Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 16.05.2017


BGH 16.05.2017 - 3 StR 122/17

Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern: Erheblichkeit sexueller Handlungen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
16.05.2017
Aktenzeichen:
3 StR 122/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2017:160517B3STR122.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Mönchengladbach, 26. Oktober 2016, Az: 32 KLs 8/16
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 26. Oktober 2016 jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) soweit der Angeklagte im Fall III. 1. b) der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt und das Notebook des Angeklagten nebst Netzteil eingezogen. Seine dagegen gerichtete auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

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1. Das Urteil hat keinen Bestand, soweit der Angeklagte im Fall III. 1. b) der Urteilsgründe wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist.

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a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen spielte der Angeklagte mit der neunjährigen Zeugin    G.   "Mensch ärgere Dich nicht". Als sich die Zeugin über den Schoß des Angeklagten beugte, um eine heruntergefallene Spielfigur aufzuheben, fasste der Angeklagte ihr über der Kleidung an die Scheide.

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b) Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 1, § 176a Abs. 1 StGB) nicht. Denn das bloße Berühren des Geschlechtsteils über der Kleidung ist nicht ohne weiteres als sexuelle Handlung im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB - zur Tatzeit noch § 184g Nr. 1 StGB - anzusehen. Zwar ist in der Handlung des Angeklagten nach ihrem äußeren Erscheinungsbild der danach erforderliche sexuelle Bezug zu erkennen (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338); es fehlt aber an Feststellungen, welche die insoweit erforderliche Erheblichkeit belegen.

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aa) Als erheblich im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB sind solche sexualbezogenen Handlungen zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; vom 24. September 1991 - 5 StR 364/91, NJW 1992, 324; vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; vom 10. März 2016 - 3 StR 437/15, NJW 2016, 2049). Zur Feststellung der Erheblichkeit bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus (BGH, Urteile vom 3. April 1991 - 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4; vom 24. September 1991 - 5 StR 364/91, NJW 1992, 324 f.; vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; vom 21. September 2016 - 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44).

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Bei Tatbeständen, die - wie § 176 Abs. 1 StGB - dem Schutz von Kindern oder Jugendlichen dienen, sind an das Merkmal der Erheblichkeit geringere Anforderungen zu stellen als bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Erwachsener (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553; Urteil vom 21. September 2016 - 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44). Allerdings reichen auch hier kurze, flüchtige oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen, insbesondere des bekleideten Geschlechtsteils, dafür grundsätzlich nicht aus (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553; Urteile vom 8. Februar 1989 - 3 StR 546/88, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 3; vom 3. April 1991 - 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4; vom 4. Mai 2017 - 3 StR 87/17, juris Rn. 9; Beschlüsse vom 10. September 1998 - 1 StR 476/98, NStZ 1999, 45; vom 8. September 1999 - 3 StR 357/99, juris Rn. 4; vom 21. September 2005 - 2 StR 311/05, juris Rn. 8; Urteil vom 21. September 2016 - 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44). Die Schwelle zur Erheblichkeit kann jedoch überschritten sein, wenn über die bloße kurze Berührung hinaus weitere Umstände hinzukommen, die das Gewicht des Übergriffes erhöhen; dies ist etwa der Fall, wenn der Täter ein sich wehrendes 8-jähriges Mädchen mit der linken Hand festhält, mit der rechten Hand zwischen die Beine des Kindes fasst und dessen bekleidetes Geschlechtsteil "einige Male streichelt" (BGH, Urteil vom 27. Februar 1992 - 4 StR 23/92, BGHSt 38, 212, 213), wenn er einem 9-jährigen Mädchen "mit festem Griff" an das bekleidete Geschlechtsteil fasst (BGH, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 6) oder wenn er einen 13-jährigen Jungen in ein Gebüsch zerrt und ihn, während er ihn fest umklammert, "an das bekleidete Geschlechtsteil fasst" sowie dabei teilweise "fest drückt" (BGH, Urteil vom 17. November 1999 - 2 StR 453/99, NStZ-RR 2000, 299).

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bb) Nach diesen Maßstäben hält die Wertung des Landgerichts, der Griff an das bekleidete Geschlechtsteil im Fall III. 1. b) der Urteilsgründe stelle eine erhebliche sexuelle Handlung im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB dar, rechtlicher Überprüfung nicht stand. Feststellungen zur Intensität oder Festigkeit des Griffes hat die Strafkammer nicht getroffen; auch die Art der Bekleidung (nur leichte Kleidung oder ggf. mehrere Schichten) wird nicht mitgeteilt. Hinsichtlich der Dauer der Berührung lässt sich dem Urteil nur entnehmen, dass die Strafkammer den Angaben der Zeugin gefolgt ist, wonach es "nicht so lange" gewesen sei, "sie habe das aber gemerkt", sei sich aber nicht sicher gewesen, ob der Angeklagte sie absichtlich an der Scheide angefasst habe. Ein spezifisch sexualbezogener Handlungsrahmen, eine Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit oder ein sonst erhebliches Einwirken auf das Opfer sind somit nicht festgestellt. Die kurze Berührung des Geschlechtsteils oberhalb der Kleidung allein vermag die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe damit in einem erheblichen Maße in die geschützte ungestörte Entwicklung des Kindes eingegriffen und diese in einem nicht nur unbedeutenden Maße gefährdet, nicht zu tragen.

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2. Demgegenüber liegt im Fall III. 1. c) der Urteilsgründe eine erhebliche sexuelle Handlung des Angeklagten vor: Hierzu hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte der Zeugin    G.   im Schwimmbad von unten an die nur mit einem Bikinihöschen bekleidete Scheide griff, als sich die Zeugin in einen Schwimmring setzte. In dieser Situation war die spärlich bekleidete Zeugin dem Zugriff des Angeklagten bei eingeschränkter Abwehr- oder Fluchtmöglichkeit ausgeliefert. Zwar konnte die Strafkammer auch hier nur eine relativ kurze Berührung feststellen, allerdings war der Griff in die leichtbekleidete intime Körperzone in diesem Fall so intensiv und deutlich spürbar, dass die Zeugin keinerlei Zweifel an dem zielgerichteten Vorgehen des Angeklagten hatte; sie empfand sein Vorgehen als unangenehm und belastend und zog sich weinend und zitternd in das Badezimmer zurück, als der Angeklagte kurz darauf zu Besuch in der Wohnung ihrer Mutter erschien. Damit ist hinreichend belegt, dass der Angeklagte nicht nur eine belanglose sexualbezogene Handlung vornahm, sondern das tatbestandlich geschützte Rechtsgut in einer sozial nicht mehr hinnehmbaren Weise gefährdete.

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3. Im Übrigen hat die rechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

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4. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im vorbezeichneten Umfang führt zum Wegfall der für die Tat zu III. 1. b) der Urteilsgründe verhängten Freiheitsstrafe (ein Jahr und vier Monate) und hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge.

Becker     

       

Schäfer     

       

Spaniol

       

Berg     

       

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