Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 18.06.2015


BPatG 18.06.2015 - 30 W (pat) 28/13

Markenbeschwerdeverfahren – "JurRadar" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
18.06.2015
Aktenzeichen:
30 W (pat) 28/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2011 026 232.2

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 18. Juni 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker, des Richters Merzbach und der Richterin Uhlmann

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 16. April 2013 wird aufgehoben.

Gründe

I.

1

Das Wortzeichen

2

JurRadar

3

ist am 10. Mai 2011 zur Eintragung als Marke für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 16, 36, 42 und 45 in das vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register angemeldet worden.

4

Mit Beschluss vom 16. April 2013 hat die Markenstelle für Klasse 45 die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft und eines Freihaltebedürfnisses zum Teil zurückgewiesen, und zwar für die folgenden Waren und Dienstleistungen der

5

„Klasse 9: Magnetaufzeichnungsträger;

6

Klasse 16: Druckereierzeugnisse; Lehr- und Unterrichtsmittel (ausgenommen Apparate);

7

Klasse 36: Versicherungswesen; Finanzwesen; Geldgeschäfte; Immobilienwesen;

8

Klasse 42: Wissenschaftliche Dienstleistungen und Forschungsdienstleistungen und damit zusammenhängende Entwicklungsdienstleistungen; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software; Sammeln und Liefern von Daten und Informationen;

9

Klasse 45: Juristische Dienstleistungen; Sicherheitsdienste zum Schutz von Sachwerten oder Personen; von Dritten erbrachte persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“.

10

Zur Begründung hat sie ausgeführt, das Wortzeichen setze sich aus dem Element „Jur“, das als gängige Abkürzung für „juristisch“ oder „Jurisprudenz“ verwendet werde, und dem Begriff „Radar“ zusammen, der sowohl ein Verfahren zur Ortung von Gegenständen im Raum mithilfe gebündelter elektromagnetischer Wellen als auch eine dazu geeignete Vorrichtung beschreibe. Im übertragenen Sinn werde „Radar“ mit dem Bedeutungsgehalt „Überwachung“ oder „Orientierungshilfe“ verwendet. Daher stehe die Wortkombination für „Juristische Überwachung“ bzw. „Juristische Orientierungshilfe“. In dieser Bedeutung weise sie für die zurückgewiesenen Waren einen objektiv beschreibenden Gehalt auf. Die Druckereierzeugnisse der Klasse 16 und die Magnetaufzeichnungsträger der Klasse 9 könnten eine juristische Überwachung oder Orientierungshilfe im Sinne einer grundlegenden Orientierung zum Gegenstand haben. Für die Dienstleistungen der Klasse 45 beschreibe das Zeichen Gegenstand und Ziel der Leistungen. Dies gelte auch für die Dienstleistungen der Klasse 42, die sämtlich der Realisierung einer juristischen Orientierungshilfe dienen könnten, was der Verkehr auch unmittelbar verstehe. Für die Dienstleistungen der Klasse 36 weise der Begriff auf die juristische Orientierung oder Überwachung hin, die für diese Dienstleistungen erforderlich sei. Die Zeichenbildung füge sich nahtlos in andere entsprechend gebildete sachliche Kombinationen wie „Phishing-Radar“, „Kredit-Radar“, „Jobmesse-Radar“ ein. Darüber hinaus fehle dem Anmeldezeichen auch die erforderliche Unterscheidungskraft. Originalität und Prägnanz komme dem Anmeldezeichen nicht zu.

11

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom 7. Juni 2013, mit der sie sinngemäß beantragt,

12

den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 16. April 2013 aufzuheben.

