Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 24.04.2018


BPatG 24.04.2018 - 3 Ni 68/16 (EP)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Nicht-invasive pränatale Diagnose (europäisches Patent)" – zur wirksamen Inanspruchnahme einer Priorität bei fehlender Ausführbarkeit über die gesamte Breite eines Patentanspruchs


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
24.04.2018
Aktenzeichen:
3 Ni 68/16 (EP)
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:240418U3Ni68.16EP.0
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze
Art II § 6 Abs 1 Nr 2 IntPatÜbkG

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 0 994 963

(DE 698 14 639)

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm, des Richters Kätker, der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg, des Richters Dipl.-Chem. Dr. Jäger und der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Wagner

für Recht erkannt:

I. Die Klagen werden abgewiesen.

II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 4. März 1998 als PCT-Anmeldung in englischer Sprache angemeldeten und vom Europäischen Patentamt mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten, inzwischen erloschenen Patents EP 0 994 963, das die Priorität der britischen Anmeldung 9704444 vom 4. März 1997 in Anspruch nimmt. Die im Einspruchsverfahren geänderte Fassung des Streitpatents ist am 6. Juni 2012 als EP 0 994 963 B2-Schrift (vorliegend MW1) veröffentlicht worden. Das Patent wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 698 14 639 geführt. Das Streitpatent, das in vollem Umfang und hilfsweise beschränkt mit zwei Hilfsanträgen verteidigt wird, trägt die Bezeichnung „Non-invasive prenatal diagnosis“ („Nicht-invasive pränatale Diagnose“) und umfasst 19 Patentansprüche. Die beiden nebengeordneten Patentansprüche 1 und 18 lauten wie folgt:

2

“1. A detection method performed on a maternal serum or plasma sample from a pregnant female, which method comprises detecting the presence of a nucleic acid of foetal origin in the sample, wherein said nucleic acid is a paternally inherited sequence which is not possessed by said pregnant female.

3

18. A method of performing a prenatal diagnosis, which method comprises:

4

(i) providing a maternal blood sample;

5

(ii) separating the sample into a cellular and non-cellular fraction;

6

(iii) detecting the presence of a nucleic acid of foetal origin in the noncellular fraction using the method of any one of claims 1 to 17; and

7

(iv) providing a diagnosis based on the presence and/or quantity and/or sequence of the foetal nucleic acid.”

8

In deutscher Sprache lauten sie:

9

„1. Detektionsverfahren, vorgenommen an einer maternalen Serum- oder Plasmaprobe von einer schwangeren Frau, welches Verfahren das Nachweisen des Vorhandenseins einer Nukleinsäure von fötalem Ursprung in der Probe umfasst, wobei die Nukleinsäure eine väterlicherseits vererbte Sequenz ist, welche die schwangere Frau nicht besitzt.

10

18. Verfahren zum Durchführen einer pränatalen Diagnose, welches Verfahren umfasst:

11

(i) Bereitstellen einer maternalen Blutprobe;

12

(ii) Auftrennen der Probe in eine zelluläre und eine nicht-zelluläre Fraktion;

13

(iii) Detektieren des Vorhandenseins einer Nukleinsäure von fötalem Ursprung in der nicht-zellulären Fraktion unter Anwendung des Verfahrens nach jedem der Ansprüche 1 bis 17; und

14

(iv) Stellen einer Diagnose auf der Basis des Vorhandenseins und/oder der Menge und/oder der Sequenz der fötalen Nukleinsäure.“

15

Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 bzw. 18 rückbezogenen Patentansprüche wird auf die Patentschrift EP 0 994 963 B2 verwiesen.

16

Die Beklagte ist aus ihrem Patent gegen die Klägerinnen vorgegangen. Mit Urteil des Oberlandesgerichts D… vom 31. August 2017 (vgl. Anlage rop9) ist eine von mehreren u. a. gegen die Klägerin zu 1. gerichteten einstweiligen Verfügungen rechtskräftig aufrechterhalten worden. Die Klägerin zu 2. ist mit Urteil des Landgerichts Mannheim vom 29. September 2017 (vgl. Anlage rop10) unter Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht zur Unterlassung des Anbietens und Lieferns von Testkits und Zubehör verurteilt worden. Das Verfahren ist noch in der Berufungsinstanz anhängig.

17

Das Streitpatent ist im Laufe des Nichtigkeitsverfahrens durch Zeitablauf erloschen. Mit Schriftsatz vom 20. März 2018 hat die Beklagte erklärt, dass sie gegenüber den Klägerinnen für die Vergangenheit und Zukunft auf sämtliche Rechte aus den Patentenansprüchen 14 bis 17 des Streitpatents verzichtet. Außerdem hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Patent gegenüber der Klägerin zu 1. für die Vergangenheit und für die Zukunft verzichtet.

18

Die Klägerinnen, die das Streitpatent in vollem Umfang angreifen, machen die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit geltend. Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2017 haben sie darüber hinaus den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung geltend gemacht. Sie stützen ihr Vorbringen im Wesentlichen auf folgende Dokumente:

19

MW1 EP 0 994 963 B2 („Streitpatenschrift“)

20

MW4 WO 98/39474 A1 („Nachanmeldung")

21

MW5 GB 970 4444 („Prioritätsdokument“)

22

MW22 Kazakov et al., Russian Academy of Sciences – Cytology, 1995, Vol. 37 (3), 232 bis 236 mit INSET VIII, Ariosa Exhibit 1014, p. 10

23

MW23 Lo et al., The Lancet, 1990, Vol. 335, 1463 bis 1464

24

MW24 Kamm und Smith, Clinical Chemistry, 1972, Vol. 18 (6), 519 bis 522

25

MW25 Raptis und Menard, J. Clin. Invest., 1980, Vol. 66, 1391 bis 1399

26

MW26 Martin et al., Human Immunology, 1992, Vol. 33, 108 bis 113

27

MW28 Walknowska et al., The Lancet, 1969, 1119 bis 1122

28

MW29 Simpson und Elias, Prenatal Diagnosis, 1994, Vol. 14, 1229 bis 1242

29

MW32 Camaschella et al., Blood, 1990, Vol. 75 (11), 2102 bis 2106

30

MW33 Lo, Early Human Development, 1996, Vol. 47 Suppl., S73 bis S77

31

MW34 Hamada et al., Hum Genet, 1993, Vol. 91, 427 bis 432

32

MW35 Bianchi et al., Pediatric Research, 1996, Vol. 39, 142

33

MW36 Emanuel und Pestka, GATA, 1993, Vol. 10 (6), 144 bis 146

34

MW37 Fowke et al., Journal of Immunological Methods, 1995, Vol. 180, 45 bis 51

35

MW38 Chen et al., Nature Medicine, 1996, Vol. 2 (9), 1033 bis 1034

36

MW42 Lo et al., The Lancet, 1997, Vol. 350, 485 bis 487

37

MW47 Wang et al., Prenatal Diagnosis, 2013, Vol. 33, 662 bis 666

38

MW48 Revello et al., Ultrasound Obstet Gynecol, 2016, Vol. 47, 698 bis 704

39

MW52 DE 698 14 639 T2 (deutsche Fassung der Streitpatentschrift)

40

MW56 Lo, J Clin Pathol, 1994, Vol. 47, 1060 bis 1065

41

MW57 Leon et al., The Journal of Rheumatology, 1977, Vol. 4 (2), 139 bis 143

42

MW60 Stroun et al., Eur J Cancer Clin Oncol, 1987, Vol. 23 (6), 707 bis 712

43

MW61 Stroun et al., Oncology, 1989, Vol. 46, 318 bis 322

44

MW62 Nawroz et al., Nature Medicine, 1996, Vol. 2 (9), 1035 bis 1037

45

MW63 Mulcahy et al., The Lancet, 1996, Vol. 348, 628

46

MW64 Strickland und Richards, Cell, 1992, Vol. 71, 355 bis 357

47

MW66 Chiu et al., PNAS, 2008, Vol. 105 (51), 20458 bis 20463

48

MW68 Gerovassili et al., Prenat Diagn, 2007, Vol. 27, 104 bis 110

49

Nach Ansicht der Klägerinnen ist die Lehre des Patentanspruchs 1 nicht ausführbar. Sie begründen dies damit, dass ein Fachmann die darin allgemein beschriebene Detektion fötaler, väterlicherseits vererbter Nukleinsäuren in maternalen Serum- oder Plasmaproben nicht über die gesamte beanspruchte Breite realisieren könne.

50

Sie sind ferner der Auffassung, dass die vom Streitpatent in Anspruch genommene Priorität vom 4. März 1997 nicht wirksam sei, da die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 18 anhand der Informationen im Prioritätsdokument nicht über die volle Breite ausführbar seien. Damit fehle dem Verfahren des Patentanspruchs 1 gegenüber der im Prioritätsjahr veröffentlichten Druckschrift MW42 die Neuheit. Im Übrigen beruhten die Verfahren der nebengeordneten Patentansprüche 1 und 18 gegenüber der Druckschrift MW42 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

51

Selbst unter der Annahme, dass die Priorität des Streitpatents wirksam sei, seien die patentgemäßen Verfahren durch den weiteren Stand der Technik nach Ansicht der Klägerinnen nahegelegt. Zum Prioritätszeitpunkt seien bereits nicht-invasive Pränataldiagnose-Verfahren basierend auf der Isolierung fötaler Zellen aus maternalem Blut bekannt gewesen, mit denen das Geschlecht des Fötus sowie genetisch bedingte Erkrankungen des Fötus nachweisbar gewesen seien. Aus dem einschlägigen Stand der Technik sei dem Fachmann überdies bekannt gewesen, dass zellfreie DNA in humanem Serum oder Plasma sowohl von Gesunden als auch Kranken vorkomme. Diese Kenntnis sowie die Entwicklung der PCR-Technik habe dazu geführt, dass zellfreie DNA zum genetischen Nachweis verschiedener Krankheiten, wie maligner Erkrankungen oder Autoimmunerkrankungen vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents in der medizinischen Diagnostik eingesetzt worden sei. Damit liegt aus der Sicht der Klägerinnen der prinzipielle Einsatz von Serum oder Plasma als Ausgangsmaterial für nicht-invasive genetische Untersuchungen für den Fachmann auf der Hand. Die Druckschrift MW22 liefere darüber hinaus den Hinweis, dass zellfreie DNA im Blut schwangerer Frauen zu finden sei und zelluläre Prozesse in gewissem Umfang wiederspiegele. Die Autoren der MW22 äußerten zudem die Vermutung, dass die zellfreie DNA nicht nur von der Mutter sondern auch vom Fötus stamme. Vor diesem Hintergrund sei es naheliegend, Plasma- oder Serumproben schwangerer Frauen als Alternative zu fötalen Zellen aus maternalen Blutproben für genetische Untersuchungen in Betracht zu ziehen.

