Entscheidungsdatum: 22.01.2015
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 26. März 2014 werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Entziehung einer Minderjährigen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrem vom Generalbundesanwalt nur teilweise vertretenen, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Rechtsmittel eine weitere Verurteilung wegen - nach § 235 Abs. 4 Nr. 1 StGB qualifizierter - tatmehrheitlicher Entziehung Minderjähriger im Tatzeitraum vom 1. Februar 2007 bis zum 30. September 2007 sowie - hinsichtlich des abgeurteilten Tatzeitraums (Oktober 2007 bis 9. Januar 2009) - eine Verurteilung auch wegen tateinheitlich begangener Misshandlung von Schutzbefohlenen und Freiheitsberaubung. Darüber hinaus sei auch in diesem Fall der Qualifikationstatbestand des § 235 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfüllt. Der Angeklagte greift mit zwei Verfahrensrügen und der Sachrüge das Urteil an, soweit er verurteilt worden ist. Beide Rechtsmittel erweisen sich als unbegründet.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts brachte der Angeklagte seine damals fünfzehnjährige Tochter im Einvernehmen mit seiner allein sorgeberechtigten geschiedenen Ehefrau unter dem Vorwand, die Weihnachtsferien bei der Großmutter in Syrien zu verbringen und auch eine Namensänderung durchzuführen, am 29. Dezember 2006 nach Syrien, um sie ihrem Lebensumfeld in Deutschland zu entziehen, in dem sie aus Sicht der Eltern ungünstigen Einflüssen ausgesetzt war. In Syrien lebte sie in der Folge mit der Familie des Angeklagten in einem Großfamilienverband, ging aber aufgrund der entsprechenden Auskünfte des Angeklagten zunächst weiterhin von einem nur vorübergehenden Aufenthalt zum Zwecke der Namensänderung aus. Sie litt zunehmend unter den Einschränkungen, die "mit dem Leben eines jungen Mädchens in Syrien verbunden sind". Auch wurde ihr ein Schulbesuch nicht ermöglicht. Gegenüber der Mutter, die sie im Oktober 2007 in Syrien besuchte, äußerte sie den dringenden Wunsch, nach Deutschland zurückzukehren. Diese ließ sich umstimmen und beschloss, ihre Tochter mit nach Deutschland zu nehmen. Beide suchten heimlich die deutsche Botschaft auf, wo die Tochter, der der Angeklagte ihre deutschen Ausweispapiere abgenommen hatte, zwar einen vorläufigen deutschen Reisepass erhielt, ihr gleichzeitig aber mitgeteilt wurde, dass eine Ausreise Minderjähriger aus Syrien ohne Zustimmung des Vaters nicht möglich sei. Die Zeuginnen entschlossen sich deshalb, den Angeklagten zu bitten, seine Tochter nach Deutschland zurückkehren zu lassen. Im Rahmen eines Gesprächs verweigerte dieser jedoch seine Zustimmung zu ihrer Ausreise. Als die Zeuginnen die Wohnung verlassen wollten, riss er zunächst seine Tochter an den Haaren und zerrte sie weiter in die Wohnung hinein, um sie von der Mutter zu trennen. Als diese eingreifen wollte, wurde sie vom Angeklagten an den Haaren auf den Boden gezogen und mehrfach gegen den Körper getreten. Dann drängte er sie aus dem Haus, so dass sie unverrichteter Dinge nach Deutschland zurückkehrte, wo sie am 23. Oktober 2007 Anzeige erstattete. In der Folge verweigerte der Angeklagte immer wieder die Rückreise seiner Tochter nach Deutschland. Er behandelte sie auch zunehmend strenger und verbot ihr strikt - was ihr allerdings auch zuvor schon untersagt war -, ohne Begleitung älterer Verwandter das Haus zu verlassen. "Aufmüpfiges Verhalten" seiner Tochter quittierte er mit Ohrfeigen. Am 1. und 3. November 2007 schlug er sie; am 3. Januar 2009 versetzte er ihr mit einer Gerte Hiebe auf Beine und Rücken. Die Tochter des Angeklagten fügte sich äußerlich in die Gegebenheiten, ohne jedoch ihren Willen aufzugeben, Syrien zu verlassen, was ihr wenige Tage nach ihrem 18. Geburtstag mit Hilfe eines Mitarbeiters der deutschen Botschaft und einiger Familienangehöriger des Angeklagten gelang.