Entscheidungsdatum: 24.01.2012
In der Patentnichtigkeitssache
…
…
betreffend das europäische Patent 0 774 511
(DE 691 32 920)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 24. Januar 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm, des Richters Guth, der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Proksch-Ledig, des Richters Dipl.-Chem. Dr. Gerster sowie der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 0 774 511 wird im Umfang seines Anspruchs 8 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten sind eingetragene Inhaber des am 9. Juli 2011 durch Ablauf der Schutzdauer erloschenen europäischen Patents EP 0 774 511 B1 (Streitpatent), das Grundlage einer anhängigen Verletzungsklage gegen die Klägerinnen ist und auf eine Teilanmeldung zurückgeht. Die Stammanmeldung wurde am 10. Juli 1991 als internationale Patentanmeldung PCT/GB91/01134 angemeldet. Sie nimmt die Prioritäten der britischen Patentanmeldungen 9015198 vom 10.7.1990, 9022845 vom 19.10.1990, 9024503 vom 12.11.1990, 9104744 vom 6.3.1991 und 9110549 vom 15.5.1991 in Anspruch. Das angegriffene europäische Patent EP 0 774 511 B1 wurde vom Europäischen Patentamt in der regionalen Phase mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt und dessen Erteilung am 30. Januar 2002 veröffentlicht. Vom Deutschen Patent- und Markenamt wird es unter der Nummer DE 691 32 920 T2 geführt. Das in der Amtssprache Englisch erteilte Streitpatent trägt die Bezeichnung „Phagemid-based method of producing filamentous bacteriophage particles displaying antibody molecules and the corresponding bacteriophage particles“ (Methode zur Herstellung von filamentösen, antikörper-präsentierenden Bakteriophagenpartikeln durch Verwendung von Phagemiden und die dadurch hergestellten Bakteriophagenpartikel) und umfasst für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland 8 Patentansprüche, von denen die nebengeordneten Patentansprüche 1, 4, 5 und 8 in der Amtssprache Englisch folgendermaßen lauten:
Diese Ansprüche lauten in deutscher Übersetzung:
„1. Filamentöses Bakteriophagen-Teilchen, auf dessen Oberfläche ein Bindungsmolekül präsentiert wird, das ein Fab- oder Einzelketten-Fv-Antikörpermolekül ist, das eine Bindungsdomäne umfasst, die sich an Target-Epitop oder -Antigen binden kann, wobei das Teilchen ein Phagemid-Genom enthält, das Nucleinsäure mit einer Nucleotidsequenz umfasst, die für das Bindungsmolekül kodiert, das von der Nucleinsäure exprimiert wird und auf der Oberfläche des Teilchens präsentiert wird.
4. Population von filamentösen Bakteriophagen-Teilchen nach einem der Ansprüche 1 bis 3, auf denen eine Population der Bindungsmoleküle präsentiert wird, die eine Bandbreite von Bindungsspezifitäten aufweisen.
5. Verfahren zur Herstellung eines filamentösen Bakteriophagen-Teilchens, auf dessen Oberfläche ein Bindungsmolekül präsentiert wird, das für ein bestimmtes Target-Epitop oder -Antigen spezifisch ist, wobei das Verfahren folgende Schritte umfasst:
das Erzeugen einer Population filamentöser Bakteriophagen-Teilchen, auf deren Oberfläche eine Population von Bindungsmolekülen präsentiert wird, die eine Bandbreite von Bindungsspezifitäten aufweisen, worin die Bindungsmoleküle Fab-Antikörpermoleküle sind, die sich an das Target-Epitop oder -Antigen binden können, und worin jedes filamentöse Bakteriophagen-Teilchen ein Phagemid-Genom enthält, das Nucleinsäure mit einer Nucleotidsequenz umfasst, die für das Bindungsmolekül kodiert, das von der Nucleinsäure exprimiert wird und auf der Oberfläche der Teilchen präsentiert wird, das Selektieren bezüglich eines filamentösen Bakteriophagen-Teilchens, auf dem ein Bindungsmolekül mit einer gewünschten Spezifität präsentiert wird, durch Kontaktieren der Population filamentöser Bakteriophagen-Teilchen mit einem Target-Epitop oder -Antigen, so dass einzelne Bindungsmoleküle, die auf den filamentösen Bakteriophagen-Teilchen präsentiert werden, sich mit der gewünschten Spezifität an das Target-Epitop oder -Antigen binden.
8. Verfahren zur Herstellung eines Bindungsmoleküls, das für ein bestimmtes Target-Epitop oder -Antigen spezifisch ist, wobei das Verfahren umfasst:
die Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 7;
das Isolieren von Nucleinsäure, die für das Bindungsmolekül kodiert, von abgetrennten filamentösen Bakteriophagen-Teilchen, die nach dem Verfahren nach Anspruch 7 gewonnen wurden;
das Insertieren von Nucleinsäure, die für das Bindungsmolekül kodiert, oder eines Fragments oder Derivats davon mit Bindungsspezifität für das Target-Epitop oder -Antigen, in einem rekombinanten System; und
das Erzeugen des Bindungsmoleküls oder Fragments oder Derivats davon mit Bindungsspezifität für das Target-Epitop oder -Antigen im rekombinanten System, getrennt von den filamentösen Bakteriophagen-Teilchen.“
Die Klage richtet sich gegen Patentanspruch 8 und wird darauf gestützt, dass dessen Gegenstand nicht patentfähig sei, insbesondere nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgehe, sowie, dass die beanspruchte Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
Zur Begründung ihres Vorbringens stützen sich die Klägerinnen u. a. auf folgende Dokumente:
BM1 EP 0 774 511 B1 (Streitpatent)
BM1T DE 691 32 920 T2 (deutsche Übersetzung des Streitpatents)
BM1A WO 92/01047 A1 (Stammanmeldung)
BM6 GB 9024503 (3. Prioritätsdokument)
BM10 Huse et al., Science, 1989, Vol. 246, 1275 bis 1281
BM14 McCafferty et al., Nature, 1990, 348, 552 bis 554
BM15 Kang et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA, 1991, 88, 4363 bis 4366.
Die Klägerinnen stellen den Antrag,
das europäische Patent 0 774 511 im Umfang seines Anspruchs 8 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 und 2 gem. Schriftsatz vom 2. Dezember 2011,
weiter hilfsweise die Fassung eines der Hilfsanträge 1’ und 2’ gem. Schriftsatz vom 17. Januar 2012, erhält.
Hilfsantrag 1 ergänzt den erteilten Patentanspruch 5 dahingehend, dass der dort dargestellte erste Verfahrensschritt „producing a population of filamentous bacteriophange particles displaying by fusion at their surface a population of binding molecules …“ betrifft.
