Entscheidungsdatum: 18.01.2011
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. August 2010
- im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der schweren sexuellen Nötigung schuldig ist;
- im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Dessen Revision rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Schuldspruch auch wegen schwerer räuberischer Erpressung hat keinen Bestand.
a) Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte die Geschädigte, die in einem Wohnmobil der Prostitution nachging, durch Bedrohung mit einem ungeladenen Schreckschussrevolver dazu zwingen, ihn mit der Hand sexuell zu befriedigen. Er ließ sich von ihr die Preise für die Ausübung von Oral- und Vaginalverkehr nennen und erklärte sich damit einverstanden. Darauf ließ ihn die Geschädigte in das Wohnmobil ein und setzte sich vor ihm auf die Bettkante. Nun zog der Angeklagte den Schreckschussrevolver hervor, hielt ihn der Geschädigten an den Kopf und bedeutete ihr, an seinem Geschlechtsteil zu manipulieren. Zwei Fluchtversuche der Geschädigten unterband er dadurch, dass er sie mit der freien Hand auf das Bett zurückdrückte. Aus Angst kam die Geschädigte dem Ansinnen schließlich nach. Nach kurzer Zeit gelang es ihr indes, unter dem erhobenen rechten Arm des Angeklagten, mit dem er immer noch den Revolver hielt, hindurchzuschlüpfen und das Wohnmobil zu verlassen.
b) Der Ansicht des Landgerichts, damit habe der Angeklagte die Geschädigte nicht nur genötigt, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen (§ 177 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 StGB), sondern auch dazu, auf die Geltendmachung einer Forderung in Höhe dessen, was "die Leistung des erwünschten sexuellen Dienstes … üblicherweise kostet", zu verzichten (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, §§ 253, 255 StGB), kann sich der Senat nicht anschließen. Wird eine Prostituierte zur Vornahme sexueller Handlungen gezwungen, so erwachsen ihr hieraus, wie jedem Opfer einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung, Ansprüche auf Ersatz des ihr durch die Tat entstandenen materiellen und immateriellen Schadens (§ 823 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB i.V.m. § 177 StGB, §§ 249, 253 BGB). Dienstvertragliche Ansprüche werden hierdurch nicht begründet. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Täter zunächst das Vertrauen der Prostituierten dadurch erschleicht, dass er sich als normaler Freier ausgibt und Zahlungsbereitschaft vortäuscht. Aus § 1 Satz 1 ProstG ergibt sich nichts Gegenteiliges. Nach dieser Bestimmung erwirbt eine Prostituierte nur dann eine rechtswirksame Forderung, wenn die sexuellen Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden sind. Sie ist Ausnahmevorschrift zu § 138 Abs. 1 BGB und bestimmt die Wirksamkeit des Anspruchs der Prostituierten auf das vereinbarte Entgelt trotz Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts. Zur Anwendbarkeit weitergehender allgemeiner Regelungen des Dienstvertragsrechts, wie § 612 Abs. 1 und 2 BGB, führt die Vorschrift nicht. Demgemäß kommt die Erpressung einer Prostituierten in der Form, dass ihr der Verzicht auf das vereinbarte Entgelt abgenötigt wird, erst dann in Betracht, wenn die abgesprochene sexuelle Handlung einvernehmlich vorgenommen worden ist.
Dies war hier ersichtlich nicht der Fall; denn die Geschädigte hat die Manipulationen am Geschlechtsteil des Angeklagten nicht einvernehmlich in der Erwartung einer zugesagten Entlohnung vorgenommen, sondern wurde hierzu gegen ihren Willen gezwungen. Danach bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Flucht der Geschädigten überhaupt als Verzicht auf eine ihr zustehende - werthaltige (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2006 - 3 StR 279/06, NStZ 2007, 95 f.) - Forderung gewertet werden könnte.
Auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung kommt nicht in Betracht. Zwar ist es grundsätzlich denkbar, dass sich der Täter, der irrtümlich davon ausgeht, er werde sich durch die dem Opfer abgepresste Handlung, Duldung oder Unterlassung rechtswidrig bereichern, der versuchten Erpressung schuldig macht (untauglicher Versuch; s. etwa BGH, Urteil vom 20. September 2007 - 3 StR 274/07, NStZ 2008, 214). Auch hat das Landgericht ausdrücklich festgestellt, dem Angeklagten sei es bei der Tat neben der Erzwingung der sexuellen Handlung auch darum gegangen, die Geschädigte zum Verzicht auf den für die manuelle Stimulation "üblichen Dirnenlohn" zu nötigen. Diese Feststellung findet indes in der Beweiswürdigung keine Stütze. Worauf das Landgericht seine entsprechende Überzeugung gründet, wird nicht dargelegt. Dessen hätte es aber bedurft, da entsprechende Überlegungen eines Sexualstraftäters mehr als fern liegen. Dass in einer erneuten Hauptverhandlung eine derartige subjektive Vorstellung des Angeklagten noch belegbar sein wird, erscheint ausgeschlossen. Mit Recht ist in Rechtsprechung und Literatur - soweit ersichtlich - bisher auch nicht erwogen worden, der Täter eines Gewalt-, Sexual- oder sonstigen Nichtvermögensdelikts, der sein Opfer nötigt, nach der Tat zu fliehen oder die Flucht des Täters zu dulden, könne sich deswegen der Erpressung schuldig gemacht haben, weil er hierdurch das Opfer zum Verzicht auf die durch die Tat begründeten Schadenersatz- und/oder Schmerzensgeldansprüche gezwungen habe. Der Senat lässt daher die Verurteilung wegen schwerer räuberischer Erpressung entfallen und ändert den Schuldspruch entsprechend ab.
2. Die Abänderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, denn es ist nicht auszuschließen, dass die Bemessung der Strafe auf der Annahme beruht, der Angeklagte habe tateinheitlich zur schweren sexuellen Nötigung einen weiteren Verbrechenstatbestand verwirklicht (s. UA S. 15). Auf die zugehörigen Feststellungen hätte dieser Wertungsfehler keinen Einfluss; sie können deshalb aufrechterhalten bleiben.
Becker von Lienen Hubert
Schäfer Mayer