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft
1. Soweit die Staatsanwaltschaft sich gegen den Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Entziehung Minderjähriger im Tatzeitraum vom 1. Februar 2007 bis zum 30. September 2007 wendet, führt das Rechtsmittel nicht zum Erfolg. Die Mutter als alleinige Sorgeberechtigte hatte - worauf schon die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend hingewiesen hat - zur Ausreise und dem vorübergehenden Aufenthalt ihrer Tochter in Syrien ihre Zustimmung erteilt. Damit schied, auch wenn die Minderjährige durch eine List nach Syrien gelockt wurde, eine Strafbarkeit wegen Entziehung Minderjähriger aus (S/S-Eser/Eisele, StGB, 29. Aufl., § 235 Rn. 8; LK/Krehl, StGB, 12. Aufl., § 235 Rn. 91 ff.). Auch hat das Landgericht zurecht das Verhalten des Angeklagten ab Oktober 2007 weder als im Sinne des § 235 Abs. 4 Nr. 1 StGB qualifizierte Entziehung Minderjähriger noch als Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 Abs. 1 StGB) gewertet. Dass die Tochter des Angeklagten durch ihren erzwungenen Aufenthalt in Syrien der konkreten Gefahr einer Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung ausgesetzt war, ergeben die Feststellungen nicht. Diesen kann auch nicht entnommen werden, dass der Angeklagte sie im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB gequält oder roh misshandelt hätte.
2. Auch eine Verurteilung wegen tateinheitlich zur Entziehung Minderjähriger ab Oktober 2007 begangener Freiheitsberaubung oder Nötigung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei abgelehnt.
a) Rechtlich bedenkenfrei hat die Kammer ein strafbares Verhalten nicht darin erkannt, dass der Angeklagte seiner Tochter untersagt hatte, ohne Begleitung eines älteren Familienmitgliedes das Haus zu verlassen.
aa) § 239 StGB bestraft den Eingriff in die persönliche Bewegungsfreiheit, durch den das Opfer des Gebrauchs der persönlichen Freiheit beraubt wird (MüKoStGB/Wieck-Noodt, 2. Aufl., § 239 Rn. 16; S/S-Eser/Eisele aaO, § 239 Rn. 4). Tatbestandsmäßig im Sinne des § 239 Abs. 1 StGB ist ein Verhalten nur, wenn es die - zunächst vorhandene - Fähigkeit eines Menschen beseitigt, sich nach seinem Willen fortzubewegen, ihn hindert, den gegenwärtigen Aufenthaltsort zu verlassen (BGH, Urteil vom 6. Dezember 1983 - 1 StR 651/83, BGHSt 32, 183, 188 f.). Dies setzt voraus, dass die Fortbewegungsfreiheit vollständig aufgehoben wird. Denn § 239 schützt lediglich die Fähigkeit, sich überhaupt von einem Ort wegzubewegen, nicht aber auch eine bestimmte Art des Weggehens. Deshalb kommt eine Bestrafung wegen Freiheitsberaubung nicht in Betracht, wenn ein Fortbewegen - wenn auch unter erschwerten Bedingungen - möglich bleibt (vgl. BGH, Urteile vom 15. Mai 1975 - 4 StR 147/75; vom 25. Februar 1993 - 1 StR 652/93, BGHR StGB § 239 Abs. 1 Freiheitsberaubung 2; MüKoStGB/Wieck-Noodt aaO, § 239 Rn. 16; SK-StGB/Horn/Wolters, 59. Lfg., § 239 Rn. 5).