13

Sie trägt vor, das Anmeldezeichen sei kurz und prägnant und schon deshalb zur Eintragung geeignet. Es sei nicht üblich, den Bestandteil „jur“ als Abkürzung für „juristisch“, „Jurisprudenz“ oder „Jurist“ zu verstehen, denn er werde nicht isoliert verwendet. Auch der Wortbestandteil „Radar“ sei keineswegs eindeutig in seiner Bedeutung festgelegt, für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen sei er nicht beschreibend. Er werde zwar übertragen im Sinne von „sich etwas bewusst sein“ oder „etwas im Blick haben“ verwendet. Daraus auf die Bedeutung „Überwachungsfunktion“ oder „Orientierungshilfe“ schließen zu wollen, sei jedoch zu weitgehend und unüblich. Jedenfalls bedürfe es bei der vorliegenden Kombination „JurRadar“ einer so weitgehenden Übertragungs- und Kombinationsleistung, um auf das Vorliegen von Dienstleistungen im Sinne einer „juristischen Überwachung“ oder „juristischen Orientierungshilfe“ zu schließen, dass dem Zeichen die erforderliche Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werden könne. Außerdem bedürfe es eines gewissen Interpretationsgrades im Hinblick darauf, was unter einer „juristischen Überwachung“ zu verstehen sei. Das Zeichen sei eine Neuschöpfung und stelle keine übliche inhaltsbeschreibende Angabe für die zurückgewiesenen Waren und Dienstleistungen dar.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

15

Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der angegriffene Beschluss war aufzuheben, da der Anmeldung für die verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen kein Schutzhindernis gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 MarkenG entgegensteht. Insbesondere fehlt dem Anmeldezeichen „JurRadar“ weder jegliche Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, noch stellt es eine freihaltebedürftige beschreibende Angabe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG dar.

16

1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die dem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. EuGH GRUR 2012, 610, Rn. 42 - Freixenet; GRUR 2008, 608, 611, Rn. 66 f. - EUROHYPO; BGH GRUR 2013, 731, Rn. 11 - Kaleido; GRUR 2012, 1143, Rn. 7 - Starsat; GRUR 2012, 1044, 1045, Rn. 9 - Neuschwanstein; GRUR 2010, 825, 826, Rn. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2010, 935, Rn. 8 - Die Vision; GRUR 2006, 850, 854, Rn. 18 - FUSSBALL WM 2006). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. EuGH GRUR 2006, 233, 235, Rn. 45 - Standbeutel; GRUR 2006, 229, 230, Rn. 27 - BioID; GRUR 2008, 608, 611, Rn. 66 - EUROHYPO; BGH GRUR 2008, 710, Rn. 12 - VISAGE; GRUR 2009, 949, Rn. 10 – My World). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2012, 1143, Rn. 7 - Starsat; GRUR 2012, 1044, 1045, Rn. 9 - Neuschwanstein; GRUR 2012, 270, Rn. 8 - Link economy).

17

Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, 412 Rn. 24 - Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 943, 944 Rn. 24 - SAT.2; BGH GRUR 2010, 935 Rn. 8 - Die Vision; GRUR 2010, 825, 826 Rn. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2006, 850, 854 Rn. 18 - FUSSBALL WM 2006). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. EuGH GRUR 2004, 428, 431 Rn. 53 - Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; MarkenR 2000, 420, 421 - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION).

18

Hiervon ausgehend besitzen Wortmarken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, 678 Rn. 86 - Postkantoor; BGH GRUR 2012, 1143, 1144 Rn. 9 - Starsat; GRUR 2012, 270, 271 Rn. 11 - Link economy; GRUR 2009, 952, 953 Rn. 10 - DeutschlandCard; GRUR 2006, 850, 854 Rn. 19 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 - BerlinCard; GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; GRUR 2001, 1153 - antiKALK) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, 854 Rn. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050, 1051 - Cityservice; GRUR 2001, 1043, 1044 – Gute Zeiten –Schlechte Zeiten). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100 Rn. 23 - TOOOR!; GRUR 2006, 850, 855 Rn. 28 f. - FUSSBALL WM 2006).

19

Nach diesen Grundsätzen kann dem Anmeldezeichen JurRadar hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen nicht jegliche Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG abgesprochen werden.

