Entscheidungsdatum: 26.07.2018
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 26. Oktober 2017 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat zu seinen Lasten und zu seinen Gunsten Erfolg.
I.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
a) In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 2016 misshandelten der heranwachsende Angeklagte und der Mitangeklagte B. gemeinschaftlich den Nebenkläger, den die Mitangeklagte Bi. mit dessen Pkw entsprechend dem gemeinsamen, unter weiterer Beteiligung der Mitangeklagten S. gefassten Tatplan an einen einsamen Ort gelockt hatte. Der Angeklagte zerrte den Nebenkläger aus der Fahrgastzelle heraus und versetzte ihm drei Faustschläge. B. sprühte ihm Pfefferspray in das Gesicht. Von dem ursprünglichen Vorhaben, das Bargeld des Opfers an sich zu bringen, nahmen die vier Angeklagten freiwillig Abstand. Der Nebenkläger erlitt eine Schwellung an der rechten Schläfe, Blutungen im Gesicht sowie Rippenprellungen.
b) Der Angeklagte wurde bislang dreimal strafrechtlich belangt, darunter wie folgt:
aa) Mit seit dem "13.02.2014" rechtskräftigem Urteil vom "05.03.2014" sprach das Amtsgericht Wilhelmshaven ihn des (besonders) schweren Raubes schuldig, setzte die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe aus und die Bewährungszeit auf zwei Jahre fest. Seither ist über die Verhängung der Jugendstrafe oder die Tilgung des Schuldspruchs - auch nach Ablauf der Bewährungszeit am "12.02.2016" - nicht entschieden.
bb) Am 10. April 2017 verurteilte das Amtsgericht Wilhelmshaven den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen sowie Beleidigung zu einer (Gesamt-)Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 30 €.
2. Das Landgericht hat in der Tat hervorgetretene schädliche Neigungen des Angeklagten sowie die Schwere seiner Schuld angenommen und die Jugendstrafe in der festgesetzten Höhe für erzieherisch erforderlich sowie "auch für tat- und schuldangemessen" erachtet. Es hat in Ausübung seines Ermessens davon abgesehen, das Urteil des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom "05.03.2014" in seine Entscheidung mit einzubeziehen; denn im Fall der Einbeziehung wäre auf ein Strafmaß zu erkennen, bei dem eine Strafaussetzung zur Bewährung gesetzlich ausgeschlossen wäre. Die Strafaussetzung sei aber geboten, um dem Angeklagten zu ermöglichen, den nunmehr "eingeschlagenen Weg" - Berufsausbildung und Familiengründung - fortzusetzen. Die Strafaussetzung sei auch deshalb vertretbar, weil der Angeklagte die ihm anlässlich der Verurteilung vom "05.03.2014" auferlegte Arbeitsauflage zeitnah erfüllt habe und die damals festgesetzte Bewährungszeit von zwei Jahren bei Begehung der gegenständlichen Tat nahezu abgelaufen gewesen sei.
II.
Der Strafausspruch hat keinen Bestand, weil sich das Urteil insoweit als rechtsfehlerhaft sowohl zum Vorteil als auch zum Nachteil des Angeklagten (vgl. § 301 StPO) erweist.
1. Das Urteil weist den Angeklagten bevorteilende Rechtsfehler auf, soweit die Jugendkammer davon abgesehen hat, auf eine einheitliche Jugendstrafe zu erkennen; das gilt sowohl für eine unter Umständen in Betracht kommende Einbeziehung seiner Verurteilung durch das Amtsgericht Wilhelmshaven am 10. April 2017 als auch die erwogene Einbeziehung dessen Urteils vom "05.03.2014".
a) Der Strafausspruch hält sachlich rechtlicher Prüfung bereits deshalb nicht stand, weil in den Urteilsgründen der Vollstreckungsstand der Geldstrafe aus dem Erkenntnis des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 10. April 2017 nicht mitgeteilt wird, so dass der Senat nicht beurteilen kann, ob die Jugendkammer zu Recht davon abgesehen hat, eine Entscheidung über die Einbeziehung dieser Verurteilung zu treffen. Insoweit leidet das angefochtene Urteil an einem Darstellungsmangel.
