsanwaltskosten damit begründet, dass in Gebrauchsmuster-Löschungs- bzw. Feststellungsverfahren eine Doppelvertretung durch einen Patentanwalt und einen Rechtsanwalt regelmäßig nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sei.

5

Gegen diesen Beschluss, der der Antragstellerin am 17. November 2014 zugestellt worden war, richtet sich ihre am 29. November 2014 eingelegte Beschwerde. Die Antragstellerin rügt eine Falschberechnung bei der nach Nr. 2300 VV RVG angesetzten Geschäftsgebühr. Aus den Gründen des Beschlusses selbst ergebe sich, dass das DPMA eine 2,0-fache Gebühr habe ansetzen wollen. Eine solche Gebühr sei auch angemessen, da eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden sei. Darüber hinaus seien auch die Kosten für ihren hinzugezogenen Rechtsanwalt in vollem Umfang erstattungsfähig. Die Antragstellerin weist hierbei auf die Rechtsprechung des BGH zur „Doppelvertretung in Nichtigkeitsverfahren“ hin (Beschluss vom 18. Dezember 2012 – X ZB 11/12, GRUR 2013, 427 ff.), die auch im Falle eines Gebrauchsmuster-Löschungs- bzw. Feststellungsverfahrens heranzuziehen sei. Wegen des parallel vor dem LG Düsseldorf anhängig gewesenen Verletzungsstreits habe im vorliegenden Fall ein besonderer Abstimmungsbedarf bestanden, der eine Hinzuziehung des Rechtsanwalts zum patentamtlichen Feststellungsverfahren notwendig gemacht habe. Ferner sei die Nichtberücksichtigung der Übernachtungskosten sowohl beim Patentanwalt als auch beim Rechtsanwalt rechtlich nicht nachvollziehbar. Da die mündliche Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung seinerzeit auf 9:00 Uhr anberaumt gewesen sei, hätte eine Anreise zur Nachtzeit begonnen werden müssen. Eine so frühe Anreise sei aber nicht geschuldet gewesen. Damit sei pro Anwalt auch ein Tage- und Abwesenheitsgeld in Ansatz zu bringen.

6

Insgesamt verfolgt die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde die Erstattung noch folgender Kosten weiter:

7

Tabelle 1

Gebührentatbestand

(Gegenstandswert gemäß

 §§ 2 Abs. 1, 33 RVG: 150.000 €)

RVG

VV Nr.

Satz   

Betrag

§ 13 RVG

I.) Kosten des Patentanwalts

1)    

Geschäftsgebühr

2300   

2,0     

3.170,00 €

2)    

Entgeltpauschale für Post- und

Telekommunikationsdienstleistungen

7002   

        

20,00 €

3)    

Reisekosten des Patentanwalts

                          
        

a)    

Tage- und Abwesenheitsgeld

7005   

        

60,00 €

        

b)    

Fahrtkosten Kfz. (488 km x 0,30 €)

7003   

        

146,40 €

        

c)    

Übernachtungskosten

7006   

        

130,84 €

4)    

Verauslagte Amtsgebühr

                 

300,00 €

        

Summe I.):

3.827,24 €            

8

II.) Kosten des Rechtsanwalts

1)    

Geschäftsgebühr

2300   

2,0     

3.170,00 €

2)    

Entgeltpauschale für Post- und

Telekommunikationsdienstleistungen

7002   

        

20,00 €

3)    

Reisekosten des Rechtsanwalts

                          
        

a)    

Tage- und Abwesenheitsgeld

7005   

        

60,00 €

        

b)    

Übernachtungskosten

7006   

        

130,84 €

        

Summe II.):

3.380,84 €            

9

Summe von I.) und II.):

7.208,08 €

========

10

Die Antragstellerin beantragt entsprechend,

11

den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. November 2014 aufzuheben und die ihr von der Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten in Höhe von 7.208,08 € neu festzusetzen.

12

Die Antragsgegnerin beantragt,

13

die Beschwerde zurückzuweisen.

