Entscheidungsdatum: 13.01.2011
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 3. Mai 2010 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen
I.
Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten vorgeworfen, er sei am 11. März 2009 gegen 20.40 Uhr in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit zwei unbekannten Personen in einem von ihm gesteuerten Pkw zu einer Tankstelle in S. gefahren, um diese zu überfallen. Dem gemeinsamen Tatplan entsprechend habe er im Pkw gewartet, während sich seine Mittäter in die Tankstelle begeben und die dort anwesende Kassiererin mit einem Elektroschockgerät bedroht hätten, weshalb sich diese der Mitnahme der Kasse mit 1.457 Euro Bargeld nicht widersetzt habe. Anschließend habe der Angeklagte die beiden Unbekannten wieder in den Pkw aufgenommen und sei mit ihnen geflohen. Die Beute habe man unter sich aufgeteilt.
Das Landgericht hat den Angeklagten von diesem Vorwurf des besonders schweren Raubes freigesprochen. Es hat zwar einen äußeren Geschehensablauf wie in der Anklage beschrieben festgestellt, sich aber nicht davon überzeugen können, dass es der Angeklagte war, der als der dritte Täter das Fluchtfahrzeug steuerte. Wohl gebe es Beweisanzeichen für die Täterschaft des schweigenden Angeklagten. Neben dem Standort des Fluchtfahrzeugs sei ein "frischer" Zigarettenrest mit DNA-Spuren nach dem Muster des Angeklagten sichergestellt worden, außerdem hätten zwei Zeugen das Fluchtfahrzeug als dunkel und mit kurzem Heck beschrieben, was auf den Pkw des Angeklagten zutreffe. Indes blieben bei zusammenfassender Würdigung Zweifel deshalb, weil sich der Fundort des Zigarettenrests, dessen genaue Altersbestimmung nicht möglich sei, neben der örtlichen Durchgangsstraße befinde, so dass der Angeklagte ihn auch im Vorbeifahren weggeworfen haben könnte. Die auf eine Vielzahl von Fahrzeugen zutreffende Beschreibung des Pkw habe ohnehin nur sehr geringen Beweiswert.
Gegen den Freispruch wendet sich die auf die Sachrüge und eine Verfahrensrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
II.
Die Rüge, das Landgericht habe es zu Unrecht abgelehnt, die beim Diensteanbieter (§ 3 Nr. 6 Buchst. a TKG) erhobenen Verkehrsdaten des Mobiltelefons des Angeklagten für den Zeitraum der Tat in die Hauptverhandlung einzuführen, ist unzulässig.
1. Der Rüge liegt zugrunde:
Am 11. Juni 2009 ordnete das Amtsgericht Verden im Ermittlungsverfahren die Erhebung der beim Diensteanbieter gespeicherten Verkehrsdaten des Mobiltelefonanschlusses des Angeklagten (§ 3 Nr. 30 TKG) für den Zeitraum 11. März 2009, 00.00 Uhr bis 24.00 Uhr, an. Am 23. Juni 2009 übermittelte der Diensteanbieter die entsprechenden Daten an die zuständige Polizeibehörde und teilte mit, die Auskunft enthalte "sämtliche Daten, die gemäß § 113a TKG seit dem 01. 01. 2008 für 180 Tage erhoben und gespeichert werden".
In der Hauptverhandlung am 30. April 2010 beantragte die Staatsanwaltschaft, zum Beweis dafür, dass der Angeklagte "sich am 11. März 2009 zwischen 20.00 Uhr und 21.25 Uhr dem Tatort näherte und sich … um 20.25 Uhr … im Bereich des Tatorts befand …", im Wege des Urkundenbeweises die vom Diensteanbieter in einer Datei übermittelten Verkehrsdaten zu verlesen oder im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung einzuführen, "hilfsweise den zuständigen Sachbearbeiter" zu vernehmen. Das Landgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 3. Mai 2010 zurück. Die beantragte Beweiserhebung sei unzulässig, denn die erhobenen Standortdaten seien aus Rechtsgründen nicht verwertbar. Das Bundesverfassungsgericht habe mit Urteil vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833) die §§ 113a, 113b TKG insgesamt und § 100g StPO insoweit für nichtig erklärt, als nach § 113a TKG gespeicherte Verkehrsdaten erhoben werden dürfen. Damit scheide auch die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts durch Beschluss vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08, BVerfGE 121, 1; im Folgenden bis zur Entscheidung in der Hauptsache verlängert) als wirksame Rechtsgrundlage für die Erhebung der Daten aus. Nach Abwägung der Interessen der Strafverfolgung und des individuellen Grundrechtsschutzes des Angeklagten (Art. 10 Abs. 1 GG) sei ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen.
2. Gegen die Ablehnung ihres Antrags wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Aufklärungsrüge (a). Diese genügt nicht den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (b).
a) Ist ein Beschwerdeführer der Ansicht, der Tatrichter habe einen Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt, so steht es ihm grundsätzlich frei, entweder die Verletzung des Beweisantragsrechts zu rügen oder geltend zu machen, das Gericht habe durch die Nichterhebung des Beweises seine aus § 244 Abs. 2 StPO folgende Aufklärungspflicht verletzt (BGH, Urteil vom 25. März 1998 - 3 StR 686/97, NJW 1998, 2229; Urteil vom 11. September 1997 - 4 StR 287/97, NStZ 1998, 79; Urteil vom 18. Januar 1984 - 2 StR 360/83, NStZ 1984, 329). Hier hat sich die Beschwerdeführerin für eine Aufklärungsrüge entschieden. Sie verweist darauf, dass das Landgericht die beantragte Beweiserhebung von Amts wegen hätte vornehmen müssen, und bezeichnet § 244 Abs. 2 StPO als verletzt. Für die Erhebung der Aufklärungsrüge spricht im Übrigen auch, dass es zumindest zweifelhaft erscheint, ob der Antrag vom 30. April 2010 überhaupt als Beweisantrag zu werten ist, denn zum einen spricht das genannte Beweisthema (Aufenthalt des Angeklagten zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts) eher für die Darlegung eines Beweisziels als für die konkrete Behauptung eines Beweisertrags, der durch die Nutzung der benannten Beweismittel unmittelbar erlangt werden kann; zum anderen teilt der Antrag nicht mit, beim Eintritt welcher Bedingung der "hilfsweise" benannte - weder nach Namen noch nach Funktion näher individualisierte - Zeuge vernommen werden soll.
b) Die Erhebung einer zulässigen Aufklärungsrüge setzt unter anderem voraus, dass der Beschwerdeführer die Umstände mitteilt, aufgrund derer sich der Tatrichter zu der beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 81 mwN). Wird beanstandet, dass eine Urkunde nicht verlesen oder im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, so ist es daher in aller Regel erforderlich, dass die Revision den Wortlaut der Urkunde wiedergibt (Becker in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 368 mwN); denn nur dann ist das Revisionsgericht in der Lage zu prüfen, ob sich das Tatgericht aufgrund seiner Aufklärungspflicht zur Beweisaufnahme über den Urkundeninhalt hätte gedrängt sehen müssen.
Danach entspricht die von der Beschwerdeführerin erhobene Aufklärungsrüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Beschwerdeführerin teilt den Wortlaut der Urkunde, deren Verlesung sie vermisst, nicht mit. Es entzieht sich deshalb einer Überprüfung durch den Senat, ob die Verlesung überhaupt zur Sachaufklärung hätte beitragen können (vgl. Meyer-Goßner aaO Rn. 13).
Die Darstellung des Urkundeninhalts war hier auch nicht etwa deswegen entbehrlich, weil "hilfsweise" die Vernehmung eines Zeugen zum selben Beweisthema beantragt worden war; denn dieser sollte ersichtlich allein Angaben zu der in der Urkunde enthaltenen Auskunft des Diensteanbieters machen.
Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin auch nicht den Inhalt des Beschlusses vom 11. Juni 2009 mitteilt, durch den das Amtsgericht Verden die Erhebung der Verkehrsdaten angeordnet hatte. Auch dies wäre erforderlich gewesen. Das Landgericht musste sich nur dann zur Einführung der Verkehrsdaten in die Hauptverhandlung gedrängt sehen, wenn diese unter den gesetzlichen Voraussetzungen nach Maßgabe der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts rechtmäßig erhoben worden und daher verwertbar waren. Ohne Kenntnis des Anordnungsbeschlusses vermag der Senat dies ebenfalls nicht zu prüfen. Zwar hat die Revision den Ablehnungsbeschluss des Landgerichts vom 3. Mai 2010 vorgelegt, in dem sich Ausführungen zum Inhalt des Anordnungsbeschlusses finden. Dem Senat ist aber nicht erkennbar, ob sich der Wortlaut der Anordnung in dem dort wiedergegebenen Inhalt erschöpft. Sollte das der Fall sein, wäre ihm mangels hinreichender Begründung der Anordnung und fehlender Prüfung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses durch das Landgericht deren eigenständige Beurteilung im Revisionsverfahren nicht möglich. In diesem Falle hätte die Beschwerdeführerin zusätzlich den Ermittlungsstand zum Zeitpunkt der Anordnung mitteilen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2002 - 3 StR 122/02, BGHSt 47, 362, 365 ff.).
III.
Die Überprüfung des Urteils auf die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge lässt keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten erkennen.
Becker von Lienen Hubert
Schäfer Mayer