Entscheidungsdatum: 01.03.2018
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2014 020 761.3
hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 1. März 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richter Merzbach und Dr. Meiser
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 2. Dezember 2014 und vom 4. August 2017 aufgehoben.
I.
Die Bezeichnung
JurFirm
ist am 15. Januar 2014 für die Dienstleistungen der
„Klasse 35: Beratung bei der Organisation und Führung von Unternehmen; Beratung in Fragen der Geschäftsführung; Beratung in Fragen des Personalwesens; Beratungsdienste in Fragen der Geschäftsführung; Erstellung von Steuererklärungen; Erteilung von Auskünften [Information] und Beratung für Verbraucher in Handels- und Geschäftsangelegenheiten [Verbraucherberatung]; Erteilung von Auskünften in Handels- und Geschäftsangelegenheiten; Verbraucherberatung
Klasse 41: Veranstaltung und Durchführung von Seminaren; Veranstaltung und Durchführung von Workshops [Ausbildung]
Klasse 45: Dienstleistungen eines Rechtsanwalts; Dienstleistungen in Prozessangelegenheiten; juristische Dienstleistungen; Mediation; Nachforschungen in Rechtsangelegenheiten; Rechtsberatung und -vertretung; Schlichtungsdienstleistungen; Übernahme von Behördengängen für Dritte; Überwachung von gewerblichen Schutzrechten für Rechtsberatungszwecke“
zur Eintragung als Wortmarke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Markenregister angemeldet worden.
Die Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die Anmeldung durch Beschlüsse vom 2. Dezember 2014 und vom 4. August 2017, wobei letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, wegen fehlender Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) zurückgewiesen.
Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, der angesprochene Verkehr werde den Begriff JurFirm ohne weiteres als Hinweis auf Dienstleistungen eines „juristischen Unternehmens“ verstehen. Der Bestandteil "Firm“ stamme zwar aus dem Englischen, sei jedoch seiner deutschen Entsprechung "Firma" sehr ähnlich. Bei dem Bestandteil „Jur“ handele es sich um die Kurzform für "juristisch, Jurisprudenz“. Die Rechercheergebnisse der Markenstelle belegten ferner, dass es - entgegen dem Vorbringen der Anmelderin - sehr wohl „juristische Firmen“ oder „juristische Unternehmen“ gebe. Damit sei die Wortzusammensetzung den hier angesprochenen breiten Verkehrskreisen sowie Fachkreisen aus dem Bereich Rechtswesen ohne weiteres verständlich; sie erschöpfe sich hinsichtlich sämtlicher beanspruchten Dienstleistungen in einer sachbezogenen Aussage, so dass dem Anmeldezeichen jegliche Unterscheidungskraft fehle. Ob darüber hinaus auch ein Freihaltebedürfnis im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG vorliege, wofür allerdings erhebliche Anhaltspunkte bestünden, könne dahingestellt bleiben.
Gegen diese Beurteilung richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
Sie macht geltend, dass die angemeldete Bezeichnung über die erforderliche Unterscheidungskraft verfüge. Gegenstand der Prüfung sei ausschließlich das angemeldete Zeichen in seiner Gesamtheit, wogegen die Markenstelle fehlerhaft eine Analyse der Einzelbestandteile „Jur“ und „Firm“ vorgenommen habe. Selbst wenn das Anmeldezeichen als Kombination dieser Wortelemente wahrgenommen werde, ergebe sich aus dieser Wortverbindung keine im Vordergrund stehende beschreibende Aussage für die beanspruchten Dienstleistungen. Die Gesamtbezeichnung JurFirm sei weder in der deutschen, noch in der englischen, noch in einer anderen Sprache gebräuchlich und enthalte keine für den Verkehr allgemein verständliche Gesamtaussage. Insbesondere handele es sich nicht um eine gängige Bezeichnung für Anwaltssozietäten. Eine „juristische Firma“ bzw. ein „juristisches Unternehmen“ gebe es nicht. Bei den Fundstellen der Markenstelle handele es sich durchweg um solche, die aus dem Ausland stammten bzw. auf einer fehlerhaften Übersetzung ins Deutsche beruhten. Gebe man „jurfirm“ in eine Suchmaschine ein, so verweise diese immer auf den Begriff „yourfirm“. Das Markenwort sei mithin mehrdeutig und interpretationsbedürftig, ohne dass ein beschreibender Sinngehalt eindeutig im Vordergrund stehe.
Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 2. Dezember 2014 und vom 4. August 2017 aufzuheben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Anmelderin hat auch in der Sache Erfolg. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Eintragungshindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG bestehen. Insbesondere kann der angemeldeten Bezeichnung nicht jegliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG abgesprochen werden.
