Entscheidungsdatum: 21.04.2011
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 18. Mai 2010, soweit es die Angeklagte R. betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betruges zu der Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und - zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung - "von deren Vollstreckung fünf Monate abgezogen". Hiergegen richtet sich die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Der Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand. Der Strafausspruch enthält einen die Angeklagte begünstigenden Zumessungsfehler, der Ausspruch über die Kompensation leidet an durchgreifenden Darstellungs- und Erörterungsmängeln.
1. Das Landgericht hat die verhängte Freiheitsstrafe wegen des von der Angeklagten angerichteten Betrugsschadens in Höhe von rund drei Millionen € dem Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 1. Alt. StGB (Vermögensverlust großen Ausmaßes) entnommen und bei der Strafzumessung im engeren Sinne zu ihren Gunsten unter anderem - neben dem Umstand, dass die Tat bereits sechs Jahre zurückliegt - (zusätzlich) berücksichtigt, dass das Strafverfahren "rechtstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen unterlag". Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Die seit der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124 geltende sogenannte Vollstreckungslösung verpflichtet den Tatrichter, bei Verzögerungen im strafrechtlichen Verfahren deren Art und Ausmaß sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Diese Feststellung dient zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Der Tatrichter hat insofern in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung in den Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es indes nicht.
Für den Fall, dass die festgestellte überlange Verfahrensdauer - ganz oder teilweise - auf einem konventions- und rechtsstaatswidrigen Verhalten der Strafverfolgungsbehörden beruht, ist - von der Strafzumessung im engeren Sinne gesondert und hieran anschließend - zu prüfen, ob zur Entschädigung für diese Verfahrensverzögerung die - in den Urteilsgründen zum Ausdruck zu bringende - Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung genügt. Reicht diese zur Entschädigung des Angeklagten nicht aus, so hat das Gericht festzulegen, welcher bezifferte Teil der Strafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt und dies in der Urteilsformel auszusprechen. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht.
b) Danach erweist sich die durch das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne vorgenommene zusätzliche Berücksichtigung der rechtsstaats- und konventionswidrigen Verfahrensverzögerung als rechtsfehlerhaft; denn das Landgerichts hat damit im Ergebnis das früher geltende Strafabschlagsmodell und die nunmehr gültige Vollstreckungslösung nebeneinander angewandt und damit der Sache nach die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zweifach kompensiert. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Vorgehensweise auf eine höhere Strafe erkannt hätte.
2. Auch der Kompensationsausspruch kann nicht bestehen bleiben. Entgegen der aufgezeigten Grundsätze des Vollstreckungsmodells hat das Landgericht lediglich den äußeren Verfahrensgang festgestellt. Die Angemessenheit der Frist, innerhalb derer über eine strafrechtliche Anklage gegen einen - ggf. in Untersuchungshaft einsitzenden - Angeklagten verhandelt werden muss und ein Urteil zu ergehen hat (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 2. Halbs., Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK), beurteilt sich indes nach den besonderen Umständen des Einzelfalles, die in einer umfassenden Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen werden müssen. Zu berücksichtigen sind dabei namentlich der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, Umfang und Schwierigkeit des Verfahrensgegenstands, Art und Weise der Ermittlungen sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen. Nicht eingerechnet werden die Zeiträume, die bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung beansprucht werden durften. Zu beachten ist ferner, dass eine Verzögerung während eines einzelnen Verfahrensabschnitts für sich allein keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot begründet, wenn das Strafverfahren insgesamt in angemessener Zeit abgeschlossen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09, StraFo 2009, 338 mwN). Daran gemessen fehlt hier schon die Feststellung, dass überhaupt eine konventions- und rechtsstaatswidrige Verzögerung gegeben ist. Unabhängig hiervon lässt sich den Urteilsgründen auch der Umfang der eventuell staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf die Angeklagte nicht entnehmen (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 19. Juni 2002 - 2 StR 43/02, NStZ 2003, 384). Damit fehlt es für die vorgenommene Kompensation an einer ausreichenden Grundlage. Die unvollständigen Feststellungen hindern auch die - auf die Sachrüge der Beschwerdeführerin veranlasste - Überprüfung des Kompensationsausspruches durch das Revisionsgericht. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht ohne diesen Rechtsfehler zumindest eine zeitlich geringer bemessene Entschädigung ausgesprochen hätte.
3. Einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten (§ 301 StPO) hat die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruches nicht ergeben.
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer