Entscheidungsdatum: 29.11.2011
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 17. Februar 2011 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO); jedoch wird der Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte des Betruges in 44 Fällen sowie des versuchten Betruges in zwei Fällen schuldig ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat zur Rüge der Verletzung von § 240 StPO, § 142 Abs. 1 Nr. 2, § 145 Abs. 2 GVG, Art. 6 MRK:
a) Der Generalbundesanwalt macht geltend, die Beanstandung sei unzulässig, "soweit" der Revisionsführer bestimmte Äußerungen und Verhaltensweisen der Oberamtsanwältin und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft behauptet, da die Richtigkeit dieser Behauptungen ohne eine dem Revisionsgericht verschlossene Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht geklärt werden könne. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Das Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung betrifft zum einen das im Urteil festzustellende Ergebnis der Beweisaufnahme, soweit es nicht - wie etwa der Wortlaut von Urkunden - der unmittelbaren Kenntnisnahme durch das Revisionsgericht offensteht. Es gilt daher etwa für den Inhalt der Einlassung des Angeklagten oder der Aussagen von Zeugen und Sachverständigen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 - 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151; KK/Kuckein, StPO, 6. Aufl.,§ 351 Rn. 10). Zum anderen hat eine Rekonstruktion von Verfahrensvorgängen zu unterbleiben, die als wesentliche Förmlichkeiten der Hauptverhandlung (§ 273 Abs. 1, 1a StPO) protokollierungspflichtig sind und daher allein durch die Sitzungsniederschrift bewiesen werden können (§ 274 Abs. 1 Satz 1 StPO; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 274 Rn. 8). Alle anderen Verfahrensvorgänge in der Hauptverhandlung sind dagegen, soweit entscheidungserheblich, durch das Revisionsgericht im Freibeweis aufzuklären (s. etwa BGH, Urteil vom 13. Dezember 1967 - 2 StR 544/67, BGHSt 22, 26, 28; Meyer-Goßner aaO). Das gälte daher auch für die vom Revisionsführer behaupteten Äußerungen der Oberamtsanwältin und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, soweit sie nicht protokollierungspflichtig waren. So sieht es im Übrigen auch der Vertreter des Generalbundesanwalt, wenn er im Gegensatz zu seinen Ausführungen zur Zulässigkeit der Rüge deren Unbegründetheit auch aus der Darstellung der Vorgänge in der Hauptverhandlung herleiten will, die der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Revisionsgegenerklärung vom 7. Juli 2011 abgegeben hat.
b) Die Rüge bleibt indes ohne Erfolg. Allerdings hat das Landgericht - wie durch das Protokoll belegt wird - der Oberamtsanwältin gesetzeswidrig in der Hauptverhandlung Verfahrensrechte eingeräumt, indem es sie umfassend hat Fragen an Beweispersonen stellen lassen. Nach § 142 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 145 Abs. 2 GVG dürfen Amtsanwälte das Amt der Staatsanwaltschaft nur bei den Amtsgerichten wahrnehmen. In Verhandlungen vor den Landgerichten dürfen ihnen - unabhängig von ihrer persönlichen Qualifikation - Verfahrensrechte der Staatsanwaltschaft nicht übertragen werden, auch nicht unter Aufsicht eines Staatsanwaltes (vgl. KK/Schmidt/Schoreit, StPO, 6. Aufl., § 145 GVG Rn. 6). Dies ergibt sich schon daraus, dass einem Rechtsreferendar gemäß § 142 Abs. 3 GVG im Einzelfall die Wahrnehmung der Aufgaben eines Staatsanwalts unter dessen Aufsicht beim Landgericht übertragen werden kann, während eine entsprechende gesetzliche Regelung für Amtsanwälte fehlt.
Das gesetzliche Verbot für Amtsanwälte, Verfahrensrechte der Staatsanwaltschaft vor den Landgerichten wahrzunehmen, darf nicht durch die Einräumung eines umfassenden Fragerechts in der Hauptverhandlung nach § 240 Abs. 2 Satz 1 StPO umgangen werden. Der Vorsitzende kann nicht prozessbeteiligten Personen lediglich gestatten, einzelne Fragen unmittelbar an den Angeklagten, einen Zeugen oder einen Sachverständigen zu richten, wenn er dies nach pflichtgemäßem Ermessen im Interesse der Wahrheitsfindung für zweckmäßig hält und dadurch die berechtigten Interessen anderer Verfahrensbeteiligter nicht beeinträchtigt werden (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 240 Rn. 9). Die Einräumung des Fragerechts bezieht sich dabei aber stets auf einzelne Fragen; sie darf nicht zu einer Übertragung von gesetzlich nicht vorgesehenen generellen Teilnahme- und Fragerechten an einen unzuständigen Amtsträger führen. Dem steht nicht entgegen, dass nach teilweise vertretener Ansicht Amtsanwälte in Verfahren, die sie nicht selbständig bearbeiten dürfen, als Ermittlungsassistenten zur Unterstützung des Staatsanwalts herangezogen werden können (LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 142 GVG Rn. 30). Denn im Falle einer solchen Zuarbeit verbleibt die Wahrnehmung der Rechte der Anklagebehörde bei dem sachbearbeitenden Staatsanwalt.
Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf dem Verfahrensverstoß. Die Strafkammer hat sich ausweislich der Urteilsgründe ihre Überzeugung von den getroffenen Feststellungen aufgrund der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen und verlesenen Urkunden verschafft. Der Senat schließt aus, dass die Wahrnehmung von Verfahrensrechten durch die Oberamtsanwältin sich auf das Urteil ausgewirkt hat. Der pauschale Vortrag der Revision, der Angeklagte sei in seinen Rechten verletzt worden, weil die Zeugen und Sachverständigen durch die Fragen der nicht frageberechtigten Oberamtsanwältin beeinflusst worden seien, zeigt keinen Zusammenhang zwischen dem Gesetzesverstoß und der Verurteilung auf. Dasselbe gilt für die Behauptung, die negative Einstellung des Gerichts zur Glaubwürdigkeit des Angeklagten sei durch dessen Nichtbeantwortung der unberechtigten Fragen der Oberamtsanwältin mitveranlasst worden.
Becker von Lienen Schäfer
Mayer Menges