Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 02.02.2012


BPatG 02.02.2012 - 30 W (pat) 81/10

Markenbeschwerdeverfahren – "Ortho1a" – keine Unterscheidungskraft


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
02.02.2012
Aktenzeichen:
30 W (pat) 81/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2009 070 223.3

hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 2. Februar 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richterinnen Winter und Hartlieb

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Zur Eintragung als Wortmarke in das Markenregister angemeldet ist die Bezeichnung

2

Ortho1a

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für zahlreiche Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 10 und 44, nämlich für:

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"Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse, insbesondere Salben und Gels zur Behandlung von Sportverletzungen; Kompressen; chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne; Geräte für die Physiotherapie, insbesondere Sitzbälle, Übungsbänder; orthopädische Artikel, insbesondere Bandagen, Orthesen, Schuheinlagen, Lordosekissen für medizinische Zwecke, Keilkissen für medizinische Zwecke, soweit in Klasse 10 enthalten, Unterarmgehstützen; chirurgisches Nahtmaterial; medizinische und veterinärmedizinische Dienstleistungen; insbesondere ambulante Operationen, Operationen auf orthopädischem Fachgebiet, Akupunktur, Unfallchirurgie, sportmedizinische Dienstleistungen; Diagnose, physiotherapeutische Behandlung und Therapie von Krankheiten betreffend den Stütz- und Bewegungsapparat, insbesondere Chirotherapie, osteopathische Behandlungen, orthopädische Behandlungen, osteologische Behandlungen, Rheumatherapie, Bewegungstherapie, Krankengymnastik, Ergotherapie, Stoßwellentherapie und Schmerztherapie; Diagnose und Therapie von Osteoporose; Dienstleistungen eines Orthopäden; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen".

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Die Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung mit Erstbeschluss vom 19. Mai 2010 gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen, weil dem Zeichen jegliche Unterscheidungskraft fehle. Begründend ist im Wesentlichen ausgeführt, dass "Ortho" die Kurzform sei für "Orthopädie", die Wissenschaft von der Erkennung und Behandlung angeborener oder erworbener Fehler des menschlichen Bewegungsapparates; die Zahlen-Buchstabenkombination "1a" sei eine werbemäßig anpreisende Aussage hinsichtlich der Qualität der Waren und Dienstleistungen; die angesprochenen Verkehrskreise würden die angemeldete Bezeichnung bezüglich der beanspruchten Waren und Dienstleistungen daher als beschreibenden Sachhinweis auf "Orthopädie erstklassig" oder "erstklassige Orthopädie" auffassen.

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Die gegen diesen Beschluss eingelegte Erinnerung hat dieselbe Markenstelle durch Beschluss vom 30. Juni 2010 unter Bezugnahme auf den Erstbeschluss zurückgewiesen.

7

Gegen diese Beurteilung richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie hält mit näheren Ausführungen das angemeldete Zeichen für schutzfähig, weil es an einem unmittelbar beschreibenden Bezug zu den hier maßgeblichen Waren und Dienstleistungen fehle; es handele sich um eine doppeldeutige Wortneuschöpfung, deren Grundidee darin liege, die Adresse der orthopädischen Gemeinschaftspraxis in der L…straße in L1… als betriebliches Unterscheidungsmittel zu verwenden; ein ungewöhnlicher Eindruck werde durch die konkrete Zeichenfolge erzeugt, da "1a" zur Anpreisung immer vorangestellt verwendet werde.

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Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

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die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle aufzuheben.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die zulässige Beschwerde ist in der Sache nicht begründet. Die angemeldete Marke ist wegen fehlender Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG von der Eintragung ausgeschlossen; die Markenstelle hat die Anmeldung deshalb zu Recht zurückgewiesen (§ 37 Abs. 1 MarkenG).