20

Die Wortschöpfung JurRadar setzt sich – durch die Binnengroßschreibung des Anfangsbuchstabens des Wortbestandteils „Radar“ unmittelbar erkennbar – aus den Bestandteilen „Jur“ und „Radar“ zusammen. „Jur“ ist die Abkürzung für „juristisch, juridisch“ (Duden, Das Wörterbuch der Abkürzungen, 6. Auflage 2011).

21

Ein Radar ist ein Verfahren zur Ortung von Gegenständen im Raum mithilfe gebündelter elektromagnetischer Wellen, die von einem Sender ausgehen, von einem Gegenstand reflektiert und über einen Empfänger auf einem Anzeigegerät sichtbar gemacht werden. Gleichzeitig ist „Radar“ das Kurzwort für Radargerät, Radarschirm (www.duden.online.de). Umgangssprachlich wird der Begriff im übertragenen Sinn „etwas auf dem Radar haben“ in der Bedeutung „etwas im Blick haben, unter Beobachtung haben“ verwendet. Eine Gleichsetzung des Begriffs „Radar“ mit „Orientierungshilfe“ ist im inländischen allgemeinen Sprachgebrauch jedoch nicht feststellbar. Zwar finden sich Verwendungsnachweise für Zusammensetzungen des Begriffs „Radar“ mit substantivisch gebildeten Sachbegriffen wie die von der Markenstelle aufgeführten Wortbildungen „Phishing-Radar, Kreditradar, Jobmesse-Radar“. In Verbindung mit derartigen Sachbegriffen umschreibt Radar eine Suchfunktion im Internet, die Angebote zu dem betreffenden Sachbegriff in der Umgebung des Verwenders aufzeigt. Der vorangestellte Sachbegriff gibt das Objekt der Umgebungssuche an.

22

In diese Art der Wortbildung reiht sich das Anmeldezeichen jedoch nicht ein. In ihrer Zusammensetzung ist die Wortbildung ungewöhnlich und regt zum Nachdenken an. Denn der Begriff „Radar“ wird - jedenfalls in seiner übertragenen Bedeutung - regelmäßig nicht mit Adjektiven verbunden. Ebenso wenig ist der inländische Verkehr an die Beschreibung einer technischen Vorrichtung durch das Adjektiv „juristisch“ gewöhnt. In seiner Gesamtheit vermittelt das Zeichen zudem keine im Vordergrund stehende konkrete Sachaussage. Auch wenn die angesprochenen Verkehrskreise in JurRadar die Abkürzung für „juristisches Radar“ erkennen, erschließt sich ihnen nicht unmittelbar, was Gegenstand einer Ware oder Dienstleistung mit der Bezeichnung „juristisches Radar“ sein könnte.

23

Als Objektangabe für eine digitale Suchfunktion eignet sich die Abkürzung „jur“ für „juristisch“ ebenfalls nicht, weil „juristisch“ für eine stichwortartige Sachangabe zu unbestimmt ist. Insofern unterscheidet sich die Zeichenbildung von dem Anmeldezeichen „emerging markets radar“, das der von der Markenstelle zitierten Entscheidung des Bundespatentgerichts 27 W (pat) 28/09 zugrunde lag.

24

Das Anmeldezeichen ist in seiner Gesamtheit damit eine neuartige Kombination, die aus sich heraus originell und insoweit auch individualisierend wirkt. Es hat zwar beschreibende Anklänge, die von der Markenstelle angenommene beschreibende Bedeutung im Sinne von „juristische Orientierungshilfe“ drängt sich jedoch dem angesprochenen Verkehr nicht unmittelbar auf, sondern erschließt sich allenfalls über eine für die Prüfung der Unterscheidungskraft unzulässige analysierende Betrachtungsweise. Die Eignung als betrieblicher Herkunftshinweis kann ihm deshalb nicht abgesprochen werden.

25

2. Da dem Anmeldezeichen in seiner Gesamtheit mangels einer im Vordergrund stehenden Sachaussage für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen Unterscheidungskraft zukommt, besteht an dem Begriff JurRadar auch kein Freihaltebedürfnis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

26

Daher war der angegriffene Beschluss aufzuheben.