1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. z. B. EuGH GRUR 2015, 1198 (Nr. 59) - Kit Kat; GRUR 2012, 610 (Nr. 42) - Freixenet; GRUR 2008, 608 (Nr. 66) - EUROHYPO; BGH GRUR 2016, 1167 (Nr. 13) - Sparkassen-Rot; GRUR 2015, 581 (Nr. 16) - Langenscheidt-Gelb; GRUR 2015, 173 (Nr. 15) - for you; GRUR 2014, 565 (Nr. 12) - smartbook; GRUR 2013, 731 (Nr. 11) - Kaleido; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) - Starsat, jeweils m. w. N.). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. etwa EuGH GRUR 2015, 1198 (Nr. 59) - Kit Kat; GRUR 2014, 373 (Nr. 20) - KORNSPITZ; 2010, 1008, 1009 (Nr. 38) - Lego; GRUR 2008, 608, 611 (Nr. 66) - EUROHYPO; GRUR 2006, 233, 235, Nr. 45 - Standbeutel; BGH GRUR 2016, 1167 (Nr. 13) - Sparkassen-Rot; GRUR 2016, 934 (Nr. 9) - OUI; GRUR 2015, 581 (Nr. 16) - Langenscheidt-Gelb; BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) - for you; GRUR 2009, 949 (Nr. 10) - My World). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2017, 186 (Nr. 29) - Stadtwerke Bremen; GRUR 2016, 1167 (Nr. 13) - Sparkassen-Rot; GRUR 2015, 581 (Nr. 9) - Langenscheidt -Gelb; GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) - for you; GRUR 2014, 565, 567 (Nr. 12) - smartbook; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) - Starsat; GRUR 2012, 270 (Nr. 8) - Link economy).
Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, 412 (Nr. 24) - Matratzen Concord/Hukla).
Hiervon ausgehend besitzen Marken insbesondere dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 1143, Nr. 15 - Aus Akten werden Fakten) lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2013, 519 (Nr. 46) - Deichmann; GRUR 2004, 674 (Nr. 86) - Postkantoor; BGH GRUR 2017, 186 (Nr. 30, 32) - Stadtwerke Bremen; 2014, 1204 (Nr. 12) - DüsseldorfCongress; GRUR 2012, 270 (Nr. 11) - Link economy; GRUR 2009, 952 (Nr. 10) - DeutschlandCard). Darüber hinaus kommt nach ständiger Rechtsprechung auch solchen Zeichen keine Unterscheidungskraft zu, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2017, 186 (Nr. 32) - Stadtwerke Bremen; GRUR 2014, 1204 (Nr. 12) - Düsseldorf Congress; GRUR 2012, 1143 (Nr. 9) - Starsat; GRUR 2010, 1100 (Nr. 23) - TOOOR!; GRUR 2006, 850 (Nr. 28 f.) - FUSSBALL WM 2006).
2. Nach diesen Grundsätzen verfügt die angemeldete Bezeichnung JurFirm über die erforderliche Unterscheidungskraft.
Die Markenstelle ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass sich die angemeldete Marke - für den Verkehr schon auf Grund der Binnengroßschreibung leicht ersichtlich - aus den Elementen „Jur“ und „Firm“ zusammensetzt.
Der Zeichenbestandteil „Jur“ ist die Abkürzung für „juristisch“, „juridisch" (vgl. Duden, Das Wörterbuch der Abkürzungen, 6. Aufl. 2011; „www.abkuerzungen.de“) und wird in diesem Sinne auch vom angesprochenen Verkehr, bei dem es sich um Fachverkehrskreise und Endverbraucher (im Hinblick auf einige der Dienstleistungen der Klasse 35 hingegen ausschließlich um gewerbliche Unternehmer) handelt, verstanden (vgl. hierzu bereits BPatG PAVIS PROMA, 30 W (pat) 25/14 - jurpartner; 30 W (pat) 28/13 - JurRadar; 33 W (pat) 40/10 - JurHelp; 30 W (pat) 73/08 - doc-jur; 29 W (pat) 149/10 - JURDAY). Entgegen dem Beschwerdevorbringen liegt im vorliegenden Dienstleistungszusammenhang für den Verkehr ein Verständnis dahingehend, dass die Silbe „jur“ (auch) für das englische Possessivpronomen „your“ stehen kann, fern (vgl. BPatG PAVIS PROMA, 30 W (pat) 25/14 - jurpartner; 33 W (pat) 40/10 - JurHelp).
„Firm“ gehört mit den Bedeutungen „Firma“ sowie „fest“ zum englischen Grundwortschatz (Klett, Thematischer Grund- und Aufbauwortschatz Englisch, 1. Aufl. 2000). Auf dem hier betroffenen Dienstleistungssektor liegt für „Firm“ die Bedeutung „Firma“ auf der Hand. Hierfür spricht zum einen die Großschreibung, zum anderen die Zusammensetzung mit „Jur“, bei der „fest“ keinen Sinn ergibt (vgl. BPatG PAVIS PROMA 29 W (pat) 307/00 - FirmCom; vgl. auch EUIPO PAVIS PROMA R1313/09-4 - patentfirm).
