Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 04.02.2014


BPatG 04.02.2014 - 3 Ni 5/13

(Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Telmisartan" – zur Nichtigkeit von ergänzenden Schutzzertifikaten bei Wirkstoffkombinationen aus einem durch das Grundpatent als solchen geschützten und einem weiteren seit langem bekannten Wirkstoff - eine (nationale) Beschränkung des Grundpatents wirkt auf bzw. vor den Zeitpunkt der Antragstellung des betreffenden Schutzzertifikats zurück – zu den Aufgaben er nationalen Gerichte – zum Gegenstand und zur Statthaftigkeit von Vorabentscheidungsersuchen


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
04.02.2014
Aktenzeichen:
3 Ni 5/13
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze
Art 267 Abs 1 AEUV
Art 267 Abs 2 AEUV
Art 15 Abs 1 Buchst a EGV 469/2009
Art 3 Buchst c EGV 469/2009

Leitsätze

Telmisartan

1. Ein ergänzendes Schutzzertifikat ist nichtig, wenn es eine Wirkstoffkombination aus einem durch das Grundpatent als solchen geschützten und einem weiteren seit langem bekannten Wirkstoff betrifft und bereits vorher für den als solchen geschützten Wirkstoff allein ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt worden war, das dem Inhaber dieselben Rechte wie das Grundpatent und zwar auch für die Verwendung einer Kombination der beiden Wirkstoffe gewährte (EuGH – C-443/12 – Actavis ./. Sanofi). Dies gilt auch, wenn der weitere Wirkstoff in einem Anspruch des Grundpatents ausdrücklich bezeichnet ist.

2. Eine (nationale) Beschränkung des Grundpatents wirkt auf bzw. vor den Zeitpunkt der Antragstellung des betreffenden Schutzzertifikats zurück. Die Rückwirkung der Beschränkung ist auch bei der Beurteilung der Nichtigkeit des Schutzzertifikats beachtlich.

3. Die Entscheidung von Einzelfällen auf Grundlage der Auslegung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH ist Aufgabe der nationalen Gerichte.

4. Entscheidungen des EuGH können nicht Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens sein.

5. Ein Vorabentscheidungsersuchen ist nur bei einer Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen statthaft.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das deutsche ergänzende

Schutzzertifikat 102 99 029

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm sowie des Richters Dipl.-Chem. Dr. Egerer, der Richterin Kirschneck, des Richters Dipl.-Chem. Dr. Lange und des Richters Dipl.-Chem. Dr. Wismeth

für Recht erkannt:

Urteil:

I. Das ergänzende Schutzzertifikat 102 99 029.8 wird für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klage richtet sich gegen das mit Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. Januar 2006 für die vormalige Beklagte erteilte ergänzende Schutzzertifikat DE 102 99 029.8 mit der Erzeugnisbezeichnung „Telmisartan, gegebenenfalls in Form seiner Säureadditionssalze in Kombination mit Hydrochlorothiazid“. Die Laufzeit des Zertifikats reicht vom 1. Februar 2012 bis zum 31. Januar 2017.

2

Dem Schutzzertifikat liegt das am 31. Januar 1992 beim Europäischen Patentamt angemeldete, die Prioritäten der deutschen Anmeldungen 41 03 492 vom 6. Februar 1991, 41 17 121 vom 25. Mai 1991 und 41 37 812 vom 16. November 1991 in Anspruch nehmende und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilte europäische Patent EP 0 502 314 (Grundpatent) zu Grunde, das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 592 09 330.1 geführt wird und dessen Schutzdauer am 31. Januar 2012 abgelaufen ist.

3

Das Schutzzertifikat nimmt insgesamt zehn Genehmigungen für das Inverkehrbringen gemäß Verordnungen (EG) Nr. 1768/92 Art. 3 lit. b und Nr. 1610/96 Art. 3 Abs. 1 lit. b mit den Nummern EU/1/02/213/001 bis EU/1/02/213/010 jeweils vom 19. April 2002 in Anspruch. In diesen Genehmigungen wird als Erzeugnis jeweils „MicardisPlus – Telmisartan/Hydrochlorothiazid“ identifiziert.

4

Das Grundpatent betrifft „Benzimidazole, diese Verbindungen enthaltende Arzneimittel und Verfahren zu ihrer Herstellung“.

5

Die Patentansprüche 1 bis 10 in der erteilten Fassung lauten wie folgt:

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6

Wegen des Wortlauts des die Anspruchsfassung abschließenden Verfahrensanspruchs 11 wird auf die Patentschrift in der erteilten Fassung verwiesen.

7

Gemäß Antrag der Patentinhaberin auf Beschränkung gemäß § 64 PatG hat das Bundespatentgericht im Beschluss vom 31. Juli 2013 (15 W (pat) 25/12) den deutschen Teil DE 592 09 330 des europäischen Patents EP 0 502 314 B1 auf folgende Fassung der nunmehrigen Patentansprüche 1 bis 7 beschränkt:

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8

Wegen des Wortlauts der weiteren Ansprüche 8 bis 11 in der beschränkten Fassung wird auf den Beschluss vom 31. Juli 2013 Bezug genommen.

9

Bereits mit Beschluss vom 19. April 2001 hatte das Deutsche Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen DE 199 75 032.7 aus dem Grundpatent EP 0 502 314 ein Schutzzertifikat für den Monowirkstoff Telmisartan als zugelassenes Erzeugnis erteilt. Die Bezeichnung des Erzeugnisses lautete „Wirkstoff des Arzneimittels PRITOR in allen dem Schutz des Grundpatents unterliegenden Formen“. Der in der zugrundeliegenden Zulassung identifizierte Wirkstoff ist ausschließlich Telmisartan.

