Entscheidungsdatum: 22.07.2010
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 23. Dezember 2009 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bestimmt, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt zuerst zu vollstrecken ist. Die hiergegen gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Zum Schuld- und Strafausspruch hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.
a) Das Landgericht hat die Unterbringung als "nicht von vorneherein aussichtslos" bezeichnet und damit einen Maßstab angelegt, der vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 1994 (BVerfG, Beschluss vom 16. März 1994 - 2 BvL 3/90 (u. a.), BVerfGE 91, 1 ff.) für verfassungswidrig erklärt worden ist. Seither war § 64 Abs. 2 aF StGB verfassungskonform dahin auszulegen, dass er die Feststellung einer konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel voraussetzt. Hierauf hat der Bundesgerichtshof in zahlreichen Entscheidungen hingewiesen. Durch das am 20. Juli 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 16. Juli 2007 (BGBI. I S. 1327) ist § 64 StGB entsprechend geändert worden und trägt dem Erfordernis einer konkreten Erfolgsaussicht nun auch im Wortlaut der Vorschrift ausdrücklich Rechnung (§ 64 Satz 2 StGB).
Es lässt sich den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit nicht sicher entnehmen, dass der Tatrichter gleichwohl von der notwendigen hinreichend konkreten Erfolgsaussicht ausgegangen ist (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2007 - 2 StR 393/07). Zwar hat der Angeklagte seine Suchterkrankung eingestanden und sich zur Mitarbeit bei der Therapie bereiterklärt. Dem stehen indes die zahlreichen Vorverurteilungen, bei denen der Angeklagte die ihm eingeräumten Bewährungschancen jeweils nicht genutzt hat, sowie dessen ausgeprägte dissoziale Persönlichkeitsstörung gegenüber. Über die Erfolgsaussicht der Maßregel muss deshalb erneut vom Tatrichter befunden werden.
b) Die Darlegungen zur Gefährlichkeit des Angeklagten begegnen ebenfalls rechtlichen Bedenken. Das Landgericht führt unter Bezugnahme auf den gehörten Sachverständigen aus, bei der Anlasstat - der Angeklagte verletzte gemeinschaftlich mit einem Mittäter im Alkoholiker- und Obdachlosenmilieu während eines mehrstündigen Geschehens das Opfer durch Schläge und Tritte erheblich - handele es sich "um ein Delikt mit einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit. Diese liege in sieben Jahren bei 76% und in 10 Jahren bei 82%" (UA S. 34). Herkunft und Bedeutung dieser Angaben sind unklar und erlauben deshalb eine revisionsgerichtliche Nachprüfung der Gefährlichkeitsprognose nicht. Sofern es sich um Erkenntnisse aus standardisierten, auf statistischen Erfahrungen beruhenden Prognoseinstrumenten handeln sollte, gilt Folgendes: Diese Instrumente listen Umstände auf, die einen Zusammenhang mit Rückfälligkeit aufweisen. Sie sind jeweils das Ergebnis der Untersuchung von unterschiedlich zusammengesetzten Stichproben verurteilter Straftäter. Ob ein bestimmtes Prognoseinstrument für die Beurteilung des beim Angeklagten bestehenden individuellen Rückfallrisikos generell tauglich ist, hängt zuerst einmal davon ab, ob die in die Stichprobe einbezogenen Täter bezüglich ihrer persönlichen Umstände (z. B. Anlassdelikt, psychische Erkrankung, Alter) mit dem Angeklagten vergleichbar sind. Entsprechendes gilt hinsichtlich des für den Angeklagten zukünftig zu erwartenden Umfelds und der für die Prognose als entscheidend erachteten Zeitspanne. Gibt es keine oder eine geringe Vergleichbarkeit zwischen der Stichprobe des angewendeten Prognoseinstruments und dem zu beurteilenden Einzelfall, ist die Bestimmung eines individuellen Risikogrades aus methodischer Sicht nicht zu rechtfertigen (vgl. König, R&P 2010, 67, 71 f. mwN). Stützt der Tatrichter seine Gefährlichkeitsprognose auf ein von einem Sachverständigen verwendetes standardisiertes Prognoseinstrument, hat er deshalb darauf zu achten, dass es im jeweiligen Einzelfall tauglich ist (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 3 StR 350/08, StV 2009, 118). Selbst dann bedarf es zur individuellen Prognose über die Anwendung derartiger Instrumente hinaus einer differenzierten Einzelfallanalyse durch den Sachverständigen (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 mwN).
3. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) wird vorliegend von der Aufhebung miterfasst.
Wegen der Rechtsbedenken gegen die Darlegungen des Landgerichts zur Gefährlichkeit bei § 64 StGB sowie wegen des Zusammenhangs beider Maßregeln hebt der Senat auch die Unterbringung nach § 63 StGB auf.
Über die Verhängung beider Maßregeln muss deshalb erneut entschieden werden. Der neue Tatrichter sollte erwägen, einen anderen Sachverständigen heranzuziehen.
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