52

Darüber hinaus machen die Klägerinnen geltend, dass die Diagnoseverfahren gemäß den Patentansprüchen 18 und 19 nach Art. 53 c) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen seien, da diese eine Blutentnahme umfassten. Hierbei handele es sich - jedenfalls nach europäischer Rechtsprechung - um ein am lebenden Körper durchgeführtes chirurgisches Verfahren, welches gemäß Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sei. Entgegen Artikel 53 c) EPÜ werde zudem ein Diagnostizierverfahren beansprucht. Das Verfahren zur Durchführung einer pränatalen Diagnose gemäß den Patentansprüchen 18 und 19 beinhalte Verfahrensschritte, die nach der Rechtsprechung der großen Beschwerdekammer (G 1/04) sowie des 21. Senats des Bundespatentgerichts (GRUR 2008, 981) erforderlich seien, um ein am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenes Diagnostizierverfahren i. S. d. Art. 53 c) EPÜ anzunehmen.

53

Im Wege der Klageerweiterung machen die Klägerinnen außerdem den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung geltend. Das im Einspruchsbeschwerdeverfahren aufgenommene Merkmal „wobei die Nukleinsäure eine väterlicherseits vererbte Sequenz ist, welche die schwangere Frau nicht besitzt“ (wherein said nucleic acid is a paternally inherited sequence which is not possessed by said pregnant female“) sei ihrer Ansicht nach in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht offenbart. Dies sei darauf zurückzuführen, dass in der Anmeldung des Streitpatents zur Definition der väterlicherseits vererbten Sequenz der Begriff „Mutter“ („mother“) verwendet worden sei. Die Begriffe „schwangere Frau“ („pregnant female“) und „Mutter“ („mother“) würden nach fachmännischem Verständnis darin jedoch nicht als Synonyme verwendet.

54

Die Klägerinnen beantragen,

55

das europäische Patent EP 0 994 963 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

56

Die Beklagte beantragt,

57

die Klagen abzuweisen,

58

hilfsweise die Klagen mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 oder 2 gemäß Schriftsatz vom 20. März 2018 erhält.

59

Hilfsantrag 1 entspricht den Patentansprüchen in der beschränkt aufrecht erhaltenen Fassung mit dem Unterschied, das die Patentansprüche 4 bis 17 gestrichen und die Nummerierung sowie die Rückbezüge der weiteren Patentansprüche angepasst worden sind.

60

Gemäß Hilfsantrag 2 lauten die beiden einzigen Patentansprüche:

61

“1. Method for determining the sex of the foetus, performed on a maternal serum or plasma sample from a pregnant female, which method comprises detecting the presence of a foetal nucleic acid sequence in the sample, wherein said nucleic acid sequence is a paternally inherited sequence from the Y chromosome which is not possessed by said pregnant female.

62

2. Method for determining the sex of the foetus, which method comprises :

63

(i) providing a maternal blood sample;

64

(ii) separating the sample into cellular and non-cellular fraction;

65

(iii) detecting the presence of a foetal nucleic acid sequence from the Y chromosome using the method of claim 1; and

66

(iv) determining the sex of the foetus based on the presence of a foetal nucleic acid sequence from the Y chromosome.”

67

In deutscher Sprache lauten sie:

68

„1. Verfahren zur Bestimmung des Geschlechts des Fötus, vorgenommen an einer maternalen Serum- oder Plasmaprobe von einer schwangeren Frau, welches Verfahren das Detektieren des Vorhandenseins einer fötalen Nukleinsäuresequenz in der Probe umfasst, wobei die Nukleinsäuresequenz eine väterlicherseits vererbte Sequenz vom Y-Chromosom ist, welche die schwangere Frau nicht besitzt.

69

2. Verfahren zur Bestimmung des Geschlechts des Fötus, welches Verfahren umfasst:

70

(i) Bereitstellen einer maternalen Blutprobe;

71

(ii) Auftrennen der Probe in eine zelluläre und eine nicht-zelluläre Fraktion;

72

(iii) Detektieren des Vorhandenseins einer fötalen Nukleinsäuresequenz vom Y-Chromosom nach Anspruch 1; und

73

(iv) Bestimmung des Geschlechts des Fötus auf der Basis des Vorhandenseins einer fötalen Nukleinsäuresequenz vom Y-Chromosom.“

74

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen und verweist dabei u. a. auf die folgenden Dokumente:

75

rop5 Nelson et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA, 1989, Vol. 86, 6686 bis 6690

76

rop9 Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 31. August 2017

77

(Akz.: I - 2 U 6/17)

78

rop10 Urteil des Landgerichts Mannheim vom 29. September 2017

79

(Akz.: 2 O 199/16)

80

Nach Auffassung der Beklagten ist die Klage der Klägerin zu 1. unzulässig, da das Streitpatent erloschen sei und die Beklagte ihr gegenüber auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Patent - auch für die Vergangenheit - verzichtet habe. Jedenfalls hinsichtlich der Patentansprüche 14 bis 17 sei das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerinnen für die Nichtigkeitsklage entfallen, nachdem das Streitpatent zwischenzeitlich durch Zeitablauf erloschen sei und die Beklagte gegenüber ihren Gegnern im parallelen Verletzungsverfahren für die Vergangenheit und Zukunft auf sämtliche Rechte aus diesen Ansprüchen verzichtet habe. Es gehe daher allenfalls noch um die Patentansprüche 1 bis 13 und 18 bis 19.

81

Die mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2017 vorgenommene Klageerweiterung sei unzulässig, weil die Beklagte ihr nicht zustimme und sie nicht sachdienlich sei. Im Übrigen liege weder die mit der Klageerweiterung gerügte unzulässige Erweiterung vor, da die Begriffe „Mutter“ („mother“) und „schwangere Frau“ („pregnant woman“) nach dem Gesamtkontext synonym zu verstehen seien, noch liege der Patentierungsausschluss nach Art. 53 c) EPÜ vor, da das Diagnostizierverfahren gemäß den Patentansprüchen 18 und 19 außerhalb des menschlichen Körpers in vitro ausgeführt werde und die dem Verfahrensschritt des Bereitstellens einer maternalen Blutprobe vorangehende Blutentnahme nur eine Vorbereitungshandlung darstelle, die nach deutscher Rechtsprechung kein Verfahren zur chirurgischen Behandlung am menschlichen Körper darstelle. Das Diagnostizierverfahren der Patentansprüche 18 und 19 werde von Art. 53 c) EPÜ daher nicht erfasst.

82

Weiterhin sei die Erfindung des Streitpatents gemäß Art. 83 EPÜ so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann diese ausführen könne. In Kenntnis der Streitpatentschrift könne der Fachmann die von den Patentansprüchen 1 und 18 mit umfassten Nachweise von Aneuploidien, einschließlich spezifischer Trisomien, praktisch realisieren. Denn der Beschreibung sowie den Ausführungsbeispielen der Streitpatentschrift entnehme der Fachmann nicht nur spezifische Informationen zur Durchführung eines Geschlechtstests oder zur Bestimmung des Rhesus-Faktors. Er erhalte darin zusätzlich so viel an technischer Information, dass er unter Einsatz seines Fachwissens anhand einer quantitativen Bestimmung fötaler DNA in maternalem Serum oder Plasma auch Aneuploidien, wie Trisomie 21, nachweisen könne.

83

Für eine gerichtliche Entscheidung über die Frage der ausreichenden Offenbarung der Patentansprüche 14 bis 17 des Streitpatents fehle es den Nichtigkeitsklägerinnen im Übrigen am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, da das Streitpatent durch Zeitablauf erloschen sei und die Nichtigkeitsbeklagte auf sämtliche Rechte aus diesen Ansprüchen für die Vergangenheit und Zukunft verzichtet habe.

84

Der Gegenstand des Streitpatents sei neu. Die Priorität sei für das Streitpatent wirksam in Anspruch genommen worden, so dass die MW42 keinen relevanten Stand der Technik darstelle. Die wirksame Inanspruchnahme der Priorität wäre für die Patentansprüche 1 und 18 sogar dann zu bejahen, wenn man zu Unrecht davon ausginge, dass die abhängigen Patentansprüche 14 bis 17 die Priorität nicht wirksam in Anspruch nähmen. Im Übrigen fehle den Klägerinnen inzwischen das Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Entscheidung über die wirksame Inanspruchnahme der Priorität der Patentansprüche 14 bis 17.

85

Die technische Lehre des Streitpatents beruhe zudem auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der genannte Stand der Technik habe die beanspruchte technische Lehre dem Fachmann nicht nahegelegt, da der Fachmann in Kenntnis dessen zum Prioritätstag keine Veranlassung zu der Annahme gehabt habe, dass fötale zellfreie DNA in einer maternalen Serum- oder Plasmaprobe für die Pränataldiagnostik geeignet sei. Hierfür finde sich im zitierten Stand der Technik kein Hinweis, selbst wenn dieser Parallelen zwischen fötalen Zellen und Krebszellen aufzeige. Denn bei der bekannten genetischen Analyse maligner Erkrankungen anhand zellfreier DNA stamme das die zellfreie DNA enthaltende Serum oder Plasma stets vom Erkrankten selbst und nicht von einem anderen Organismus, wie im Falle der patentgemäßen nicht-invasiven Pränataldiagnostik. Hinweise, die in Richtung der patentgemäßen Lehre weisen würden, enthalte auch die Druckschrift MW22 nicht. Die Ausführungen in MW22 seien zum einen wissenschaftlich nicht fundiert. Zum anderen sei das Ziel der in MW22 beschriebenen Experimente nicht die Etablierung einer nicht-invasiven Pränataldiagnostik, sondern die Klärung der Herkunft extrazellulärer DNA im Blut schwangerer Frauen und die Bedeutung dieser DNA für den Verlauf der Schwangerschaft.

