Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 25.10.2011


BPatG 25.10.2011 - 33 W (pat) 29/11

Markenbeschwerdeverfahren – Antrag auf Akteneinsicht - "VOODOO" – berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht - Geheimhaltungsinteresse des Antragsgegners ist nicht gewichtiger als das Informationsinteresse der Antragstellerin


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
33. Senat
Entscheidungsdatum:
25.10.2011
Aktenzeichen:
33 W (pat) 29/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 306 73 576.8

hat der 33. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts durch den Vorsitzenden Richter Bender, den Richter Kätker und die Richterin Dr. Hoppe am 25. Oktober 2011

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Mit Schriftsatz vom 15. Juli 2009 hat die Antragstellerin Akteneinsicht in die Akte des DPMA 306 73 576.8 betreffend die Anmeldung der Wortmarke VOODOO“ beantragt.

2

In diesem Verfahren hatte der Antragsgegner die Eintragung der Wortmarke „VOODOO“ beantragt und zwar u. a. für Waren der Klasse 25: Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen sowie der Klasse 28: Spiele, Spielzeug; Turn und Sportartikel. Nachdem die Markenstelle mit Beschluss vom 12. Juni 2007 die Zurückweisung der Markenanmeldung beschlossen hatte, hat der Anmelder die Anmeldung am 27. Juni 2007, vor Ablauf der Beschwerdefrist, zurückgenommen.

3

Der Antragsgegner ist Inhaber der wortgleichen Gemeinschaftsmarke „VOODOO“ (EM 1 911 742), die teilweise für identische Waren (Klasse 25: Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen; Klasse 28: Spiele, Spielzeug; Turn- und Sportartikel) eingetragen ist. Lizenznehmerin dieser Gemeinschaftsmarke ist dieM… AG. Diese hat die Antragstellerin abgemahnt und zur Unterlassung aufgefordert, nachdem diese von ihr hergestellte Schuhe unter der Bezeichnung „WOODOO“ vertrieben hat.

4

Die Antragstellerin hat daraufhin beim HABM einen Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit und des Verfalls der Gemeinschaftsmarke „VOODOO“ gestellt und in dem anhängigen Unterlassungsverfahren eine Widerklage auf Löschung der Gemeinschaftsmarke „VOODOO“ erhoben. Das HABM hat den Antrag auf Nichtigerklärung der Gemeinschaftsmarke „VOODOO“ mit Beschluss der Nichtigkeitsabteilung vom 7. Juni 2011 (Az: 000003742C) zurückgewiesen. Darin hat es u. a. ausgeführt, dass das HABM nicht an eine nationale Eintragungspraxis gebunden sei.

5

Gegen diesen Beschluss ist am 11. Juli 2011 Beschwerde zur Beschwerdekammer des HABM eingelegt worden.

6

Der Antragsgegner hat dem Antrag auf Akteneinsicht widersprochen. Er ist der Ansicht, dass kein berechtigtes Interesse an der Einsicht in die deutsche Akte betreffend die Wortmarke „VOODOO“ bestehe, weil es sich um eine andere Marke handele als die Gemeinschaftswortmarke „VOODOO“ und weil die Eintragung der Wortmarke „VOODOO“ bei dem Deutschen Patent- und Markenamt letztlich aufgrund einer Zurücknahme der Anmeldung nicht erfolgt sei.

7

Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung des HABM im Nichtigkeitserklärungsverfahren zur Gemeinschaftswortmarke „VOODOO“.

8

Das deutsche Patent- und Markenamt hat dem Akteinsichtsgesuch der Antragstellerin mit Beschluss vom 17. März 2010 stattgegeben und die gegen diesen Beschluss gerichtete Erinnerung des Antragsgegners mit Beschluss vom 30. März 2011 zurückgewiesen.

9

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners. Er ist der Auffassung, dass keine Akteneinsicht erfolgen dürfe, weil die deutsche Wortmarke „VOODOO“ nicht entscheidungserheblich für das Verfahren vor dem HABM sei.

II.

10

Die Beschwerde ist zulässig, aber erfolglos.

11

Nach § 62 Abs. 1 MarkenG hat das Patentamt auf Antrag Einsicht in die Akten von Anmeldungen von Marken zu gewähren, wenn von dem Antragsteller ein berechtigtes Interesse glaubhaft gemacht wird. Bei der Beurteilung, ob der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht hat, sind die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen.

1.

12

Die Antragstellerin hat vorliegend ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht nach § 62 Abs. 1 MarkenG.

13

Ein berechtigtes Interesse kann vorliegen, wenn die Kenntnis der Akten für das künftige Verhalten des Antragstellers oder bei der Wahrung oder Verteidigung von Rechten in einem anderen Verfahren bestimmend sein kann (BPatGE 30, 139 (141)). Ein berechtigtes Interesse besteht daher vor allem dann, wenn der Antragsteller wegen der Benutzung eines ähnlichen oder identischen Zeichens angegriffen wird oder ein solcher Angriff droht (Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., § 62 Rd. 3).

