Entscheidungsdatum: 10.11.2015
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 19. Mai 2015 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten mit der allgemeinen Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte im nicht näher eingrenzbaren Zeitraum zwischen Juni 2007 und August 2009 - zugunsten des Angeklagten angenommen: ausschließlich im August 2009 - den damals 13 Jahre alten Sohn seiner Lebensgefährtin sexuell. Bei zwei Gelegenheiten übte er den Oralverkehr an dem Kind aus, zwei weitere Male onanierte er bei dem Jungen.
Das Landgericht hat - dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - angenommen, der Angeklagte leide "unter einer schizoiden Persönlichkeitsstörung sowie einer Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer Pädophilie". Aufgrund dessen sei "die Steuerungsfähigkeit … zum Zeitpunkt der Taten in erheblichem Maße vermindert" gewesen (UA S. 5). Es war außerdem davon überzeugt, dass beim Angeklagten ein "sehr hohes Risiko für künftige Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern" bestehe (UA S. 13).
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13, juris Rn. 5; vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
b) Durch die angefochtene Entscheidung wird bereits die vom Landgericht angenommene erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung nicht belegt.
Die Feststellungen beschränken sich auf die Benennung der beiden als gegeben angesehenen Diagnosen. Im Rahmen der Beweiswürdigung wird das Gutachten des Sachverständigen referiert. Danach bestehe beim Angeklagten eine "Pädophilie des nicht ausschließlichen Typs". Der von ihr ausgehende Drang, sexuelle Kontakte zu Kindern zu finden, führe allein noch nicht zu einer erheblichen psychopathologischen Beeinträchtigung. Diese ergebe sich erst aus dem Zusammentreffen mit der bei dem Angeklagten bestehenden schizoiden Persönlichkeitsstörung, gekennzeichnet durch "emotionale Kälte, Distanziertheit und eingeschränkte Affektivität mit Beeinträchtigung der emotionalen Schwingungsfähigkeit sowie eingeschränkte Empathiefähigkeit".
Mit diesen im Allgemeinen verbleibenden Darlegungen ist nicht ausreichend erklärt, dass sich der Angeklagte im Zeitpunkt der Tat in einem Zustand gesichert eingeschränkter Schuldfähigkeit befand.
Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Diagnose einer Pädophilie für sich genommen kaum Aussagekraft für das Vorliegen des vierten Eingangsmerkmals der §§ 20, 21 StGB ("schwere andere seelische Abartigkeit") und erst recht nicht für die Überzeugung von einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit hat (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 7. Februar 2004 - 4 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 201; Urteil vom 10. März 2004 - 4 StR 563/03, StV 2005, 20; Beschluss vom 6. Juli 2010 - 4 StR 283/10, NStZ-RR 2010, 304, 305; Beschluss vom 10. September 2013 - 2 StR 321/13, NStZ-RR 2014, 8 (nur Ls)). Steht für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eine von der Norm abweichende sexuelle Präferenz im Vordergrund, muss diese den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt, sondern bei der Begehung der Sexualtaten aus einem starken, mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus handelt. Die Steuerungsfähigkeit kann demzufolge etwa dann beeinträchtigt sein, wenn die abweichenden Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau von Raffinements und durch gedankliche Einengung auf diese Praktiken auszeichnet (BGH, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 4 StR 283/10, NStZ-RR 2010, 304, 305).
Dass diese Voraussetzung vorliegend durch das Hinzutreten einer schizoiden Persönlichkeitsstörung geschaffen worden sind, ist nicht dargetan. Auch hier gilt, dass die klinische Diagnose nicht automatisch mit dem juristischen Begriff der schweren anderen seelischen Abartigkeit gleichgesetzt werden darf. Nur wenn die durch die typischerweise in der Jugendzeit auftretende, sich zunehmend entwickelnde Persönlichkeitsstörung hervorgerufenen Leistungseinbußen mit den Defiziten vergleichbar sind, die im Gefolge forensisch relevanter krankhafter seelischer Verfassungen auftreten, kann von einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gesprochen werden (vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 20 Rn. 169; BGH, Beschluss vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326, 327; Beschluss vom 18. Januar 2005 - 4 StR 532/04, NStZ-RR 2005, 137, 138; Urteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 348/05, NStZ-RR 2006, 199). Dass der Angeklagte aufgrund dieses Störungsbildes aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2006 - 2 StR 210/06, juris Rn. 7), ist nicht festgestellt.
c) Eine zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten ist ebenfalls nicht ausreichend dargetan. Das Landgericht hat sich auch insoweit dem Sachverständigen angeschlossen, der ausgehend vom Punktwert, den der Angeklagte bei dem Prognoseinstrument Stable-2007 erreicht habe, ein sehr hohes Risiko für den Anlassdelikten vergleichbare Sexualstraftaten angenommen hat, was auch "dem eigenen klinischen Eindruck des Sachverständigen entspreche". Der Angeklagte, der seine sexuelle Devianz "bislang nicht aufgearbeitet" habe, könne aufgrund der schizoiden Persönlichkeitsstörung Hemmungen gegenüber Sexualstraftaten "jederzeit überwinden".
Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prognose zukünftigen Verhaltens einseitig das Ergebnis des vom Sachverständigen genutzten statistischen Prognoseinstruments in den Blick genommen und dabei außer Acht gelassen hat, dass solche Instrumente zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, indes nicht in der Lage sind, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 - 3 StR 311/13, NStZ-RR 2014, 42 mwN). Eine solche individuelle Beurteilung kann sich nicht in dem Hinweis auf den "klinischen Eindruck des Sachverständigen" erschöpfen. Sie muss dieses aus der Person folgende Risikobild näher darlegen und sich vorliegend u.a. auch mit dem Umstand auseinandersetzen, dass, was angesichts der Unsicherheiten bezüglich der Tatzeitpunkte zu berücksichtigen ist, die Taten möglicherweise acht Jahre zurückliegen oder zwischen ihnen und den - nicht näher geschilderten, mit einer Bewährungsstrafe geahndeten - Vortaten eine Zeitspanne von mehr als fünf Jahren besteht (zu dem Zeitraum straffreien Verhaltens als Prognosegesichtspunkt vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014 - 5 StR 602/13, StV 2015, 218, 219; Beschluss vom 12. März 2014 - 2 StR 604/13, juris Rn. 7; Urteil vom 10. Dezember 2014 - 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73).
3. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals entschieden werden. Der Schuld- und der Strafausspruch werden davon nicht berührt. Der Senat schließt aus, dass eine erneute Verhandlung zur Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten führen wird. Durch die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit und die deshalb erfolgte Strafrahmenverschiebung ist der Angeklagte nicht beschwert.
Becker Pfister Mayer
Gericke Spaniol