Entscheidungsgründe

86

Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 20. März 2018 gegenüber beiden Klägerinnen für die Vergangenheit und Zukunft auf sämtliche Rechte aus den Patentansprüchen 14 bis 17 des inzwischen erloschenen Streitpatents verzichtet hat und die Parteien insoweit übereinstimmend den Rechtsstreit für erledigt erklärt haben, sind die Nichtigkeitsklagen nur noch im Umfang der Patentansprüche 1 bis 13 und 18 und 19 offen.

I.

87

Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ), der mangelnden Ausführbarkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 b) EPÜ) sowie der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4. IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 d) EPÜ) gestützten Klagen sind zulässig.

88

1. Dies gilt zunächst für die Klage der Klägerin zu 1. Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt ihr nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar wird sie weder im Verletzungsverfahren vor dem Landgericht Mannheim noch in einem anderen anhängigen Verletzungsverfahren aus dem Patent in Anspruch genommen. Zudem hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ihr gegenüber erklärt, dass sie gegenüber der Klägerin zu 1. auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Patent für die Vergangenheit und für die Zukunft verzichtet. Der Klägerin zu 1. kann jedoch ein Schadensersatzanspruch aus § 945 ZPO entstehen, wenn sich die von der Beklagten vor dem Landgericht Düsseldorf im Verfahren 4c O 56/16 erwirkte und vom OLG Düsseldorf bestätigte (vgl. rop9) einstweilige Verfügung, aus der die Nichtigkeitsbeklagte gegen die Klägerin zu 1. vorgegangen ist, als von Anfang an ungerechtfertigt erweist. Nach BGH NJW 1979, 2565, LS - Oberarmschwimmringe ist § 945 ZPO anzuwenden, wenn sich eine vollzogene einstweilige Verfügung durch die nach deren Vollziehung erfolgte Löschung eines Schutzrechts als von Anfang an ungerechtfertigt erweist. Die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach § 945 ZPO kann demnach davon abhängig sein, ob das Schutzrecht (in der Vergangenheit) rechtsbeständig war (vgl. BPatG, 5. Sen., GRUR 1981, 124, 125 re. Sp.; Schulte, PatG, 10. Aufl., § 81, Rn. 41 unter f)). Nachdem das Rechtsschutzbedürfnis nur bei einer offensichtlich nicht schutzwürdigen Rechtsverfolgung fehlt (vgl. Schulte, a. a. O., Rn. 40), kann vorliegend auch auf Seiten der Nichtigkeitsklägerin zu 1. ein Rechtsschutzbedürfnis an der auf die Feststellung der Nichtigkeit des Streitpatents für die Vergangenheit gerichteten Klage nicht verneint werden.

89

2. Auch die Klage der Klägerin zu 2. ist zulässig. Insbesondere fehlt ihr nicht das Rechtsschutzbedürfnis, da die Klägerin zu 2. von der Beklagten u. a. auf Unterlassung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Rechnungslegung verklagt und vom Landgericht Mannheim erstinstanzlich verurteilt worden ist (vgl. rop10). Das Verfahren befindet sich in der Berufungsinstanz und ist damit noch anhängig. Die Klägerin zu 2. hat damit trotz des Erlöschens des Streitpatents ein Rechtsschutzinteresse an seiner Nichtigerklärung mit Wirkung für die Vergangenheit (vgl. BGH GRUR 2005, 749 - Aufzeichnungsträger; Schulte, Patentgesetz, 10. Aufl., § 81 Rdn. 41 unter b); Busse-Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl., § 81 Rn. 70; Benkard, PatG, 11. Aufl., § 81 Rn. 32, jew. m. w. N. aus der Rspr.).

90

3. Die mit der Geltendmachung des weiteren Nichtigkeitsgrunds der unzulässigen Erweiterung verbundene Klageänderung (vgl. Schriftsatz der Klägerinnen vom 9. Oktober 2017) ist gemäß § 263 ZPO i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG ebenfalls zulässig, da sie sachdienlich ist. Mit ihr wird eine erneute, auf diesen nachträglich vorgebrachten Nichtigkeitsgrund gestützte Klage vermieden (vgl. Schulte, a. a. O., Rn. 69).

II.

91

In der Sache bleiben die Klagen erfolglos. Im Umfang des in der Hauptsache noch offenen Teils des Rechtsstreits betreffend die Patentansprüche 1 bis 13 sowie 18 und 19 hat sich das Vorliegen eines der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe nicht feststellen lassen.

92

1. Das Streitpatent betrifft pränatale Detektions- und Diagnoseverfahren unter Anwendung nicht-invasiver Techniken zum Nachweis fötaler väterlicherseits vererbter Nukleinsäuren in maternalen Serum- oder Plasmaproben (vgl. MW1/MW52, Abs. [0001] i. V. m Patentansprüchen 1 und 18).

93

Das Streitpatent berichtet einleitend von den Risiken für die Mutter und das ungeborene Kind, die mit den bekannten pränatalen Diagnoseverfahren verbunden sind, bei denen invasive Techniken, wie die Fruchtblasenpunktion und die Chorionzotten-Probenentnahme, angewendet werden. Diese Risiken lassen sich den Angaben im Streitpatent zur Folge durch eine nicht-invasive Pränataldiagnostik vermeiden, da diese anhand von im maternalen Blut vorhandenen Fötuszellen durchgeführt werden. Die Isolierung der fötalen DNA aus diesen Zellen wird im Streitpatent jedoch nach wie vor als zeit- und kostenaufwendig beschrieben. Das Streitpatent weist darauf hin, dass die Krebsdiagnostik unter Vermeidung dieser Nachteile zunehmend auf den Nachweis von im Plasma oder Serum enthaltener Tumor-DNA unter Zuhilfenahme der Polymerase-Kettenreaktions-Technik (kurz PCR) setzt. Zum Stand der Technik gehört nach dem Streitpatent darüber hinaus die Entdeckung, dass fötale DNA in maternalen Serum- und Plasmaproben nachweisbar ist und es sich gezeigt hat, dass es zu einer Anreicherung der fötalen DNA im maternalen Plasma oder Serum während der Schwangerschaft kommt (vgl. MW1/MW52, Abs. [0002 bis 0006]).

94

2. Ausgehend davon liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, eine nicht-invasive Pränataldiagnostik bereitzustellen, bei der die Nachteile des Standes vermieden werden.

95

3. Zuständiger Fachmann ist ein Team, dem ein mit der Diagnoseerstellung genetisch bedingter Erkrankungen befasster Mediziner angehört sowie ein im Bereich der Molekularbiologie tätiger Naturwissenschaftler, der mit der Entwicklung von Nukleinsäure-basierten Assays für die Pränataldiagnostik befasst ist und auf eine mehrjährige Berufserfahrung zurückgreifen kann.

96

4. Die Aufgabe wird durch das im geltenden Patentanspruch 1 beschriebene Detektionsverfahren gelöst, welches folgende Merkmale aufweist:

97

1.1 Detektionsverfahren, vorgenommen an einer maternalen Serum- oder Plasmaprobe von einer schwangeren Frau,

98

1.2 welches Verfahren das Nachweisen des Vorhandenseins einer Nukleinsäure von fötalem Ursprung in der Probe umfasst,

99

1.3 wobei die Nukleinsäure eine väterlicherseits vererbte Sequenz ist, welche die schwangere Frau nicht besitzt.

100

sowie durch das im Patentanspruch 18 beschriebene Diagnoseverfahren mit folgenden Merkmalen:

101

18.1 Verfahren zum Durchführen einer pränatalen Diagnose, welches folgende Schritte umfasst:

102

18.2 Bereitstellen einer maternalen Blutprobe;

103

18.3 Auftrennen der Probe in eine zelluläre und eine nicht-zelluläre Fraktion;

104

18.4 Detektieren des Vorhandenseins einer Nukleinsäure von fötalem Ursprung in der nicht-zellulären Fraktion unter Anwendung des Verfahrens nach jedem der Ansprüche 1 bis 17; und

105

18.5 Stellen einer Diagnose auf der Basis des Vorhandenseins und/oder der Menge und/oder der Sequenz der fötalen Nukleinsäure.

III.

106

1. Das Diagnostizierverfahren der geltenden Patentansprüche 18 und 19 ist nicht nach Art. 53 c EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.

107

Es betrifft eine nicht-invasive Pränataldiagnose, bei der maternale Serum- oder Plasmaproben in-vitro auf die Anwesenheit von Nukleinsäuren fötalen Ursprungs untersucht werden. Hierfür muss der schwangeren Frau eine Blutprobe entnommen werden (siehe Merkmal 18.2 des geltenden Patentanspruchs 18). Ob die Blutentnahme dabei Teil des patentgemäßen Diagnostizierverfahrens ist oder lediglich eine Vorbereitungshandlung darstellt, die unabhängig vom Diagnostizierverfahren erfolgt, kann dahingestellt bleiben. Denn die Entnahme einer Blutprobe stellt in keinem Fall ein chirurgisches Verfahren dar. Sie erfolgt zwar am menschlichen Körper, wird aber regelmäßig von medizinischen Assistenzen durchgeführt und entspricht - ähnlich wie die Gabe eines Röntgenkontrastmittels - keiner therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers im Sinne von § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG (vgl. Schulte, PatG, 10. Auflage, § 2a Rdn. 68, Nr. 3). Allein die Tatsache, dass aufgrund der durch die Blutanalyse erhaltenen Daten ein Mediziner über das weitere Vorgehen entscheiden kann, reicht für den Ausschluss der in den geltenden Patentansprüchen 18 und 19 beschriebenen Diagnostizierverfahren ebenfalls nicht aus (vgl. BGH GRUR 2010, 1081, Rdn. 17 - Bildunterstützung bei Katheternavigation).