14

Sie ist der Ansicht, dass hier eine Doppelvertretung durch einen Patentanwalt und einen Rechtsanwalt nicht zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung geboten gewesen sei. Die von der Antragstellerin zitierte Rechtsprechung des BGH betreffe nur Patentnichtigkeitsverfahren und könne nicht auf den vorliegenden Fall eines Gebrauchsmuster-Löschungsverfahrens, das lediglich ein Verwaltungsverfahren sei, übertragen werden. Eine Anerkennung von Doppelvertretungskosten sei im Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren davon abhängig, dass solche Kosten durch „besondere rechtliche Schwierigkeiten“ des Falles gerechtfertigt würden; dies treffe auf den vorliegenden Fall aber nicht zu. Des Weiteren sei nicht zu beanstanden, dass die Gebrauchsmusterabteilung auch die Übernachtungskosten des Patentanwalts nicht als erstattungsfähig anerkannt habe. Die Fahrzeit zwischen Stuttgart und München sei sowohl bei einer Fahrt mit dem Auto als auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln kürzer als drei Stunden, so dass selbst bei Zugrundelegung eines Starts nicht vor 6:00 Uhr eine morgendliche Anreise am Verhandlungstag zumutbar gewesen wäre. Zu Recht unterblieben sei auch der zusätzliche Ansatz eines Tagegeldes, da etwaige durch die Wahrnehmung eines Termins angefallene Kosten mit der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG abgegolten seien.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des gegenseitigen Vorbringens wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

16

Die zulässige, insbesondere auch fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des §§ 62 Abs. 2 Satz 4 PatG, 17 Abs. 4 Satz 2 GebrMG eingelegte Beschwerde der Antragstellerin hat in vollem Umfang Erfolg. Hiernach waren unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die der Antragstellerin von der Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten antragsgemäß auf 7.208,08 € festzusetzen.

17

1. Im Rahmen der Kostenfestsetzung nach §§ 17 Abs. 4 GebrMG, 62 Abs. 2 Satz 3, 84 Abs. 2 Satz 2 PatG i. V. m. §§ 91 Abs. 2, 104 ZPO sind die den Beteiligten entstandenen Kosten erstattungsfähig, soweit sie zur zweckentsprechenden Wahrung der Ansprüche und Rechte notwendig waren.

18

a1) Außer Streit steht vorliegend die 2,0-fache Geschäftsgebühr nach dem Gebührentatbestand Nr. 2300 VV RVG, die die Antragstellerin auf der Grundlage eines Gegenstandswertes in Höhe von 150.000 € für das Tätigwerden ihres Patentanwalts erstattet haben möchte. Der Gebührentatbestand nach Nr. 2300 VV RVG ist vorliegend, wovon die Gebrauchsmusterabteilung immerhin zu Recht ausgegangen ist, auch einschlägig. Die Löschungs- bzw. Feststellungsverfahren vor den Abteilungen des DPMA tragen zwar Züge eines justizförmigen Verfahrens (vgl. BGH GRUR2010, 231, 233 – „Legostein“ und BGH BlPMZ 2015, 112, 113 – „VIVA FRISEURE/VIVA“), gebührenrechtlich sind sie aber als Verfahren vor einer Verwaltungsbehörde anzusehen (vgl. Schulte/Rudloff-Schäffer, PatG, 10. Aufl., § 26 Rn. 4). Ferner entspricht es auch ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass eine 2,0-fache Geschäftsgebühr regelmäßig im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG angemessen sein wird, wenn ein streitiges Löschungs- bzw. Feststellungsverfahren durchgeführt worden ist und – wie hier – eine mündliche Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung stattgefunden hat (vgl. z. B. BPatG GRURPrax 2015, 70 ff.).

19

a2) Die Antragstellerin hat allerdings zu Recht beanstandet, dass der angefochtene Beschluss insoweit einen erheblichen und nicht nachvollziehbaren Fehler aufweist, als ihr die Gebrauchsmusterabteilung bei der Geschäftsgebühr nach dem Gebührentatbestand Nr. 2300 VV RVG nur einen Betrag in Höhe von 1.585,00 € angerechnet hat, was lediglich einem 1,0-fachen Satz entspricht. Zutreffend wäre nach der hier einschlägigen, bis zum 31. Juli 2013 geltenden Fassung der Gebührentabelle (Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 RVG) die Angabe des doppelten Betrages, nämlich in Höhe von 3.170,00 € gewesen, was die Antragstellerin auch so beantragt hat. Da die Kostenbeamtin selbst von einem 2,0-fachen Satz ausgegangen war, handelt es sich bei dem falschen Ansatz um eine ersichtlich auf Nachlässigkeit beruhende, offenkundige Unrichtigkeit, die entsprechend zu korrigieren war.