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Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG bedeutet nach ständiger Rechtsprechung, dass die Marke im Hinblick auf die Anschauung der maßgeblichen Verkehrskreise geeignet sein muss, die Waren und Dienstleistungen, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und somit diese Produkte und Dienstleistungen von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Die Beurteilung der Unterscheidungskraft hat sich daher einerseits an den beanspruchten Waren und Dienstleistungen und andererseits an der Auffassung der angesprochenen Verkehrskreise zu orientieren (st. Rspr.; EuGH GRUR 2008, 608 ff. - Rn. 66, 67 - EUROHYPO; GRUR 2006, 229 - Rn. 27 ff. - BioID; GRUR 2004, 674 - Rn. 34 - POSTKANTOOR; BGH GRUR 2010, 935 - Rn. 8 - Die Vision; GRUR 2010, 825, 826 - Rn. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2009, 952 - Rn. 9 - DeutschlandCard; GRUR 2006, 850, 854 - Rn. 18 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 - BerlinCard; GRUR 2005, 257 - Bürogebäude; BGH GRUR 2003, 1050 - Cityservice; BGH GRUR 2001, 1153, 1154 - anti KALK). Als beteiligte Verkehrskreise sind alle Kreise zu verstehen, in denen die fragliche Marke Verwendung finden oder Auswirkungen haben kann. Die maßgeblichen Verkehrskreise definiert der EuGH als den Handel und/oder den normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher (Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl., § 8 Rdn. 29 m. w. N.; vgl. z. B. EuGH GRUR 2006, 411, 413 - Rn. 24 - Matratzen Concord/Hukla).

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Keine Unterscheidungskraft kommt Bezeichnungen zu, die einen beschreibenden Begriffsinhalt aufweisen, der für die in Frage stehenden Waren und Dienstleistungen ohne Weiteres und ohne Unklarheiten als solcher erfasst wird. Bei derartigen beschreibenden Angaben gibt es keinen tatsächlichen Anhaltspunkt, dass der Verkehr sie als Unterscheidungsmittel versteht (BGH GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; GRUR 2005, 417, 418 - BerlinCard). Darüber hinaus fehlt die erforderliche Unterscheidungskraft auch solchen Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu den betreffenden Waren und Dienstleistungen hergestellt wird (BGH WRP 2010, 1504, 1506 - Rn. 23 - TOOOR!; GRUR 2009, 949, 951 - Rn. 20 - My World; GRUR 2009, 411 - Rn. 9 - STREETBALL; GRUR 2006, 850, 854 - Rn. 19 - FUSSBALL WM 2006).

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Nach diesen Grundsätzen fehlt dem zur Eintragung in das Markenregister angemeldeten Zeichen jegliche Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.

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Das zur Eintragung angemeldete Zeichen ist gebildet aus "Ortho" und "1a". Dabei ist die Markenstelle zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Bestandteil "Ortho" im medizinischen Bereich in Anknüpfung an seine ursprüngliche Bedeutung "gerade, aufrecht; richtig, recht" um ein gebräuchliches Wortbildungselement bzw. Kurzwort für "orthopädisch/Orthopädie" handelt (vgl. Duden, Wörterbuch medizinischer Fachbegriffe, 8. Aufl. 2007, S. 565; BPatG 25 W (pat) 10/10 - Orthomedicum, BPatG 25 W (pat) 156/05 - ORTHO-SYSTEMS, beide veröffentlicht auf der Homepage des Gerichts).

16

Die Orthopädie befasst sich mit der Entstehung, Verhütung, Erkennung und Behandlung angeborener oder erworbener Form- oder Funktionsfehler der Haltungs- und Bewegungsorgane (vgl. Duden, Wörterbuch medizinischer Fachbegriffe, a. a. O., S. 565). Wie der Anmelderin als orthopädischer Gemeinschaftspraxis bekannt, kann die orthopädische Behandlung beispielweise durch Operationen, pharmazeutische Produkte, Physiotherapie sowie durch technische Hilfsmittel (Einlagen, orthopädische Schuhe, Prothesen, Orthesen) erfolgen. "Ortho" im Sinn von "Orthopädie" kann damit ohne weiteres als Sachhinweis auf die Bestimmung der Waren oder den Gegenstand der hier beanspruchten Dienstleistungen dienen und auch so verstanden werden.