10

Die Klägerin ist der Auffassung, das Beschränkungsverfahren habe zu einer Schutzbereichserweiterung des Grundpatents geführt. Die Nichtigkeit des Grundpatents ziehe die Nichtigkeit des Schutzzertifikats nach sich. Zum Anmeldezeitpunkt sei das Erzeugnis nicht durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt gewesen. Die Wirkstoffkombination sei zum Zeitpunkt der Zertifikatsanmeldung nicht in den Ansprüchen des Grundpatents genannt gewesen. Die patentrechtliche Rückwirkung der Beschränkung des Grundpatents erstrecke sich nicht auf die Erteilungsvoraussetzungen für das Schutzzertifikat. Das ergänzende Schutzzertifikat sei entgegen des Art. 3 lit. c VO (EG) Nr. 469/2009 erteilt worden. Der Erteilungsbeschluss umfasse nach seinem Wortlaut auch die Alternative Telmisartan ohne Hydrochlorothiazid (HTC). Gegenüber dem bereits für „Telmisartan“ erteilten Schutzzertifikat liege für die beanspruchte Wirkstoffkombination kein davon verschiedenes Erzeugnis im Sinne der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-443/12 (Actavis ./. Sanofi et al) vor. Der weitere Wirkstoff sei nicht aufgrund eines eigenständigen erfinderischen Beitrags einbezogen worden. Aus der Beschreibung des Grundpatents ergebe sich zudem kein Hinweis auf einen überraschenden Vorteil der Wirkstoffkombination. Die Nichtigkeit des Schutzzertifikats folge auch daraus, dass das Grundpatent insbesondere im Lichte folgender Entgegenhaltungen nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe:

11

K1 EP 0 400 835 A1

12

K2 EP 0 392 317 A2

13

K3 US 4 528 195

14

K4 EP 0 266 989 A2

15

N15 Prof. Dr. Roland E. Schmieder, Die Behandlung von Bluthochdruck im Jahr 1990; Gutachten, Erlangen, 2013.

16

Die Klägerin stellt den Antrag,

17

das ergänzende Schutzzertifikat DE 102 99 029.8 für nichtig zu erklären.

18

Hilfsweise beantragt sie, das Verfahren bis zur Entscheidung des Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH C-577/13 auszusetzen.

19

Die Beklagte beantragt,

20

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 3 gemäß Schriftsatz vom 23. September 2013 erhält.

21

Weiter hilfsweise beantragt die Beklagte, das Verfahren auszusetzen und die Sache im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens dem EuGH vorzulegen. Wegen der Vorlagefragen wird auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 31. Januar 2014 sowie die Anlage BK-8 Bezug genommen.

22

Wegen des Wortlauts der Hilfsanträge wird auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 23. September 2013 (Anlage 3) verwiesen.

23

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Sie ist insbesondere der Ansicht, die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-443/12 sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht unmittelbar anwendbar. Nach der VO (EG) Nr. 469/2009 seien Wirkstoffe und Wirkstoffzusammensetzungen unterschiedliche Erzeugnisse. HCT werde vom Grundpatent als Erzeugnis in seiner Kombination mit Telmisartan geschützt. Hierfür reiche aus, dass HCT als zu kombinierender Wirkstoff in dem Grundpatent konkret bezeichnet sei.

24

Sie stützt sich dabei unter anderem auf folgende Dokumente:

25

Anl. 1 Entscheidung der Kommission vom 19. April 2002 über die Zulassung des Humanarzneimittels „MicardisPlus – Telmisartan/Hydrochlorothiazid“

26

Anl. 1a Anhang I zur Entscheidung vom 19. April 2002: Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels

27

Anl. 2 Beschluss des BPatG – 15 W (pat) 25/12 - vom 31. Juli 2013

28

Anl. 3 Fassung des Grundpatents gemäß Hilfsanträgen 1, 2 und 3

29

BK-4 EP 0 647 140 B1 (Georgetown University)

30

BK-5 Entscheidung G 2/88 der Großen Beschwerdekammer des EPA vom 11. Dezember 1989

31

BK-6 Deutsche Übersetzung des Vorlagebeschlusses des Englischen High Court of Justice vom 23. September 2013 in der Rechtssache Actavis Group PTC EHF et al. ./. Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG

32

BK-7 Richtlinien des Dänischen Patentamts zur Anwendung der Entscheidung EuGH, C-322/10- Medeva (Internetauszug vom 2. Juli 2013)

33

BK-8 Vorlagefragen der Beklagten – 3 Ni 5/13, BPatG – an den EuGH vom 31. Januar 2014

34

BK-9 Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2013 vor dem Gericht von Mailand, Handelskammer, Az 56735/2013, Actavis Group PTC EHF et al. ./. BOEHRINGER INGELHEIM PHARMA GMBH & CO KG et al.

35

BK-9a Deutsche Übersetzung von BK-9

36

BK-10 Vorläufige Stellungnahme des Gerichtsgutachters Marco Spadaro vom 27. Januar 2014 in dem italienischen Fall Doc Generici s.r.l. ./. Boehringer Ingelheim Pharma KG vor dem Gericht in Mailand, Handelskammer, Az:  40813/2013

37

BK-10a Deutsche Teilübersetzung von BK-10

38

Das streitgegenständliche Schutzzertifikat ist am 25. Oktober 2013 auf die jetzige Beklagte umgeschrieben worden.

Entscheidungsgründe

39

Die Klage erweist sich als zulässig und begründet.

I.