20

b) Die Antragstellerin dringt mit ihrer Beschwerde auch insoweit durch, als sie die Erstattung jener Kosten begehrt, die ihr durch das Tätigwerden ihres zum patentamtlichen Feststellungsverfahren hinzugezogenen Rechtsanwalts entstanden sind. Unstreitig war zwischen den vorliegenden Beteiligten parallel zum patentamtlichen Verfahren ein Rechtsstreit vor dem LG Düsseldorf anhängig, in welchem die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin wegen Verletzung des Streitgebrauchsmusters vorgegangen war. Darauf, ob das vorliegende Feststellungsverfahren zusätzlich von „besonderen rechtlichen Schwierigkeiten“ des Falles geprägt war, kommt es somit vorliegend nicht an.

21

b1) Auch für das Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren bzw. für ein entsprechendes Feststellungsverfahren erachtet der erkennende Senat die Anwendung der Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH, die dieser bei der Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten im patentrechtlichen Nichtigkeitsverfahren anwendet und die die Antragstellerin zu Recht zitiert hat (GRUR 2013, 427 ff.), für geboten. Danach kommt es entscheidend darauf an, dass zwischen den jeweils mandatierten Patent- bzw. Rechtsanwälten ein Abstimmungsbedarf vorliegt, wenn parallel zu einem Patentnichtigkeitsverfahren ein Verletzungsrechtsstreit geführt wird. Im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise gehören wegen dieses Abstimmungsbedarfs sowohl die Kosten eines Patentanwalts als auch die Kosten eines Rechtsanwalts zu den notwendigen Kosten des Verfahrens, wenn im Falle eines parallelen Verletzungsrechtsstreits im Nichtigkeitsverfahren sowohl ein Patentanwalt als auch ein Rechtsanwalt tätig geworden ist.

22

b2) Eine vergleichbare Sach- und Interessenlage ist auch in Fällen gegeben, in denen neben einem Gebrauchsmuster-Löschungs- bzw. Feststellungsverfahren parallel ein Verletzungsrechtsstreit zwischen den Beteiligten geführt wird und dasselbe Gebrauchsmuster betroffen ist. Auch wenn die jeweilige Gebührenstruktur beim Patentnichtigkeitsverfahren und beim Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren unterschiedlich ist und das Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren zunächst nicht vor Gericht, sondern zuerst beim DPMA ausgetragen wird, so ist der Abstimmungsbedarf in Bezug auf parallel anhängige Löschungsverfahren und Verletzungsprozesse dennoch als gleichartig mit dem Abstimmungsbedarf zu erachten, wie er typischerweise bei der Führung parallel anhängiger Patentnichtigkeitsverfahren und Patentverletzungsstreit gegeben ist. Insbesondere ist selbst bei „einfachen“ Verhandlungsstrategien eine konsistente, die wechselseitigen Auswirkungen von Löschungsverfahren und Verletzungsrechtsstreit hinsichtlich Sachvortrag, Auseinandersetzung mit Entgegenhaltungen und Antragsfassungen bezüglich des Gegenstandes des betreffenden Streitgebrauchsmusters berücksichtigende Verfahrensführung erforderlich. Auch im Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren sind typischerweise komplexe Fragen zur Schutzfähigkeit oder auch zur Zulässigkeit von Anspruchsfassungen, die regelmäßig auch in Form mehrerer Hilfsanträge in das Verfahren eingeführt werden, zu klären, wobei sich gerade bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit die Prüfungsmaßstäbe hinsichtlich Erfindungshöhe einerseits und erfinderischem Schritt andererseits im Wesentlichen angeglichen haben (vgl. BGH GRUR 2006, 842 – „Demonstrationsschrank“).

23

b3) Soweit der BGH in seinem Beschluss vom 1. April 1965 (Ia ZB 20/64 – „Patentanwaltskosten“, GRUR 1965, 621) Doppelvertretungskosten im Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren als regelmäßig nicht berücksichtigungsfähig erachtet hat, geht der Senat davon aus, dass diese Entscheidung überholt ist. Neben der bereits genannten Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten im patentrechtlichen Nichtigkeitsverfahren ist zu berücksichtigen, dass zum damaligen Zeitpunkt nicht nur bei der Kostenentscheidung, sondern auch bei der Kostenfestsetzung eine Billigkeitsprüfung stattfand (sog. „zweite Billigkeitsprüfung“), die nach der jetzt geltenden Gesetzeslage nicht mehr zulässig ist (vgl. Busse/Engels, PatG, 8. Aufl., § 62 Rn. 2). Es kommt nach der jetzigen Rechtslage nur noch auf die Notwendigkeit der Kosten an. Wenn der Abstimmungsbedarf das entscheidende Kriterium ist, dann besteht aus den bereits genannten Gründen in dieser Hinsicht kein Unterschied mehr zwischen Patentnichtigkeitsverfahren und Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren im Falle eines parallelen Verletzungsstreits. Ebenfalls macht es keinen Unterschied mehr, dass das Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren vor dem DPMA beginnt, da nach der Gesetzeslage auch hier die notwendigen Kosten zu ersetzen sind (vgl. § 17 Abs. 4 Satz 2 GebrMG i. V. m. § 62 Abs. 2 PatG).