108

2. Der geltende Patentanspruch 1 weist entgegen der Rechtsansicht der Klägerinnen ferner keine unzulässige Erweiterung auf.

109

Die Klägerinnen sehen den geltenden Patentanspruch 1 durch das darin enthaltene Merkmal 1.3, betreffend eine väterlicherseits vererbte Sequenz, welche die schwangere Frau nicht besitzt, als unzulässig erweitert an. Sie begründen dies damit, dass im Merkmal 1.3 nicht wie in der ursprünglichen Offenbarung auf die „Mutter“ („maternal“) des Fötus Bezug genommen werde, sondern auf die „schwangere Frau“ („pregnant female“) und die Begriffe „Mutter“ und „schwangere Frauin den ursprünglichen Unterlagen nicht synonym verwendet würden. Demzufolge betreffe das Detektionsverfahren des geltenden Patentanspruchs 1 generell die Blutproben schwangerer Frauen und sei nicht mehr auf diejenigen Blutproben beschränkt, in denen die schwangere Frau zugleich die biologische Mutter des Fötus sei.

110

Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Die ursprüngliche Offenbarung lehrt aus fachlicher Sicht ein Detektionsverfahren, mit dem entsprechend der in den Erstunterlagen enthaltenen Definition des Begriffs „pränatale Diagnose“ („prenatal diagnosis“) aufgrund der Spezifität fötaler DNA bzw. deren Menge oder Qualität genetische Anomalien des Fötus, das Geschlecht des Fötus oder die mit einer Schwangerschaft verbundenen Zustände nachgewiesen werden (vgl. MW4, S. 2, Z. 24 bis S. 3, Z. 4). Pränatale Diagnosen dieser Art erfordern nach allgemeiner Fachkenntnis, dass das maternale Serum oder Plasma, welches im ursprünglich offenbarten Detektionsverfahren für den nicht-invasiven Pränataltest verwendet wird, von der biologischen Mutter des Fötus stammt, weil es bei der Detektion fötaler Krankheitsphänotypen einzig und allein auf die Gene der biologischen Eltern des Fötus ankommt, da genetisch bedingte fötale Erkrankungen nur auf sie zurückgeführt werden können. Von einem solchen technischen Verständnis geht auch die ursprüngliche Offenbarung aus, wenn sie darauf hinweist, dass die maternale Serum- oder Plasmaprobe von einer schwangeren Frau stammt. Sie gibt damit infolgedessen eindeutig zu erkennen, dass die Mutter des Fötus sowie die schwangere Frau ein und dieselbe Person ist (vgl. MW4, Anspruch 1 i. V. m. S. 2, Z. 20 bis 23). Der Auffassung der Klägerinnen, dass der Begriff „Mutter“ („maternal“) und „schwangere Frau“ („pregnant female“) in den ursprünglichen Unterlagen nicht synonym verwendet würden und daher nicht austauschbar seien, kann somit nicht gefolgt werden.

111

Daran ändert auch der Wortlaut des ursprünglichen Anspruchs 1 nichts, in welchem die Rede von einer schwangeren Frau („a pregnant female“) ist. Denn analog dazu wird darin auch von einer maternalen Serum- oder Plasmaprobe („a maternal serum or plasma sample“) gesprochen. In Anbetracht dessen, dass diese Ausdrücke im Zusammenhang mit einer nicht-invasiven Pränataldiagnostik verwendet werden, erkennt der Fachmann, dass der unbestimmte Artikel darin nicht mit der Bedeutung „irgendeine“, sondern in seiner numerischen Bedeutung für die Zahl eins verwendet wird. Daraus ergibt sich übereinstimmend mit den vorangegangenen Ausführungen, dass die maternale Serum- oder Plasmaprobe und die schwangere Frau eine Einheit bilden.

112

Anders als von den Klägerinnen angenommen fasst der Fachmann den im Zusammenhang mit der Herkunft der Serum- oder Plasmaprobe in den Erstunterlagen verwendeten Begriff „Mutter“ („maternal“) auch nicht als Abgrenzung zu Blutproben fötalen Ursprungs auf. Dagegen spricht, dass der Erhalt fötalen Blutes einen invasiven Eingriff voraussetzt, welcher jedoch im Gegensatz zur ursprünglich offenbarten Lehre stehen würde, die ausschließlich auf nicht-invasive Pränataldiagnosen fokussiert ist (vgl. MW4, Titel).

113

Daraus ergibt sich, dass die im Merkmal 1.3 des geltenden Patentanspruchs 1 genannte „schwangere Frau“ der biologischen Mutter des Fötus entspricht und der geltende Patentanspruch 1 somit keine Detektionsverfahren umfasst, in denen Serum- oder Plasmaproben von schwangeren Frauen untersucht werden, bei denen es sich nicht um die biologische Mutter des Fötus handelt.

114

3. Vor der Beurteilung der Patentfähigkeit ist der Sinngehalt des geltenden Patentanspruchs 1 zu ermitteln. Wesentlich ist dabei die Feststellung, welche Bedeutung das Streitpatent dem Begriff „väterlicherseits vererbte Sequenz“ („paternally inherited sequence“) beimisst.

115

Zunächst besteht Einigkeit darüber, dass der geltende Patentanspruch 1 auf ein für die nicht-invasive Pränataldiagnostik geeignetes Detektionsverfahren gerichtet ist und das Streitpatent unter einer „pränatalen Diagnose“ („prenatal diagnosis“) sowohl die Geschlechtsbestimmung des Fötus, als auch den Nachweis chromosomaler Aneuploidien versteht (vgl. MW1/MW52, Abs. [0007], letzter Satz und Abs. [0008]). Diese Nachweise werden entsprechend der streitpatentgemäßen Lehre an zellfreier fötaler DNA durchgeführt, die aus maternalen Serum- oder Plasmaproben stammt (vgl. MW1/MW52, Abs. [0009]). Auskunft darüber, zu welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft die Nukleinsäure fötalen Ursprungs gewonnen wird, gibt das Streitpatent nicht, so dass diesbezüglich keine Einschränkungen gelten. Auch für den Begriff „maternale Serum- oder Plasmaprobe“ („maternal serum or plasma sample“) findet sich im Streitpatent keine ausdrückliche Definition. Für den mit der Pränataldiagnostik befassten Fachmann erschließt sich aus den zuvor genannten Angaben jedoch, dass die Serum- oder Plasmaprobe von der biologischen Mutter des Fötus stammen muss, da die Hälfte der Chromosomen des Fötus maternalen Ursprungs sind.

116

Die andere Hälfte der Chromosomen stammt vom biologischen Vater des Fötus. Besteht Unklarheit darüber, wer der biologische Vater des Fötus ist, muss allgemeiner Fachkenntnis zur Folge vor einem Pränataltest, wie ihn der geltende Patentanspruch 1 beschreibt, ein Vaterschaftstest durchgeführt werden. Für den spezifischen Nachweis der väterlicherseits vererbten Sequenzen greift das Streitpatent ausschließlich auf bekannte Sequenzen, wie z. B. den DYS14-Locus, das SRY-Gen oder auf Sequenzen auf dem Chromosom 21 zurück (vgl. MW1/MW52, Abs. [0016] und Abs. [0018], Punkt b)). Die Identifizierung neuer, für genetisch bedingte Erkrankungen des Fötus verantwortliche Sequenzen, die väterlicherseits vererbt werden, schließt die patentgemäße Lehre demzufolge nicht mit ein. Um sicherstellen zu können, dass die zu untersuchende Sequenz ausschließlich paternal vererbt wird, kann es den Angaben im Streitpatent zur Folge allerdings erforderlich sein, anhand einer Genotypisierung beider Elternteile nachzuweisen, dass die Sequenz im maternalen Genom nicht vorhanden ist (vgl. MW1/MW52, Abs. [0017], Punkt c), letzter Satz).

117

Daraus ergibt sich für den Fachmann, der die Patentansprüche und den diese erläuternden Beschreibungstext als sinnvolles Ganzes widerspruchsfrei interpretiert, dass der im geltenden Patentanspruch 1 enthaltene Begriff „väterlicherseits vererbte Sequenz“ („paternally inherited sequence“) die Durchführung eines Vaterschaftstests oder die Genotypisierung beider Elternteile nicht voraussetzt, aber entsprechende Maßnahmen auch nicht ausschließt. Bei der gebotenen funktionsorientierten Auslegung fordert dieser Begriff daher letztendlich nur, dass die nachzuweisende väterlicherseits vererbte Sequenz dem Fachmann einerseits bekannt ist und andererseits ausschließlich im Genom des biologischen Vaters vorkommt (vgl. Schulte, PatG, 10. Auflage, § 14 Rdn. 12, 22 und 32 m. w. H.).

118

4. Das Streitpatent nimmt die britische Priorität vom 4. März 1997 wirksam in Anspruch. Daraus folgt, dass es sich bei der im Prioritätsjahr veröffentlichten Druckschrift MW42 nicht um relevanten Stand der Technik handelt.

119

4.1 Die Klägerinnen bestreiten die wirksame Inanspruchnahme der Priorität mit dem Argument, dass die Lehre des Anspruchs 1 im Prioritätsdokument nicht über die gesamte beanspruchte Breite ausführbar sei, da im Prioritätsdokument in nacharbeitbarer Weise nur ein einziges Detektionsverfahren offenbart sei, welches das Vorgehen bei der Geschlechtsbestimmung des Fötus beschreibe, sich aber keine Angaben dazu fänden, wie die weiteren, explizit genannten Detektionsverfahren betreffend den Nachweis einer Präeklampsie (= Schwangerschaftsvergiftung) oder einer chromosomalen Aneuploidie (= numerische Chromosomenaberration, bei der einzelne Chromosomen zusätzlich zum üblichen Chromosomensatz vorhanden sind oder fehlen) durchzuführen seien. Überdies finde sich im Prioritätsdokument keine Offenbarung für das im Streitpatent in den geltenden Patentansprüchen 18 und 19 angegebene Diagnoseverfahren.

