Entscheidungsdatum: 26.08.2010
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2008 043 155.5
hat der 25. Senat (Marken Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 26. August 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Knoll sowie der Richter Merzbach und Metternich
beschlossen:
Die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 05 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. Juli 2009 und 17. November 2009 werden aufgehoben, soweit die Anmeldung im Umfang der Erinnerungszurückweisung, nämlich in Bezug auf die Waren und Dienstleistungen zurückgewiesen worden ist:
"pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; Hygienepräparate für medizinische Zwecke; Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost; Pflaster, Kompressen und andere Wundabdeckungen; Drainageschwämme (Wundschwämme) und Hydrokolloidverbände; Verbandmaterial, Artikel für Inkontinenzkranke (soweit in Klasse 5 enthalten) einschließlich Hosen, Tampons und Windeln für Inkontinenzkranke; Desinfektionsmittel; Artikel für die Wärme- und Kältetherapie (soweit in Klasse 10 enthalten), insbesondere elektrische Heizkissen und -decken für medizinische Zwecke; Krankenunterlagen einschließlich Dekubitus-Unterlagen; orthopädische Artikel, insbesondere Bandagen, medizinische Strümpfe für Arm und Bein (Kompressionsstrümpfe, Thrombose-Prophylaxe-Strümpfe, Stützstrümpfe), medizinische Strumpfhosen (Kompressions-, Thrombose-Prophylaxe- und Stütz-Strumpfhosen) sowie Teile derselben; Artikel der Orthopädie, insbesondere Orthesen für die Bereiche Cervical, Rumpf, Schulter, Arm, Hand, Bein, Knie, Fuß, Sprunggelenk; medizinische Geräte und Artikel für krankengymnastische Übungen und Rekonvaleszenz (soweit in Klasse 10 enthalten); chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, Silikonprodukte für den Bereich Prothesen, insbesondere zur verbesserten Stumpfschafthaftung; künstliche Augen und künstliche Zähne sowie Gegenstände für Endoprothetik, insbesondere Hüftgelenkprothesen, Implantate, Knochenschrauben; Papier, Pappe (Karton) und Waren aus diesen Materialien (soweit in Klasse 16 enthalten); Druckereierzeugnisse, Fotografien, Lehr- und Unterrichtsartikel (ausgenommen Apparate); betriebswirtschaftliche Beratungsdienst-leistungen für Qualitätsmanagement und Logistik in Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen, ambulanten Pflegediensten sowie ambulanten Praxiskliniken; Organisation von Messen und Ausstellungen für Werbezwecke; Organisation und Veranstaltung von Messen für Aus- und Weiterbildungszwecke auf wissenschaftlichem Gebiet; organisatorische und betriebswirtschaftliche Beratung im Rahmen von Messen und Ausstellungen zu Werbezwecken bezüglich der Förderung von medizinischen Vorbeugungsmaßnahmen, Zusammenstellung von Gesundheitsdaten in Computerdatenbanken zur Informationsaufarbeitung in Gesundheitsfragen; Verteilung von Broschüren, Zeitungen und Zeitschriften zu Werbezwecken; Marketing, Marktforschung und Marktanalysen; Beratung Dritter in der Organisation von Unternehmen, bei der Geschäftsführung und in der Unternehmensverwaltung; Werbung für Dritte, insbesondere Rundfunkwerbung (Hör- und Fernsehrundfunk), Kinowerbung; Durchführung von Vorbeugungsmaßnahmen im Rahmen von Seminaren, Kongressen, Messen und Ausstellungen für Werbezwecke; Organisation und Veranstaltung von Seminaren, Kongressen, Messen und Ausstellungen für Werbezwecke; Übermittlung von Nachrichten; Bereitstellen des Zugriffs auf Informationen über Gesundheitsfragen im Internet; elektronische Übermittlung von Informationen über die Volksgesundheit in Datennetzen; Transportwesen; sportliche und kulturelle Aktivitäten; Ausbildung, insbesondere Veranstaltung von Fort- und Weiterbildungsseminaren für die Administration in Krankenhäusern und im ambulanten Bereich, für die Alten- und Heimpflege, im stationären und ambulanten Pflege- und Operationsbereich, für Ärzte, Arzthelfer/innen und Pflegepersonal, für die Mitarbeiter von Industrie und Handel im Bereich Medizintechnik; Weiterbildung, insbesondere medizinische Weiterbildung; Veranstaltung von Fernkursen; betriebswirtschaftliche, organisatorische und Qualitätsmanagementberatung für die Logistik in Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen, ambulanten Pflegediensten und ambulanten Praxiskliniken; Filmproduktion, Filmvorführungen, Rundfunkdarbietungen (Hör- und Fernsehrundfunk), Veröffentlichung von Printmedien über Gesundheitsfragen, auch in elektronischer Form, auch im Internet; Durchführung von Vorbeugungsmaßnahmen im Rahmen von Konferenzen, Seminaren, Kongressen, Ausstellungen zu Unterrichtszwecken; Organisation und Veranstaltung von Seminaren, Kongressen und Ausstellungen für Unterrichtszwecke; wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Medizin, Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software; Vermietung von Datenverarbeitungsgeräten; Organisation und Veranstaltung von Seminaren, Kongressen und Ausstellungen für wissenschaftliche Zwecke; Durchführung von Vorbeugungsmaßnahmen im Rahmen von Konferenzen, Seminaren, Kongressen und Ausstellungen zu wissenschaftlichen Zwecken; Verpflegung und Beherbergung von Gästen; medizinische und veterinärmedizinische Dienstleistungen; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen und Tiere; medizinische Beratung über Anwendungsmöglichkeiten von medizinischen Heil- und Hilfsmitteln; ärztliche Versorgung, Gesundheits- und Schönheitspflege, Dienstleistungen auf dem Gebiet der Tiermedizin und der Landwirtschaft".
I.
Die Bezeichnung
Orthomedicum
ist am 5. Juli 2008 für eine Vielzahl von Waren und Dienstleistungen der Klassen 03, 05, 10, 16, 35, 38, 39, 41 - 45 zur Eintragung in das Markenregister angemeldet worden.
Nach vorheriger Beanstandung wegen absoluter Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 MarkenG hat die Markenstelle für Klasse 05 des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung zunächst mit Beschluss vom 29. Juli 2009 vollständig und auf die Erinnerung der Anmelderin mit Beschluss vom 17. November 2009 teilweise, nämlich in Bezug auf die im Tenor genannten Waren und Dienstleistungen zurückgewiesen, da es sich bei dem angemeldeten Zeichen insoweit um eine nicht unterscheidungskräftige Angabe nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG handele.
"Ortho" werde von den angesprochenen Verkehrskreisen als Abkürzung für "Orthopädie" und "medicum" im Sinne von "medizinisch, heilend" oder auch als Gebäude, in dem geheilt werde, wie z. B. Technikum verstanden. Auch wenn der Begriff "Orthomedicum" bisher nicht lexikalisch nachweisbar sei, werde er daher ohne weiteres im Sinne von "orthopädische Heilung" verstanden. Dieser Begriff beschreibe die in Frage stehenden Waren und Dienstleistungen dahingehend, dass es sich um solche handele, die für die Heilung auf dem Gebiet der Orthopädie benötigt würden bzw. damit im Zusammenhang stünden. Dies könnten Druckschriften und Fotografien zu dem Thema sein, pharmazeutische Produkte und Hilfsmittel, die bei der Behandlung gebraucht würden, ferner die Schulung auf diesem Gebiet, die wirtschaftliche und werbemäßige Vermarktung der medizinischen Angebote, Forschung auf dem Gebiet der orthopädischen Medizin, das Erstellen von Computerprogrammen für diese Branche usw.. Angesichts seines sachbezogenen Aussagegehalts sei unerheblich, ob dieser Begriff mit dieser Bedeutung bereits verwendet werde.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, die sinngemäß beantragt,
die Beschlüsse der Markenstelle Klasse 05 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. Juli 2009 und 17. November 2009 aufzuheben, soweit die Anmeldung zurückgewiesen worden ist.
Auch wenn der Verkehr in "Ortho" einen Hinweis auf "Orthopädie" erkenne, könne dem Gesamtzeichen eine Schutzfähigkeit nicht abgesprochen werden. Entgegen der seitens des Senats im Ladungszusatz vom 9. August 2010 angedeuteten Auffassung werde der Verkehr diese Bezeichnung insbesondere nicht wie z. B. "Ortho(pädie)klinik" oder Ortho(pädie)zentrum" als Hinweis auf eine orthopädische Einrichtung bzw. orthopädisches Versorgungszentrum verstehen, da jedenfalls den vorliegend maßgeblichen allgemeinen Verbrauchern eine solche Bedeutung von "medcum" nicht allgemein bekannt sei. Auch die seitens des Senats genannten Verwendungsbeispiele belegten keine sachbezogene Verwendung und ein entsprechendes Verständnis des Begriffs "medicum".
Die Markeninhaberin hat ihren ursprünglich hilfsweise gestellten Terminsantrag mit Schriftsatz vom 13. August 2010 zurückgenommen, worauf der auf den 26. August 2010 angesetzte Termin zur mündlichen Verhandlung abgesetzt worden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Markenstelle sowie auf die Schriftsätze der Anmelderin und den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Anmelderin ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Nach Auffassung des Senats stehen der Eintragung der Bezeichnung "Orthomedium" in Bezug auf die zurückgewiesenen genannten Waren und Dienstleistungen keine Schutzhindernisse im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG entgegen, auch soweit diese einen Bezug zu Medizin, Pharmazie, Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen aufweisen können.