14

So liegt es hier, denn die Akteneinsicht betrifft ein Verfahren, in dem ein Zeichen angemeldet wurde, das mit dem unter dem Aktenzeichen EM 1911742 als Gemeinschaftsmarke eingetragenen Wortzeichen „VOODOO“ identisch ist. Darüber hinaus sind einige identische Waren angemeldet worden, nämlich: „Waren der Klasse 25: Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen sowie der Klasse 28: Spiele, Spielzeug; Turn und Sportartikel“. Da die Antragstellerin auf Grundlage der Gemeinschaftswortmarke „VOODOO“ abgemahnt und auch auf Unterlassung verklagt worden ist und zudem ein Nichtigkeitserklärungs- und ein Verfallsverfahren gegen die Gemeinschaftsmarke „VOODOO“ betrieben sowie eine Widerklage auf Löschung der Gemeinschaftswortmarke erhoben hat, hat sie ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in die Verfahrensakten des DPMA. In den Anmeldeakten können sich nämlich Darlegungen des Amtes zur Schutzfähigkeit eines Zeichens finden, sei es in Beanstandungshinweisen oder in Beschlüssen. Da die Antragstellerin gegen ein Wortzeichen vorgehen will, das mit dem verfahrensgegenständlichen identisch ist, könnten sich aus den Darlegungen des Amtes Argumente zur Stützung ihrer Rechtsverteidigung bzw. ihres Rechtsangriffs ergeben. Dementsprechend kann ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in die Akten auch für Anmeldungen bestehen, die wegen absoluter Schutzhindernisse zurückgewiesen worden sind, weil Mitbewerber auf diese Weise Erkenntnisse über eine freie Verwendbarkeit der fraglichen Bezeichnung erhalten können (Ströbele/Hacker, MarkenR, 9. Aufl., § 62 Rd. 7; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., § 62 Rd. 3; Amtliche Begründung Abs. 2 zu § 62 S. 94; BPatG GRUR 1983, 511 - Mastertube; BPatGE 30, 139). Entsprechendes gilt auch für die Akten zurückgenommener Anmeldungen (BGH GRUR 2007, 628; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., § 62 Rd. 3).

15

Das Interesse der Antragstellerin besteht daher ungeachtet der Rücknahme der Anmeldung der deutschen Wortmarke „VOODOO“. Eine solche Zurücknahme der Anmeldung schließt nämlich nicht aus, dass die Markenstelle bereits eine Rechtsauffassung mit entsprechenden rechtlichen und tatsächlichen Darlegungen geäußert hat. Dies kann zum einen in formlosen Beanstandungsbescheiden, zum anderen in Zurückweisungsbeschlüssen erfolgen. Ungeachtet der Zurücknahme der Anmeldung, können einer solchen Rechtsauffassung gewichtige Argumente für die eigene Rechtsverteidigung bzw. für die Begründung eigener Rechtsangriffe entnommen werden, weil eine solche Rücknahme keinen Einfluss auf den Inhalt der Akten hat (ebenso: BPatG GRUR 2006, 614 (615), bestätigt durch BGH GRUR 2007, 628 ff.). Trotz der Rücknahme bleiben nämlich sämtliche Schriftstücke, wie Schreiben, Verfügungen, Beschlüsse etc. Aktenbestandteil.

16

Der Antrag auf Akteneinsicht hat sich auch nicht durch die Zurückweisung des Nichtigkeitserklärungsantrags seitens des HABM erledigt. Zum einen ist diese Zurückweisung noch nicht bestandskräftig, zum anderen hat die Antragstellerin als Mitbewerberin, die auf Unterlassung verklagt wird, schließlich ein Interesse herauszufinden, ob die Markenstelle sich zu einer etwaigen inhaltsbeschreibenden Funktion der Wortmarke „VOODOO“ geäußert hat, weil sich hieraus möglicherweise auch Argumente für eine zulässige Verwendung des Wortzeichens nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ergeben könnten.

2.

17

Dem berechtigten Interesse der Antragstellerin ist das Geheimhaltungsinteresse des Antragsgegners gegenüberzustellen. Insoweit ist das Recht des Antragsgegners auf informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH GRUR 2007, 628 (Nr. 14)) ist auf „Grund des in Art. 2 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgten allgemeinen Persönlichkeitsrechts (ist) der Einzelne befugt, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte preisgegeben und persönliche Daten verwendet werden (BVerfG, NJW 1996, 771 (772)). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beteiligten eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens ist daher grundsätzlich auch zu berücksichtigen, wenn Dritten Einsicht in die Verfahrensakten gewährt werden soll (vgl. Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 299 Rdnrn. 2, 22; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 299 Rdnr. 6b, jew. zu § 299 ZPO; ferner Kirschneck, in: Ströbele/Hacker, MarkenG, 8. Aufl., § 62 Rdnr. 18, zu § 62 II MarkenG).“

18

Vorliegend hat der Antragsgegner jedoch nicht dargelegt, welche unter dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz stehenden Informationen sich aus dem Akteninhalt ergeben könnten; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.

19

Allerdings hat der Antragsgegner die Anmeldung der Wortmarke zurückgenommen, was auch dazu gedient haben könnte, die Veröffentlichung eines zurückweisenden Beschlusses zu verhindern. Es ist aber zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner eine identische Gemeinschaftsmarke benutzt, die von seiner Lizenznehmerin u. a. eingesetzt wird, um gegen die Antragstellerin vorzugehen. Zumindest in einem solchen Fall kann das Interesse des Antragsgegners an der Geheimhaltung trotz der erfolgten Rücknahme der Anmeldung nicht als gewichtiger eingeschätzt werden als das Informationsinteresse der Antragstellerin. Der Antragsgegner muss sich daher gefallen lassen, dass Wettbewerber wie die Antragstellerin durch Akteneinsicht herausfinden, ob die Akte Informationen enthält, die möglicherweise der Wahrung und Verteidigung ihrer Interessen im Wettbewerb dienen könnten.

20

In einem solchen Fall muss der Einzelne Beschränkungen seines Rechts im überwiegenden Allgemeininteresse auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots hinnehmen (vgl. BVerfG 2006, 1117; BGH GRUR 2007, 628 (Nr. 14) m. w. N.).

3.

21

Eine Kostenentscheidung aus Billigkeitsgründen ist nicht veranlasst.