Nach diesen Maßstäben hat der Angeklagte, indem er seiner Tochter untersagte, ohne Begleitung eines älteren Familienmitgliedes das Haus zu verlassen, deren Bewegungsfreiheit nicht vollständig aufgehoben, sondern lediglich erschwert. Schon dies steht einem Schuldspruch wegen Freiheitsberaubung entgegen.
Hinzu kommt, dass die Feststellungen keine Tathandlung im Sinne von § 239 Abs. 1 StGB belegen. § 239 Abs. 1 StGB nennt zwei Begehungsweisen, das Einsperren oder die Freiheitsberaubung auf andere Weise. Dabei kennt die letztgenannte Tatbestandsalternative hinsichtlich des Tatmittels keine Begrenzung. Es reicht vielmehr jedes Mittel aus, das geeignet ist, einem anderen die Fortbewegungsfreiheit zu nehmen (BGH, Urteile vom 20. Januar 2005 - 4 StR 366/04, NStZ 2005, 507, 508; vom 15. Mai 1975 - 4 StR 147/75; MüKoStGB/Wieck-Noodt aaO, § 239 Rn. 24). Auch eine Drohung mit einem Übel kann den Tatbestand der Freiheitsberaubung "auf andere Weise" jedenfalls dann verwirklichen, wenn sie den Grad einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erreicht. Die Drohung mit einem sonst empfindlichen Übel reicht hingegen regelmäßig nicht aus (BGH, Urteil vom 25. Februar 1993 - 1 StR 652/93, BGHR StGB § 239 Abs. 1 Freiheitsberaubung 2; S/S-Eser/Eisele aaO, § 239 Rn. 6; SK-StGB/Horn/Wolters aaO, § 239 Rn. 8; LK/Schluckebier aaO, § 239 Rn. 16).
Das festgestellte Verhalten des Angeklagten erfüllt danach keine der Tatbestandsalternativen. Da die Türen des Hauses nicht verschlossen waren, hat er seine Tochter nicht eingesperrt. Auch eine Freiheitsberaubung auf andere Weise kommt nicht in Betracht. Durch das ausgesprochene Verbot, die Wohnung allein zu verlassen, war die tatsächliche Möglichkeit der Zeugin sich fortzubewegen nicht aufgehoben. Die Androhung eines Übels, das den Tatbestand der Freiheitsberaubung "auf andere Weise" erfüllen könnte, kann den Feststellungen nicht entnommen werden. Soweit der Generalbundesanwalt eine Freiheitsberaubung darin sieht, dass die Zeugin aus Angst vor Schlägen ihres Vaters dem Gebot zum begleiteten Ausgang gefolgt sei, findet dies in den Feststellungen keine Grundlage. Diesen lässt sich eine Kausalität der gelegentlichen Schläge des Angeklagten für die Einhaltung des Gebots, das Haus nur in Begleitung älterer Familienangehöriger zu verlassen, nicht entnehmen. Soweit in der Beweiswürdigung die Aussage der Zeugin wiedergegeben wird, dass sie das Verbot, alleine aus dem Haus zu gehen, auch aus Angst vor der Wut ihres Vaters beachtet habe, ist auch dies kein Beleg dafür, dass sie aus Angst vor Gewalttätigkeiten des Vaters zu Hause geblieben ist. Deshalb kann es dahinstehen, ob die Androhung von Schlägen, die keine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben begründet (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2001 - 1 StR 590/00, BGHR StGB § 239 Abs. 1 Freiheitsberaubung 8), grundsätzlich den Tatbestand des § 239 StGB erfüllen könnte.
bb) Der Angeklagte hat sich mit dem Verbot an seine Tochter, die Wohnung ohne Begleitung zu verlassen, auch nicht wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1, 2 StGB) strafbar gemacht. Die Urteilsgründe tragen bereits nicht die Annahme, dass er sein Verbot mit einer (konkludent) ausgesprochenen Drohung mit einem empfindlichen Übel verbunden hatte. Zudem belegen sie auch nicht die subjektive Seite des Nötigungstatbestandes.
b) Eine Freiheitsberaubung kann - unabhängig davon, ob dies überhaupt als Tathandlung im Sinne des § 239 Abs. 1 StGB einzustufen ist -auch nicht in der Verweigerung der Zustimmung des Angeklagten zur Ausreise seiner Tochter aus Syrien gesehen werden.
