Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 24.07.2012


BPatG 24.07.2012 - 3 Ni 15/11 (EP)

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
24.07.2012
Aktenzeichen:
3 Ni 15/11 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 711 158

(DE 60 2004 021 294)

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 24. Juli 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm, des Richters Guth, der Richterin Dipl-Chem. Dr. Proksch-Ledig, des Richters Dipl.-Chem. Dr. Gerster sowie der Richterin

Dipl.-Chem. Zettler

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 1 711 158 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 16. November 2004 beim europäischen Patentamt in der Amtssprache Englisch angemeldeten, die Priorität der italienischen Anmeldung IT CR20040004 vom 5. Februar 2004 in Anspruch nehmenden mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 711 158 (Streitpatent), das vom deutschen Patentamt unter der Nummer DE 60 2004 021 294 geführt wird. Das Streitpatent mit der Bezeichnung „Otic Detergent Composition for Animals, with EDTA and Chlorhexidine“ (Ohr-Spülzusammensetzung für Tiere mit EDTA und Chlorhexidin), das gemäß Hauptantrag in vollem Umfang und mit fünf Hilfsanträgen beschränkt verteidigt wird, umfasst in seiner erteilten Fassung 6 Patentansprüche, von denen die Patentansprüche 2 bis 6 auf den Patentanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind. Der erteilte Patentanspruch 1 lautet in deutscher Übersetzung:

Abbildung

2

Hinsichtlich des Wortlautes der erteilten Patentansprüche 2 bis 6 wird auf die Patentschrift EP 1 711 158 B1 verwiesen.

3

Die Klägerin greift das Streitpatent in vollem Umfang an und macht die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der unzureichenden Offenbarung geltend. Sie stützt ihr Vorbringen auf folgende Druckschriften:

4

K1 EP 1 711 158 B1

5

K2 Eingabe der Vertreter der Patentinhaberin im Prüfungsverfahren vor dem EPA vom 6. November 2004

6

K3 Prüfungsbescheid des EPA vom 19. Juli 2007

7

K4 Ullmann´s Encyclopedia of Ind. Chem., Vol. A 10, 1987, S. 95 bis 100

8

K5 Written opinion of the International Searching Authority zu PCT/IT2004/000627 (Int. Anmeldung des Streitpatents)

9

K6 Harper, W.E.S. et al, Paraplegia 21, 1983, S. 86 bis 93

10

K7 Harper, W.E.S. und Epis J. A., Microbios 51, 1987, S. 107 bis 112

11

K8 Klohnen, A. et al, AJVR, 57, 1996, S. 756 bis 761

12

K9 Ritchie, B.W. et al, Vet Clin Exot Anim, 7, 2004, S. 169 bis 189

13

K10 Wooley, R. E. et al, Dis Aquat Org, 59, 2004, S. 263 bis 267

14

K11 Boothe, D. M. „Small Animal Clinical Pharmacology and Therapeutics”, 2001, W.B. Saunders Comp, Philadelphia, USA, S. 196 bis 200

15

K12 US 6 538 155 B1

16

K13 Boothe, H. W., Veterinary Clinics of North America: Small Animal Practice, 28(2), 1998, S. 233 bis 248

17

K14 Internetausdruck http:/www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/1335944 zu FEMS Microbiol Lett., 1992 Dec. 15; 79 (1-3):211-5

18

K15 The American Heritage Dictionary, Sec College Ed., 1982, S. 880

19

K16 „Geriatrics and Gerontology of the Dog and Cat”, Hrsg. Hoskins J.D., 2003, W.B. Saunders Comp, Philadelphia, USA, S. 243 bis 251

20

Die Klägerin ist der Ansicht, der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann ihn ausführen könne. Die darin genannten Summenformeln seien - da dort Chlor nicht erwähnt werde - nicht mit deren wörtlicher Benennung vereinbar. Auch könne bei einem pH-Wert von 8 gemäß Patentanspruch 2 keine der beiden im Patentanspruch 1 zwingend vorgeschriebenen EDTA-Spezies vorliegen.

21

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei jeweils gegenüber den Druckschriften K6, K7, K8, K9 und K13 nicht neu, die die Verwendung der Kombination von Chlorhexidin, EDTA und Tris(hydroxymethyl)aminomethan als Hautantiseptikum offenbarten. Patentanspruch 1 sei kein zweckgebundener Erzeugnisanspruch im Sinne einer weiteren medizinischen Indikation, da die Bestimmungsangabe „otic“ lediglich „Ohren“ bedeute. Im Übrigen zeige K13 die besondere Wirksamkeit der Kombination von Chlorhexidinlösung und Tris-EDTA als Ohrenreinigungsmittel für Kleintiere.