Hilfsantrag 2 ergänzt den erteilten Patentanspruch 5 dahingehend, dass der dort dargestellte erste Verfahrensschritt lautet:
„producing a population of filamentous bacteriophage particles displaying at their surface a population of binding molecules having a range of binding specificities, wherein the binding molecules are Fab antibody molecules able to bind target epitope or antigen, wherein the heavy chain of each Fab antibody molecule displayed by a bacteriophage particle at its surface is expressed as a fusion with a gene III protein of the filamentous bacteriophage particle, and wherein each filamentous bacteriophage particle contains a phagemid genome comprising nucleic acid with a nucleotide sequence encoding the binding molecule expressed from the nucleic acid and displayed by the particle at its surface.“
Hilfsantrag 1' ergänzt den erteilten Patentanspruch 8 durch das Merkmal:
„wherein the population of filamentous bacteriophage particles produced according to the method of claim 5 displays by fusion at their surface a population of binding molecules having a range of binding specificities.“
Hilfsantrag 2' ergänzt den erteilten Patentanspruch 8 durch das Merkmal:
„wherein the heavy chain of each Fab molecule displayed by a bacteriophage particle at its surface produced according to the method of claim 5 is expressed as a fusion with a gene III protein of the filamentous bacteriophage particle.“
Bezüglich des Wortlauts der auf die Patentansprüche 1, 5 und 8 jeweils rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 4, 6 und 7 gemäß Hauptantrag bzw. gemäß den Hilfsanträgen 1, 2, 1` und 2` wird auf die Akten verwiesen.
Die Beklagten treten dem Vorbringen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen und machen geltend, dass lediglich der unabhängige Patentanspruch 8 des Streitpatents angegriffen sei, so dass die durch Rückbezug in den Patentanspruch 8 einbezogenen Merkmale der nicht angegriffenen Patentansprüche 5 bis 7 nicht Gegenstand der Überprüfung der vorgebrachten Beanstandungen sein könnten.
Die Lehre des streitgegenständlichen Patentanspruchs 8 sehen die Beklagten in BM6 offenbart, so dass der Prioritätszeitpunkt dieser Anmeldung, die von der ursprünglichen Inhaberin vor dem Anmeldetag der dem Streitpatent zugrunde liegenden Anmeldung auf die Beklagten übertragen worden sei, zu Recht in Anspruch genommen werde. Aus den Angaben in der Stammanmeldung BM1A sei nach Ansicht der Beklagten zudem ersichtlich, dass keine unzulässige Erweiterung von Patentanspruch 8 vorliege. Die Lehre des Patentanspruchs 8 sei auch nacharbeitbar, denn sie offenbare ein vollständiges Verfahren zur Herstellung von Phagenantikörpern und deren erfolgreichen Einsatz bei der Selektion geeigneter Antikörper zusammen mit der sie kodierenden Erbinformation, was durch die in der Beschreibung aufgeführten Beispiele belegt werde. Das streitgegenständliche Verfahren beruhe zudem auf einer erfinderischen Tätigkeit, da im Stand der Technik ein Vorurteil dagegen bestanden habe Phagenteilchen mit großen Inserts zu verwenden, weshalb der zitierte Stand der Technik das patentgemäße Verfahren nicht nahelegen könne.
Zur Stützung ihres Vorbringens verweisen die Beklagten auf folgende Dokumente:
NB1 Merkmalsanalyse des erteilten Patentanspruchs 8
NB2 Eidesstattliche Erklärung von Ms. Caroline Jane Stoner vom 16. August 2007
NB3 Eidesstattliche Erklärung von Mr. David John Chiswell vom 16. August 2007
NB4 Smith et al., Science, Juni 1985, 228, S. 1315 bis 1317 (Internet download vom 27.8.2010)
NB5 S.F. Parmley und G.P. Smith, Gene, 1988, 73, S. 305 bis 318
NB6 Im parallelen britischen Verfahren ergangenes Urteil vom 5. Juli 2011, Akz HC09C04770
NB7 DE 694 24 846 T2
NB8 Produktinformation von Invitrogen vom 1. September 2005 zum Helfer-Phagen M13K07
NB9 Bescheid des EPA vom 28.6.2001, Application No. 96 112 510.1-2118
NB12 PARTY EXPERT OPINION OF DR. JEAN-LUC TEILLAUD vom 30. November 2011
NB12a Übersetzung von Anlage NB12
NB13 CURRICULUM VITAE JEAN-LUC TEILLAUD
NB14 Entscheidung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 14. Mai 2001 Aktenzeichen T 1212/97 - 3.3.4
NB 15 Entscheidung der Einspruchskammer des Europäischen Patentamts vom 15. April 2002,Patent No. 0589877.
Die Parteien regen an, Sachverständigenbeweis zu den Fragen zu erheben, ob der Fachmann die streitgegenständliche Erfindung dem Prioritätsdokument BM6 entnehmen könne, wie Patentanspruch 8 zu verstehen sei und ob die Lehre dieses Anspruchs für den Fachmann nahegelegen habe.
I.
Die auf die Nichtigkeitsgründe mangelnder Ausführbarkeit, fehlender Patent-fähigkeit und unzulässiger Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. b EPÜ und Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ sowie Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ) gestützte Klage ist zulässig. Insbesondere ist das nach dem Erlöschen des Streitpatents erforderliche Rechtsschutzinteresse wegen des zwischen den Parteien anhängigen und auf den streitgegenständlichen Patentanspruch 8 gestützten Verletzungsstreits gegeben. Die Klage erweist sich auch als begründet.
1. Der angegriffene Patentanspruch 8 des Streitpatents betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Antikörpermolekülen, die für ein bestimmtes Target-Epitop oder -Antigen spezifisch sind.
Die therapeutische Anwendung monoklonaler Antikörper war zu dem für das Streitpatent maßgeblichen Zeitpunkt aufgrund ihrer Antigenspezifität sehr vielversprechend. Allerdings weist das bekannte Verfahren zur Herstellung monoklonaler Antikörper, welches auf dem Einsatz immortalisierter Zellen basiert, eine Reihe von Nachteilen auf. Es wurden daher Versuche unternommen, monoklonale Antikörper mittels rekombinanter DNA-Techniken in Bakterienzellen herzustellen. Das Screening solcher rekombinanten Produktionssysteme wirft jedoch Probleme auf, da es nicht gelingt, korrekt gefaltete Antikörper, die als Fusionsproteine auf der Oberfläche des Bakteriums exprimiert werden, für eine Antigen-spezifische Selektion bereitzustellen. Das Problem besteht zum einen darin, dass die Oberfläche des Bakteriums eine komplexe Struktur aufweist und die Antikörper zum anderen auf der Oberfläche nicht korrekt gefaltet werden. Der Einsatz von Bakteriophagen erscheint für ein solches Antikörper-Screening vorteilhaft, da diese Viren auf Bakterien wie z. B. E.coli spezialisiert sind, leicht zu handhaben sind, ihre Oberfläche eine relativ einfache Struktur aufweist und sie die genetische Information für ihre eigene Synthese innerhalb einer kleinen einfachen Verpackung tragen.
Das technische Problem besteht allerdings darin, Bakteriophagen so zu verwenden, dass durch das Einbringen einer für ein aktives Antikörpermolekül kodierenden Fremd-DNA die Integrität der Phagenhülle nicht verletzt wird, so dass die Phagen ihre Infektiosität beibehalten und zugleich das auf der Oberfläche des Phagen präsentierte Antikörpermolekül in der Lage ist, spezifische Antigenbindungen einzugehen (vgl. deutsche Übersetzung der Streitpatentschrift BM1T, S. 1 bis 9, zweiter Abs.).
2. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent die objektive technische Aufgabe zugrunde, ein Screeningsystem bereitzustellen, welches die bekannten Probleme des Standes der Technik vermindert oder beseitigt und die Herstellung einer sehr großen Anzahl verschiedener spezifischer Antikörpermoleküle ermöglicht, die ein rasches Sortieren der Moleküle bei jeder Klonierungsrunde sowie einen raschen Transfer des für das Bindungsmolekül kodierenden genetischen Materials von einer Stufe des Produktionsprozesses zur nächsten Stufe gestattet (vgl. deutsche Übersetzung der Streitpatentschrift BM1T, S. 5. dritter Abs.).
3. Gelöst wird die Aufgabe gemäß Patentanspruch 8 des Hauptantrages, durch ein
1. Verfahren zur Herstellung eines Bindungsmoleküls, das für ein bestimmtes Target-Epitop oder -Antigen spezifisch ist, wobei das Verfahren umfasst:
1.1 die Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 7, welches
1.1.1 das Erzeugen einer Population filamentöser Bakteriophagen-Teilchen vorsieht, auf deren Oberfläche eine Population von Bindungsmolekülen präsentiert wird, die eine Bandbreite von Bindungsspezifitäten aufweisen,
1.1.2 wobei die Bindungsmoleküle Fab-Antikörpermoleküle sind, die sich an das Target-Epitop oder -Antigen binden können, und
1.1.3 wobei jedes filamentöse Bakteriophagen-Teilchen ein Phagemid-Genom enthält, das Nucleinsäure mit einer Nucleotidsequenz umfasst, die für das Bindungsmolekül kodiert und
1.1.4 das Bindungsmolekül von einer Nucleinsäure exprimiert und auf der Oberfläche der Teilchen präsentiert wird,
1.1.5. das Selektieren bezüglich eines filamentösen Bakteriophagen-Teilchens, auf dem ein Bindungsmolekül mit einer gewünschten Spezifität präsentiert wird, durch Kontaktieren der Population filamentöser Bakteriophagen-Teilchen mit einem Target-Epitop oder -Antigen, so dass einzelne Bindungsmoleküle, die auf den filamentösen Bakteriophagen-Teilchen präsentiert werden, sich mit der gewünschten Spezifität an das Target- Epitop oder -Antigen binden
1.1.6 das Abtrennen gebundener filamentöser Bakteriophagen-Teilchen vom Target-Epitop oder -Antigen
1.1.7 das Gewinnen abgetrennter filamentöser Bakteriophagen-Teilchen, auf denen ein Bindungsmolekül mit der gewünschten Spezifität präsentiert wird,
1.2 die Isolierung von Nucleinsäure, die für das Bindungsmolekül kodiert, von abgetrennten filamentösen Bakteriophagen-Teilchen, die nachdem Verfahren nach Anspruch 7 (siehe 1.1.1 bis 1.1.7) gewonnen wurden;
1.3 das Insertieren von Nucleinsäure, die für das Bindungsmolekül kodiert, oder eines Fragments oder Derivats davon mit Bindungsspezifität für das Target-Epitop oder -Antigen, in einem rekombinanten System; und
1.4 das Erzeugen des Bindungsmoleküls oder Fragments oder Derivats davon mit Bindungsspezifität für das Target-Epitop oder -Antigen im rekombinanten System, getrennt von den filamentösen Bakteriophagen Teilchen.
4. Bei der Beurteilung der Patentfähigkeit ist als Fachmann auf ein Team abzustellen, das sich aus wissenschaftlich tätigen Molekularbiologen, Biochemikern und Immunologen zusammensetzt, die sich mit der Expression von Antikörpern befassen und spezielle Kenntnisse auf dem Gebiet des Screenings von Molekülbibliotheken besitzen (vgl. BGH GRUR 2010, 123, 125, Tz. 27 - Escitalopram; BGH GRUR 2007, 404, 406, Tz. 26 - Carvedilol II).
II.
Der Gegenstand des Streitpatents - wie der Senat es versteht - ist nicht unzulässig erweitert. Das Verfahren nach dem angegriffenen Patentanspruch 8 ist auch ausführbar.
Sowohl das nach Patentanspruch 8 gemäß Hauptantrag als auch das nach Patentanspruch 8 gemäß den Hilfsanträgen 1` und 2` beanspruchte Verfahren erweist sich jedoch als nicht patentfähig, weil dessen Bereitstellung jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
1a) Der Patentanspruch 8 gemäß Hauptantrag ist entgegen der Ansicht der Klägerinnen gegenüber der ursprünglichen Anmeldung nicht unzulässig erweitert.
Der geltende Patentanspruch 8 des Hauptantrags entspricht dem erteilten Patentanspruch 8 der Streitpatentschrift EP 0 774 511 B1 (BM1/BM1T = deutsche Übersetzung der Streitpatentschrift) und ist aus den folgenden Zitatstellen der als PCT-Anmeldung WO 92/01047 A1 (BM1A) veröffentlichten Erstunterlagen ableitbar:
Merkmale |
Seite |
Zeile |
1 bis 1.1.1. |
6 |
37 bis 47 |
17 |
44 bis 50 |
|
21 |
7 bis 10 und 45 bis 51 |
|
1.1.2 |
23 |
18 bis 22 |
1.1.3 |
23 |
49 bis 52 |
1.1.4 |
17 |
34 bis 43 |
18 |
4 bis 8 |
|
1.1.5 |
17 |
44 bis 50 |
1.1.6 |
17 |
50 bis 52 |
1.1.7 |
18 |
1 |
1.2 |
18 |
4 bis 8 |
1.3 |
18 |
1 bis 4 |
23 |
29 bis 35 |
|
1.4 |
22 |
21 bis 24 |
Zur Beurteilung der Frage, ob der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung des Verfahrens nach Patentanspruch 8 aufgrund der in den Merkmalen 1.3 und 1.4 genannten „… Fragmente oder Derivate von Bindungsmolekülen mit Bindungsspezifität für das Target-Epitop oder -Antigen“ gegenüber dem Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung vorliegt, ist der Sinngehalt des Patentanspruchs 8 in seiner Gesamtheit unter Heranziehung der den Patentanspruch erläuternden Beschreibung und Figuren durch Auslegung zu ermitteln. Dabei stellt die Patentschrift im Hinblick auf die dort gebrauchten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon dar (vgl. BGH GRUR 2007, 410 [18] - Kettenradanordnung; BGH GRUR 1999, 909, LS 1. und 2. - Spannschraube).