Den Urteilsgründen lässt sich noch entnehmen, dass dieses der gegenständlichen Tat nachfolgende Erkenntnis vom 10. April 2017 rechtskräftig ist. Indes bleibt unklar, ob die Geldstrafe schon erledigt ist. Anderenfalls hätte die Jugendkammer gemäß § 105 Abs. 1, 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 JGG die Einbeziehung prüfen müssen; denn § 105 Abs. 2 JGG ist auch dann anzuwenden, wenn - wie hier - der Angeklagte die zuvor mit Freiheits- oder Geldstrafe geahndeten Straftaten als Erwachsener beging (vgl. BGH, Urteil vom 2. Mai 1990 - 2 StR 64/90, BGHSt 37, 34; Beschlüsse vom 24. September 1993 - 2 StR 493/93, BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 9; vom 21. Dezember 2011 - 4 StR 596/11, juris Rn. 2). Ein Absehen von der Einbeziehung, ohne dass sich die Urteilsgründe zu der gebotenen Prüfung verhalten, begründet einen Rechtsfehler (s. BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2010 - 4 StR 208/10, StV 2011, 590; vom 26. Februar 2013 - 2 StR 507/12, juris Rn. 3, 5; vom 21. September 2017 - 2 StR 327/17, juris Rn. 19).
b) Darüber hinaus begegnet der Strafausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Nichteinbeziehung des früheren Urteils vom "05.03.2014", mit dem gemäß § 27 JGG die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden war. Die Jugendkammer hat bei der Prüfung, ob sie von dessen Einbeziehung nach § 105 Abs. 1 i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 1 JGG in Ausübung tatrichterlichen Ermessens absieht, einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt.
aa) Nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG ist bei der Ahndung von Straftaten nach Jugendstrafrecht, wenn eine anderweitige, bereits rechtskräftige Verurteilung zu einer Sanktion gemäß § 27 JGG noch nicht erledigt ist, grundsätzlich auf eine einheitliche Rechtsfolge zu erkennen (vgl. Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 31 Rn. 16, 26). Die Einbeziehung der früheren Verurteilung darf nur ausnahmsweise unterbleiben, wenn dies aus erzieherischen Gründen zweckmäßig ist (§ 31 Abs. 3 Satz 1 JGG). Ein Absehen von der Einbeziehung erfordert Gründe, die unter dem Aspekt der Erziehung von besonderem Gewicht sind und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 7. November 1988 - 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37, 42 ff.; vom 31. Oktober 1995 - 5 StR 470/94, NStZ-RR 1996, 120 f.; Beschluss vom 8. April 1997 - 4 StR 31/97, BGHR JGG § 31 Abs. 3 Nichteinbeziehung 2; Urteil vom 9. August 2001 - 1 StR 211/01, NJW 2002, 73, 77; Beschlüsse vom 9. Juli 2004 - 2 StR 150/04, StraFo 2004, 394; vom 1. Juni 2010 - 4 StR 208/10, StV 2011, 590). Erst wenn solche Gründe festgestellt sind, ist der tatrichterliche Ermessensspielraum eröffnet.
bb) Die Jugendkammer ist indes von einem abweichenden rechtlichen Ansatz ausgegangen. Unter Berufung auf eine Fundstelle in der Kommentarliteratur (Schatz in Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 7. Aufl., § 31 Rn. 60) hat sie angenommen, dass zu dem Zweck, eine Strafaussetzung zur Bewährung zu ermöglichen, die Verhängung einer zweiten selbständigen Jugendstrafe bereits dann zulässig sei, wenn in dem Fall, dass auf eine Einheitsjugendstrafe erkannt würde, wegen deren Höhe eine Aussetzung der Vollstreckung ausgeschlossen sei, eine derartige Entscheidung aber "erzieherisch noch zu vertreten" sei.
Dieser Ansatz stimmt mit der dargelegten - vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vorgenommenen - Auslegung des § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG nicht überein; denn eine erzieherisch noch vertretbare Aussetzung der Vollstreckung ist nicht gleichbedeutend mit einem Umstand, der unter dem Erziehungsaspekt von besonderem Gewicht ist. Gleiches gilt für eine günstige Prognose im Sinne des § 21 JGG (ebenso Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 31 Rn. 32). Unter dem Gesichtspunkt, die Strafaussetzung zur Bewährung zu ermöglichen, ist vielmehr für ein Absehen von der Einbeziehung vonnöten, dass - über eine solche Prognoseentscheidung hinaus - erzieherische Gründe von besonderem Gewicht das Nebeneinander zweier Jugendstrafen gebieten (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 3. Mai 1983 - 2 Ss 34/83 - 43/83 II, MDR 1983, 956; Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl., § 31 Rn. 29). Aus dem in den Urteilsgründen angeführten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 31. Oktober 1995 (5 StR 470/94, NStZ-RR 1996, 120 f.) ergibt sich nichts anderes.