Zwar erfasst der Schutzzweck des § 239 StGB auch Einschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit, durch die das Opfer gehindert wird, ein größeres Areal wie etwa das Gelände eines Krankenhauses oder einer geschlossenen Anstalt zu verlassen (Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239 Rn. 2; Amelung/Brauer JR 1985, 474, 475; Schumacher, Festschrift für Stree/Wessels, 1993 S. 431, 440 ff.). Das Gebiet, aus dem sich das Opfer aufgrund der Tathandlung nicht entfernen kann, darf aber nicht beliebig weiträumig sein; ansonsten würde der Tatbestand in einer dem Schutzzweck der Norm widerstreitenden Weise überdehnt. Danach ist eine vollständige Aufhebung der Fortbewegungsfreiheit jedenfalls dann nicht mehr anzunehmen, wenn sich der verbleibende räumliche Entfaltungsbereich der betroffenen Person auf ein mehrere tausend - im Falle Syriens zur Tatzeit rund 185.000 - Quadratkilometer umfassendes Staatsgebiet erstreckt (aA MüKoStGB/Wieck-Noodt aaO, § 239 Rn. 20; SK-StGB/Horn/Wolters aaO, § 239 Rn. 4a).
III. Die Revision des Angeklagten
1. Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen sind aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen unzulässig.
2. Auch die auf die Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Entziehung Minderjähriger (§ 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB) verurteilt hat, gilt Folgendes:
a) Nach § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich unter anderem strafbar, wer eine Person unter achtzehn Jahren mit Gewalt einem Elternteil entzieht oder vorenthält. Das ist dann der Fall, wenn die Personensorge, also die Pflicht und das Recht der Eltern oder des sorgeberechtigten Elternteils zur Pflege, Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung durch räumliche Trennung für eine gewisse, nicht nur ganz vorübergehende Dauer so wesentlich beeinträchtigt wird, dass sie nicht mehr ausgeübt werden kann (BGH, Urteil vom 21. April 1961 - 4 StR 20/61, BGHSt 16, 58, 61; SSW-StGB/Schluckebier, 2. Aufl., § 235 Rn. 6). Das Verhalten des Angeklagten, der im Oktober 2007 seine geschiedene Ehefrau mit Gewalt aus der Wohnung verwies und sie damit von ihrer Tochter trennte, in der Folgezeit jeglichen Kontakt zwischen beiden unterband und die Ausreise seiner Tochter aus Syrien verweigerte, erfüllt diesen Tatbestand. Der Erörterung bedarf insoweit lediglich die Frage, ob der geschiedenen Ehefrau des Angeklagten das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter zustand.
Maßstab der im Rahmen von § 235 StGB erforderlichen Prüfung, ob dem Geschädigten das Recht zur Personensorge für den Minderjährigen zusteht, ist das deutsche Recht einschließlich des Internationalen Privatrechts (BT-Drucks. 13/8587, S. 27; LK/Werle/Jeßberger aaO, § 5 Rn. 107 mwN; NK-StGB-Böse, 4. Aufl., Vorbemerkungen zu § 3 Rn. 63). Danach hatte die Ehefrau des Angeklagten zum Zeitpunkt der gewaltsamen Trennung von Mutter und Tochter die (alleinige) Sorge inne, die ihr 2001 durch eine familiengerichtliche Entscheidung zugesprochen worden war. Der Umstand, dass sich die Tochter im Tatzeitpunkt bereits seit einiger Zeit in Aleppo aufhielt, hatte nicht dazu geführt, dass die Mutter das ihr ursprünglich zustehende Sorgerecht verloren hatte.