40

1. Das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel DE 102 99 029.8 ist gemäß der Verordnung VO (EG) Nr. 469/2009 i. V. m. § 16a PatG für das zugelassene Erzeugnis „Micardis Plus (Telmisartan/Hydrochlorthiazid)“ erteilt worden (vgl. Anl. 1 und 1a).

41

Es betrifft eine Zusammensetzung aus den beiden voneinander sowohl in stofflicher als auch in funktioneller Hinsicht verschiedenen Wirkstoffen Telmisartan und Hydrochlor(o)thiazid.

42

2. Das in dem Schutzzertifikat DE 102 99 029.8 in Anspruch genommene Grundpatent DE 592 09 330 (deutscher Teil aus EP 0 502 314 B1) wurde auf Antrag der Patentinhaberin gemäß § 64 PatG durch Beschluss des Bundespatentgerichts 15 W (pat) 25/12 vom 31. Juli 2013 in den Stoffansprüchen sowie in den darauf jeweils rückbezogenen Arzneimittel-, Verwendungs- und Verfahrensansprüchen eingeschränkt.

43

Das Grundpatent, das zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Patentbeschränkung am 30. Dezember 2011 noch in Kraft war, betrifft sowohl in der erteilten als auch in der beschränkten Fassung Benzimidazol-Derivate als neue chemische Verbindungen mit AT1-Rezeptor antagonistischer Wirkung, diese Verbindungen enthaltende Arzneimittel bzw. deren Verwendung zur Herstellung von Arzneimitteln und Verfahren zu ihrer Herstellung, darunter 4’-[[2-n-Propyl-4-methyl-6-(1-methylbenzimidazol-2-yl)-benzimidazol-1-yl]-methyl]-biphenyl-2-carbonsäure (Telmisartan), vgl. Patentanspruch 5.

44

In dem Grundpatent sind die Kombinationswirkstoffe nachfolgend wie folgt explizit beschrieben (S. 12 Z. 53 bis S. 13 Z. 12):

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45

Diese werden vom erteilten Patentanspruch 8 erfasst.

46

Die Kombinationswirkstoffe wurden in den nunmehr nach der Beschränkung geltenden Patentanspruch 7 (Arzneimittelanspruch) aufgenommen. Dieser Mittelanspruch 7 hat durch seinen Rückbezug auf die Patentansprüche 4 und 6 der beschränkten Anspruchsfassung als Erzeugnisse nunmehr sowohl den neuen AT1-Rezeptor-Antagonisten und Monowirkstoff Telmisartan bzw. dessen Salze als auch dessen Wirkstoffkombinationen mit jeweils einem der darin expressis verbis aufgeführten, bereits bekannten Wirkstoffe, darunter Hydrochlorthiazid (6-Chlor-3,4-dihydro-2H-1,2,4-benzothiadiazin-7-sulfonamid-1,1-dioxid), zum Gegenstand.

47

Bei Hydrochlorthiazid handelt es sich um eine bereits geraume Zeit vor dem Zeitrang des vorliegenden Grundpatents bekannte chemische Verbindung mit diuretischer Wirkung, die bereits als Monowirkstoffpräparat sowie in Kombination mit anderen Wirkstoffen, beispielsweise mit den ACE-Hemmern Captopril (Capozid®) oder Enalapril (Renacor®), arzneimittelrechtliche Zulassungen erlangt hat (vgl. z. B. N15, S. 10).

II.

48

Das streitgegenständliche Schutzzertifikat ist nach Art. 15 Abs. 1 lit. a VO (EG) Nr. 469/2009 (im Folgenden: VO) für nichtig zu erklären, da für das Erzeugnis bereits ein Zertifikat erteilt worden ist (Art. 3 lit. c VO).

49

Die weiteren geltend gemachten Nichtigkeitsgründe greifen dagegen nicht.

50

1. Nach Art. 3 lit. c VO wird ein Zertifikat für das antragsgemäße Erzeugnis erteilt, wenn in dem Mitgliedsstaat zum Zeitpunkt dieser Anmeldung für dieses Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde.

51

Bei dem in Art. 1 lit. b VO definierten Begriff des Erzeugnisses handelt es sich um einen eigenständigen Begriff, der weder mit der patentrechtlichen Erfindung noch mit dem Gegenstand der arzneimittelrechtlichen Genehmigung für das Inverkehrbringen gleichzusetzen ist, sondern dessen Inhalt und Grenzen durch Auslegung der Verordnung zu bestimmen sind (Schell GRUR Int. 2013, 509).

52

a) Dieser Begriff des Erzeugnisses hat in jüngster Zeit durch zwei Entscheidungen des EuGH vom 12. Dezember 2013 in den Rechtssachen Actavis ./. Sanofi - C-443/12 - (im Folgenden „Actavis“) und Georgetown University ./. Octrooicentrum Nederland - C-484/12 - (im Folgenden „Georgetown“) eine bindende Auslegung erfahren.

53

In beiden Entscheidungen nimmt der EuGH an, dass auf Grundlage eines Patents, durch das mehrere, sich voneinander unterscheidende „Erzeugnisse“ geschützt werden, grundsätzlich mehrere ergänzende Schutzzertifikate in Bezug auf die einzelnen, unterschiedlichen Erzeugnisse erteilt werden können. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass diese jeweils im Sinne von Art. 3 lit. a in Verbindung mit Art. 1 lit. b und c VO „als solche“ durch das Grundpatent geschützt sind (EuGH - Actavis Rn. 29; Georgetown Rn. 30).