24

b4) Der Senat hält somit an seiner im Beschluss vom 13. Oktober 2016 (35 W (pat) 16/12, BlPMZ 2017, 96 ff.) geäußerten, gegenteiligen Rechtsauffassung nicht mehr fest. Dort wurde ursprünglich die Meinung vertreten, dass aufgrund der Unterschiede in den Funktionen von Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren und patentrechtlichem Nichtigkeitsverfahren – nämlich einerseits erste Prüfung eines bisher ungeprüften Rechts und anderseits Klageverfahren – eine regelmäßige Erstattung von Doppelvertretungskosten in Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren mit parallelem Verletzungsprozess abzulehnen sei. Zwar sind insbesondere aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Ausgestaltung in verfahrensrechtlicher Hinsicht deutliche Unterschiede gegeben. Jedoch sind weder der materielle Gehalt der jeweils angegriffenen Schutzrechte, der in beiden Verfahrenssystemen zu beurteilen ist, gerade mit Blick auf die bereits genannten, wesentlich angeglichenen Beurteilungsmaßstäbe noch die Verfahrenssituationen bei parallel anhängigen Verletzungsprozessen zwischen Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren und patentrechtlichem Nichtigkeitsverfahren derart unterschiedlich, als dass sich hieraus ein zwingender Grund für eine sachliche Differenzierung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten ergeben könnte. Im Gegenteil: Aus Sicht des Senats wäre aus den genannten Gründen eine unterschiedliche Beurteilung der Erstattungsfähigkeit sogenannter Doppelvertretungskosten im Nichtigkeits- und im Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren nicht sachgerecht.

25

c) Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin sind auch die Übernachtungskosten (Hotelkosten) ihres Patentanwalts und ihres Rechtsanwalts sowie ein jeweiliges Tage- und Abwesenheitsgeld erstattungsfähig.

26

c1) Die Antragstellerin durfte die Anwälte ihres Vertrauens ohne Rücksicht auf deren Wohnsitz auswählen und kann daher nunmehr die Erstattung der notwendigen Reisekosten, zu denen hier auch die jeweiligen Übernachtungskosten zählen, verlangen. Im Zusammenhang mit der Erstattungsfähigkeit von Reisekosten ist zwar zu beachten, dass jede Partei insoweit die Pflicht hat, ihre Kosten möglichst niedrig zu halten; dies gilt allerdings nur insoweit, wie sich dies mit der vollen Wahrung der eigenen berechtigten prozessualen Belange vereinbaren lässt (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 91 Rn. 12). Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin durch die Anreise ihrer Anwälte am Vortag der mündlichen Verhandlung nicht gegen ihre Pflicht zur kostensparenden Verfahrensführung verstoßen. Einem Verfahrensbeteiligten und seinem Vertreter ist zuzugestehen, nicht in letzter Minute zum Termin erscheinen zu wollen, wobei hierbei auch nicht abverlangt werden kann, die Anreise zur Nachtzeit zu beginnen. Als Nachtzeit wird in Anlehnung an § 758a Abs. 4 ZPO die Zeit von 21:00 Uhr bis 6:00 Uhr morgens angesehen (vgl. OLG Naumburg, MDR 2016, 1475 ff.). Eine Anreise, bei welcher die beiden Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ihre Wohnungen vor 6:00 Uhr morgens hätten verlassen müssen, war nicht geschuldet. Ein so früher Reisebeginn wäre aber Voraussetzung gewesen, wenn diese rechtzeitig zum Termin am 21. Mai 2010 um 9:00 Uhr vor der Gebrauchsmusterabteilung in München-Fasangarten hätten erscheinen wollen. Es ist gerichtsbekannt, dass im Jahr 2010 mit öffentlichen Verkehrsmitteln bereits die Fahrstrecke vom Hauptbahnhof Stuttgart bis zum S-Bahnhof München-Fasangarten (DPMA, Dienststelle Cincinnatistraße) nur mit viel Glück innerhalb von drei Stunden zu bewältigen gewesen wäre; für eine Anreise von den Wohnungen der Prozessbevollmächtigten mit dem Auto kann nichts wesentlich anderes gegolten haben. Auch eine solche Anreise musste jedenfalls (wegen unvorhersehbarer Verzögerungen durch Staus, städtischen Berufsverkehr o. ä.) mit einem ausreichenden zeitlichen Puffer erfolgen. Letztlich sind daher die geltend gemachten Übernachtungskosten (Hotelkosten) der beiden Anwälte mit je 130,84 € sowohl dem Grunde nach als auch hinsichtlich ihrer Höhe, gegen die die Antragsgegnerin im Übrigen auch keine Einwände erhoben hat, als erstattungsfähig anzuerkennen.