120

Dieser Argumentation vermag der Senat nicht zu folgen. Es ist zwar zutreffend, dass das Prioritätsdokument nur ein einziges Ausführungsbeispiel enthält, welches die Geschlechtsbestimmung des Fötus betrifft. Wie die in der Nachanmeldung MW4 aufgenommenen Beispiele 2 bis 5 belegen, offenbart das Prioritätsdokument damit jedoch alle wesentlichen technischen Schritte, die für die Durchführung sämtlicher im Prioritätsdokument genannter Detektionen fötaler Nukleinsäuren in einer maternalen Serum- oder Plasmaprobe erforderlich sind (vgl. MW5, Anspruch 1 i. V. m. „Example“, S. 6, Z. 11 bis S. 8, Z. 14), vgl. MW4, S. 9 bis 29, Beispiele 2 bis 5). So findet sich im Prioritätsdokument der Hinweis, dass das Serum bzw. Plasma aus der maternalen Blutprobe durch Standardtechniken abgetrennt wird, die Amplifizierung (= Vervielfältigung) der daraus isolierten fötalen DNA mit den üblichen Techniken, einschließlich PCR erfolgt und sich für die quantitative Bestimmung der fötalen DNA PCR-Techniken, wie die quantitative real-time-PCR, eignen (vgl. MW5, S. 3, Z. 7/8 und Z. 22 bis 26 sowie S. 5, Z. 23 bis 26). Ergänzend dazu enthält das Prioritätsdokument die Information, bei welchen Detektionsverfahren es auf den Nachweis einer spezifischen Sequenz ankommt und bei welchen die Quantität der aus der maternalen Serum- oder Plasmaprobe gewonnen zellfreien fötalen DNA von Bedeutung ist (vgl. MW5, S. 2, Z. 19 bis 22 i. V. m. S. 3, Z. 27 bis 29, S. 5, Z. 16 bis 18 und S. 5, Z. 27 bis S. 6, Z. 2). Außerdem bezieht das Prioritätsdokument durch die Zitierung von Literaturstellen weitere wichtige technische Informationen aus dem Stand der Technik, z. B. zum Nachweis einer Trisomie 21 oder der Feststellung des fötalen RhD-Status, in seine Offenbarung mit ein (vgl. MW5, S. 4, Z. 9 sowie S. 5, Z. 10 und 25). Damit enthält das Prioritätsdokument so viel an technischer Information, dass der Fachmann unter gleichzeitigem Einsatz seines Fachwissens sämtliche im Prioritätsdokument genannten Detektionsverfahren praktisch verwirklichen kann (vgl. BGH GRUR 2010, 916, Ls. i. V. m. Rdn. 17 - Klammernahtgerät).

121

Für die Umsetzung der im Prioritätsdokument offenbarten Lehre ist die Entwicklung neuer Techniken infolgedessen nicht erforderlich. Es ist zwar zutreffend, dass mehr als 10 Jahre nach dem Prioritätstag, beispielsweise bei der Bestimmung der Trisomie 21, Strategien verfolgt wurden, die von der Lehre des Prioritätsdokuments abweichen. Dabei handelt es sich allerdings nicht um neue Technologien, sondern lediglich um Modifikationen der im Prioritätsdokument allgemein offenbarten Lehre. Dies ergibt sich daraus, dass die modifizierten Verfahren die im Prioritätsdokument beschriebene Technik nach wie vor anwenden und nur für den quantitativen Nachweis der fötalen DNA nicht wie bisher gezielt auf einzelne Abschnitte im fötalen Genom zurückgreifen, sondern nunmehr verschiedene Zielsequenzen mit einbeziehen (vgl. z. B. MW66, S. 20458, li. Sp., Abstract). Auch kann der Anlass, eine solche Veränderung des Verfahrens vorzunehmen, nicht in der fehlenden Ausführbarkeit der im Prioritätsdokument offenbarten Technik gesehen werden, sondern ist allein der Tatsache geschuldet, dass die analytische Präzision der ursprünglich offenbarten Lehre noch nicht ausgereift war. Folglich kann auch der Umstand die Ausführbarkeit nicht in Frage stellen, dass der in den Prioritätsunterlagen allgemein offenbarte technische Erfolg beim Nachweis chromosomaler Aneuploidien, wie Trisomie 21, nicht notwendigerweise mit den Vorteilen verbunden ist, die einem solchen Nachweis in den Prioritätsunterlagen zugeschrieben wird (vgl. Schulte, PatG, 10. Auflage, § 34 Rdn. 351, lit. k)).

122

Ein eigenes Forschungsprogramm muss der Fachmann demnach selbst in denjenigen Fällen nicht entwickeln, in denen es - anders als bei der Geschlechtsbestimmung des Fötus - auf die quantitative Bestimmung der fötalen zellfreien DNA im maternalen Serum oder Plasma ankommt. Zum einen bedeutet auch hier - wie schon zuvor unter Punkt III.3 festgestellt - der Nachweis einer väterlicherseits vererbten Sequenz nicht, dass der Fachmann neue Sequenzen im väterlichen Genom auffinden muss, die beim Fötus zu einem entsprechenden phänotypischen Krankheitsbild führen, sondern dass er dabei auf bekannte Sequenzen zurückgreifen kann. So lehrt das Prioritätsdokument im Zusammenhang mit dem Nachweis einer Trisomie 21 entweder die quantitative Bestimmung von Sequenzen des Chromosoms 21 im Vergleich zu der Menge an Sequenzen von anderen Chromosomen oder aber einen vom Chromosom 21 unabhängigen Vergleich der Menge an fötaler zellfreier DNA im maternalen Serum oder Plasma vorzunehmen, wobei die DNA-Menge gesunder Föten mit derjenigen bei Föten mit einer chromosomalen Aneuploidie, wie Trisomie 21, verglichen wird (vgl. MW5, S. 5, Z. 7 bis 18 und 19 bis 26).

123

Zum anderen liegt es im Rahmen des Zumutbaren, wenn der Fachmann erst Normbereiche und Grenzwerte für die quantitative Veränderung der fötalen DNA in maternalem Serum oder Plasma anhand der Untersuchung einer größeren Anzahl von Proben bestimmen muss, die Aussagen darüber ermöglichen, ob eine chromosomale Aneuploidie oder Präeklampsie vorliegt (vgl. Schulte, PatG, 10. Auflage, § 34 Rdn. 358, lit. c)). In der Nachanmeldung wird diese Vorgehensweise zwar als „Populations-bezogene Studie in großem Maßstab“ („large scale population-based study“) bezeichnet, die zur Ermittlung von Grenzwerten herangezogen werden kann. Diese Ermittlung wird in der Nachanmeldung aber in einem, von der darin offenbarten wissenschaftlichen Erkenntnis deutlich getrennten Satz erwähnt (vgl. MW4, S. 14, Z. 21 bis 23). Daraus ist ersichtlich, dass die Ermittlung von Normbereichen und Grenzwerten in Kenntnis einer spezifischen technischen Lehre von der Fachwelt den Routinetätigkeiten und eben nicht der wissenschaftlichen Tätigkeit zugerechnet wird.

124

Dass die Verwendung von Normbereichen und Grenzwerten - wie im vorliegenden Fall (vgl. MW4, Fig. 1 i. V. m. Bsp. 2 und Fig. 2 i. V. m. Bsp. 4) - teilweise zu einer Überlappung von Kontroll- und Diagnoseergebnissen führt, ist ebenfalls unerheblich, denn die Ausführbarkeit setzt nicht voraus, dass der bestmögliche Weg zur Verwirklichung der erfindungsgemäßen Lehre aufgezeigt wird (vgl. BGH GRUR 2017, 493, Ls. i. V. m. Rdn. 35 - Borrelioseassay). Somit spielt es keine Rolle, dass selbst in lange nach dem Prioritätsdokument veröffentlichten Druckschriften noch derartige Überlappungen festgestellt werden, da die im Prioritätsdokument offenbarte Lehre dem Fachmann gleichwohl nach wie vor die entscheidende Richtung weist, in der er weiterarbeiten kann, um die jeweils günstigste Lösung aufzufinden (vgl. MW47, S. 664, Fig. 2 und/oder MW48, S. 701, Fig. 2 und/oder MW68, S. 108, Fig. 2, Bild (a)) (vgl. Schulte, PatG, 10. Auflage, § 34 Rdn. 358, lit. a) m. w. H.).

125

Auch die im Prioritätsdokument aufgestellte Forderung, die Quantifizierung der fötalen zellfreien DNA sowohl für den Nachweis einer Präeklampsie als auch einer chromosomalen Aneuploidie zu verwenden, stellt den Fachmann nicht vor unlösbare Probleme (vgl. MW5, S. 5, Z. 3 bis 6 und Z. 27 bis S. 6, Z. 2). Bei der Suche nach spezifischen Normbereichen und Grenzwerten für die unterschiedlichen Anomalien ist dem Fachmann stets bewusst, dass das Auftreten der verschiedenen Anomalien unterschiedliche Gründe hat. Dies geht auch aus dem Prioritätsdokument hervor. Darin wird angegeben, dass die erhöhte Menge an fötaler DNA in maternalen Serum- oder Plasmaproben bei Aneuploidien, wie Trisomie 21, auf die erhöhte Zahl des Chromosoms 21 zurückgeführt wird (vgl. MW5, S. 5, Z. 20 bis 23), während der Effekt einer erhöhten fötalen DNA-Konzentration im maternalen Serum oder Plasma bei einer Präeklampsie mit der Degeneration des Placentagewebes erklärt wird (vgl. MW5, S. 6, Z. 1/2). In Kenntnis dessen muss der Fachmann die mit der jeweiligen Anomalie verbundene Schwankung der Menge an fötaler DNA im maternalen Serum oder Plasma lediglich anhand von Routineversuchen ermitteln und mit Werten aus Schwangerschaften vergleichen, die ohne entsprechende Anomalien verlaufen. Dass hierbei zugleich verschiedene Parameter, wie beispielsweise der zytogenetische Status der Mutter des Fötus oder der Zeitpunkt der Blutentnahme während der Schwangerschaft zu berücksichtigen sind, geht ebenfalls nicht über das allgemeine Können und Wissen des Fachmanns hinaus, da derartige Parameter bei der Pränataldiagnostik im Blickfeld des Fachmanns liegen (vgl. MW23, S. 1463, re. Sp., Tabelle, zweite Spalte von links und MW29, S. 1236, li. Sp., zweiter Abs., erster Satz).