54

Für den Schutz „als solchen“ lässt es der EuGH nicht ausreichen, dass das jeweilige Erzeugnis in den Ansprüchen des Grundpatents genannt ist (so EuGH, Urteil vom 24. November 2011 – C 322/10 – Medeva ./. Comptroller General of Patents, Designs an Trade Marks, im Folgenden „Medeva“, Rn. 26 ff.). Vielmehr bestimmt der EuGH den Schutz „als solchen“ materiell in der Weise, dass der schutzwürdige Wirkstoff die „zentrale erfinderische Tätigkeit“ (in der Verfahrenssprache Englisch: „the core inventive advance“) im Sinne des Grundpatents darstellt (EuGH - Actavis Rn. 30).

55

Im Ergebnis ist der EuGH der Erteilung eines weiteren Schutzzertifikats aufgrund einer späteren arzneimittelrechtlichen Genehmigung für das Inverkehrbringen entgegen getreten, sofern für einen neuartigen Wirkstoff auf Grundlage des ihn schützenden Patents und einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines ihn enthaltenden Monopräparats bereits ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt worden war und die spätere arzneimittelrechtliche Genehmigung diesen Wirkstoff zusammen mit einem anderen, als solchen durch das Patent nicht geschützten Wirkstoff enthält (EuGH - Actavis Rn. 43). Im umgekehrten Fall verbietet es Art. 3 lit. c VO nicht, dem Inhaber eines Grundpatents und der Genehmigung für das Inverkehrbringen ein weiteres Schutzzertifikat für einen darin enthaltenen Wirkstoff zu erteilen, sofern dieser durch das Patent auch einzeln als solcher geschützt ist (EuGH - Georgetown Rn. 41).

56

b) Die Rechtsprechung des EuGH stellt eine Abkehr von der verbreiteten bisherigen Rechtspraxis in Deutschland dar. Danach sind der (Mono-) Wirkstoff des Grundpatents und eine Wirkstoffzusammensetzung aus diesem (Mono-) Wirkstoff und einem weiteren Wirkstoff als unterschiedliche Erzeugnisse angesehen worden, auch wenn dieser weitere Wirkstoff für sich allein betrachtet nicht Gegenstand der Erfindung des Grundpatents ist.

57

Diese Auslegung des Art. 3 lit. c VO ist vom EuGH im Wesentlichen damit begründet worden, die Forschung im pharmazeutischen Bereich dadurch zu fördern, dass (nur) ein ergänzendes Schutzzertifikat pro Erzeugnis, das im engeren Sinn als Wirkstoff verstanden wird, erteilt wird (EuGH Georgetown Rn. 31).

58

c) Bezogen auf das gegenständliche Schutzzertifikat führt die vom EuGH vorgenommene Auslegung zu dessen Nichtigkeit nach Art. 15 Abs. 1 lit. a i. V. m. Art. 3 lit. c VO.

59

aa) Das Grundpatent EP 0 502 314 B1 des vorliegend mit Nichtigkeitsklage angegriffenen Schutzzertifikats betrifft ein durch eine Markush-Formel beschriebenes Kollektiv neuer Benzimidazolderivate mit AT1-Rezeptor antagonistischer Wirkung sowie eine Gruppe Wirkstoffkombinationen aus diesen Benzimidazolen, darunter der neue Wirkstoff Telmisartan, und aus bereits bekannten Stoffen mit z. B. Blutdruck senkender, diuretischer und/oder Calium antagonistischer Wirkung, darunter Hydrochlorthiazid, somit auch die Wirkstoffkombination aus Telmisartan und Hydrochlorthiazid.

60

In dem für das angegriffene Schutzzertifikat in Anspruch genommenen Grundpatent, in der hier maßgeblichen beschränkten Fassung ebenso wie in der erteilten Fassung, sind Benzimidazolderivate, darunter Telmisartan, sowohl als Monowirkstoffe als auch in Kombination mit bereits bekannten Wirkstoffen, darunter das Diuretikum Hydrochlorthiazid, unter Schutz gestellt (vgl. EP 0 502 314 B1, Ansprüche 1 bis 5 und 8 i. V. m. S. 12, Z. 53 bis S. 13 Z. 12). Dabei ist Hydrochlorthiazid nicht nur als zu kombinierender Wirkstoff expressis verbis benannt, sondern in seiner Wirkstoffkombination mit Telmisartan auch durch zahlenmäßig bestimmt gehaltene Wirkstoffangaben ausgestaltet (vgl. EP 0 502 314 B1 S. 12, Z. 53 bis 55 i. V. m. S. 13, Z. 9 bis 12, insbesondere Z. 11).

61

Das aus dem Grundpatent für das Erzeugnis „Pritor“ und damit für den (Mono-) Wirkstoff Telmisartan erteilte, inzwischen durch Zeitablauf erloschene erste Schutzzertifikat DE 199 75 032 gewährte seinem Inhaber nach Art. 5 VO bereits dieselben Rechte wie das Grundpatent und zwar für jede vor seinem Ablauf genehmigte Verwendung seines Wirkstoffes Telmisartan als Arzneimittel, damit auch für die Verwendung in Kombination mit weiteren Wirkstoffen, beispielsweise mit Hydrochlorthiazid. Insofern bekam die Inhaberin des Grundpatents nach dessen Ablauf am 31. Januar 2012 mit dem für den (Mono-) Wirkstoff Telmisartan erteilten ersten Schutzzertifikat für den Zeitraum vom 1. Februar 2012 bis einschließlich 11. Dezember 2013 bereits auch einen ergänzenden Schutz für Erzeugnisse bzw. Wirkstoffkombinationen aus Telmisartan und einem oder mehreren weiteren Wirkstoffen, so auch für die Wirkstoffkombination mit Hydrochlorthiazid. Dieser ergänzende Schutz erstreckte sich auf Kombinationen von Telmisartan mit jedweden weiteren Wirkstoffen (vgl. EuGH C-574/11 - Valsartan).