aa) Es kann dahinstehen, ob inländische gerichtliche Sorgerechtsentscheidungen den Regelungen des Internationalen Privatrechts stets vorgehen (vgl. MüKoBGB/Helms, 6. Aufl., Art. 21 EGBGB Rn. 19; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl., Rn. 23, 1020), so dass sich eine Überprüfung anhand der Regelungen des Internationalen Privatrechts erübrigt. Denn auch nach den Art. 3 ff. EGBGB bemaß sich im Tatzeitpunkt die Bewertung des Sorgerechtsverhältnisses nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch.
Nach Art. 21 EGBGB - gemäß Art. 3 Nr. 2 EGBGB vorrangige Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen waren zur Tatzeit im Verhältnis zu Syrien nicht anwendbar - unterliegt das Rechtsverhältnis zwischen einem Kind und seinen Eltern dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dieser gewöhnliche Aufenthalt richtet sich danach, an welchem Ort oder in welchem Land der Minderjährige seinen Daseinsmittelpunkt hat (BGH, Urteil vom 5. Februar 1975 - IV ZR 103/73, NJW 1975, 1068 [zu Art. 1 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht]; Beschluss vom 29. Oktober 1980 - IVb ZB 586/80, NJW 1981, 520 [zu Art. 13 Abs. 1 MSA]; Staudinger/Henrich (2014) Art. 21 EGBGB Rn. 16). Da mit dem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltsortes auch ein Wandel des Sorgerechtsstatuts verbunden ist, sind an die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts keine zu geringen Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist stets ein Aufenthalt von einiger Dauer. Daneben ist zur Begründung eines neuen Aufenthaltsortes auch zu verlangen, dass bereits weitere Beziehungen insbesondere familiärer oder beruflicher Art bestehen, in denen der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person zu sehen ist. Der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, ist nicht erforderlich. Entscheidend ist vielmehr der "faktische" Wohnsitz, der den Daseinsmittelpunkt darstellt (BGH, Urteil vom 5. Februar 1975 - IV ZR 103/73, NJW 1975, 1068; Beschluss vom 29. Oktober 1980 - IVb ZB 586/80, NJW 1981, 520).
Bei Minderjährigen ist der gewöhnliche Aufenthalt nach diesen Kriterien selbständig auf ihre Person bezogen zu ermitteln; er leitet sich nicht vom gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz des Sorgeberechtigten ab (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1980 - IVb ZB 586/80, NJW 1981, 520). Da es auf den tatsächlichen Daseinsmittelpunkt des Minderjährigen ankommt, kann ein gewöhnlicher Aufenthalt auch gegen den Willen des Sorgeberechtigten (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1980 - IVb ZB 586/80, NJW 1981, 520, 521; OLG Hamm, Urteil vom 29. April 1988 - 5 UF 57/88, NJW 1989, 672) oder des Minderjährigen begründet werden. Allerdings kommt dem Willen des Minderjährigen - dessen Verstandesreife vorausgesetzt - bei der Beurteilung, ob er sich in seine neue Umgebung bereits sozial eingegliedert hat, eine Indizfunktion zu (BeckOK Bamberger/Roth/Lorenz, BGB, Art. 5 EGBGB Rn. 14; MüKoBGB/Sonnenberger, 5. Aufl., Einl. IPR Rn. 725; vgl. auch Staudinger/Bausback (2013) Art. 5 EGBGB Rn. 46). Durch zeitweilige Abwesenheit, auch von längerer Dauer, wird der gewöhnliche Aufenthalt nicht unbedingt aufgehoben, sofern die Absicht besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 1975 - IV ZR 103/73, NJW 1975, 1068; BeckOK Bamberger/Roth/Lorenz aaO).
