Entscheidungsdatum: 03.02.2015
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 23. Mai 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen und sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Rüge Erfolg, zwei Berichte des Johanniter-Zentrums für Kinder- und Jugendpsychiatrie N. seien entgegen den §§ 250, 256 StPO in der Hauptverhandlung verlesen und den Urteilsgründen verwertet worden; auf die weiteren verfahrens-sowie sachlich-rechtlichen Beanstandungen kommt es deshalb nicht mehr an.
1. Der Rüge liegt zugrunde:
Nach den Feststellungen missbrauchte der Angeklagte den am 21. Dezember 1997 geborenen Zeugen M. in dem Zeitraum vom 22. Dezember 2010 bis zum 1. September 2012 sexuell. Der Zeuge befand sich zeitweise in ambulanter Behandlung bei dem genannten Johanniter-Zentrum.
Der Angeklagte hat die Vorwürfe bestritten. Die Strafkammer hat ihre Überzeugung im Wesentlichen auf die Bekundungen des Zeugen gestützt und ausgeführt, es habe aufgrund der "Aussage gegen Aussage"-Konstellation einer umfassenden Überprüfung von dessen Angaben bedurft.
Im Hauptverhandlungstermin am 4. April 2014 sind auf Anordnung des Vorsitzenden ohne Beschluss der Strafkammer zwei den Zeugen betreffende ärztliche Berichte des Johanniter-Zentrums, das in der Rechtsform einer GmbH betrieben wird, verlesen worden. In den Urteilsgründen hat die Strafkammer den Inhalt der Berichte zunächst bei der Prüfung der Konstanz der Aussage des Zeugen gewürdigt. Im Rahmen der Prüfung der Zeugentüchtigkeit hat es sodann die in den Berichten enthaltenen Diagnosen - u.a. schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung, einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, Zustand nach hyperkinetischer Störung des Sozialverhaltens - dargestellt und ausgeführt, diese seien nicht relevant für die Aussagetüchtigkeit, da sie keine Auswirkung auf die Fähigkeit hätten, einen Lebenssachverhalt wahrzunehmen, zu speichern und später zu reproduzieren. Insbesondere böten die Berichte keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Erinnerungs-, Merk- oder Aussagefähigkeit des Zeugen aus besonderen, psychodiagnostisch erfassbaren Gründen eingeschränkt sei. Es handele sich nicht um ein Störungsbild, das die Zeugentüchtigkeit in Frage stelle, da sich keine Hinweise auf eine geistige Erkrankung oder aktuelle psychopathologische Defekte ergäben. Hieran ändere auch eine aufgeführte Tendenz zur Dissimulation nichts. Gestützt auf diese Erwägungen ist die Strafkammer von der Aussagetüchtigkeit des Zeugen ausgegangen.
2. Damit hat das Landgericht gegen § 250 Satz 2 StPO verstoßen, denn es hat von einer Vernehmung der behandelnden Ärzte abgesehen, seine Beweiswürdigung allein auf deren schriftliche Erklärungen gestützt und deren Inhalten eine wesentliche Beweisbedeutung zum Nachteil des Angeklagten beigemessen. Eine Verlesung nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) StPO kam bereits deshalb nicht in Betracht, weil das in der Rechtsform einer GmbH betriebene Johanniter-Zentrum nicht als öffentliche Behörde im Sinne der genannten Vorschrift anzusehen ist (vgl. für ein in Form einer GmbH betriebenes Krankenhaus BGH, Urteil vom 3. Juni 1987 - 2 StR 180/87, bei Pfeiffer NStZ 1988, 19).
Der Auffassung des Generalbundesanwalts, in Betracht komme eine Verlesung im allseitigen Einverständnis gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO, ist nicht zu folgen. Entgegen den Ausführungen des Generalbundesanwalts hat der Revisionsführer in der Begründung seines Rechtsmittels ausdrücklich vorgetragen, dass der Angeklagte und seine Verteidigung der Verlesung der Urkunden nicht zugestimmt hätten; sie seien insoweit nicht einmal angehört worden. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht zu erkennen gegeben hätte, nach der genannten Vorschrift verfahren zu wollen, sind nicht ersichtlich. Darauf, dass der Verlesung auch kein Beschluss der Strafkammer zugrunde lag (§ 251 Abs. 4 Satz 1 StPO), kommt es deshalb nicht mehr an.
3. Das Urteil beruht auf dem beanstandeten Mangel. Es ist mit Blick auf die Bedeutung, welche die Strafkammer der Aussagetüchtigkeit des Zeugen beigemessen hat, trotz der im Übrigen rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung nicht auszuschließen, dass sie sich nicht von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt hätte, hätte sie den Verfahrensfehler nicht begangen.
Becker Schäfer Mayer
Gericke Spaniol