Nach der Lehre des Streitpatents soll mit dem Verfahren nach Patentanspruch 8 aus einer sehr großen Anzahl spezifischer Bindungsmoleküle möglichst einfach und schnell ein für ein Target-Epitop oder - Antigen spezifisches Bindungsmolekül isoliert werden (vgl. BM1T, S. 5, vorletzter Abs.). Den Merkmalen 1. bis 1.1.4 zur Folge wird hierfür eine Population filamentöser Bakteriophagen-Teilchen erzeugt, die auf ihrer Oberfläche Fab-Antikörpermoleküle mit unterschiedlichen Bindungsspezifitäten präsentieren und in ihrem Inneren ein Phagmid-Genom enthalten, das die für das Fab-Antikörpermolekül kodierende Nukleinsäure enthält. Zur Selektion eines spezifisch bindenden Fab-Antikörpermoleküls wird nach den Merkmalen 1.1.5 bis 1.1.7 die Bakteriophagen-Population mit einem Target-Epitop oder -Antigen kontaktiert und dasjenige Bakteriophagen-Teilchen isoliert, dessen Fab-Antikörpermolekül eine spezifische Bindung mit dem Target-Epitop oder -Antigen eingeht. Im Anschluss daran erfolgt entsprechend dem Merkmal 1.2 die Isolierung der für das selektierte Fab-Antikörpermolekül kodierenden Nukleinsäure aus dem Inneren des isolierten Bakteriophagen-Teilchens. Die Merkmale 1.3 und 1.4 betreffen schließlich die Klonierung der isolierten Nukleinsäure, die für das Fab-Antikörpermolekül oder ein Fragment oder Derivat davon kodiert, in ein rekombinantes System zur Erzeugung des Fab-Antikörpermoleküls oder eines Fragments oder Derivats davon mit Bindungsspezifität für das Target-Epitop bzw. - Antigen. In Bezug auf die Merkmale 1.3 und 1.4 sind die Klägerinnen der Auffassung, dass in diesen Merkmalen die Fragmentierung oder Derivatisierung eines bereits selektierten Fab-Antikörpermoleküls unter Beibehaltung seiner Bindungsspezifität vorgesehen sei und damit die Bildung von Derivaten der 2. Generation, wofür sich in den Erstunterlagen keine Stütze finde. Diese Auffassung teilt der Senat nicht.
Entgegen der von den Klägerinnen vertretenen Ansicht darf bei der Auslegung des Patentanspruchs 8 nämlich nicht allein aufgrund der im Streitpatent genannten Ausführungsbeispiele auf ein engeres Verständnis des Patentanspruchs geschlossen werden als es dessen Wortlaut für sich genommen nahelegt (vgl. BGH GRUR 2008, 779 - 786 - Mehrgangnabe, 2. LS). Zwar ist den von den Klägerinnen zitierten Beispielen 7 und 36 der Streitpatentschrift zu entnehmen, dass die schwere Kette eines gegen Lysozym gerichteten Fab-Antikörpers allein keine Bindung mit Lysozym eingeht (vgl. BM1T, Beispiel 7, insbesondere S. 77/78, seitenübergreifender Abs.) und dass eine Sequenzänderung in der VL-Domäne eines spezifischen Antikörpers zu einer Änderung seiner Spezifität führen kann (vgl. BM1T, Beispiel 36, insbesondere S. 175, zweiter und dritter Abs.). Daraus könnte geschlossen werden, dass eine Veränderung spezifisch bindender Fab-Antikörpermoleküle regelmäßig zum Verlust ihrer Bindungsspezifität führt und solche Fragmente daher nicht Gegenstand der patentgemäßen Lehre seien. Ein solcher Rückschluss würde allerdings der Gesamtheit der im Streitpatent vermittelten technischen Lehre nicht gerecht. Denn durch die im Streitpatent enthaltene Definition des Begriffs „Derivate“ wird zum Ausdruck gebracht, dass in den patentgemäßen Verfahren eine Fragmentierung oder Derivatisierung sowohl auf der Nukleotid- als auch auf der Proteinebene und damit auf verschiedenen Stufen des Verfahrens erfolgen kann. Ein geeigneter Zeitpunkt für die Änderung der Bindungsmoleküle wird dabei vor allem nach der Selektion gesehen, da bereits selektierte Bakteriophagen-Teilchen in der Definition als Ausgangsmaterial genannt werden. Als Beispiel für eine solche Derivatisierung wird in der Definition zudem die Fusion eines Fab-Antikörpermoleküls mit einem Marker oder dem Fc-Teil aus einer anderen Quelle genannt (vgl. BM1T, S. 25, dritter Abs. und S. 30, fünfter Abs.). Dem Fachmann ist bekannt, dass derartige Änderungen nicht zu einem Verlust der Bindungsspezifität eines Fab-Antikörpermoleküls führen. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerinnen ist mit der Definition des Begriffs „Derivate“ im Streitpatent somit eindeutig festgelegt, dass unter einer Derivatisierung, trotz der im Streitpatent genannten Beispiele 7 und 36, eine Änderung bereits selektierter Bindungsmoleküle unter Erhalt ihrer Bindungsspezifität zu verstehen ist.
Das Verfahren des erteilten Patentanspruchs 8 besteht folglich aus zwei Varianten: Eine erste Variante, bei der auf eine Fragmentierung oder Derivatisierung der selektierten Fab-Antikörpermoleküle verzichtet wird, und eine zweite Variante, bei der die Fab-Antikörpermoleküle nach der Selektion einer Fragmentierung oder Derivatisierung unterzogen werden, ohne dabei jedoch ihre Bindungsspezifität zu verlieren. Eine Fragmentierung oder Derivatisierung die vor der Selektion, z. B. während der Bildung der Bakteriophagenpopulation stattfindet, wird der Fachmann im Patentanspruch 8 aufgrund seiner allgemeinen Sachkenntnis dagegen nicht mitlesen, da er die patentgemäßen Merkmale 1 bis 1.4 als zeitliche Abfolge von Verfahrensschritten auffasst, so dass die Merkmale 1.3 und 1.4 nur Änderungen nach der Selektion betreffen können.
Eine solche vom Patentanspruch 8 vermittelte technische Lehre findet auch in den Erstunterlagen ihre Stütze, da sich in BM1A eine gleichlautende Definition des Begriffs „Derivate“ wie im Streitpatent findet (vgl. BM1A, S. 17, Z. 22 bis 33). Ausgehend vom vorstehend erläuterten Verständnis des Patentanspruchs 8 verlässt das darin beschriebene Verfahren entgegen der von den Klägerinnen vertretenen Auffassung somit den Sinngehalt der ursprünglichen Offenbarung nicht.
1b) Für den Patentanspruch 8 der Hilfsanträge 1` und 2` vom 17. Januar 2012 gelten die Ausführungen zum Hauptantrag entsprechend, da der jeweilige Patentanspruch 8 in den Hilfsanträgen 1` und 2` gegenüber dem Hauptantrag lediglich durch die Aufnahme eines Merkmals betreffend die Präsentation der Bindungsmoleküle auf der Phagenoberfläche als Fusionsproteine ergänzt wurde. Das im jeweiligen Patentanspruch 8 der Hilfsanträge 1` und 2` zusätzlich aufgenommene Merkmal ist aus der Figur 28 der Erstunterlagen (vgl. BM1A, Figur 28 auf S. 27/46 i. V. m. S. 83, Z. 37 bis 43) bzw. der Figur 25 der Streitpatentschrift ableitbar (vgl. BM1T, Fig. 25 i. V. m. S. 117, zweiter Abs.). Demzufolge geht der Gegenstand der Hilfsanträge 1` und 2` ebenfalls nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
1c) Wie die Klägerinnen zu Recht feststellen, enthält das Streitpatent kein Ausführungsbeispiel, welches die Durchführung eines Verfahrens mit den im geltenden Patentanspruch 8 nach Hauptantrag bzw. nach den Hilfsanträgen 1` und 2` genannten Merkmalen unmittelbar beschreibt.