Nach diesem Maßstab hatte der gewöhnliche Aufenthalt der Tochter des Angeklagten bis zum Tatbeginn noch nicht gewechselt. Nach den Feststellungen hatte sich die sorgeberechtigte Mutter zu Beginn der Abreise aus Deutschland nur vage Gedanken über die Dauer des Aufenthalts in Syrien gemacht. Dieser sollte zwar länger, aber doch nur vorübergehend sein und nicht notwendigerweise bis zur Volljährigkeit der Tochter andauern. Dass es der Sorgeberechtigten darauf ankam, ihre Tochter von ihrem Freundeskreis als Teil des damaligen Lebensumfelds in Deutschland zu trennen, begründete nicht spiegelbildlich deren soziale Integration in Aleppo. Diese findet bei einer Fünfzehn- bis Sechzehnjährigen ihren Ausdruck nicht mehr vorrangig in ihren familiären Einbindungen, sondern maßgeblich auch in den Beziehungen zu Außenstehenden und manifestiert sich unter anderem in Schulbesuch, Ausbildung und Freundschaften (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1980 - IVb ZB 586/80, NJW 1981, 520, 521; OLG Jena, Beschluss vom 19. November 2014 - 4 UF 543/13, juris Rn. 15 mwN). Eine solche soziale Einbindung hatte bis zum Tatbeginn jedoch allenfalls in Bezug auf die familiären Verhältnisse stattgefunden, wobei die Minderjährige einen nicht unerheblichen Zeitraum nach ihrer Abreise noch von einem Ferienaufenthalt bzw. vorübergehendem Aufenthalt zum Zweck der Erlangung einer Namensänderung ausging. Ein Schulbesuch fand nicht statt.
Damit hatte sich im Tatzeitpunkt das Sorgerechtsstatut (noch) nicht im Sinne von Art. 21 EGBGB gewandelt. Die Frau des Angeklagten war aufgrund der gerichtlichen Entscheidung aus dem Jahr 2001, die auch nicht gemäß § 1696 Abs. 1 BGB abgeändert worden war, weiterhin allein sorgeberechtigt.
b) Auf die Tat ist deutsches Strafrecht anwendbar. Trotz des im Ausland gelegenen Handlungsortes handelt es sich um eine Inlandstat im Sinne von § 3 StGB, weil der zum Tatbestand gehörende Erfolg jedenfalls auch in Deutschland eingetreten ist.
aa) Erfolgsort im Sinne von § 9 Abs. 1 StGB ist der Ort, an dem ein zum gesetzlichen Tatbestand gehörender Handlungserfolg eintritt. "Erfolg" meint damit nicht jede Auswirkung der Tat, sondern nur solche Tatfolgen, die für die Verwirklichung des Tatbestandes erheblich sind (so schon zu § 3 Abs. 3 StGB aF: BGH, Urteil vom 9. Oktober 1964 - 3 StR 34/64, BGHSt 20, 45, 51). Der Erfolgsort liegt mithin im Inland, wenn dort die tatbestandlich vorausgesetzte Wirkung eingetreten ist (MüKoStGB/Ambos aaO, § 9 Rn. 16). Tatwirkungen, die für die Tatbestandsverwirklichung nicht oder nicht mehr relevant sind, begründen keinen Tatort (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2006 - 3 StR 403/05, NStZ-RR 2007, 48, 50; OLG Köln, Beschluss vom 18. November 2008 - 82 Ss 89/08, NStZ-RR 2009, 84; MüKoStGB/Ambos aaO, § 9 Rn. 16). Beim Dauerdelikt genügt es, wenn der durch die fortdauernde Handlung bewirkte tatbestandlich vorausgesetzte Erfolg nur während eines Teils der Tatzeit im Inland eintritt (vgl. LK/Werle/Jeßberger aaO, § 9 Rn. 55; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 9 Rn. 2; vgl. auch OLG München, Beschluss vom 4. Dezember 2006 - OLGAusl 262/06, NJW 2007, 788, 789).