62

bb) Im vorliegenden Fall ist Telmisartan ebenso der zentrale erfinderische Kern des Grundpatents wie Irbesartan in EuGH – Actavis.

63

Mit der Wirkstoffzusammensetzung aus Telmisartan und Hydrochlorthiazid, die Gegenstand des angegriffenen Schutzzertifikats ist, wird keine andere therapeutische Wirkung erzielt als mit der getrennten Verabreichung der beiden Wirkstoffe. Die Beklagte hat jedenfalls keine Unterlagen vorgelegt, aus denen für das Kombinationspräparat ein gegenüber den beiden Monowirkstoffen überraschender, weil nicht vorhersehbarer vorteilhafter Effekt hervorgeht. Vielmehr bestätigt das seitens der Beklagten im Zuge des Beschränkungsverfahrens vor dem Deutschen Patent- und Markenamt und im hiesigen Verfahren seitens der Klägerin vorgelegte Gutachten zur Behandlung von Bluthochdruck im Jahr 1990 (vgl. N15 nebst Anlagen) im Ergebnis, dass es bei der hier maßgeblichen Kombination von AT1-Rezeptor Antagonisten und Hydrochlorthiazid – ähnlich wie bei der Kombination von ACE-Hemmern und Hydrochlorthiazid – aufgrund der unterschiedlichen Wirkmechanismen der einzelnen Monowirkstoffe zwar zu einer deutlichen Verstärkung der blutdrucksenkenden Wirkung gegenüber den Einzelwirkstoffen bei deren isolierter Verabreichung kommt. Dabei heben sich darüber hinaus – bei geeigneter Dosierung in der fixen Kombination – die jeweils durch ACE-Hemmer und AT1-Rezeptor Antagonisten bedingte Hyperkaliämie und die durch Hydrochlorthiazid bedingte Hypokaliämie in vorteilhafter Weise auf (vgl. N15 insbesondere Zusammenfassung).

64

Eine eigene erfinderische Qualität ist jedoch für die streitgegenständliche Wirkstoffzusammensetzung ebenso wenig erkennbar wie für die der Entscheidung des EuGH – Actavis zugrunde liegende Wirkstoffzusammensetzung.

65

Damit im Einklang steht auch, dass Hydrochlorthiazid bereits lange Zeit vor dem Zeitrang des AT1-Rezeptor Antagonisten Telmisartan bzw. dessen Grundpatents als diuretischer Wirkstoff per se bekannt war und deshalb als solcher nicht die zentrale erfinderische Tätigkeit des Grundpatents darstellen kann. Die Patentfähigkeit der gegenständlichen Kombination aus Telmisartan und Hydrochlorthiazid wird lediglich von dem darin enthaltenen Wirkstoff Telmisartan getragen.

66

cc) Der Anwendung der vom EuGH in der Entscheidung Actavis aufgestellten Grundsätze auf das hier gegenständliche Schutzzertifikat steht nicht entgegen, dass im dortigen Fall weder in den Patentansprüchen noch in der Beschreibung ausdrücklich ein bestimmtes Diuretikum bezeichnet wird. Demgegenüber hat in dem vorliegenden Grundpatent das dort beschriebene Diuretikum Hydrochlorthiazid im Rahmen des Beschränkungsverfahrens in den geltenden Patentanspruch Eingang gefunden.

67

Der EuGH hat in Actavis diesem Umstand ersichtlich keine Bedeutung beigemessen. Vielmehr hat er ohne Rücksicht auf die Anspruchsfassung im dortigen Grundpatent („Diuretikum“) allein auf den Wirkstoff Hydrochlorthiazid abgestellt und seine Argumentation daran ausgerichtet.

68

Die entsprechenden Ausführungen des EuGH sind insbesondere im Lichte seiner Entscheidung Medeva zu würdigen. In dieser hat der EuGH Art. 3 lit. a VO dahin ausgelegt, dass ein ergänzendes Schutzzertifikat nur für Wirkstoffe erteilt werden kann, die in den Ansprüchen des Grundpatents genannt sind. Dieses Erfordernis war in dem der Entscheidung Actavis zugrunde liegenden Fall nicht erfüllt. Der EuGH hat in der Entscheidung Actavis (Rn. 30), diesem Umstand Rechnung tragend, unterstellt, dass die Voraussetzungen von Art. 3 lit. a VO vorlägen, und so den Weg bereitet, die gestellte Vorlagefrage auf der Grundlage des konkreten Wirkstoffs Hydrochlorthiazid beantworten zu können (vgl. auch Schmidt-Wudy, PharmR 2014, 45, 48).

69

Aus dieser Gegenüberstellung der Vorschriften des Art. 3 lit. a und Art. 3 lit. c VO in der Entscheidung des EuGH ergibt sich, dass die Grundsätze der Actavis- Entscheidung auch für den Fall Anwendung finden, in dem der weitere Wirkstoff nicht nur als Wirkstoffgruppe, sondern - wie vorliegend - konkret im Patentanspruch bezeichnet ist.

70

dd) Der streitgegenständliche Fall ist auch anders gelagert als der EuGH - Georgetown zugrunde liegende Sachverhalt, wonach alle miteinander zu kombinierenden Wirkstoffe (jeweils unterschiedlich spezifische rekombinante Proteine des Papillomavirus) nicht nur in dem betreffenden Grundpatent genannt sind, sondern darüber hinaus auch jeweils eine eigenständige erfinderische Qualität in ihrer Eigenschaft als eigenständiger einzelner Wirkstoff des betreffenden Grundpatents aufweisen.