Ausgehend hiervon wird der angesprochene Verkehr den jeweiligen Sinngehalt der beiden Wortbestandteile verstehen und insoweit auch einen beschreibenden Bezug zu den beanspruchten Dienstleistungen herstellen. Dies allein reicht aber nicht aus, um der angemeldeten Bezeichnung die Schutzfähigkeit abzusprechen. Das Vorliegen des Schutzhindernisses bemisst sich nämlich nicht nur danach, ob etwaige Wortbestandteile für sich betrachtet unterscheidungskräftig sind; entscheidend ist vielmehr, ob dem durch die Verbindung der Bestandteile entstandenen Gesamtzeichen die Eignung zur betrieblichen Herkunftskennzeichnung fehlt (vgl. EuGH GRUR 2004, 674 (Nr. 99) - Postkantoor; GRUR 2004, 680 (Nr. 40) BIOMILD; GRUR 2010, 534 (Nr. 42) - PRANAHAUS; BGH GRUR 2012, 270 (Nr. 16) - Link economy; GRUR 2014, 1204 (Nr. 16) - Düsseldorf Congress; GRUR 2017, 186 (Nr. 30) - Stadtwerke Bremen; siehe auch m. w. N. Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 8 Rn. 201, 217-218). Insoweit ist anerkannt, dass ein beschreibender Sinngehalt eines Markenwortes im Einzelfall durch eine hinreichend fantasievolle Wortbildung so weit überlagert sein kann, dass der Marke in ihrer Gesamtheit die erforderliche Unterscheidungskraft nicht mehr abzusprechen ist (vgl. z. B. BGH GRUR 2017, 520 (Nr. 49) - MICRO COTTON; GRUR 1995, 408, 409 - PROTECH; BPatG PAVIS PROMA 30 W (pat) 23/10 - JURAWERK; BPatG GRUR-1997, 639, 640 - FERROBRAUSE). Dabei kann eine die bloße Summenwirkung der beschreibenden Einzelbestandteile übersteigende und damit schutzbegründende Wirkung vor allem in syntaktischer oder semantischer Art durch eine besondere sprachliche Ausgestaltung oder durch die Ungewöhnlichkeit der Kombination erzielt werden (vgl. m. w. N. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 8 Rn. 219).
So liegt der Fall hier. Bei dem Gesamtzeichen JurFirm handelt es sich, wie die Anmelderin mit Recht vorbringt, um ein weder im Deutschen noch im Englischen vorhandenes Fantasie- und Kunstwort mit eigenschöpferischem Gehalt, dem auch bei bestehenden beschreibenden Anklängen nicht jegliche Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG versagt werden kann (vgl. BGH GRUR 2017, 520 (Nr. 49) - MICRO COTTON). Das Anmeldezeichen wirkt in seiner Gesamtheit gerade auch deshalb aus sich heraus noch hinreichend originell und individualisierend (vgl. dazu BGH GRUR 2013, 731 Nr. 20 - Kaleido; GRUR 2008, 905 Nr. 18 - PANTO), da es die festgefügte, auch in den deutschen Sprachgebrauch eingegangene Begrifflichkeit „Lawfirm“ sprachregelwidrig abwandelt, indem es eine deutschsprachige Abkürzung („Jur“) mit dem englischen Wort „Firm“ kombiniert. Ausgehend hiervon bedarf auch das von der Markenstelle angenommene Verständnis der Gesamtbezeichnung JurFirm jedenfalls mehrerer Gedankenschritte im Rahmen einer analysierenden Betrachtungsweise, zumal auch die Begriffe „juristische Firma“ bzw. „juristisches Unternehmen“ im Deutschen nicht gängig zur Bezeichnung einer Anwaltssozietät verwendet werden. Die Fundstellen der Markenstelle sind dabei, wie die Anmelderin mit Recht rügt, nicht geeignet, eine inländische Verwendung dieser Begriffe zu belegen, da es sich ausschließlich um Internetauftritte ausländischer (vorwiegend osteuropäischer) Anwaltssozietäten handelt und die Begriffswahl „juristisches Unternehmen“ insoweit ersichtlich der (fehlerhaften) Übersetzung ins Deutsche geschuldet ist. Dass Anwaltssozietäten im Inland mit den Begriffen „juristische Firma“ bzw. „juristisches Unternehmen“ beschrieben werden, ist auch nach einer ergänzenden Internetrecherche des Senats nicht festzustellen.
3. Im Hinblick auf ihre fantasievolle Wortbildung unterliegt die angemeldete Marke auch keinem Freihaltebedürfnis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.
Die Beschwerde hat daher Erfolg.