Nach Auffassung des Senats offenbart das Streitpatent jedoch genügend Informationen, die dem Fachmann unter zumutbarem Aufwand die praktische Realisierung des beanspruchten Verfahrens ermöglichen (vgl. Schulte/Moufang, PatG, 8. Auflage, § 34 Rdn. 370 und BGH GRUR 2010, 916 bis 918, LS - Klammernahtgerät). So finden sich im Streitpatent nicht nur detaillierte Angaben zur Konstruktion von Bakteriophagen-Teilchen, die in ihrem Inneren ein Phagemid mit der für ein spezifisches Fab-Fragment kodierenden Nukleinsäure tragen und auf der Oberfläche das entsprechende Fab-Fragment präsentieren (vgl. BM1T, Beispiel 31, S. 152 bis 155 und Beispiel 21, S. 111 bis 115), sondern auch, wie solche Bakteriophagen-Teilchen mit spezifischen Fab-Fragmenten aus einem Gemisch mit weiteren Spezifitäten selektiv isoliert werden können (vgl. BM1T, S. 154, mittlerer Abs.). Beschrieben werden ferner Techniken zur Bildung von Bibliotheken, die eine große Anzahl verschiedener Antikörperspezifitäten enthalten (vgl. BM1T, Beispiel 18, S. 106 bis 108) und wie sich Antikörpermoleküle auf der Phagenoberfläche als Gen III-Fusionsproteine darstellen lassen (vgl. BM1T, Beispiel 22, S. 115 bis 119, insbesondere S. 117, zweiter Abs.). Die patentgemäßen Beispiele 12 und 25 belegen ferner, dass Techniken betreffend die Nukleinsäure-Isolierung, das Klonieren von Nukleinsäure in ein rekombinantes System sowie die Expression eines Proteins in einem rekombinanten System zum allgemeinen Wissen und Können des Fachmanns gehören (vgl. BM1T, Beispiel 12, S. 84 bis 95 und Beispiel 25, S. 122 bis 126). Entgegen den Ausführungen der Klägerinnen erfordern auch die fehlenden Angaben zur Größe der Bakteriophagen-Population sowie der Bandbreite von Bindungsspezifitäten im Patentanspruch 8 nach Hauptantrag und Hilfsanträgen 1` und 2` keine Ausführungsform für eine denkgesetzlich mögliche Population mit bis zu 1060 Bindungsmolekülen, da es einer deutlichen und vollständigen Offenbarung nicht entgegensteht, wenn der Patentanspruch neben tauglichen auch untaugliche Varianten mit umfasst (vgl. BGH GRUR 1991, 518 bis 521, 1. LS - Polyesterfäden). Die von den Klägerinnen in diesem Zusammenhang zitierte BGH-Entscheidung GRUR 2010, 414 ff. - „Thermoplastische Zusammensetzung“, nach der es an der Nacharbeitbarkeit der Lehre eines Patents fehlt, wenn der geschützte Gegenstand im Patentanspruch durch offene Bereichsangaben für physikalische Eigenschaften über die im Streitpatent genannte Lösung hinaus so weit verallgemeinert wird, dass der Patentschutz über den Beitrag der Erfindung zum Stand der Technik hinausgeht, ist auf den vorliegenden Fall schon deshalb nicht anwendbar, weil diese Entscheidung mit der ausführbaren Offenbarung einer Stofferfindung befasst ist, während der Patentanspruch 8 nach Hauptantrag und Hilfsanträgen 1` und 2` auf ein - wie vorstehend dargelegt - ausführbares Herstellungsverfahren gerichtet ist (vgl. BGH GRUR 2010, 414 bis 416, [23] - Thermoplastische Zusammensetzung).
Auch das Argument der Klägerinnen, dass die Lehre des Patentanspruchs 8 nach Hauptantrag und Hilfsanträgen 1` und 2` nicht realisierbar sei, weil dem Streitpatent keine Offenbarung für eine strukturelle Charakterisierung der herzustellenden Bindungsmoleküle sowie Angaben zur Herstellung von Derivaten oder Fragmenten mit Bindungsspezifität zu entnehmen sei, vermag nicht zu greifen, da die Klägerinnen, die für diese Behauptung darlegungspflichtig sind und die Feststellungslast tragen (vgl. Schulte/Kühnen/Moufang, PatG, 8. Auflage, § 81 Rdn. 154 bis 157 und § 34 Rdn. 374), hierfür keinen Beweis angetreten haben. Die von den Klägerinnen geäußerten bloßen Zweifel reichen nicht aus, da der Senat aufgrund der im Streitpatent genannten technischen Informationen keinerlei Veranlassung hat, an der Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens zu zweifeln.
Die im Zusammenhang mit dem Nichtigkeitsgrund der fehlenden Ausführbarkeit von den Klägerinnen geäußerten Bedenken, es könne sich beim Patentanspruch 8 nach Hauptantrag bzw. Hilfsanträgen 1` und 2` um einen sog. Durchgriffsanspruch (reach through claim) handeln, teilt der Senat ebenfalls nicht. Durchgriffsansprüche sind regelmäßig unzulässig, da sie dazu dienen, dem Anmelder ein unerschlossenes Forschungsgebiet zu reservieren (vgl. EPA GRUR Int. 2010, 158 - Durchgriffsanspruch/BAYER Schering Pharma AG; Mes, Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, 3. Aufl. 2011, § 1 Rdn. 78, 79). Das patentgemäß beanspruchte Verfahren ist jedoch aus den zuvor genannten Gründen ausführbar, so dass ein unerschlossenes Forschungsgebiet gerade nicht vorliegt.
2. Im Ergebnis kann jedoch dahinstehen, inwiefern die von Seiten der Klägerinnen geltend gemachten Bedenken gegen die Zulässigkeit des Patentanspruchs 8 nach Hauptantrag bzw. Hilfsanträgen 1` und 2` begründet sind. Es kann weiter dahin gestellt bleiben, ob das Verfahren des erteilten Patentanspruchs 8 gemäß Hauptantrag und Hilfsanträgen 1` und 2` gegenüber dem zitierten Stand der Technik neu ist, denn das beanspruchte Verfahren zur Herstellung eines Bindungsmoleküls beruht jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit i. S. v. Art. 56 EPÜ.
2.1 Bei der Beurteilung der Patentfähigkeit des in Patentanspruch 8 nach Hauptantrag bzw. Hilfsanträgen 1`und 2` beschriebenen Verfahrens unterliegt der Patentanspruch 8 entgegen der Ansicht der Beklagten in vollem Umfang seiner Rückbeziehung zu den nicht angegriffenen Patentansprüchen 5 und 7 der Überprüfung. Denn die direkte und indirekte Rückbeziehung ist lediglich eine abkürzende Schreibweise und Formulierung, die eine explizite Nennung aller Merkmale der zueinander in Bezug gesetzten Ansprüche ersetzt. Patentanspruch 8 stellt somit insgesamt, d. h. in der Gesamtheit seiner Merkmale, eine technische Lehre dar, die schutzfähig sein muss bzw. der die beanspruchte Priorität zukommen muss und die demzufolge in allen ihren Merkmalen zu überprüfen ist (vgl. Schulte/Moufang, PatG, 8. Aufl., § 34 Rdn. 97, 98, 170, 175; Benkard, PatG, 10. Aufl., § 34 Rdn. 68, § 14 Rdn. 18).
2.2 Die Priorität der britischen Anmeldung 9024503 vom 12. November 1990 (BM6) ist nicht wirksam in Anspruch genommen worden.