71

2. Soweit sich die Klägerin auf eine Schutzbereichserweiterung des in Anspruch genommenen Grundpatents in dem Beschränkungsverfahren gemäß § 64 PatG sowie auf eine unzulässige patentrechtliche Rückwirkung dieser Beschränkung an sich stützt, ist das Klagevorbringen unbegründet.

72

a) Durch die in dem Beschluss des Bundespatentgerichts vom 31. Juli 2013 (Az. 15 W (pat) 25/12) tenorierte Beschränkung des Grundpatents mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (§ 64 PatG) sind die ursprünglich sowie im Streitpatent offenbarten Kombinationswirkstoffe expressis verbis in den Patentanspruch aufgenommen und damit die in EuGH - Medeva bezüglich Art 3 lit. aVO erstmals ausgesprochenen und in weiteren Entscheidungen des EuGH bestätigten Anforderungen (vgl. C-6/11 – Daiichi Sankyo, C-518/10 – Yeda und C-630/10 – Queensland) jedenfalls erfüllt. Auf die Frage des Schutzumfangs des Grundpatents, der nach früherer Rechtsprechung für die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikat entscheidend war (vgl. EuGH C-392/97 - Farmitalia Rn. 27 ff.), wird nach dieser neuen Rechtsprechung hinsichtlich der Voraussetzungen für die Erteilung des Schutzzertifikats zumindest nicht mehr explizit abgestellt (vgl. dazu BPatG GRUR 2013, 58, 59 – Ranibizumab).

73

Nach der hier maßgeblichen nationalen Rechtsprechung (BGH GRUR 2011, 701 - Okklusionsvorrichtung) ist zunächst der technische Sinngehalt unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnung(en) zu ermitteln und danach zu prüfen, ob ihre Heranziehung zu einer inhaltlichen Erweiterung oder zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortsinn des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führt. In den Fällen, in denen sich die technische Lehre der Beschreibung und die technische Lehre des Patentanspruchs nicht in Einklang bringen lassen oder im Fall von Widersprüchen zwischen Patentansprüchen und Beschreibung, ist der Patentanspruch maßgeblich. Nur in diesen Fällen sind solche Bestandteile der Beschreibung, die in den Patentansprüchen keinen Niederschlag gefunden haben, grundsätzlich nicht in den Patentschutz einbezogen.

74

Dies trifft hier nicht zu. Vielmehr werden im vorliegenden Fall die streitgegenständlichen Wirkstoffkombinationen bei Ermittlung des technischen Sinngehalts unter Berücksichtigung der Beschreibung von dem ursprünglichen Patentanspruch 8 des Grundpatents EP 0 502 314 B1 tatsächlich erfasst. Bei chemische Verbindungen enthaltenden Mittelansprüchen mit einer, wie hier, üblichen offenen Anspruchsfassung besteht jedenfalls dann kein Widerspruch zwischen technischer Lehre des Patentanspruchs und technischer Lehre der Beschreibung und es kommt zu keiner inhaltlichen Erweiterung, wenn – wie vorliegend – die Beschreibung die betreffenden weiteren Wirk- und/oder Zusatzstoffe als zur Erfindung gehörend offenbart.

75

Was die seitens der Klägerin bemängelte Bestimmtheit bzw. die Definition und die Bedeutung des „Nennungsbereichs“ bzw. Schutzbereichs des Telmisartan-Grundpatents am Anmeldetag des Schutzzertifikats und damit vor der Patentbeschränkung anbelangt, so lassen sich die Zahlwörter bzw. Begriffe „ein(e)“ und „ein oder mehrere“ in dem Patentanspruch 8 der erteilten Fassung jedenfalls nicht zu Lasten der ausweislich der Patentbeschreibung als zur Erfindung gehörend ggf. zusätzlich enthaltenen und expressis verbis benannten Kombinationswirkstoffe auslegen. Auch im Übrigen ist ein Widerspruch zwischen dem diesbezüglich in offener Fassung formulierten Patentanspruch und der Patentbeschreibung nach Maßgabe von BGH - Okklusionsvorrichtung nicht zu erkennen.

76

b) Die nationale Beschränkung wirkt auf bzw. vor den Zeitpunkt der Antragstellung des betreffenden Schutzzertifikats zurück. So verweist der EuGH in der Entscheidung C-6/11 - Daiichi Sankyo unter der Rubrik „Das Europäische Patentübereinkommen“, Rn. 9, auf Art. 69 Abs. 2 Satz 2 EPÜ, wonach das europäische Patent (wie auch ein nationales Patent) in seiner erteilten oder im Einspruchs-, Beschränkungs- oder Nichtigkeitsverfahren geänderten Fassung rückwirkend den Schutzbereich der Anmeldung bestimmt, soweit deren Schutzbereich nicht erweitert wird.

77

Nichts anderes ergibt sich aus der Systematik von Art. 3 VO und Art. 15 VO. Während Art. 15 Abs. 1 lit. a VO die tatsächliche Sachlage zum Erteilungszeitpunkt des Schutzzertifikats erfasst, betrifft Art. 15 Abs. 1 lit. c VO Ereignisse, die der Erteilung in zeitlicher Hinsicht nachfolgen. Davon unberührt bleibt die dem nationalen Patentrecht unterliegende Frage, ob eine Beschränkung des Grundpatents auf den Zeitpunkt der Anmeldung zurückwirkt (§ 64 Abs. 1 PatG). Diese Regelung wird schon wegen der unterschiedlichen Rechtssetzungskompetenz nicht durch die das Schutzzertifikat betreffenden Vorschriften der Art. 3 VO und Art. 15 VO umgestaltet.