Erzieherische Gründe von besonderem Gewicht, die gegen eine Einheitsjugendstrafe sprächen, hat die Jugendkammer - als Folge des von ihr zugrunde gelegten unzutreffenden rechtlichen Maßstabs - nicht dargetan. Soweit in den Urteilsgründen ausgeführt ist, dass der Angeklagte zweieinhalb Monate vor Urteilsverkündung eine Ausbildung zum Gerüstbauer aufnahm und seine Lebensgefährtin, die Mitangeklagte S. , von ihm kurze Zeit nach Urteilsverkündung ein Kind erwartet, steht dies - für sich gesehen - nicht in Beziehung zum Erziehungsgedanken. Ob die Erfüllung der gerichtlichen Arbeitsauflage im Jahr 2014 und die Begehung der gegenständlichen Tat "erst" kurz vor Ablauf der anlässlich der Vorverurteilung vom "05.03.2014" festgesetzten Bewährungszeit taugliche Kriterien bieten, um die Nichteinbeziehung dieses strafrechtlichen Erkenntnisses als erzieherisch noch vertretbar erscheinen zu lassen, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Es lässt sich jedenfalls ausschließen, dass diese Umstände unter dem Erziehungsaspekt ein besonderes Gewicht haben. Dahinstehen kann, ob sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen lässt, dass das Urteil vom "05.03.2014" am 13. März 2014 (nicht am "13.02.2014" [vor Urteilserlass]) rechtskräftig geworden war und somit die Bewährungszeit am 12. März 2016 (nicht am "12.02.2016") endete, anderenfalls - sollte es sich bei dem Datum des Urteilserlasses um ein Schreibversehen handeln - die auf den 13./14. Februar 2016 datierende gegenständliche Tat nicht in die Bewährungszeit fiele.
cc) Hinzu kommt, dass der Angeklagte zur Zeit der Hauptverhandlung drei Monate vor Vollendung des 22. Lebensjahrs stand und er somit bereits als im strafrechtlichen Sinne erwachsen galt. Im Rahmen der Prüfung des § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG wäre daher zu bedenken gewesen, dass dem Erziehungsgedanken nur noch ein geringeres Gewicht zukommen kann (vgl. Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 31 Rn. 28 aE; kritisch zu einem staatlichen Erziehungsrecht gegenüber Erwachsenen Senatsbeschluss vom 20. August 2015 - 3 StR 214/15, NStZ 2016, 101 f. mwN). Umso weniger liegt es hier nahe, dass erzieherische Gründe von besonderem Gewicht eine Ausnahme vom Grundsatz der Einheitsjugendstrafe gebieten könnten.
2. Das Urteil weist den Angeklagten benachteiligende Rechtsfehler auf (vgl. § 301 StPO), soweit die Jugendkammer die - gesondert verhängte - Jugendstrafe dem Grunde und der Höhe nach festgesetzt hat.
Die Jugendkammer hat die Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 Alternative 2 JGG unter anderem damit begründet, der Angeklagte habe einen Raub begehen wollen, was besondere charakterliche Mängel offenbare (s. UA S. 23 f.). Diesen Umstand hat sie außerdem - an der Wertung festhaltend - bei der konkreten Strafbemessung strafschärfend berücksichtigt. Die "Vorverurteilung vom 05.03.2014, die auch (sic!) eine Raubhandlung zum Gegenstand" gehabt habe, habe er sich "offenkundig … nicht zur Warnung dienen lassen" (UA S. 24).
Diese Darlegungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Im Fall eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch - wie hier vom versuchten besonders schweren Raub - ist die schulderhöhende Berücksichtigung des zunächst gegebenen Vollendungsvorsatzes im Rahmen der Prüfung der Schwere der Schuld jedenfalls dann rechtsfehlerhaft, wenn nicht - anders als hier - der Umstand der freiwilligen Abkehr von diesem Vorsatz gleichermaßen in den Blick genommen wird. Erst beide Gesichtspunkte gemeinsam ergeben das Tatbild, das in der spezifisch jugendstrafrechtlichen Beurteilung der Schuldschwere zu bewerten ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 2016 - 2 StR 320/15, BGHSt 61, 188). Gleiches muss für die Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe gelten.
Während allerdings die Entscheidung, überhaupt Jugendstrafe zu verhängen, nicht auf der Annahme der Schuldschwere beruht, weil die Jugendkammer zugleich rechtsfehlerfrei schädliche Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 Alternative 1 JGG bejaht hat, lässt sich nicht ausschließen, dass sie auf eine geringere Jugendstrafe erkannt hätte, wenn sie den Angeklagten der Sache nach nicht einseitig als Wiederholungstäter unter dem Gesichtspunkt eines Raubdelikts betrachtet hätte, sondern das freiwillige Abstandnehmen von der weiteren Tatausführung ebenfalls berücksichtigt hätte.
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