Entscheidungsdatum: 08.02.2018
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. Juli 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und ein Messer sowie eine Schere eingezogen. Das auf die allgemeine Sachrüge gestützte Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung.
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts beschimpfte der alkoholisierte Beschuldigte an einer S-Bahn-Station eine Gruppe von Mädchen. Als die Geschädigte hinzukam und ihn bat aufzuhören, beleidigte er diese, drohte, sie "alle zu machen", und trat nach ihr, wobei er sie mehrere Male am Schienbein traf, so dass sie drei blaue Flecken davontrug. Schließlich ergriff er eine Bierflasche und schlug damit zweimal mit bedingtem Verletzungsvorsatz in Richtung des Kopfes der Zeugin. Er traf sie jedoch nicht, weil sie ihn mit dem Fahrrad, das sie schützend vor sich gestellt hatte, abdrängen konnte und ein Dritter eingriff. Anschließend entbot er mit ausgestrecktem Arm den sog. Hitlergruß und rief lautstark: "Heil Hitler" (Tat 1). Rund zwei Monate später lief der wiederum alkoholisierte Beschuldigte zwei jungen Frauen hinterher, von denen er eine an der Schulter packte und mit der rechten Hand derart heftig ins Gesicht schlug, dass sie zurücktaumelte, ihre Lippe blutete und sie eine zwei Tage anhaltende Schwellung erlitt (Tat 2).
Das Landgericht hat im ersten Fall die Tatbestände der versuchten gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen als erfüllt angesehen. Die Tat 2 hat es als Körperverletzung gewertet. Allerdings habe der an einer chronischen Alkoholhalluzinose leidende Beschuldigte die Taten jeweils im Zustand aufgehobener "Einsichts- und Steuerungs-fähigkeit" begangen, so dass er bei deren Begehung ohne Schuld gehandelt habe.
II. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hält die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Auch die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und die Ein-ziehung des sichergestellten Messers sowie der Schere erweisen sich als rechtsfehlerhaft.
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne eines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. In diesem Zusammenhang ist darzulegen, wie sich die festgestellte psychische Störung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 26. Juli 2016 - 3 StR 211/16, R&P 2016, 268 f. mwN).
Den sich daraus ergebenden Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht. Das Landgericht ist, dem Sachverständigen folgend, der Auffassung, dass der Beschuldigte, der seit Jahren Alkoholmissbrauch betreibt, zum Zeitpunkt beider Taten an einer Alkoholhalluzinose litt. Dabei handele es sich um eine selten auftretende alkoholbedingte Störung mit akustischen Halluzinationen und paranoiden Gedanken, die das Eingangsmerkmal einer dauerhaften krankhaften seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB erfülle und hier zur sicheren Annahme einer vollständigen Aufhebung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit führe.
Mit diesen Ausführungen versäumt es das Landgericht schon, zwischen Beeinträchtigungen der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit zu differenzieren, obgleich beides an sich nicht gleichzeitig vorliegen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 369/09, juris Rn. 7). Auch fehlen jegliche Darlegungen dazu, wie sich die Erkrankung des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation auf seine Schuldfähigkeit ausgewirkt hat.
Damit besteht auch keine hinreichende Grundlage für die Prüfung, ob das Landgericht die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus geforderte Gefährlichkeit des Beschuldigten rechtsfehlerfrei beurteilt hat. Dafür ist zunächst eine eindeutige Bewertung des Zustandes des Täters erforderlich. Nur wenn geklärt ist, ob der Beschuldigte (noch) die Fähigkeit besitzt, das Unrecht seines Tuns zu erkennen und lediglich nicht in der Lage ist, danach zu handeln, oder ob ihm bereits die Fähigkeit fehlt, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen, ist dem Revisionsgericht eine rechtliche Überprüfung der Gefährlichkeitsprognose möglich (BGH, Beschluss vom 7. März 2017 - 3 StR 521/16, NStZ-RR 2017, 201, 202). Soweit das Landgericht zum Beleg der Gefährlichkeit des Beschuldigten fünf weitere - zeitlich nach den verfahrensgegenständlichen Taten stattgefundene - Vorfälle anführt, in denen sich der jeweils alkoholisierte Beschuldigte aggressiv und bedrohlich verhielt, versäumt es zudem Ausführungen dazu, ob und in welcher Form die diagnostizierte psychische Erkrankung sich auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Begehung der jeweiligen Taten ausgewirkt hat. Ebenfalls wird der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und den Taten nicht hinreichend belegt.