126

Zweifel an der Ausführbarkeit der im Prioritätsdokument offenbarten technischen Lehre lässt auch die zum Teil im Konjunktiv formulierte Beschreibung des Prioritätsdokuments nicht aufkommen (vgl. MW5, S. 3, Z. 27 bis 29 und S. 5, Z. 5/6). Mit diesem stilistischen Mittel soll - anders als von den Klägerinnen angenommen - nicht der Unsicherheit betreffend die praktische Verwirklichung der darin beschriebenen technischen Lehre Ausdruck verliehen werden, sondern lediglich signalisiert werden, dass die Entwicklung dieser Lehre noch nicht abgeschlossen und daher nicht in all ihren Ausführungsform beschrieben ist. Dies steht im Einklang damit, dass Prioritätsdokumente regelmäßig dazu verwendet werden, die Erfindung vorab in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und zu einem solch frühen Zeitpunkt nicht bereits auf bestimmte Ausführungsbeispiele zu beschränken.

127

Für den Senat besteht daher keine Veranlassung an der Ausführbarkeit der im Prioritätsdokument offenbarten technischen Lehre zu zweifeln.

128

4.2 Nachdem sich die Informationen des Prioritätsdokuments gleichlautend in der Streitpatentschrift finden und die technische Lehre in der Streitpatentschrift zusätzlich durch die technischen Informationen der nachträglich aufgenommenen Ausführungsbeispiele 2 bis 5 weiter präzisiert wird, ist die Ausführbarkeit der in der Streitpatentschrift offenbarten Lehre demzufolge ebenfalls gegeben (vgl. MW1/MW52, Bsp. 2 bis 5). Daraus folgt, dass die vom Streitpatent in Anspruch genommene britische Priorität für den geltenden Patentanspruch 1 sowie die darauf rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 13 wirksam ist.

129

4.3 Wie bereits der Titel des Prioritätsdokuments zu erkennen gibt, ist das Ziel der darin beschriebenen technischen Lehre die Bereitstellung einer nicht-invasiven Pränataldiagnose. Dies wird in dieser Deutlichkeit auch an anderen Stellen in der Beschreibung der Prioritätsschrift zum Ausdruck gebracht (vgl. MW5, Titel i. V. m. S. 1, Z. 3 bis 6, S. 2, Z. 19 bis 22 und S. 6, Z. 3 bis 5). Selbst der in der Prioritätsschrift enthaltene Anspruch 1 ist als ein Verfahren zur Durchführung einer Pränataldiagnose formuliert. In ihm wird darüber hinaus die Verbindung zwischen der Pränataldiagnose und dem darin im Detail beschriebenen Verfahren zur Detektion fötaler zellfreier DNA in maternalen Serum- oder Plasmaproben hergestellt (vgl. MW5, Anspruch 1 i. V. m. S. 2, Z. 15 bis 18 und S. 3, Z. 27 bis S. 6, Z. 2). In Anbetracht dessen sind die Einwände der Klägerinnen, dass die Priorität vom 4. März 1997 vom Streitpatent für das Diagnoseverfahren der geltenden Patentansprüche 18 und 19 nicht wirksam in Anspruch genommen werden könne, da sich in den Prioritätsunterlagen kein Hinweis auf ein entsprechendes Diagnoseverfahren finde, nicht begründet.

130

4.4 Aus der Wirksamkeit der Priorität folgt dass die im Prioritätsjahr veröffentlichte Druckschrift MW42 als neuheitsschädlicher Stand der Technik ausscheidet.

131

Weiterer als neuheitsschädlich in Betracht kommender Stand der Technik ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

132

Ein Teil der oben zitierten Dokumente offenbart zwar Verfahren zur Durchführung einer nicht-invasiven Pränatadiagnostik, allerdings wird in diesen Dokumenten für den Erhalt von DNA fötalen Ursprungs auf die im maternalen Vollblut enthaltenen fötalen Zellen zurückgegriffen und nicht, wie im patentgemäßen Detektions- und Diagnoseverfahren vorgesehen, zellfreie DNA fötalen Ursprungs aus maternalem Serum oder Plasma entsprechend dem patentgemäßen Merkmal 1.2 bzw. 18.4 verwendet.

133

Ein weiterer Teil der genannten Dokumente betrifft keine Pränataldiagonstik und sieht daher auch keine Isolierung von zellfreier DNA fötalen Ursprungs vor. Die übrigen Dokumente beschreiben lediglich, dass geringe Serummengen ausreichen, um darin enthaltene spezifische DNA-Sequenzen mittels PCR-Technik nachweisen zu können. Ein Detektions- bzw. Diagnoseverfahren mit sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 bzw. 18 ist demzufolge auch keiner der weiteren Druckschriften zu entnehmen, so dass sich ein näheres Eingehen auf diese Druckschriften erübrigt.

134

5. Die Verfahren der geltenden Patentansprüche 1 und 18 beruhen zudem auf einer erfinderischen Tätigkeit.

135

Vorliegend stehen dem Fachmann bei der Suche nach einer Lösung für die patentgemäße Aufgabe zahlreiche Ausgangspunkte zur Verfügung. Dazu zählen all diejenigen Dokumente, die mit der zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents üblichen nicht-invasiven Pränataldiagnostik befasst sind.

136

Aus ihnen weiß der Fachmann, dass die bekannte nicht-invasive Pränataldiagnostik auf den im maternalen Blut enthaltenen fötalen Zellen basiert. Die fötalen Zellen werden dabei üblicher Weise aus dem Vollblut der Mutter isoliert, vermehrt und aus ihnen wird anschließend die für die nicht-invasive Pränataldiagnostik erforderliche fötale DNA gewonnen. Ein wichtiger Faktor bei dieser Vorgehensweise ist die PCR-Technik, da sie selbst beim Vorliegen geringster Mengen an fötaler DNA deren Vervielfältigung (= Amplifikation) in ausreichendem Umfang ermöglicht. Sowohl für die Durchführung der PCR, als auch der nachfolgenden Screeningschritte (= Detektionsschritte) ist dem Stand der Technik zur Folge darüber hinaus die Kenntnis spezifischer Nukleinsäuresequenzen von Bedeutung, die eindeutig dem Fötus zugeordnet werden können. Solche Sequenzen sind dem Fachmann bekannt. Sie stammen regelmäßig entweder vom Y-Chromosom oder einer anderen väterlicherseits vererbten Gensequenz, welche die biologische Mutter des Fötus nicht aufweist. Ein Beleg dafür, dass diese Kenntnisse zu dem für das Streitpatent relevanten Zeitrang der interessierten Fachwelt zugänglich waren, liefern die vorliegend als Dokumente MW23, MW28, MW29 sowie MW32 bis MW35 bezeichneten Veröffentlichungen, die diesbezüglich sowohl thematisch als auch zeitlich einen breit gefächerten Überblick bieten (vgl. MW23, S. 1463, li. Sp., Titel i. V. m. letztem Abs.; MW28, S. 1119, re. Sp., „Summary“, Satz eins bis vier von unten; MW29, S.1229, Titel i. V. m. Summary; MW32, Titel i. V. m. li. bis re. Sp., jeweils erster Abs.; MW33, S. 574, Punkt 3., erster und zweiter Abs.; MW34, Titel i. V. m. S. 431, letzter Satz; MW35, Titel).

137

In Kenntnis dessen ist es zutreffend, dass sich die Verfahren der geltenden Patentansprüche 1 und 18 „nur“ dadurch vom Stand der Technik unterscheiden, dass in den patentgemäßen Verfahren an Stelle der bisher üblichen maternalen Vollblutprobe nunmehr maternales Serum oder Plasma und damit zellfreie DNA fötalen Ursprungs für die Pränataldiagnostik verwendet wird, wie im patentgemäßen Merkmal 1.2 bzw. 18.4 vorgesehen. Ein solcher Wechsel zu einer azellulären Blutfraktion und damit zu zellfreier DNA liegt für den Fachmann jedoch nicht auf der Hand.

138

Es ist zwar unbestritten, dass den einschlägig tätigen Fachkreisen die Nachteile der zuvor angesprochenen, auf fötalen Zellen basierenden nicht-invasiven Pränataldiagnostik bewusst waren. So wurde ein wesentlicher Nachteil in der geringen Anzahl der im maternalen Blut enthaltenen fötalen Zellen gesehen und der damit verbundenen zeit- und kostenintensiven Anreicherung und Isolierung dieser Zellen (vgl. MW34, S. 427, spaltenübergreifender Abs.). Dennoch wird in der Fachwelt von der etablierten Vorgehensweise nicht abgeraten. Wie im Übersichtsartikel MW56 dargestellt, werden die verschiedenen Schwachstellen dieser Methodik vielmehr direkt angesprochen und im Gegenzug dazu sogleich über Lösungsmöglichkeiten für die einzelnen Probleme nachgedacht. Dabei werden nicht nur Aspekte beleuchtet, die die geringe Sensitivität und Spezifität der routinemäßig verwendeten PCR-Technik betreffen, sondern auch die mit der Anreicherung der fötalen Zellen oder der Ermittlung eines optimalen Zeitpunkts für die Entnahme der maternalen Blutprobe während der Schwangerschaft im Zusammenhang stehenden Probleme (vgl. MW56, S. 1061, li. Sp., zweiter Abs. und spaltenübergreifender Abs., S. 1062, re. Sp., vorletzter Abs. sowie S. 1064, li. Sp., mittlerer Abs.). Abschließend zieht der Autor der MW56 daher erwartungsgemäß ein positives Fazit, indem er den Nachweis sowie die Charakterisierung der im Vollblut der Mutter enthaltenen fötalen Zellen als ein sich schnell entwickelndes Forschungsgebiet mit großer Bedeutung u. a. für die Pränataldiagnostik bezeichnet (vgl. MW56, S. 1064, re. Sp., letzter Abs.). Aussagen wie diese tragen dazu bei, dass der Fachmann fötale Zellen als Ausgangsmaterial bei der nicht-invasiven Pränataldiagnostik trotz ihrer Nachteile weiterhin in Betracht zieht und sich vielmehr auf eine Verbesserung der ihm bekannten Pränataldiagnostik konzentriert.