27

c2) Hieraus folgt zu Gunsten der Antragstellerin, dass auch für jeden der beiden Anwälte ein Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr. 7005 VV RVG in Höhe von 60,00 € gewährbar ist. Davon, dass solche Kosten – wie die Antragsgegnerin meint – mit der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG abgegolten seien, kann keine Rede sein. Beim Tage- und Abwesenheitsgeld handelt es sich um Reisekosten, die nach den Regelungen des RVG als Auslagen gesondert erhoben werden dürfen (vgl. auch: Schneider, NJW 2017, 307, 309). Dies schließt eine Anrechenbarkeit auf Gebühren aus.

28

d) Die Verzinsung des festgesetzten Betrages, die zwischen den Beteiligten ebenfalls außer Streit steht, war wieder in gleicher Weise auszusprechen wie im angefochtenen Beschluss. Der hierbei auf den 20. September 2012 festgelegte Zeitpunkt des Verzinsungsbeginns wird von beiden Beteiligten zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Der vor diesem Zeitpunkt gestellte Kostenfestsetzungsantrag der Antragstellerin ist für den Verzinsungsbeginn unbeachtlich, da die im Beschluss vom 21. Mai 2010 enthaltende Kostengrundentscheidung erst durch Zurücknahme der entsprechenden Beschwerde am 20. September 2012 bestandskräftig geworden ist (vgl. Bühring/Schmid, GebrMG, 8. Aufl., § 17 Rn. 140).

29

2. Der Senat hat gemäß dem auch im Gebrauchsmusterbeschwerdeverfahren anwendbaren § 128 Abs. 3 ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden.

30

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 PatG und § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Antragsgegnerin, die vorliegend in vollem Umfang unterlegen ist. Die Billigkeit erfordert keine andere Entscheidung.

31

4. Ferner hat der Senat von Amts wegen angeordnet, dass der Antragstellerin die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen ist. Dies folgt aus § 18 Abs. 2 Satz 1 GebrMG i. V. m. § 80 Abs. 3 PatG, weil der angefochtene Beschluss durch einen erheblichen und nicht nachvollziehbaren Fehler bei der Berechnung der Geschäftsgebühr nach dem Gebührentatbestand Nr. 2300 VV RVG gekennzeichnet ist (vgl. oben unter a2) in Abschnitt 1.). Die Erstattung entspricht hierbei auch der Billigkeit, da der genannte Mangel so schwerwiegend ist, dass nach einer Abwägung zwischen dem fiskalischen Interesse der Staatskasse und den Belangen der Antragstellerin, den zuletzt genannten der Vorrang gebührt (vgl. Schulte/Püschel, PatG, 10. Aufl., § 73 Rn. 138). Die hier in Rede stehende, offenkundig auf Nachlässigkeit beruhende, unsachgemäße Behandlung der Rechtsangelegenheit bot für die Antragstellerin zwingend Anlass, den Weg der Beschwerde zum Bundespatentgericht zu beschreiten, weshalb auch die notwendige Ursächlichkeit des Mangels für die Beschwerdeeinlegung zu bejahen ist (vgl. Busse/Engels, PatG, 8. Aufl., § 80 Rn. 95). Die genannte Ursächlichkeit wird keineswegs dadurch in Frage gestellt, dass der angefochtene Beschluss für die Antragstellerin auch in anderer Hinsicht eine auf angreifbare Ausführungen gestützte Beschwer bereithielt.

32

5. Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 18 Abs. 4 GebrMG i. V. m. § 100 Abs. 2 Nr. 2 PatG wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts bezüglich der Erstattungsfähigkeit von sogenannten Doppelvertretungskosten im Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren zugelassen, zumal Rechtsbeschwerden in anderen Fällen, in denen der Senat diese im Zusammenhang mit der Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten zugelassen hat, bislang noch nicht eingelegt worden sind und es sich insoweit auch um einen abtrennbaren Teil des Verfahrensgegenstandes handelt.