Somit erlauben die Darlegungen nicht die revisionsgerichtliche Überprüfung, ob die Voraussetzungen des § 63 StGB zu Recht bejaht worden sind und damit die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtsfehlerfrei angeordnet worden ist. Über die Unterbringung des Beschuldigten muss deshalb - gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen - neu entschieden werden.
2. Auch die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Beschuldigten in einer Entziehungsanstalt hat das Landgericht rechtsfehlerhaft verneint.
Das Landgericht hat insoweit - ohne sich im Übrigen zu den Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 64 Satz 1 StGB zu verhalten - eine hin-reichend konkrete Erfolgsaussicht einer solchen Maßregel nach § 64 Satz 2 StGB verneint, da der Beschuldigte weder krankheits- noch behandlungseinsichtig sei.
Diese Ausführungen unterliegen rechtlichen Bedenken. Nach den Feststellungen spricht der Beschuldigte seit Jahrzehnten im Übermaß dem Alkohol zu. Zuletzt trank er täglich bis zu drei Litern Bier sowie mehrere Schnäpse, wobei er bereits nach dem Aufwachen mit dem Alkoholkonsum begann. Die beim Beschuldigten diagnostizierte Alkoholhalluzinose geht auf den jahrelangen Alkoholmissbrauch zurück und wird in ihren Auswirkungen jeweils durch Alkoholkonsum aktiviert. Sowohl zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Taten als auch zu dem der anderen im Urteil geschilderten Vorfälle stand der Beschuldigte erheblich unter Alkoholeinfluss. Damit liegt sowohl ein Hang des Beschuldigten, Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren, als auch ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum und den von ihm begangenen Taten nahe. Sollten - was das Landgericht offen gelassen hat - beim Beschuldigten die Voraussetzungen des § 64 Satz 1 StGB vorliegen, so hätte die Strafkammer sich bei der Prüfung der Erfolgsaussicht einer Behandlung in einer Entziehungsanstalt nicht mit dem Hinweis auf die mangelnde Krankheitseinsicht des Beschuldigten begnügen dürfen. Denn diese steht einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht notwendig entgegen. Mangelnde Krankheitseinsicht und Therapiebereitschaft können zwar im Einzelfall gegen die Erfolgsaussicht der Maßregel sprechen. Doch ist in solchen Fällen zunächst im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände der Grund des Motivationsmangels festzustellen und zu prüfen, ob eine Behandlungseinsicht für eine erfolgversprechende Therapie geweckt werden kann; denn gerade auch darin kann das Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug bestehen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2017 - 3 StR 177/17, juris Rn. 5 mwN).
3. Schließlich kann auch die Einziehung des Messers und der Schere keinen Bestand haben. Im Sicherungsverfahren nach § 413 StPO können nur Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden. Einziehungsentscheidungen als sonstige Maßnahmen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB kommen dagegen allein im selbständigen Einziehungsverfahren in Betracht (§ 440 StPO aF bzw. nunmehr § 435 StPO nF), wenn die Voraussetzungen des § 76a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB aF bzw. nunmehr § 76a Abs. 1 Satz 1, 2 StGB nF vorliegen (BGH, Beschlüsse vom 16. März 2016 - 4 StR 39/16, StraFo 2016, 256; vom 12. Dezember 2017 - 3 StR 558/17, juris Rn. 3). Der insoweit gemäß § 440 Abs. 1 StPO aF bzw. § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO nF erforderliche gesonderte Antrag ist nicht gestellt worden, so dass es für die Einziehung an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt.
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