139

Dies gilt auch unter Berücksichtigung der weiteren, von den Klägerinnen zur Stütze ihres Vorbringens vorgelegten Dokumente. Diese Dokumente stammen nicht aus dem Fachgebiet der Pränataldiagnostik, sondern aus anderen Bereichen der Medizin. Der Fachmann bezieht diese dennoch in seine Überlegungen mit ein. Dies liegt darin begründet, dass sich die in diesen Dokumenten beschriebenen technischen Lehren, ähnlich wie die Pränataldiagnostik, mit genetischen Analysen von im Blut enthaltenen Nukleinsäuren unter Anwendung der PCR-Technik befassen. Dabei handelt es sich um die vorliegend als MW24, MW25, MW26, MW38, MW57, MW60, MW61, MW62 und MW63 bezeichneten Druckschriften.

140

Unter ihnen beschreibt die Druckschrift MW24 gewissermaßen die Grundkenntnisse, indem sie von der Bestimmung der extrazellulären Nukleinsäurekonzentration im Blutplasma gesunder Menschen berichtet und damit auf die Anwesenheit zellfreier DNA und RNA im humanen Plasma hinweist (vgl. MW24, S. 519, li. Sp., erster Abs. und S. 522, li. Sp., erster Abs. i. V. m. Tabelle 1). Angaben dazu, welche Aussagekraft die Anwesenheit der Nukleinsäuren im Blutplasma hat, finden sich in MW24 allerdings nicht.

141

Um dies herauszufinden, hat die Fachwelt eine Vielzahl weiterer Untersuchungen an zellfreier DNA durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass zellfreie DNA im Plasma oder Serum nicht nur bei gesunden sondern auch bei kranken Menschen vorkommt und bei diesen u. a. für den Nachweis verschiedener Krebsformen, bestimmter Autoimmunerkrankungen oder für eine HLA-Typisierung (= Bestimmung des Gewebetyps von Spender und Empfänger bei Transplantationen) genutzt werden kann (vgl. MW25, MW26, MW38, MW60, MW62, MW63, jeweiliger Titel).

142

In MW26 führt dies zu der allgemeinen Feststellung, dass Serum und Plasma neben anderem biologischen Material ein geeignetes Ausgangsmaterial für genetische Analysen darstellt, bei denen die PCR-Technologie zum Einsatz kommt (vgl. MW26, S. 112, re. Sp:, letzter Abs.). Auch in den Druckschriften MW36 und MW37 findet der Fachmann entsprechende Informationen, dass geringste Mengen zellfreier DNA aus humanen Serum oder Plasma für genetische Analysen ausreichen und sich die genetische Analysen dadurch insofern vereinfachen lassen, als Serumproben nicht gekühlt werden müssen und daher einfach zu handhaben sind bzw. die zellfreie DNA in gefrorenen Serumproben über Jahre hinweg stabil ist (vgl. MW36, S. 145, re. Sp., zweiter und letzter Abs.; MW37, Titel i. V. m. S. 49, re. Sp., zweiter Abs, erster Satz und S. 50, li. Sp., letzter Abs. vor „Acknowledgements“).

143

Keine dieser Aussagen liefert jedoch einen Hinweis, der in die patentgemäße Richtung weist. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Aussagen zum einen ohne Bezugnahme auf die Pränataldiganostik erfolgen und zum anderen fehlt in den genannten Dokumenten ein wissenschaftlicher Hinweis darauf, dass die darin beschriebene zellfreie DNA nicht nur aus demjenigen Organismus stammt, aus dem die Serum- oder Plasmaprobe gewonnen wurde, sondern auch fötalen Ursprungs sein kann.

144

Ohne einen solchen konkreten Hinweis ist allerdings nicht anzunehmen, dass der Fachmann unter dem Gesichtspunkt einer angemessenen Erfolgserwartung das Vorkommen zellfreier DNA fötalen Ursprungs in humanem Serum oder Plasma, die sich zugleich für genetische Analysen eignet, als realistisch erachtet. Dies erklärt sich damit, dass zellfreie DNA für genetische Analysen grundsätzlich intakt sein muss, d. h. eine ausreichende Größe besitzen muss und keine nachträglich verursachten genetischen Veränderungen aufweisen darf (vgl. MW26, S. 112, re. Sp., vorletzter Satz). Um diese Voraussetzungen zu erfüllen, muss selbst bei der Isolierung zellfreier DNA aus dem Ursprungsorganismus, aus dem das humane Plasma oder Serum stammt, auf eine schnelle Inhibierung der im Plasma oder Serum enthaltenen DNAsen (= Enzyme, deren hauptsächliche Funktion im partiellen oder vollständigen Abbau von Nukleinsäuren besteht) geachtet werden, da nur so ein vorzeitiger Abbau der Nukleinsäuren verhindert werden kann (vgl. MW25, S. 1393, li. Sp., Abschnitt „Results“, erster und zweiter Abs.). Dies gilt gleichermaßen für die Pränataldiagnostik. Denn wie bei allen anderen genetischen Analysen, darf es sich auch bei der für die Pränataldiagnostik isolierten zellfreien DNA nicht um Artefakte der Blutgerinnung handeln, d. h. lediglich um zelluläre DNA, die durch die Prozesse der Blutgerinnung freigesetzt wurde (vgl. MW1/MW52, Abs. [0006], letzter Satz). Der Fachmann hätte daher auch aus diesem Grund gezögert, die Mitteilungen in den Publikationen MW26, MW36 und MW37 zum Anlass zu nehmen, sich für die Lösung der patentgemäßen Aufgabe von der üblichen Verwendung fötaler Zellen im maternalen Vollblut abzuwenden und hierfür ab sofort zellfreie DNA fötalen Ursprungs aus maternalem Serum oder Plasma einzusetzen, da eine solche Pränataldiagnostik mit einem erheblichen Risiko verbunden ist, falsche Ergebnisse zu erhalten. Zumal im Zusammenhang mit der Isolierung fötaler zellfreier DNA überdies zu berücksichtigen ist, dass der Fötus im Mutterleib über die Blutgefäße in der Nabelschnur mit dem Mutterkuchen (= Plazenta) verbunden und so an den Blutkreislauf der Mutter angeschlossen ist. Der zusätzliche Transfer zellfreier fötaler DNA vom Blutkreislauf des Fötus in den Blutkreislauf der Mutter macht den Erhalt einer intakten und für pränatale genetische Analysen aussagekräftigen DNA daher noch unwahrscheinlicher. Fernerhin ist dem Fachmann bewusst, dass die geringe Menge an zellfreier DNA fötalen Ursprungs im maternalen Serum oder Plasma einer wesentlich größeren Menge an zellfreier DNA maternalen Ursprungs gegenübersteht, was den Nachweis der fötalen DNA einmal mehr erschwert.

145

Überdies wird der klinische Einsatz zellfreier DNA sogar bei genetischen Analysen betreffend diejenige Person, von der das Plasma bzw. Serum stammt, im vorliegend zitierten Stand der Technik kritisch gesehen. Einerseits wird zellfreie DNA zwar als attraktives Medium für diagnostische Zwecke gelobt (vgl. MW63, li. Sp., letzter Abs., erster Satz), andererseits aber auch nur als sinnvolle Alternative eingeschätzt, wenn keine anderen DNA-Quellen für genetische Analysen unter Verwendung der PCR-Technik verfügbar sind (vgl. MW26, S. 108, Abstract i. V. m. S. 112, re. Sp., vorletzter Abs.). Überdies spricht keines der zuvor genannten Dokumente die Verwendung von zellfreier DNA in einem Gebiet wie der Pränataldiagnostik an, in welchem es nicht auf den Nachweis von Anomalien im Genom des Spenders/der Spenderin von Plasma oder Serum ankommt, sondern auf den Nachweis von Anomalien im Genom des im Mutterleib heranwachsenden Fötus und damit um einen Sonderfall. Demzufolge beinhalten diese Dokumente keinerlei Anregung, die in die patentgemäße Richtung weist.

146

Der mit der Pränataldiagnostik befasste Fachmann erhält aus den genannten Dokumenten aber auch aus einem anderen Grund keine Hinweise, die den Austausch fötaler Zellen aus maternalem Vollblut gegen zellfreie DNA aus maternalem Serum oder Plasma in der nicht-invasiven Pränataldiagnostik nahelegen würden. Die Fachwelt hat zu dem für das Streitpatent relevanten Zeitrang nämlich noch keine Erklärung dafür, wie die im maternalen Serum oder Plasma frei zirkulierende DNA entsteht, warum diese entsteht und aus welchen Zellen sie stammt. Fest steht lediglich, wie im Dokument MW25 allgemein zusammengefasst, dass die Freisetzung der Nukleinsäuren aus Zellen durch bisher unbekannte körpereigene physiologische Prozesse verursacht wird, es sich bei den Zellen u.a. um Endothelzellen oder Lymphozyten handelt und die frei zirkulierende DNA aufgrund ihrer einheitlichen Größe aus einem Abbau durch DNAsen stammt (vgl. MW25, S. 1397, spaltenübergreifender Abs. i. V. m. S. 1398, li. Sp., letzter Abs.). Auch unter diesem Gesichtspunkt ergeben sich in Kenntnis des genannten Standes der Technik daher keine die Patentfähigkeit durchgreifend infrage stellenden Erkenntnisse, da der Fachmann nicht sicher sein kann, dass die im Serum oder Plasma zirkulierende zellfreie DNA fötalen Ursprungs für diagnostische Zwecke überhaupt geeignet ist.