Bei der Prüfung ist zu berücksichtigen, dass hierbei nicht der für die Ausführbarkeit geltende Offenbarungsbegriff zu verwenden ist, sondern der engere, wie er bei der Beurteilung der Neuheit gilt (vgl. BGH X ZR 109/08 Urteil vom29.9.2011 - Sensoranordnung Rdn. 83, veröffentlich in juris; BGH GRUR 2010, 916 - Klammernahtgerät Rdn. 17; BGHGRUR 2009, 382 - Olanzapin Rdn. 25). Demnach kann die britische Priorität vom 12. November 1990 nur dann beansprucht werden, wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist. Dabei ist zu ermitteln, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als Inhalt der gegebenen (allgemeinen) Lehre entnimmt, und nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann.
Im Dokument BM6 wird das Screening einer Population von filamentösen Bakteriophagen-Teilchen beschrieben, die auf ihrer Oberfläche biologisch funktionsfähige Antikörpermoleküle unterschiedlicher Spezifität präsentieren, sowie die Selektion eines spezifischen Antikörpermoleküls durch Kontaktieren der Population mit einem bestimmten Antigen/Epitop. Das Verfahren der BM6 beinhaltet zudem die Schritte der Trennung eines Phagenantikörpers vom Epitop, die Gewinnung des Phagenantikörpers, die Isolierung der im Bakteriophagen enthaltenen Nukleinsäure, die für den Antikörper codiert, die Klonierung der Nukleinsäure in ein rekombinantes System sowie die Expression des Antikörpers getrennt vom Bakteriophagenpartikel. In BM6 findet sich ferner der allgemeine Hinweis, dass die Antikörper nach der Selektion einer Mutation unterzogen werden können und dass der Antikörper als Gen III-Fusionsprotein auf der Oberfläche des Bakteriophagen präsentiert werden kann (vgl. BM6, S. 6, Z. 9 bis 17; S. 6/7, seitenübergreifender Satz.; S. 10, Z. 6 bis S. 11, Z. 5 und Z. 31 bis 37; S. 12, Z. 1 bis 10 und 27 bis 31; S. 13, Z. 14 bis 16; S. 14, Z. 4 bis 7 und 35 bis 37; S. 15, Z. 3 bis 6 und 24 bis 33; S. 16, Z. 8 bis 12 und 25 bis S. 17, Z. 30).
Im Beispiel 7 der BM6 wird zwar die Expression eines Fab-artigen Antikörpers beschrieben und in den Figuren 1 und 10 schematisch die Struktur eines Fab-Antikörpers gezeigt (Fig. 1) bzw. die Aminosäure- und Nukleotidsequenz unter Berücksichtigung der darin enthaltenen Restriktionsschnittstellen eines gegen Lysozym gerichteten Fab-Antikörpers angegeben (Fig. 10). Im Diagramm der Fig. 11 wird ferner die Bindungsfähigkeit eines von einem Phagen exprimierten Fab-Antikörpers mit derjenigen eines Phagen-exprimierten scFv-Antikörpers - die beide gegen Lysozym gerichtet sind - verglichen und graphisch dargestellt, wobei der Fab-Antikörper gegenüber dem scFv-Antikörper eine schlechtere Bindung aufweist. In den anderen Beispielen der BM6, wie den Beispielen 8 und 10, in denen ein spezifischer Phagenantikörper aus einem Gemisch mit verschiedenen Spezifitäten isoliert wird, werden allerdings stets scFv-Antikörper verwendet (vgl. BM6, Bsp. 8, S. 33/34 und Bsp. 10, S. 35/36). Fab-Antikörper werden in der BM6 somit nur am Rande und ohne direkten Bezug zu dem in der BM6 beschriebenen selektiven Screening einer Bakteriophagen-Bibliothek nach spezifischen Antikörpermolekülen erwähnt. Auch der Einsatz von Phagemiden zur Expression eines Fab-Antikörpers unter Beibehaltung von Genotyp-/Phänotyp-Kopplung ist in BM6 nicht vorgesehen. Die Verwendung eines Phagemids wird in der BM6 nämlich nur im Beispiel 1 als Alternative zu den üblicher Weise verwendeten Phagen bei der Darstellung eines scFv-Antiköprers in Betracht gezogen (vgl. BM6, S. 23, letzter Abs. bis S. 25, zweiter vollständiger Abs.).
Das Argument der Beklagten, der Fachmann erachte aufgrund der Figuren 1, 10 und 11 sowie dem in der Beschreibung der BM6 enthaltenen Hinweis, dass Fab-Antikörper häufiger verwendet werden als scFv-Antikörper (vgl. BM6, Fig. 1, 10 und 11 i. V. m. S. 21/22, seitenübergreifender Abs. und S. 31, Z. 5 bis 8), die technische Lehre der BM6 für scFv-Antiköper und Fab-Antikörper gleichermaßen als geeignet, vermag nach Ansicht des Senats nicht zu greifen, da sich weder im allgemeinen Teil der Beschreibung eine Offenbarung für die Selektion eines Fab-Antikörpers findet, noch in einem Ausführungsbeispiel der BM6, in dem eine Selektion spezifischer Bindungsmoleküle durchgeführt wird, Fab-Antikörper verwendet werden (vgl. BM6, S. 33, Beispiel 8 und S. 35, Beispiel 10), so dass der Fokus der technischen Lehre der BM6 eindeutig auf scFv-Antikörper gerichtet ist.
Zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage kann auch das Argument der Beklagten führen, die optionale Verwendung von Phagemiden sei nicht auf das Beispiel 1 beschränkt sondern allgemein aufzufassen und der Einsatz von Phagemiden in BM6 daher nicht auf scFv-Antiköprer beschränkt. Denn außer im Beispiel 1, das mit der Konstruktion von Vektoren und nicht mit dem selektiven Screening einer Bakteriophagenbibliothek befasst ist, findet sich an keiner anderen Stelle in der Beschreibung der BM6 ein Hinweis auf den Einsatz von Phagemiden, so dass die BM6 dem Fachmann keine Veranlassung bietet, diese auf Seite 25, erster vollständiger Absatz gegebene Information zu verallgemeinern.
Nach alledem kommt die Priorität der BM6 vom 12. November 1990 dem Patentanspruch 8 nach Hauptantrag sowie nach den Hilfsanträgen 1` und 2` nicht zu. Für die Beurteilung der Patentfähigkeit ist daher der bis zum Anmeldetag des Streitpatents, dem 10. Juli 1991, veröffentlichte Stand der Technik relevant.
2.3 Das Verfahren des Patentanspruchs 8 nach Hauptantrag ist mangels erfinderischer Tätigkeit nicht bestandsfähig.
Zum Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents war dem Fachmann bekannt, dass sich große kombinatorische Bibliotheken aus Antikörpermolekülen unterschiedlicher Spezifitäten mit Hilfe von Lambda Phagen herstellen lassen (vgl. BM10, Titel). Aus dem Dokument BM10 von Huse et al. war dem Fachmann überdies bekannt, dass sich mit dem auf dem Bakteriophagen Lambda basierenden Vektorsystem in E.coli auch kombinatorische Bibliotheken von funktionsfähigen Fab-Antikörpermolekülen gut darstellen lassen (vgl. BM10, S. 1275. Abstract i. V. m. S. 1276, li. Sp., zweiter Abs., letzter Satz). Für das Screening einer solchen Bibliothek wenden Huse et al. die Technik des sog. Plaque-Lifts an, bei der mit Phagen infizierte E.coli-Zellen zuerst ausplattiert werden und danach die Expression der Fab-Antikörper in den einzelnen Zell-Klonen durch Auflage eines Nitrocellulose-Filters induziert wird (vgl. BM10, S. 1279, Fig. 5 mit Text). Auf diese Weise werden zwei Filterabzüge von den Phagen-Plaques angefertigt, die anschließend mit einem markierten Antigen in Kontakt gebracht werden und so diejenigen Klone auf den Filtern identifiziert werden, die mit dem Antigen eine spezifische Bindung eingehen (vgl. BM10, S. 1278, re. Sp., zweiter Abs.). Da die exprimierten Antikörper von den E.coli-Zellen allerdings sekretiert werden, kommt es bei diesem Verfahren zu einer Trennung von Phänotyp und Genotyp, weshalb sich auf den Filterabzügen nur der Phänotyp nachweisen lässt. Um die für einen identifizierten Fab-Antikörper kodierende Nukleinsäure zu erhalten, muss daher erneut auf den ursprünglichen Bakterienklon zurückgegriffen werden, was die Handhabung einer großen Anzahl von Klonen bedeutet. Huse et al. erachten dies als nachteilig und weisen in BM10 daher darauf hin, dass die wirkungsvollsten Screening-Methoden auf der Selektion beruhen (vgl. BM10, S. 1277, li. Sp., erster Abs., 1. bis 3. vollständiger Satz und S. 1280, re. Sp. zweiter Abs., dritter Satz). Auch eine schnelle Durchführung des Verfahrens ist nach Ansicht der Autoren der BM10 nur bei Bibliotheksgrößen von 106 bis 107 Antikörpern möglich (vgl. BM10, S. 1280, re. Sp., zweiter Abs., dritter Satz). Um ein für Säugetiere übliches Repertoire an Antikörpern mit 106 bis 108 Spezifitäten durchsuchen zu können, schlagen Huse et al. daher vor, das in BM10 beschriebene Verfahren weiter zu verändern (vgl. BM10, S. 1279, re. Sp., zweiter Abs., erster und zweiter Satz).
Ausgehend von BM10 ergibt sich für den Fachmann somit die Notwendigkeit, nach einem Auswahlverfahren auf der Basis der Selektion zu suchen, um so größere Fab-Antikörper-Bibliotheken effizient durchsuchen zu können.
Vor die Aufgabe gestellt, ein Screeningsystem bereitzustellen, welches die bekannten Probleme des Standes der Technik vermindert oder beseitigt und die Herstellung einer sehr großen Anzahl verschiedener spezifischer Antikörpermoleküle ermöglicht, die ein rasches Sortieren der Moleküle bei jeder Klonierungsrunde sowie einen raschen Transfer des für das Bindungsmolekül kodierenden genetischen Materials von einer Stufe des Produktionsprozesses zur nächsten Stufe gestattet, wird der Fachmann daher die als Dokument BM15 zitierte Arbeit von Kang et al. zu Rate ziehen.
Wie in BM10 wird auch in BM15 das Screening einer kombinatorischen Bibliothek aus Fab-Antikörpermolekülen, die unterschiedliche Spezifitäten aufweisen, beschrieben (vgl. BM15, Titel i. V. m. S. 4363, li. Sp., erster Abs., vierter Satz). Kang et al. weisen in BM15 jedoch darauf hin, dass es sich bei diesem Verfahren im Vergleich zu dem Verfahren der BM10 um eine wesentlich effizientere Methode zur Erzeugung und Selektion von Fab-Antikörpermolekülen handelt (vgl. BM15, S. 4365, re. Sp., erster Abs.). Sie führen dies darauf zurück, dass bei diesem Verfahren jeder filamentöse Bakteriophage ein Phagemid-Genom enthält, welches die genetische Information für ein spezifisches Fab-Antikörpermolekül in sich trägt und zugleich auf seiner Oberfläche das entsprechende Fab-Antikörpermolekül präsentiert (vgl. BM15, S. 4363, li. Sp. Abstract). Anders als im Verfahren der BM10 sind die Informationen für Genotyp und Phänotyp bei dieser kombinatorischen Fab-Antikörperbibliothek folglich miteinander verbunden (vgl. BM15, S. 4363, li. Sp., zweiter Abs. und S. 4366, li. Sp., erster Abs.). Antigen-spezifische Phagenpartikel selektieren Kang et al. aus der Fab-Antikörperbibliothek durch einfaches Kontaktieren der Phagenpopulation mit Antigenen, die mit dafür spezifischen, auf der Phagenoberfläche präsentierten Fab-Antikörpern eine Bindung eingehen. Aufgrund der Phänotyp-/Genotyp-Kopplung erhalten die Autoren der BM15 mit diesem Verfahrensschritt zugleich auch die für den spezifischen Fab-Antikörper kodierende Information (vgl. BM15, S. 4364, re. Sp., vorletzter Abs., zweiter vollständiger Satz). Daraus erschließt sich dem Fachmann ohne Überlegungen erfinderischer Art, dass bei diesem Verfahren nach der Selektion eines spezifischen Fab-Antikörpermoleküls kein erneuter Rückgriff auf den ursprünglichen Bakterienklon erforderlich ist, um die für das Fab-Antikörpermolekül kodierende DNA in die Hand zu bekommen. Darüber hinaus findet sich in BM15 der Hinweis, dass die Isolierung der DNA des filamentösen Bakteriophagen eine schnelle Sequenzierung und Analyse des genetischen Aufbaus des selektierten Phagenantikörpers ermöglicht (vgl. BM15, S. 4366, li. Sp., dritter Abs.). Die selektive Anreicherung spezifischer Bakteriophagen-Klone schließt dabei das Abtrennen und Gewinnen des Bakteriophagen zwangsläufig mit ein (vgl. BM15, S. 4365, li. Sp., erster Abs., erster vollständiger Satz). Der Fachmann entnimmt der BM15 somit ein Verfahren, welches die patentgemäßen Merkmale 1 bis 1.1.7. aufweist. Aufgrund der Tatsache, dass Kang et al. das in BM15 beschriebene Verfahren als ein zur Entwicklung von therapeutisch und diagnostisch wichtigen Antikörpern geeignetes System in Betracht ziehen, war der Fachmann zudem veranlasst, im Anschluss an das Selektionsverfahren der BM15 - entsprechend den patentgemäßen Merkmalen 1.2 bis 1.4 - die für das selektierte Fab-Antikörpermolekül kodierende Nukleinsäure zu isolieren, diese in ein rekombinantes System einzubauen und das Fab-Antikörpermolekül im rekombinanten System zu erzeugen (vgl. BM15, S. 4366, spaltenübergreifender Abs.). Als vorteilhaft erachten die Autoren der BM15 auch eine nach der Selektion durchgeführte Mutation der selektierten Fab-Antikörper, da sie darin die Möglichkeit für eine schnelle Entwicklung von stark bindenden Antikörpern sehen (vgl. BM15, S. 4366, li. Sp., dritter Abs.).