78

Die Nichtigkeit eines Zertifikats tritt nach Art. 15 Abs. 1 lit. c VO auch dann ein, wenn das Grundpatent (mit Rückwirkung) für nichtig erklärt oder derart beschränkt wird, dass das Erzeugnis von den (beschränkten) Patentansprüchen nicht mehr erfasst wird. Es ist insbesondere unter Berücksichtigung des Zwecks der Verordnung, der darin besteht, möglichst effektiven Schutz zur Förderung der Forschung im pharmazeutischen Bereich zu gewährleisten und entscheidend zur ständigen Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung beizutragen (vgl. etwa EuGH - Medeva Rn. 30), nicht einzusehen, warum eine solche rückwirkende Beschränkung bzw. Teilnichtigerklärung des Grundpatents zwar einerseits zur Nichtigkeit des ergänzenden Schutzzertifikats führen soll, wenn der Gegenstand des Zertifikats (rückwirkend) nicht mehr von den Patentansprüchen erfasst wird, andererseits aber eine sich lediglich einer geänderten Rechtsprechung (hier EuGH - Medeva) anpassende Beschränkung eines nach zum Erteilungszeitpunkt geltender Rechtsprechung hinreichenden Grundpatents nicht geeignet sein soll, den Bestand des Schutzzertifikats zu sichern.

79

Auch die Rechtsprechung des EuGH zeigt, dass ein ergänzendes Schutzzertifikat lediglich den Schutz des Grundpatents verlängern soll, aber die gleichen Rechte und denselben Schutz gewähren soll wie das Grundpatent, wobei sich der Schutzumfang nach den einschlägigen nationalen Vorschriften bestimmt (vgl. etwa EuGH a. a. O - Daiichi Sankyo Rn. 26, 28; EuGH - Medeva Rn. 23, 25, 39; EuGH a. a. O. - Queensland Rn. 27, 28, 30, 34; EuGH a. a. O. - Yeda Rn. 34, 35, 37).

80

3. In der Erzeugnisbezeichnung des erteilten Schutzzertifikats „Telmisartan, gegebenenfalls in Form seiner Säureadditionssalze in Kombination mit Hydrochlorthiazid“ liegt wegen des Fehlens eines Kommas nach „Säureadditionssalze“ kein Verstoß gegen die Vorschrift des Art. 3 lit. c VO und damit darin auch kein Nichtigkeitsgrund.

81

Da für das gleiche Grundpatent bereits das Arzneimittelschutzzertifikat DE 199 75 032.7 für Telmisartan als Monowirkstoff erteilt worden ist (vgl. N7), wäre zwar in einem weiteren Arzneimittelschutzzertifikat eine Erzeugnisbezeichnung nicht zulässig, welche auch den Monowirkstoff Telmisartan als Erzeugnis erfasst. Es ist jedoch für den auf dem Gebiet der ergänzenden Schutzzertifikate Fachkundigen unter Berücksichtigung des Gesamtsachverhalts ohne weiteres erkennbar, dass trotz der fehlenden Kommasetzung lediglich die Kombination von Telmisartan oder gegebenenfalls seinen Säureadditionssalzen mit Hydrochlorthiazid ergänzenden Schutz genießt. Dies ergibt sich zweifelsfrei daraus, dass im Erteilungsbeschluss (N8) als durch die Genehmigung identifiziertes Erzeugnis das Arzneimittel MicardisPlus und damit das Kombinationspräparat aus Telmisartan und Hydrochlorthiazid benannt wird, und sich auch die dem Schutzzertifikat zu Grunde liegende Zulassung durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften ausschließlich auf dieses Kombinationspräparat bezieht.

82

4. Der Gegenstand des Grundpatents beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit.

83

Nach dem Erlöschen des Grundpatents ist es zulässig, allein das ergänzende Schutzzertifikat mit der Begründung der (Teil-)Vernichtbarkeit des Grundpatents anzugreifen, wobei das Schutzzertifikat auch mit einer Fassung des abgelaufenen Grundpatents verteidigt werden kann, die sich als bestandsfähig erwiesen hätte und das Zertifikat abdeckt (Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 5. Aufl. Rn. 78; Busse/Hacker, Patentgesetz, 7. Aufl., Anh. 16a Rn. 142; Schulte/Schell, Patentgesetz, 9. Aufl., § 16a Rn. 71).

84

Die Klägerin stützt ihr Vorbringen zum Naheliegen bzw. zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Benzimidazol-Derivate des Grundpatents sinngemäß auf die allgemeine Restebedeutung „Hetaryl“ für R8 in der Angiotensin II-Antagonisten betreffenden Druckschrift K1 und eine anhand der weiteren vorveröffentlichten Druckschriften K2, die ebenfalls Benzimidazole mit Angiotensin-II-Antagonismus betrifft, sowie aus dem Inhalt der K3 und K4 zu belegende Üblichkeit insbesondere von Pyridyl- und Benzimidazolyl-Subsituenten in Arzneimittelwirkstoffen.

85

Strukturelles Naheliegen auf dem Gebiet der Stofferfindungen ist allenfalls bei Wirkstoffen mit gleicher Wirkungsrichtung begründbar. Insofern stellen die Druckschriften K3 und K4 und das Vorbringen der Klägerin zu den dort vorkommenden Pyridyl- und Benzimidazolyl-Substituenten wegen der Nichtvergleichbarkeit der Wirkungsrichtung bzw. den deutlich unterschiedlichen Indikationen die erfinderische Tätigkeit nicht in Frage.

