Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 02.02.2012


BGH 02.02.2012 - 3 StR 401/11

Strafverfahren: Scheinverhandlung zur Wahrung der Unterbrechungsfrist


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
02.02.2012
Aktenzeichen:
3 StR 401/11
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Hannover, 1. Juli 2011, Az: 39 a 2/11 - 2403 Js 92386/10
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 1. Juli 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten rügt allgemein die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet weiter, die Hauptverhandlung sei entgegen § 229 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 StPO länger als drei Wochen unterbrochen gewesen. Die Staatsanwaltschaft stützt ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision auf die Sachrüge und führt aus, das Landgericht habe zu Unrecht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom tateinheitlich hinzutretenden Versuch eines Heimtückemords angenommen.

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Beide Rechtsmittel haben Erfolg.

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I. Die Revision der Staatsanwaltschaft

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Die Annahme des Landgerichts, der dem Angeklagten vorgeworfene Versuch eines Tötungsverbrechens sei - aus dessen Sicht - noch nicht beendet gewesen, weshalb er hiervon durch freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten sei (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB), begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

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1. Nach den Feststellungen hielten sich der Angeklagte, das spätere Tatopfer W.   sowie die Zeugen P.   und Z.   in der Nacht zum 29. Oktober 2010 wie gewöhnlich beim Zentralen Omnibusbahnhof in Hannover auf und konsumierten zusammen Alkohol. Als erster entfernte sich P.   . Er begab sich in den von ihm und W.   als gemeinsame Unterkunft genutzten Raum in einem in der Nähe befindlichen verlassenen Gebäude und legte sich dort schlafen. Am frühen Morgen wollte auch W.   die Unterkunft aufsuchen. Er lud den Angeklagten ein mitzukommen und mit ihm zu essen. Neben dem schlafenden P.   setzten sich beide einander gegenüber an den Tisch und verzehrten ein Fleischgericht, von dem sie sich mit einem Küchenmesser jeweils Scheiben abschnitten. Gegen 3.00 Uhr hielt W.   die Mahlzeit für beendet und legte das Messer beiseite.

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Aus nicht zu klärenden Gründen fasste der Angeklagte nun den Entschluss, W.   zu töten. Hierzu wollte er die während des gemeinsamen Essens herrschende und aus W.   s Sicht unverändert fortbestehende gute und friedliche Stimmung ausnutzen. Er bat W.   deshalb nochmals um das Messer. In der Annahme, der Angeklagte wolle sich noch ein Stück Fleisch abschneiden, holte W.   das Messer - Klingenlänge etwa 10 cm - aus der Ablage unter dem Tisch hervor und übergab es dem Angeklagten. Dieser nahm es an sich, stand auf und versetzte dem auf seinem Stuhl sitzenden W.   mit den Worten "Ich werde dich töten" und "Du sollst ausbluten" zunächst von vorn, dann, um den Tisch herumgehend, von hinten in schneller Abfolge insgesamt sieben Stiche in den Brust-, Rücken- und Nackenbereich. "Nachdem der Angeklagte insgesamt siebenmal zugestochen hatte, ließ er von … W.   ab, obwohl aus seiner Sicht der Zeuge noch nicht tödlich verletzt war." W.   , der eine dicke Lederjacke trug, blutete zwar, zeigte sich aber sonst nicht beeinträchtigt. Vom Geschehen überrascht und um keinen weiteren Angriff des Angeklagten zu provozieren, blieb er sitzen und war bemüht, sich nicht zu bewegen. Der Angeklagte beobachtete den so verharrenden W.     noch einige Minuten und entfernte sich dann.

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Nun erhob sich W.   , weckte P.   und bat diesen, Hilfe zu holen. Beim Verlassen des Gebäudes traf P.    auf den heimkehrenden Z.   und verständigte mit diesem zusammen die Polizei. W.     , der durch einen der Stiche in den Rücken einen akut lebensbedrohlichen Pneumothorax erlitten hatte, wurde von Rettungskräften ins Krankenhaus verbracht und dort erfolgreich medizinisch versorgt. Die weiteren Stiche waren nicht unmittelbar lebensbedrohlich.

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2. Ob ein Versuch im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB beendet oder unbeendet ist, richtet sich nach der Vorstellung des Täters bei Abschluss der letzten Ausführungshandlung. Ein unbeendeter Versuch ist danach gegeben, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt davon ausgeht, zur Verwirklichung des Tatbestandes bedürfe es noch weiteren Handelns; beendet ist der Versuch demgegenüber, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs aufgrund seiner bisherigen Tathandlungen zumindest für möglich hält oder sich über deren Folgen keine Vorstellungen macht (Maßgeblichkeit des sog. Rücktrittshorizonts; vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 24 Rn. 14, 15 mwN). Unbeendet ist ein Versuch auch dann, wenn der Täter den Erfolgseintritt zwar zunächst für möglich hält, aber nachfolgend - etwa aufgrund weiterer Wahrnehmungen - und noch in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Tatgeschehen zur gegenteiligen Auffassung gelangt (sog. Korrektur des Rücktrittshorizonts; vgl. Fischer aaO Rn. 15a mwN).

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Zwar hat das Landgericht nicht verkannt, dass es für die Entscheidung, ob ein Versuch beendet oder unbeendet ist, darauf ankommt, welche Vorstellung der Täter innerhalb des sich aus diesen Grundsätzen ergebenden zeitlichen und örtlichen Rahmens entwickelt. Jedoch hat es der Prüfung dieser inneren Tatseite einen rechtlich unzutreffenden Maßstab zu Grunde gelegt. Denn das Landgericht hat bei der Würdigung der Beweise darauf abgestellt, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte von einem Verbluten des Geschädigten "ausgegangen" sei. Beendet wäre der Versuch indes - wie dargelegt - bereits dann, wenn der Angeklagte eine solche Folge für möglich gehalten oder sich hierüber keine Gedanken gemacht hätte.

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Auf diesem Rechtsfehler kann das Urteil beruhen.

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II. Die Revision des Angeklagten

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Der Beschwerdeführer rügt zu Recht, dass die Hauptverhandlung zwischen dem 19. Mai und dem 1. Juli 2011 - mithin entgegen § 229 Abs. 1 StPO länger als drei Wochen - unterbrochen war.

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1. Der Rüge liegt das folgende Verfahrensgeschehen zugrunde:

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Am 17. Mai 2011, dem dritten Tag der Hauptverhandlung, wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger hielten ihre Schlussvorträge; der Angeklagte hatte das letzte Wort. In dem sodann zur Verkündung des Urteils anberaumten Termin am Donnerstag, 19. Mai 2011, wurde die Beweisaufnahme wiedereröffnet. Es erging der rechtliche Hinweis, dass die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung in Betracht komme. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft regte an, dazu einen psychiatrischen Sachverständigen zu hören. Hierauf unterbrach der Vorsitzende die Hauptverhandlung und bestimmte Fortsetzungstermine auf Mittwoch, 8. Juni 2011, Freitag, 10. Juni 2011 und Freitag, 1. Juli 2011.

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In der Hauptverhandlung am 8. Juni 2011 wurden zwei polizeiliche Vermerke über die Abnahme von Atemalkoholproben bei den Zeugen P.   und Z.   verlesen. Am 10. Juni 2011 folgte die Verlesung eines Telefax-Schreibens des Vorsitzenden vom 18. Mai 2011 an die den Geschädigten behandelnden Ärzte sowie der Worte "P-Ethanol 1,9" aus dem hierauf wunschgemäß mitgeteilten Ergebnis einer Blutwertanalyse. Am 1. Juli 2011 nahm die Hauptverhandlung mit der Anhörung des vom Landgericht beauftragten psychiatrischen Sachverständigen ihren Fortgang.

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2. Der Senat teilt die Auffassung des Beschwerdeführers, dass das Landgericht im Termin am 10. Juni 2011 - der, bezogen auf den Fristenlauf, zur Überbrückung der Zeitspanne zwischen dem 19. Mai und dem 1. Juli 2011 allein geeignet und erforderlich war (vgl. KK-Gmel, StPO, 6. Aufl., § 229 Rn. 7) - die Hauptverhandlung nicht im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO fortgesetzt hat. Das Landgericht hat an diesem Tage nicht, wie danach notwendig, zur Sache verhandelt.  

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a) Zur Sache wird in einem Fortsetzungstermin allerdings grundsätzlich bereits dann verhandelt, wenn Prozesshandlungen vorgenommen werden oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen stattfinden, die geeignet sind, das Verfahren inhaltlich auf den Urteilsspruch hin zu fördern und die Sache ihrem Abschluss substantiell näher zu bringen (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 3 StR 254/07, NStZ 2008, 115). Unter diesen Voraussetzungen ist die Dauer des Termins ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob er noch für weitere verfahrensfördernde Handlungen hätte genutzt werden können. Gleichermaßen unschädlich ist es, wenn der Termin zugleich auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist dient (BGH, Urteil vom 3. August 2006 - 3 StR 199/06, NJW 2006, 3077).

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Auch wenn in dem Termin Verfahrensvorgänge stattfinden, die nach diesen Maßstäben grundsätzlich zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet sind, liegt ein Verhandeln zur Sache jedoch dann nicht vor, wenn das Gericht dabei nur formal zum Zwecke der Umgehung dieser Vorschrift tätig wird und der Gesichtspunkt der Verfahrensförderung dahinter als bedeutungslos zurücktritt (BGH, Urteil vom 25. Juli 1996 - 4 StR 172/96, NJW 1996, 3019; Urteil vom 18. März 1998 - 2 StR 675/97, NStZ-RR 1998, 335). Zur Fristwahrung ungeeignete "Schiebetermine" sind danach etwa anzunehmen, wenn einheitliche Verfahrensvorgänge willkürlich in mehrere kurze Verfahrensabschnitte zerstückelt und diese auf mehrere Verhandlungstage verteilt werden, nur um hierdurch die zulässigen Unterbrechungsfristen einzuhalten (BGH aaO; Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 3 StR 254/07, NStZ 2008, 115). Aus demselben Grund verstößt es gegen § 229 StPO, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substantielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbrechungsfrist im Auge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2011 - 3 StR 61/11, NStZ 2011, 532).

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b) So liegt der Fall hier. Der Senat ist von der Richtigkeit des - im Übrigen unwidersprochen gebliebenen - Beschwerdevorbringens überzeugt, dass die Wiedereröffnung der Beweisaufnahme am 19. Mai 2011 und die Anberaumung der drei Folgetermine allein darauf beruhte, dass das Landgericht nachträglich die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung für klärungsbedürftig hielt und sich veranlasst sah, hierzu ein psychiatrisches Gutachten einzuholen. Dementsprechend hat es mit der Beweiserhebung in dem "Brückentermin" am 10. Juni 2011 nur die Wahrung der Unterbrechungsfrist, nicht aber eine substantielle Förderung des Verfahrens im Auge gehabt. Dass das Landgericht den erhobenen Blutalkoholwert des Geschädigten W.   bei der Überprüfung der Glaubwürdigkeit seiner Aussage tatsächlich verwertet hat, bleibt unter diesen Umständen ohne Belang.

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Ein deutliches Anzeichen dafür, dass das Landgericht die Einholung und die Verlesung der Auskunft der behandelnden Ärzte unter dem Gesichtspunkt der Sachaufklärung an sich für entbehrlich hielt, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass es die Beweisaufnahme bereits geschlossen hatte, ohne den Rückgriff auf diesen - einfachen und überschaubaren - Beweisstoff für erforderlich zu halten. Ebenso sah die Strafkammer beim Wiedereintritt in die Beweisaufnahme am 19. Mai 2011 trotz der vorangegangenen Anfrage bei den behandelnden Ärzten keinen Anlass für den Hinweis, auch diese Beweiserhebung müsse nachgeholt werden. Nicht außer Betracht bleiben kann bei der gebotenen Würdigung der Gesamtheit der Verfahrenstatsachen auch, dass die am 8. Juni 2011 verlesenen Ergebnisse der Atemalkoholproben, die den erst nachträglich vom Tatgeschehen in Kenntnis gesetzten Zeugen P.   und Z.   abgenommen worden waren, schon objektiv nicht zur weiteren Aufklärung der Tat- und Schuldfrage beitragen konnten. Selbst wenn damit nicht ein einheitlicher Beweiserhebungsvorgang aufgeteilt wurde, wird im Rahmen der Gesamtschau der insoweit maßgeblichen Vorgänge der Umstand, dass der Hauptverhandlungstermin vom 10. Juni 2011 allein der formalen Wahrung der Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO diente, letztlich auch dadurch bestätigt, dass das lediglich aus einem Wort und einer Zahl bestehende Ergebnis der BAK-Bestimmung beim Geschädigten nicht am 8. Juni 2011 zusammen mit den beiden polizeilichen Vermerken über die Atemalkoholproben bei den Zeugen P.  und Z.   verlesen wurde.

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Auch der Generalbundesanwalt erkennt einen sachlich nachvollziehbaren Grund dafür, dass das Landgericht nochmals in die Beweisaufnahme eingetreten ist, nur in der notwendigen Klärung, ob die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gegeben waren. Seiner Auffassung, die eingeschobenen Termine seien schon deshalb nicht als "Schiebetermine" anzusehen, weil das Landgericht damit die Aussetzung des Verfahrens vermieden und dem Beschleunigungsgrundsatz Rechnung getragen habe, kann sich der Senat allerdings nicht anschließen. Zu Ende gedacht wäre die Vorschrift des § 229 StPO damit hinfällig.

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Besondere Umstände, die ein Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensverstoß ausnahmsweise ausschließen können (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 1970 - 4 StR 272/68, BGHSt 23, 224), sind nicht ersichtlich.

Becker                             von Lienen                              Schäfer

                   Mayer                                    Menges