147

Daran ändert auch eine Berücksichtigung der Druckschriften MW22 und MW64 nichts. In dem vorliegend als MW64 bezeichneten „Minireview“ berichten die Autoren von Ähnlichkeiten, die Tumorzellen sowie die an der Embryogense beteiligten Zellen aufweisen. Sie führen u. a. aus, dass der Trophoblast (= äußere Zellschicht einer Blastozyste, welche die Blastozyste mit der Gebärmutterwand verbindet) als pseudomaligne zu bezeichnen ist, da Trophoblastenzellen dem Embryo die Einwanderung in die Gebärmutter ermöglichen und damit ein ähnlich invasives Verhalten wie invasive Tumorzellen zeigen (vgl. MW64, S. 355, li. Sp., erster Abs.). Aus diesen und anderen Beobachtungen ziehen die Autoren der MW64 die Schlussfolgerung, dass die enzymatischen und zellulären Mechanismen, die bei der Nidation sowie der Metastasenbildung ablaufen, verwandt sein könnten (vgl. MW64, S. 356, re. Sp., zweiter vollständiger Abs.). Die Schlussbemerkung der MW64 gibt schließlich zu erkennen, dass die im Dokument MW64 angestellten Überlegungen einzig und allein darauf abzielen, ein therapeutisch wirksames Molekül für die universelle Inhibierung der Metastasierung zu finden (vgl. MW64, S. 356, re. Sp., letzter Abs.). Die Nennung molekularer Abläufe während der Embryogenese bzw. Nidation erfolgt in der MW64 aufgrund dessen nur in allgemeiner Form und ohne jegliche Bezugnahme auf genetische Anomalien des Fötus oder auf Methoden zum Nachweis solcher Anomalien, so dass MW64 keine Angaben enthält, die bei der Durchführung einer nicht-invasiven Pränataldiagnostik den Austausch von fötalen Zellen aus maternalem Vollblut gegen zellfreie DNA fötalen Ursprungs aus maternalem Serum oder Plasma anregen.

148

Ähnlich verhält es sich mit der in der Druckschrift MW22 vermittelten technischen Lehre. Kazakov et al. befassen sich in MW22 zwar mit dem Vorkommen extrazellulärer DNA im Blutserum schwangerer Frauen (vgl. MW22, S. 232, Titel i. V. m. Abstract). Einen Hinweis darauf, die im maternalen Serum enthaltene extrazelulläre DNA für eine nicht-invasive Pränataldiagnostik zu verwenden, liefert diese Druckschrift dennoch nicht.

149

Bereits den einleitenden Angaben der MW22 ist zu entnehmen, dass sich die Autoren dieser Druckschrift nicht mit der Pränataldiagnostik beschäftigen, sondern sich Gedanken über zelluläre Prozesse, wie die Zelldifferenzierung, die Zellproliferation und den Zelltod machen und sich diesbezüglich die Frage stellen, ob sich diese Prozesse in der extrazellulären DNA des menschlichen Blutes wiederspiegeln. Als Ausgangsmaterial für ihre Untersuchungen wählen Kazakov et al. das Blutserum schwangerer Frauen und begründen ihre Wahl damit, dass genau diese Prozesse während einer Schwangerschaft in der Gebärmutter ablaufen (vgl. MW22, S. 233, zweiter Abs.). Überlegungen dazu, wie bekannte nicht-invasive Pränataldiagnostiken weiter entwickelt werden können, spielen bei der Planung der in MW22 beschriebenen Untersuchungen daher keine Rolle. Die Druckschrift MW22 geht infolgedessen bereits von einer anderen Aufgabenstellung als die Streitpatentschrift aus.

150

Dies erklärt auch die Tatsache, dass für die Experimente der MW22 weder spezifische Sequenzen fötalen oder maternalen Ursprungs, noch Veränderungen in der Konzentration der im Blutserum enthaltenen extrazellulären DNA von Interesse sind (vgl. MW22, S. 233, letzter Abs., erster Satz). Der gewählten Aufgabenstellung entsprechend setzen die Autoren der MW22 in ihren Versuchen vielmehr ausschließlich PCR-Primer ein, mit denen sich niedermolekulare Alu-Sequenzen oder hochmolekulare inter-Alu-Sequenzen amplifizieren lassen (vgl. MW22, S. 233, „Material and methods“). Dabei handelt es sich bekanntermaßen um eine Familie repetitiver (sich wiederholender) DNA-Sequenzen in den Genomen von Primaten. Alu-Sequenzen werden zwar durch die RNA-Polymerase III transkribiert, jedoch nicht translatiert, es werden also RNAs gebildet, diese jedoch nicht in Proteine übersetzt. Alu-Sequenzen gehören deshalb nicht zu den codierenden Sequenzen und sind daher auch nicht geeignet, erblich bedingte Anomalien nachzuweisen. Deutlich wird dies durch den in MW22 genannten Primer Tc65 und den damit verbundenen Hinweis auf die Literaturstelle „Nelson et al. 1989“, die vorliegend als Dokument rop5 bezeichnet wird. Aus den darin in Fig. 2A gezeigten PCR-Ergebnissen geht hervor, dass mit dem auf humane DNA angewendeten Primer Tc65 eine Vielzahl amplifizierter Sequenzen unterschiedlichster Basenlängen erhalten werden, die auf dem gezeigten Agarosegel als milchige Schliere erscheinen (vgl. rop5, Fig. 2A, zweite Spur von links). Der Fachmann assoziiert mit dem Primer Tc65 demzufolge keine Amplifizierung spezifischer Sequenzen und verbindet die in MW22 offenbarte Lehre daher auch keinesfalls mit einer nicht-invasiven Pränataldiagnostik, deren Fundament der gezielte Nachweis von Veränderungen in einzelnen Nukleinsäuresequenzen ist.

151

Auch die Schlussfolgerung, die Kazakov et al. aus ihren Studien ziehen, regen nicht dazu an, die Lösung der patentgemäßen Aufgabe in einem Detektions- oder Diagnoseverfahren entsprechend den geltenden Patentansprüchen 1 bzw. 18 zu suchen. Einerseits äußern sie aufgrund ihrer Beobachtungen die Vermutung, dass die anhand extrazellulärer DNA in schwangeren Frauen nachgewiesenen inter-Alu-Sequenzen eine Art regulatorische Rolle in den frühen Phasen einer Schwangerschaft spielen könnten, was mit Pränataldiagnostik nichts zu tun hat, sondern vielmehr die Absicht wiederspiegelt, die zellulären Abläufe während der verschiedenen Phasen einer Schwangerschaft aufzuklären (vgl. MW22, S. 235, erster Abs., zweiter Satz). Andererseits lassen die Autoren der MW22 klar erkennen, dass bisher noch nicht bekannt ist, aus welchen Zellen die hochmolekularen inter-Alu-Sequenzen stammen. Die Autoren der MW22 äußern die Vermutung, dass es sich dabei um Zellen des Endometriums oder maternale Lymphozyten handeln könnte (vgl. MW22, S. 234, letzter. Abs.). Eher beiläufig nennen sie auch Trophoblasten und damit Zellen fötalen Ursprungs, allerdings ohne jegliche Bezugnahme auf wissenschaftliche Veröffentlichungen oder sonstige Quellenangaben zu den Umständen und Bedingungen, unter denen diese Erkenntnis gewonnen worden sein soll. (vgl. MW22, S. 235, erster Satz). Die von Kazakov et al. gefundenen Ergebnisse sind nach allem nicht so fundiert und aussagekräftig, dass der Fachmann diese zum Zwecke einer nicht-invasiven Pränataldiagnose mit einer entsprechenden Erfolgserwartung verknüpft.

152

Angesichts des zitierten Standes der Technik musste der Fachmann folglich erfinderisch tätig werden, um ein Detektionsverfahren bzw. ein Diagnoseverfahren bereitzustellen, bei dem - wie im Patentanspruch 1 bzw. 18 angegeben - in einer von der biologischen Mutter des Fötus stammenden Serum- oder Plasmaprobe zum Zwecke einer nicht-invasiven Pränataldiganostik eine darin enthaltene väterlicherseits vererbte Nukleinsäure fötalen Ursprungs nachgewiesen wird.

153

6. Die auf den Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 13 haben mit diesem Bestand, ebenso wie der unmittelbar auf den nebengeordneten Patentanspruch 18 rückbezogene Patentanspruch 19.

IV.

154

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 91a Abs. 1 ZPO, i. V. m. §§ 84 Abs. 2 PatG.

155

Im Übrigen, d. h. hinsichtlich des nicht unter Abschnitt III. behandelten Teils des Rechtsstreits haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so dass unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten des in der Hauptsache erledigten Teils des Verfahrens nach billigem Ermessen zu entscheiden ist (§ 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 84 Abs. 2, § 99 Abs. 1 PatG). Die Entscheidung richtet sich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erledigung bzw. zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage. Abzustellen ist auf den voraussichtlichen Ausgang des Rechtsstreits, wenn die Hauptsache nicht erledigt ist oder nicht erledigt erklärt worden wäre (vgl. Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO, 37. Aufl., § 91a ZPO, Rn. 47; Zöller-Althammer, ZPO, 32. Aufl., § 91a, Rn. 24), also auf eine Prognose des Verfahrensausgangs im Zeitpunkt der Abgabe der Erledigungserklärung (Busse, PatG, 8. Aufl., Rn. 59 m. w. N.). Das Gericht hat sich hierbei auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage zu beschränken (Thomas/Putzo, a. a. O., Rn. 46a m. w. N.).

156

Bei summarischer Betrachtung hätte sich die Nichtigkeitsklage auch hinsichtlich der Patentansprüche 14 bis 17 als nicht erfolgreich erwiesen. Insoweit kann auf die Ausführungen im Abschnitt III. verwiesen werden, in der die Unbegründetheit der Klagen insbesondere im Umfang des Patentanspruchs 1 dargelegt ist. Kann aber das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes selbst für den umfassenden nebengeordneten Patentanspruch 1 nicht festgestellt werden, auf den die Patentansprüche 14 bis 17 (mittelbar) rückbezogen sind, so müssen diese Erwägungen erst recht für die Patentansprüche 14 bis 17 gelten, deren Patentfähigkeit von der Patentfähigkeit des Patentanspruchs 1 getragen wird, so dass - bei summarischer Betrachtung - vollumfänglich auf diese Ausführungen verwiesen werden kann.

V.

157

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.