Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 16.02.2012


BGH 16.02.2012 - 3 StR 346/11

Mordmerkmal der Heimtücke: Anforderungen an die Arglosigkeit des Opfers


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
16.02.2012
Aktenzeichen:
3 StR 346/11
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Düsseldorf, 20. April 2011, Az: 17 Ks 6/11
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 20. April 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen richten sich die jeweils auf die Sachbeschwerde gestützten Revisionen der Nebenkläger, die die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes gemäß § 211 StGB erstreben. Der Angeklagte beanstandet mit seiner wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision sachlichrechtlich die Strafzumessung des Landgerichts. Die Rechtsmittel der Nebenkläger sind zulässig (§ 400 Abs. 1, § 401 Abs. 1 und 2 StPO) und begründet. Auch das Rechtmittel des Angeklagten hat Erfolg.

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Nach den Feststellungen des Landgerichts erstach der Angeklagte seine 34-jährige gehörlose Ehefrau am 10. September 2010 um die Mittagszeit in der Küche der ehelichen Wohnung. Im Einzelnen:

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Zwischen den Eheleuten, die sich seit dem Jahre 1994 kannten und seit 1998 verheiratet waren, kam es nach der Geburt ihrer dritten Tochter (2008) zu einer Verschlechterung des ehelichen Verhältnisses. Dies schrieb der Angeklagte dem Umstand zu, dass seine Ehefrau, die aufgrund ihrer Gehörlosigkeit weitgehend isoliert gelebt hatte, über den damals in der ehelichen Wohnung eingerichteten Internetzugang erstmals die Möglichkeit bekam, ohne größeren Aufwand mit Bekannten und Verwandten zu kommunizieren. Der Angeklagte hielt ihr vor, sie vernachlässige infolge des hierfür betriebenen Zeitaufwands ihre häuslichen Pflichten. Außerdem mutmaßte er, seine Frau unterhalte über das Internet Kontakte mit anderen Männern, um eine außereheliche Beziehung aufzubauen. Hierüber kam es zwischen den Eheleuten häufiger zum Streit. Zweimal alarmierte die Geschädigte bei solchen Auseinandersetzungen die Polizei, die den Angeklagten der Wohnung verwies, worauf dieser in seiner Gartenlaube übernachtete. Stets versöhnten sich die Eheleute aber wieder, und der Angeklagte kehrte in beiden Fällen in die gemeinsame Wohnung zurück.

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Im Sommer 2010 meinte der Angeklagte, im Verhalten seiner Ehefrau Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass sie sich heimlich mit einem anderen Mann treffe. Als dies die Geschädigte auf Vorhalt des Angeklagten abstritt, kam es erneut zu einem (verbalen) Streit, in dessen Verlauf der Angeklagte die Ehewohnung verließ und fortan wieder in seiner Gartenlaube nächtigte.

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Am Tattag suchte der Angeklagte die Ehewohnung auf, traf die Geschädigte indes nicht an. Aus Wut darüber, dass diese - wie er weiterhin glaubte, wofür er aber keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte hatte und was objektiv nicht der Fall war - im Internet Kontakte mit anderen Männern unterhielt, zerstörte er den vorhandenen Router, verließ die Wohnung und ging zur Arbeit. Nachdem die Geschädigte zurückgekehrt war und die Beschädigung bemerkt hatte, rief sie den Angeklagten an, schimpfte über sein Verhalten und forderte ihn auf, den Internetanschluss wieder herzustellen, anderenfalls werde sie die Polizei unterrichten. Daraufhin verließ der Angeklagte seine Arbeitsstelle und fuhr mit seinem Pkw zur Ehewohnung. Auf dem Weg dorthin bemerkte er seine Ehefrau zu Fuß auf der Straße. Sie hatte eine der beschädigten Komponenten des Internetanschlusses in eine Tüte gepackt und sich auf den Weg zur Polizei begeben. Nachdem der Angeklagte seine Frau angesprochen und diese ihm ihre Absicht mitgeteilt hatte, erklärte sich der Angeklagte bereit, den Internetanschluss wieder instand zu setzen. Gemeinsam fuhren beide mit dem Pkw des Angeklagten zur Ehewohnung. Unmittelbar nachdem die Eheleute diese betreten hatten, entstand zwischen ihnen eine verbale Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte seiner Ehefrau deren angebliche Untreue vorhielt. Diese Auseinandersetzung fand in der Küche statt, wobei der Angeklagte stand und seine Ehefrau vor ihm auf einem Stuhl saß.