86

Auch aus den Druckschriften K1 und K2 ist nichts entnehmbar, was das Vorbringen der Klägerin zur mangelnden Patentfähigkeit des Gegenstands des Grundpatents stützen könnte. Vielmehr weisen ausgewählte strukturell nächstkommende Verbindungen aus der K1 sehr erheblich schlechtere IC50-Werte als Telmisartan auf (vgl. K1 S. 12, Tabelle), entsprechendes gilt für Verbindungen der K2 (vgl. dort die Tabelle auf S. 31). Sonstige Vergleichsdaten oder Vergleichsversuche hat die Klägerin nicht vorgelegt. Auch das Europäische Patentamt sieht zahlenmäßig bestimmt gehaltene Vergleichsversuche zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem strukturell nächstkommenden Stand der Technik vor (vgl. z. B. EPA T 181/82 - Spiro compounds/CIBA GEIGY vom 28. Februar 1984 sowie z. B. T 512/02 – Takeda vom 26. Oktober 2006, T 0059/04 - Pharmaceutical Compositions/SMITHKLINE BEECHAM vom 23. November 2006).

87

Im Übrigen ist für 4’-[[2-n-Propyl-4-methyl-6-(1-methylbenzimidazol-2-yl)-benzimidazol-1-yl]-methyl]-biphenyl-2-carbonsäure (Telmisartan), dessen Salze sowie diese allein oder in Kombination mit den ausgewiesenen Kombinationswirkstoffen formulierten Arzneimittel die erfinderische Tätigkeit in Anbetracht der in-vitro und in-vivo Daten und dem letztlich daraus resultierenden Markterfolg des Telmisartans zweifelsfrei anzuerkennen. Diese Effekte tragen – in Übereinstimmung mit üblicher Patentpraxis auf dem Gebiet chemischer Wirkstoffe – auch die Patentfähigkeit der erstmals in dem Grundpatent EP 0 502 314 offenbarten und damit neuen Wirkstoffkombination aus Telmisartan und dem bereits bekannten Wirkstoff Hydrochlorthiazid.

III.

88

Unter Berücksichtigung und nach Maßgabe der Entscheidung des EuGH – Actavis sieht der Senat keinen Anlass für die beantragte Aussetzung des Verfahrens, weder bis zur Entscheidung des EuGH in Sachen des Vorabentscheidungsverfahrens C-577/13 noch zum Zwecke eines - nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht zwingenden - Vorabentscheidungsersuchens in der vorliegender Sache.

89

1. Was die dem EuGH in einer parallelen Streitsache C-577/13 (Actavis Group PTC EHF/Actavis Limited gegen Boehringer Ingelheim Pharma GmbH) betreffend die Wirkstoffzusammensetzung aus Telmisartan von dem High Court of Justice (England & Wales) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen anbelangt, so hat der EuGH nach Auffassung des Senats in der Entscheidung Actavis eine diesbezügliche Auslegung des Art. 3 lit. c i. V. m. Art. 5 VO bereits vorgenommen und die mit dem vorliegenden Streitgegenstand verbundenen Rechtsfragen, soweit sie Gemeinschaftsrecht betreffen, hinreichend geklärt.

90

2. Bei der Problematik der Rückwirkung einer Beschränkung des Streitpatents gem. § 64 PatG handelt es sich um eine Frage des nationalen Rechts, die nicht Gegenstand einer Vorlage zum EuGH sein kann und im vorliegenden Fall auch nicht entscheidungserheblich ist.

91

Gleiches gilt für die sich daran anschließende Frage, ob die Rückwirkung der Beschränkung des Grundpatents auch bei der Beurteilung der Nichtigkeit des Schutzzertifikats beachtlich ist.

92

3. Auch die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen (BK-8) geben zu einer Vorlage an EuGH keine Veranlassung.

93

Zu diesen Fragen hat der EuGH bereits in der Entscheidung Actavis Stellung genommen und sie im Ergebnis dahin beantwortet, dass für eine Wirkstoffzusammensetzung aus einem neuem (Mono-) Wirkstoff und einem bereits bekannten Wirkstoff ohne eigene erfinderische Qualität die Erteilung eines weiteren Schutzzertifikats neben einem Schutzzertifikat für den neuen (Mono-) Wirkstoff nicht zulässig ist.

94

Die Entscheidung von Einzelfällen auf Grundlage der Auslegung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH ist Aufgabe der nationalen Gerichte (Schwarze, EU-Kommentar, 3. Auflage, AEUV Art. 267 Rn. 18 mit umfangreichen Nachweisen). Diese kann nicht durch die abstrakte Formulierung der sich im Einzelfall stellenden Fragen dem EuGH überantwortet werden. Auch Entscheidungen des EuGH können nicht Gegenstand einer Auslegungsfrage sein (Schwarze a. a. O. Rn. 19).

95

Soweit die Vorlage für eine Fallgestaltung begehrt wird, nach der der neuartige Wirkstoff und die Wirkstoffzusammensetzung Gegenstände unterschiedlicher Grundpatente sind, geht dieser Antrag über den vorliegenden Sachverhalt hinaus und ist damit nicht entscheidungserheblich. Gleiches gilt für die unterstellte Annahme, dass kein Wirkstoff der Wirkstoffkombination vor dem Prioritätstag des Grundpatents bekannt war.

96

Nachdem der EuGH in Actavis nach Erteilung eines Schutzzertifikats für den (Mono-) Wirkstoff ein weiteres Schutzzertifikat für die Wirkstoffzusammensetzung nicht zugelassen hat, stellt sich Frage einer an der Laufzeit der Schutzzertifikate orientierten Erteilung nicht.

IV.

97

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

98

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.