bb) Nach diesen Maßstäben ist ein inländischer Erfolgsort begründet. Die Entziehung Minderjähriger nach § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist ein Erfolgsdelikt (vgl. Geppert, Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann, 1986, S. 759, 779; MüKoStGB/Wieck-Noodt aaO, § 235 Rn. 10, 101; iE auch SK-StGB/Wolters, 136. Lfg., § 235 Rn. 9). Die Tatbestandsmerkmale des Entziehens bzw. Vorenthaltens knüpfen an ein Handeln des Täters an, das - gegebenenfalls mit den tatbestandlich vorausgesetzten Mitteln der Gewalt, Drohung oder List - den Erfolg, nämlich die durch räumliche Trennung bedingte wesentliche Beeinträchtigung der Personensorge, bewirkt.
Dieser von § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorausgesetzte Erfolg ist vorliegend jedenfalls auch im Inland eingetreten. Zwar geschah die Trennung der Sorgeberechtigten von ihrer Tochter bereits in Syrien. Doch wurde der Inlandsbezug der Tat begründet, als sich die sorgeberechtigte Mutter zurück nach Deutschland begab, wo sie ihren Wohnsitz und auch die Tochter weiterhin ihren familienrechtlich gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte. Denn zu diesem Zeitpunkt dauerte der rechtswidrig geschaffene Zustand noch an. Da die Geschädigte im Zeitpunkt ihrer Rückkehr weiterhin an der Ausübung ihres Sorgerechts gehindert war, trat diese Wirkung der Handlung des Angeklagten nunmehr im Inland ein. Hierbei handelte es sich nicht nur um eine mittelbare Tatwirkung, die für die Tatbestandsverwirklichung nicht mehr relevant war. Da § 235 Abs. 1 StGB ein Dauerdelikt darstellt (BGH, Urteil vom 9. Februar 2006 - 5 StR 564/05, NStZ 2006, 447, 448 mwN; MüKoStGB/Wieck-Noodt aaO; NK-StGB-Sonnen aaO, § 235 Rn. 34), setzte die Verwirklichung des Straftatbestandes sich zum Zeitpunkt der Rückkehr der Sorgeberechtigten in Deutschland fort.
Die Vorschrift des § 5 Nr. 6a StGB drängt nicht zu einer anderen Beurteilung. Hiernach gilt das deutsche Strafrecht in den Fällen der Entziehung eines Kindes nach § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB stets, wenn sich die Tat gegen eine Person richtet, die im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hieraus lässt sich jedoch nicht der Schluss ziehen, der Gesetzgeber habe die Entziehung von Kindern oder Minderjährigen, bei denen die Tathandlung im Ausland vorgenommen wird, generell als Auslandstat einstufen und/oder den Anwendungsbereich von § 9 StGB einschränken wollen. Den Gesetzesmaterialen lässt sich hierzu lediglich entnehmen, dass der Gesetzgeber durch die Einführung des § 5 Nr. 6a StGB in den Fällen des § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB die Strafbarkeit auch bei Auslandstaten sichergestellt wissen wollte (BT-Drucks. 13/8587, S. 27). Selbst wenn man in Fällen, in denen - wie hier - die Tathandlung im Ausland vorgenommen wird, annimmt, dass unter bestimmten Voraussetzungen der fortdauernde Erfolg im Inland eintritt, verbleibt für § 5 Nr. 6a StGB ein eigenständiger Anwendungsbereich. Zu denken ist etwa an die Fälle, in denen die Kindesentziehung im Ausland geschieht und auch der Sorgeberechtigte während der gesamten Zeit bis zur Rückführung des Kindes nicht ins Inland zurückkehrt, aber auch an die einer Verletzung eines im Ausland zu erfüllenden Umgangsrechts.
Becker Pfister Schäfer
Gericke Spaniol