Die angemeldete Wortkombination besteht aus den Wortbestandteilen "Ortho" und "medicum". Die Gesamtbezeichnung "Orthomedicum" ist weder lexikalisch nachweisbar, noch lässt sie sich aktuell als beschreibende Fachbezeichnung feststellen. Entgegen der Auffassung der Markenstelle wird der Verkehr die angemeldete Bezeichnung auch nicht sofort und ohne weiteres i. S. von "orthopädische Heilung" verstehen. Zwar handelt es sich bei dem Bestandteil "Ortho" im medizinischen Bereich in Anknüpfung an seine ursprüngliche Bedeutung "gerade, aufrecht; richtig, recht" (vgl. dazu Duden "Das Große Fremdwörterbuch", 4. Aufl. unter dem entsprechenden Stichwort) um ein gebräuchliches Wortbildungselement bzw. Kurzwort für "orthopädisch/Orthopädie". Dies trifft auf den weiteren Bestandteil "medicum" jedoch nicht zu. Anders als z. B. bei dem ebenfalls verbreiteten Wortbildungselement "medi" lässt sich eine Verwendung von "medicum" als Fachbegriff für "Heilung/heilend" oder auch "medizin/medizinisch" im Inland nicht nachweisen. Ein (korrektes) Verständnis als Akkusativ des lateinischen Substantivs/Adjektivs "medicus" (= Arzt bzw. heilend) erschließt sich grundsätzlich auch nur dem - eher geringen - Teil des Verkehrs, welchem zumindest Grundregeln der lateinischen Sprache und deren Grammatik bekannt sind. Hingegen wird der mit der lateinischen Sprache regelmäßig nicht vertraute allgemeine Verkehr mit dem Bestandteil "medicum" zwar - der Bedeutung nicht ganz entsprechende - Assoziationen an "medizinisch/Medizin" verbinden, den Begriff in seiner Gesamtheit aufgrund der Endung "-cum" jedoch eher als Fantasiewort auffassen. Wenngleich danach beide Wortbestandeile deutlich erkennbare beschreibende Anklänge enthalten, wirkt die sprachregelwidrige Kombination von "medicum" mit dem aus dem Griechischen stammenden Wortbildungselement "Ortho" zu einer neuartigen Wortkombination aus sich heraus noch hinreichend originell und individualisierend. Aufgrund dieses ungewöhnlichen sprachlichen Gesamteindrucks erschließt sich für den Verkehr, der erfahrungsgemäß nicht dazu neigt, Bezeichnungen begrifflich zu analysieren, um beschreibende Bedeutungen herauszulesen, ein von der Markenstelle angenommener Bedeutungsgehalt i. S. von "orthopädische Heilung" bzw. "orthopädisch heilend" jedenfalls nicht so unmittelbar und nachhaltig, dass es gerechtfertigt wäre, der Bezeichnung in Bezug auf die hier streitgegenständlichen Waren und Dienstleistungen jegliche betriebliche Kennzeichnungswirkung abzusprechen.
Entgegen der im Ladungszusatz vom 9. August 2010 angedeuteten Auffassung vermag der Senat auch nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen, dass der Verkehr in "medicum" lediglich eine Bezeichnung für eine medizinische Versorgungseinrichtung erkennen und die Gesamtbezeichnung in Zusammenhang mit Waren und Dienstleistungen aus dem medizinisch-pharmazeutischen Bereich daher ohne weiteres i. S. von "orthopädische(s) Versorgungseinrichtung(zentrum)" verstehen wird. Zwar deuten die der Anmelderin mit der Ladung übersandten Belege nach Auffassung des Senats durchaus darauf hin, dass sich der Begriff "Medicum" im Inland inzwischen zu einem Fachbegriff entwickelt hat, mit dem medizinische Einrichtungen bezeichnet werden, in denen ärztliche und damit zusammenhängende Dienstleistungen angeboten werden. Allerdings wird der Begriff danach ausschließlich in Alleinstellung mit einem örtlichen Zusatz verwendet. Hingegen lassen sich vergleichbare Begriffsbildungen mit "medicum" unter Voranstellung einer das medizinische Fachgebiet benennenden Angabe wie z. B. "Ortho" als Hinweis auf "Orthopädie" nicht nachweisen. Innerhalb eines einheitlichen Begriffs wie "Orthomedicum" tritt "medicum" aber nicht so deutlich als Hinweis auf eine "orthopädische(s) Versorgungseinrichtung(zentrum)" hervor wie dies z. B. bei den weitaus geläufigeren Begriffen "Orthozentrum" oder Orthoklinik" der Fall ist, zumal der Begriff "medicum" noch nicht so verbreitet ist wie "Klinik" oder "Zentrum". Auch insoweit ist daher ein beschreibender Sinngehalt der beiden Wortbestandteile durch eine hinreichend fantasievolle Wortbildung jedenfalls so weit überlagert, dass der Marke in ihrer Gesamtheit eine Wirkung als betrieblicher Herkunftshinweis nicht abgesprochen werden kann.
Auch wenn die angemeldete Bezeichnung als sprechende Marke Merkmale der beanspruchten Waren und Dienstleistungen relativ deutlich andeutet, eignet sie sich gleichwohl weder im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG als unmittelbar beschreibende Angabe noch kann kann ihr das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft abgesprochen werden, wobei es sich insoweit durchaus um einen engen Grenzfall handelt.
Die Beschwerde hat daher Erfolg.