Eine Zusammenschau von BM10 und BM15 legt somit nicht nur die Variante des Verfahrens nach Patentanspruch 8 ohne Veränderung des Fab-Antikörpermoleküls nach der Selektion nahe, sondern auch diejenige Variante des patentgemäßen Verfahrens, bei der nach der Selektion eine Derivatisierung des selektierten Fab-Antikörpers stattfindet.
Das Argument der Beklagten, in BM15 finde sich kein Hinweis auf die Bereitstellung einer Fab-Antikörperbibliothek, die im patentgemäßen Sinn eine Bandbreite von Bindungsspezifitäten aufweise, da die experimentellen Daten der BM15 nur die Anreicherung eines gegen das Tetanus-Antigen gerichteten Fab-Antikörpers aus einem Gemisch beträfen, welches zusätzlich lediglich gegen NPN (p-nitro-phenyl-phosphonamidat) gerichtete Fab-Antiköper enthalte, vermag nicht zu überzeugen. Denn zum einen ist dem Fachmann bekannt, dass die in wissenschaftlichen Artikeln wie der BM15 vermittelte technische Lehre in der Regel anhand von Versuchen belegt wird, die nur im Labormaßstab durchgeführt werden, so dass der Fachmann die wissenschaftliche Lehre solcher Artikel unter Heranziehung seines Fachwissens für einen Einsatz in der Praxis regelmäßig modifizieren muss. Demzufolge wird der Fachmann in den Daten der BM15 keine Beschränkung der darin offenbarten technischen Lehre auf das genannte Beispiel sehen. Zum anderen weiß der Fachmann, dass der an verschiedenen Stellen der BM15 verwendete Begriff „kombinatorisch“ per se eine Bibliothek mit großer Diversität umschreibt (vgl. BM15, Titel i. V. m. S. 4363, Abstract und li. Sp., erster und zweiter Abs.; BM10, Titel i. V. m. Abstract, S. 1276, Fig. 1 und S. 1277 bis 1278, Abschnitt „Library construction“).
Auch dem Argument der Beklagten, der Fachmann habe keine Veranlassung gehabt, das Selektionsverfahren der BM15 zu verwenden, da Kang et al. in BM15 darauf hinweisen würden, dass mit diesem System nur ähnlich große Bibliotheken wie in BM10 beschrieben durchsucht werden könnten, kann sich der Senat nicht anschließen. Denn der Fachmann erhält aus der BM15 den Hinweis, dass bei einem Screening der in BM10 beschriebenen kombinatorischen Bibliothek nur etwa 0,1 bis 1 % aller Mitglieder erfasst werden, während mit dem System der BM15 eine Affinitäts-Selektion in einer gleich großen Bibliothek möglich sei, bei der jedoch alle Mitglieder der Bibliothek erfasst werden (vgl. BM15, S. 4366, li. Sp., zweiter Abs.). Der Fachmann wird darin - wie auch Kang et al. - einen entscheidenden Vorteil sehen, da durch den Zugang zu einer größeren Zahl an Antikörpermolekülen auch die Wahrscheinlichkeit zunimmt, für ein bestimmtes Antigen einen spezifisch bindenden Antikörper in einer solchen kombinatorischen Bibliothek zu finden.
Der Patentanspruch 8 gemäß Hauptantrag ist mangels erfinderischer Tätigkeit daher nicht rechtsbeständig.
2.4 Die von den Beklagten hilfsweise verteidigten Fassungen gemäß den Hilfsanträgen 1` und 2` erweisen sich ebenfalls als nicht bestandsfähig.
Der Patentanspruch 8 des Hilfsantrags 1` bzw. 2` entspricht dem Patentanspruch 8 des Hauptantrags, mit der Ausnahme, dass die Falb-Antikörper bei diesem Verfahren als Fusionsproteine auf der Oberfläche der filamentösen Bakteriophagen präsentiert werden (Hilfsantrag 1`) bzw. die schwere Kette des auf der Oberfläche eines filamentösen Bakteriophagen-Teilchens präsentierten Fab-Antikörpermoleküls als Gen III-Fusionsprotein exprimiert wird (Hilfsantrag 2`). Damit mag der beanspruchte Gegenstand jeweils beschränkt worden sein. Nachdem in BM15 der gegen das Tetanus-Antigen gerichtet Fab-Antikörper sowohl bei einer Fusion mit dem Protein des Gens VIII (cpVIII) als auch mit dem Protein des Gens III (cpIII) das gleiche Ergebnis liefert und cpVIII dabei mit dem konstanten Teil der schweren Kette des Antikörpers fusioniert wird, ist auch das zusätzlich in den jeweiligen Patentanspruch 8 der Hilfsanträge 1` und 2` aufgenommene Merkmal nicht geeignet, eine erfinderische Tätigkeit zu begründen (vgl. BM15, S. 4364, li. Sp., zweiter und vierter Abs. i. V. m. Fig. 1 mit Text).
Daran ändert auch der Einwand der Beklagten nichts, der Fachmann werde cpIII nicht in Betracht ziehen, da Kang et al. cpVIII gegenüber cpIII als vorteilhaft ansehen, denn BM15 belegt trotz allem, dass eine Fusion mit cpIII erfolgreich durchgeführt werden kann (vgl. BM15, S. 4364, li. Sp., vierter Abs.). Zudem ist dem Fachmann bekannt, dass andere Forschungsgruppen wie McCafferty et al. Antikörper-Gen III-Fusionen vor dem Anmeldetag des Streitpatents bereits den Vorzug gegeben haben (vgl. BM14, S. 552/553, seitenübergreifender Abs. i. V. m. Fig. 1).
3. Ob die Anspruchsfassungen der Hilfsanträge 1 und 2 vom 2. Dezember 2011 unzulässig erweitert sind, kann dahingestellt bleiben. Diese Anspruchsfassungen sind schon deshalb unzulässig, weil darin jeweils nur der nicht angegriffene Patentanspruch 5, auf den der angegriffene Patentanspruch 8 rückbezogen ist, durch die Aufnahme eines neuen Merkmals geändert wurde. Dies ist nach geltender Rechtsprechung (BGH X ZR 61/99, Urteil vom 11.11.2003, veröffentlicht in juris, Rdn. 27 und BPatGE 36, 35) jedoch nicht zulässig, da Änderungen nicht im Streit stehender Patentansprüche im Nichtigkeitsverfahren auch im Wege der Selbstbeschränkung nicht in Betracht kommen. Die von der Beklagten zitierte Fundstelle Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., § 81 Rdn. 126 befürwortet die Beschränkung nicht angegriffener Patentansprüche ebenfalls nicht, denn sie betrifft wie aus Rdn. 127 ersichtlich nur den Fall einer rein redaktionellen Korrektur der Rückbezüge in nicht angegriffenen Unteransprüchen.
4. Der Senat hatte keine Veranlassung, entsprechend der Anregung der Parteien, Sachverständigengutachten zu den Fragen der Priorität, Verständnis des Streitpatents und erfinderischer Tätigkeit einzuholen, denn die Mitglieder des Senats verfügen über die notwendige Fachkunde und die von den Parteien für beweiserheblich gehaltenen Fragen betreffen außerdem rechtliche Bewertungen (vgl. dazu Thomas-Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 402 Vorbem. Rdn. 3; Schulte, PatG, 8. Aufl. § 81, Rdn. 161; Benkard, Patentgesetz, 10. Aufl., § 88 Rdn. 6; § 139, Rdn. 125).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.