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Im Anschluss an eine - "nicht ausschließbar" als Eingeständnis einer außerehelichen Beziehung fehlinterpretierte - Äußerung seiner Frau nahm der Angeklagte aus Wut über deren vermeintliche Untreue einen Küchenstuhl und schlug diesen mit Wucht auf den Kopf seiner ihm - "nicht ausschließbar" - mit dem Oberkörper zugewandten Ehefrau. Nachdem diese daraufhin benommen zu Boden gegangen war, ergriff der Angeklagte ein in der Küche liegendes Messer mit einer Klingenlänge von etwa 35 Zentimetern und stach damit von oben herab wuchtig mindestens fünfzehnmal auf den Brust- und Halsbereich seiner Frau ein. Er wusste, dass er ihr damit Verletzungen beibrachte, die zum Tode führen. Er wollte seine Frau auch töten, um sie für ihre vermeintliche Untreue zu bestrafen. Die Geschädigte verstarb kurze Zeit danach an dem durch die Stichverletzungen hervorgerufenen starken Blutverlust sowie einer Verletzung der rechten Herzkammer.

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I. Revisionen der Nebenkläger

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Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Mordes gemäß § 211 Abs. 2 StGB (Heimtücke, Tötung aus niedrigen Beweggründen bzw. um eine andere Straftat zu verdecken) abgelehnt. Während die Verneinung eines Verdeckungsmordes nicht zu beanstanden ist, halten jedenfalls die Gründe, mit denen das Landgericht das Vorliegen des Mordmerkmals niedriger Beweggründe verneint hat, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

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Zum Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe hat das Landgericht ausgeführt, tatauslösend und tatbestimmend sei hier der Umstand gewesen, dass der Angeklagte mutmaßte, seine Frau habe sich einem anderen Mann zugewandt. Da der Angeklagte hierdurch das Wohl seiner Kinder und den Kontakt zu diesen gefährdet sah, sehe sich die Kammer an einer Bewertung der Tatmotivation als "niedrig" gehindert. Diese Begründung berücksichtigt wesentliche Umstände der Tat und der Motivation des Angeklagten nicht.

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Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag - als verachtenswert erscheinen, bedarf einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2003 - 3 StR 149/03, NStZ 2004, 34 mwN; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 211 Rn. 15). Gefühlsregungen wie Eifersucht, Wut, Ärger, Hass und Rache kommen in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen. Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 4 StR 419/06, NStZ-RR 2007, 111; Fischer, aaO, Rn. 19).

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Danach begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe seine Ehefrau nicht aus niedrigen Beweggründen im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB getötet, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Urteil lässt die erforderliche Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren vermissen. Nicht berücksichtigt hat das Landgericht insbesondere, dass der Angeklagte nach den Feststellungen seine Frau auch getötet hat, um sie für ihre (vermeintliche) Untreue zu bestrafen, und dabei aus Wut über deren vermeintliche Untreue gehandelt hat. Gleichfalls nicht berücksichtigt hat es die für die Einstellung des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau und deren Lebensrecht bedeutsame Äußerung bei seiner polizeilichen Vernehmung, er habe nach dem Stuhlschlag gedacht, jetzt müsse er ins Gefängnis, dann mache er sie auch "kaputt". Die für das Landgericht wesentliche Annahme, der Angeklagte habe durch die - von ihm vermutete - Hinwendung seiner Ehefrau zu einem anderen Mann das Wohl seiner Kinder gefährdet gesehen, wird demgegenüber durch die Urteilsgründe nicht eindeutig belegt. Entsprechend eingelassen hat sich der Angeklagte nicht. Festgestellt hat das Landgericht insoweit lediglich, dass sich der Angeklagte bei der Zeugin K. zweimal telefonisch nach dem Wohl seiner Kinder erkundigte und bei einem Telefonat zwei Tage vor der Tat zum Ausdruck brachte, er habe Angst, infolge der - damals schon länger bestehenden - Trennung der Eheleute den Kontakt zu seinen Kindern zu verlieren. Woraus das Landgericht entnimmt, der Angeklagte habe durch die - vermutete - Hinwendung seiner Frau zu einem anderen Mann das Wohl seiner Kinder gefährdet gesehen, erschließt sich danach aus den Urteilsgründen nicht.

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Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

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II. Revision des Angeklagten

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Der Strafausspruch des Urteils hält der rechtlichen Nachprüfung auf die Sachbeschwerde nicht stand.

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Im Rahmen der Strafzumessung ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat infolge eines Affektdurchbruchs erheblich vermindert im Sinne von § 21 StGB war. Bei der Bemessung der Strafe im engeren Sinne hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten gleichwohl ohne Einschränkung die "Massivität des Angriffs berücksichtigt, der sich in der Zahl der Stichverletzungen und der Anzahl der geschädigten Organe" gezeigt habe.

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Diese Erwägung begegnet unter den hier gegebenen Umständen durchgreifenden rechtlichen Bedenken; denn die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann uneingeschränkt strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, soweit ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 375/11 mwN; Fischer, aaO, § 46 Rn. 2). Damit, ob dem Angeklagten die ihm vorgeworfene "Massivität" seines Vorgehens angesichts des in der Beweiswürdigung festgestellten "Affektdurchbruchs im Sinne von § 21 StGB" und der daraus gefolgerten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit uneingeschränkt vorwerfbar ist, setzt sich das Urteil indes nicht auseinander.

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III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

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1. Der neue Tatrichter wird wiederum prüfen müssen, ob der Angeklagte die Tötung heimtückisch im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB begangen hat. Objektiv heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Dabei kommt es grundsätzlich auf die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an.

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Danach wird zunächst zu klären sein, welcher Angriff des Angeklagten der erste mit Tötungsvorsatz geführte war. Das Landgericht ist zwar - wie sich allein aus der konkurrenz-rechtlichen Würdigung der Tat im angefochtenen Urteil ergibt - davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei dem zunächst geführten Schlag mit dem Stuhl mit Verletzungsvorsatz handelte; indes hat es diese Annahme nicht begründet. Sie versteht sich auch nicht von selbst, da der Schlag nach den bisherigen Feststellungen wuchtig und gegen den Kopf ausgeführt war und zur Folge hatte, dass die zuvor auf einem Stuhl sitzende Geschädigte benommen zu Boden ging. Danach könnte auch in Betracht kommen, dass der Angeklagte schon zu diesem Zeitpunkt und nicht erst bei Verwendung des Messers mit Tötungsvorsatz handelte.

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Vom Ergebnis dieser Prüfung wird es abhängen, an welchen Zeitpunkt für die Frage der Arglosigkeit des Opfers anzuknüpfen sein wird: Kommt es auf die Lage vor dem Stuhlschlag an, so wird zu bedenken sein, dass ein der Tat vorausgegangener Wortwechsel, eine nur feindselige Atmosphäre oder ein generelles Misstrauen die Arglosigkeit nicht ausschließen, wenn das Opfer hieraus noch nicht die Gefahr einer Tätlichkeit entnimmt. Erforderlich ist vielmehr für die Beseitigung der Arglosigkeit auch bei einem vorangegangenen Streit, dass das Opfer mit einem tätlichen Angriff rechnet (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2007 - 4 StR 467/06, NStZ-RR 2007, 174 mwN). Wesentlich ist, dass der Täter sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Zu bedenken wird auch sein, dass das Opfer auch dann arglos sein kann, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, also sein Opfer etwa von vorne angreift, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Juli 2004 - 1 StR 145/04, juris Rn. 6 mwN). In diesem Zusammenhang wird vorliegend auch in den Blick zu nehmen sein, dass der Angeklagte bei keiner der festgestellten früheren streitigen Auseinandersetzungen - auch nicht bei denen, die einen polizeilichen Einsatz zur Folge hatten - gewalttätig gegen seine Ehefrau vorgegangen war. Deshalb und angesichts der dem Streit vorangegangenen einlenkenden Äußerung des Angeklagten, er werde den angerichteten Schaden beheben, wird zu prüfen sein, ob das (gehörlose) Opfer aufgrund der lediglich verbalen Auseinandersetzung vor der Tat keinen tätlichen Angriff gegen sich erwartete oder einen solchen voraussah und die Geschädigte durch den Schlag mit dem Stuhl möglicherweise völlig überrascht wurde. Dafür könnte vorliegend auch sprechen, dass die Untersuchung der Leiche durch den rechtmedizinischen Sachverständigen keine Hinweise auf Abwehrverletzungen des Opfers erbrachte. Sollte hingegen erst der erste Messereinsatz des Angeklagten, als das Opfer nach dem Stuhlschlag bereits benommen am Boden lag, von dem Tötungsvorsatz getragen worden sein, so wäre zum einen zu bedenken, dass die Benommenheit eines vom Täter geschlagenen Opfers gegen dessen Arglosigkeit sprechen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. März 1997 - 3 StR 68/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 23 sowie vom 6. Mai 2008 - 5 StR 92/08, NStZ 2008, 569). Zum anderen wird der neue Tatrichter aber auch in den Blick nehmen müssen, dass es für das Mordmerkmal der Heimtücke keinen Unterschied macht, ob ein überraschender Angriff von vornherein mit Tötungsvorsatz geführt wird oder ob der ursprüngliche - auf Körperverletzung gerichtete - Handlungswille derart schnell in den Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, zu dem der Täter mit Tötungsvorsatz angreift. In beiden Fällen bleibt dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 2004 - 4 StR 319/03, NStZ-RR 2004, 234 mwN; vom 20. Juli 2004 - 1 StR 145/04, juris Rn. 11; vom 27. Juni 2006 - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503; vom 2. April 2008 - 2 StR 621/07, NStZ-RR 2008, 238; vgl. auch BGH, Urteile vom 9. Dezember 1986 - 1 StR 596/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3; vom 15. Dezember 1992 - 1 StR 699/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16 und vom 24. Februar 1999 - 3 StR 520/98, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 27).

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2. Der neue Tatrichter wird bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat zu beachten haben, dass das angefochtene Urteil hierzu zum einen nicht völlig eindeutige Feststellungen enthält und zum anderen auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beruht: Das Landgericht hat einerseits im Sachverhalt festgestellt, der Angeklagte sei "während der Tat in der Lage (gewesen), das Verbotene seines Verhaltens zu erkennen und sich nach dieser Einsicht zu verhalten"; im Rahmen der Beweiswürdigung ist die Kammer - ohne die Auffassung des Sachverständigen hierzu mitzuteilen - andererseits zu dem Ergebnis gekommen, sie habe "nicht auszuschließen" vermocht, dass "die Fähigkeit des Angeklagten, sich gemäß der vorhandenen Einsicht in das Verbotene seines Tuns zu verhalten, infolge eines Affektdurchbruchs im Sinne von § 21 StGB erheblich eingeschränkt" gewesen sei. Für die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit war die - "nicht ausschließbare" - Feststellung des Landgerichts wesentlich, der Angeklagte habe seine Ehefrau - unmittelbar vor dem ersten Angriff auf diese - dahin (miss-)verstanden, dass sie ein außereheliches Verhältnis eingeräumt habe. Diese Feststellung hat keine Tatsachenbasis: Entsprechend eingelassen hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht. Die von ihm - bei seiner polizeilichen Vernehmung und im Rahmen der Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen - aufgestellten Behauptungen, seine Ehefrau habe unmittelbar vor der Tat ihm gegenüber jeweils geäußert, sie habe ihn bzw. er habe sie mit einer Geschlechtskrankheit infiziert bzw. sie habe ein außereheliches Verhältnis zu einem anderen Mann eingestanden und in diesem Zusammenhang auch über verschiedene Praktiken beim sexuellen Umgang mit diesem berichtet, hat die Schwurgerichtskammer mit rechtsfehlerfreier Begründung nicht geglaubt. Weiter hat das Landgericht eine Fehlinterpretation von Äußerungen des Opfers vor der Tat durch den Angeklagten zu einer Infektion mit einer Geschlechtskrankheit sowie hinsichtlich der angeblich berichteten Sexualpraktiken mit einem anderen Mann mit ebenfalls tragfähigen Begründungen verneint. Weshalb das Landgericht demgegenüber nicht hat ausschließen können, dass der Angeklagte "irgendeine Äußerung seiner Frau in dem Sinne fehlinterpretiert haben könnte, sie räume eine außereheliche Beziehung ein", sondern ein solches Missverständnis unterstellt hat, ist nicht ersichtlich. Allein die hierfür gegebene Begründung, dass der Angeklagte schon vor der Tat davon ausgegangen sei, seine Frau habe eine außereheliche Beziehung, trägt jedenfalls die Annahme einer Äußerung der Geschädigten, die der Fehlinterpretation durch den Angeklagten in dem angenommenen Sinne zugänglich wäre, nicht. Danach erweist sich die Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe eine Äußerung seiner Ehefrau dahin (miss-)verstanden, dass sie vor der Tat ein außereheliches Verhältnis eingeräumt habe, rechtsfehlerhaft als bloße Vermutung (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 4 StR 517/11).

Becker                                                Pfister                                            von Lienen

                            Hubert                                             Schäfer