17

Wie die Markenstelle bereits ausgeführt und unter Übersendung von Nachweisen belegt hat, ist der weitere Markenbestandteil "1a" eine geläufige Bezeichnung für "prima, hervorragend" (vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl., S. 488 zum Stichwort "eins a"), die ganz allgemein als Qualitätsangabe für erstklassige Qualität eingesetzt werden kann und wird, und zwar sowohl für Produkte wie beispielsweise Kontaktlinsen, als auch im Rahmen der Zertifizierung zum Beispiel von Fachhändlern (vgl. Anlagen zum Beanstandungsbescheid; auch http://web136.bob.kundenserver42.de/1afh/pruefkriterien; vgl. auch HABM, R0098/07-1, Rn. 15 - 1A Gesund).

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Zwar kann, worauf die Anmelderin hinweist, "1a" auch die Angabe einer Hausnummer sein. Dies mag in Verbindung mit der von ihr genannten Straßenbezeichnung "L.strasse" der Fall sein. Durch das in der Anmeldung enthaltene Wort "Ortho" liegt indessen die Angabe einer Hausnummer fern; vielmehr wird den angesprochenen Verkehrskreisen mit "Ortho 1a" nur die Bedeutung "Orthopädie eins a" vor Augen geführt.

19

Das begriffliche Verständnis der Gesamtbezeichnung Ortho1a im Sinn von "Orthopädie erstklassig" bereitet somit sowohl für den Endverbraucher wie für den Fachverkehr und auch ohne Zugrundelegung der auf dem vorliegenden Waren- und Dienstleistungsgebiet erhöhten Aufmerksamkeit des sich informierenden Publikums keinerlei Schwierigkeiten. Soweit die Anmelderin meint, dass die Qualitätsangabe "1a" nur vorangestellt vor ein Substantiv verwendet werde, und hier durch Nachstellung zum Nachdenken anrege, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Abgesehen davon, ob dies so zutrifft, lässt sich nicht feststellen, dass das Verkehrsverständnis der Anmeldung im genannten Sinn damit entfällt. Die Bedeutung von "1a" ergibt sich aus der Kombination der Zahl 1 mit dem Buchstaben "a", die auch nachgestellt ohne analysierende Betrachtung nicht für den Verkehr verloren geht.

20

In ihrer Gesamtheit ist die angemeldete Marke mit der vorgenannten Bedeutung geeignet, in werbemäßig anpreisender Art beschreibend auf Bestimmung und Beschaffenheit der betreffenden Waren und Dienstleistungen hinzuweisen, nämlich auf die erstklassige Qualität der für die Orthopädie bestimmten Produkte bzw. die erstklassige Qualität solcher Dienstleistungen. Weitgehend weist das Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen diesen Anwendungsbereich explizit aus. Doch auch soweit Oberbegriffe angemeldet sind, welche sich nicht ausdrücklich auf den Bereich der Orthopädie beschränken, können diese durch die Verwendung des Oberbegriffs auch in den Bereich der Orthopädie fallen. Zur Versagung der Eintragung reicht es bereits aus, wenn das Zeichen nur für einen Teil der Waren bzw. Dienstleistungen nicht schutzfähig ist, der unter die jeweiligen Oberbegriffe fällt (vgl. Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl., § 8 Rdn. 82 m. w. N.).

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Da das Formalrecht an der registrierten Marke keine schützenswerte vorherige Leistung des Markenanmelders voraussetzt, ist für die Frage der Unterscheidungskraft unerheblich, ob und inwieweit die angemeldete Marke von der Anmelderin "erfunden" worden ist (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 8 Rdn. 108).

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Die Marke kann damit ihre Hauptfunktion, nämlich den Verkehrskreisen die Ursprungsidentität der mit der Marke gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu garantieren, nicht erfüllen. Die angemeldete Marke ist nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG von der Eintragung ausgeschlossen.