22

Jedenfalls beruhe der Gegenstand des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Denn die Eignung von Chlorhexidin enthaltenden Spüllösungen und Tris/EDTA-Lösungen bei Otitis externa sei Lehrbuchwissen, wie sich aus K11 ergebe. Die aus K6, K7, K8, K9 und K13 bekannte synergistische Kombination der drei Wirkstoffe dann zu dieser Behandlung einzusetzen, sei für den Fachmann naheliegend. Dies gelte ebenso für die Hilfsanträge, die lediglich dem Durchschnittsfachmann geläufige Maßnahmen beinhalteten.

23

Die Klägerin stellt den Antrag,

24

das europäische Patent 1 711 158 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

25

Die Beklagte beantragt,

26

die Klage abzuweisen,

27

hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des Hilfsantrags 1 gemäß Schriftsatz vom 2. Februar 2012, weiter hilfsweise die Fassung der Hilfsanträge 2 bis 5 gemäß Schriftsatz vom 15. Juni 2012 erhält.

28

Die Patentansprüche 1 und 2 in der gemäß Hilfsantrag 1 beschränkt verteidigten Fassung lauten:

29

1. Ohrreinigungsmittel-Zusammensetzung zur Verwendung bei der Behandlung von Otitis externa für Tiere, insbesondere für Hunde und Katzen, mit einem Wirkstoff auf der Basis von Chlorhexidin und einem von Tris(hydroxymethyl)aminomethan-EDTA abgeleiteten Puffer, wobei der Wirkstoff auf der Basis von Chlorhexidin eine Lösung von Chlorhexidindigluconat, C34H54Cl2N10O14, oder Chlorhexidindichlorhydrat, C22H38Cl4N10, oder Chlorhexidindiacetat, C26H38Cl2N10O2, ist, wobei der von EDTA abgeleitete Puffer Dihydratdinatrium-EDTA, Na2H2EDTA.2H20, oder Ethylendiamintetraessigsäure, H4EDTA, ist.

30

2. Zusammensetzung nach Anspruch 1, weiterhin umfassend ein Ansäuerungs- oder Alkalisierungsmittel, so dass der pH der Zusammensetzung 8 beträgt.

31

Die nachgeordneten Patentansprüche 3 bis 6 entsprechen den erteilten Ansprüchen.

32

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 kombiniert die Ansprüche 1 und 2 des Hilfsantrags 1 miteinander. Die nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 5 entsprechen den erteilten Patentansprüchen 3 bis 6 mit angepassten Rückbezügen.

33

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 enthält zusätzlich zum Patentanspruch 1 die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 3. Die Rückbezüge der verbleibenden Patentansprüche 2 bis 4, die den erteilten Patentansprüchen 4 bis 6 entsprechen, sind angepasst.

34

Im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 sind die Merkmale der Patentansprüche 1 und 4 des Hilfsantrags 1 kombiniert. Die Patentansprüche 2 und 3 entsprechen den erteilten Ansprüche 5 und 6 mit angepassten Rückbezügen.

35

Der Patentanspruch gemäß Hilfsantrag 5 weist die Merkmale der Patentansprüche 1 und 6 des 1. Hilfsantrags auf.

36

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen und verweist auf folgende Dokumente:

37

B1 Voet, D. und Voet J.G., „Biochemie“, Verlag Chemie, Weinheim, S. 36 bis 39

38

B2 Perez, R. et al., Laryngoscope 110, 2000, S. 1522 bis 1527

39

B3 Larousse, Dictionary of Science and Technology, S 781.

40

Ein Offenbarungsmangel liege nicht vor, da es sich bei der Angabe der Summenformel um einen offensichtlichen Schreibfehler handle. Auch die Einstellung des pH-Werts mit den angegebenen Inhaltsstoffen bereite dem Fachmann keine Schwierigkeiten.

41

Die Beurteilung der Patentfähigkeit von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung richte sich nach Artikel 54 Abs. 4 und 5 EPÜ i. V. m. 138 EPÜ und Artikel II § 6 IntPatÜG, denn bei „otic“ handele es sich um einen lexikalisch nachweisbaren medizinischen Begriff.

42

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen sei neu gegenüber den Druckschriften K6, K7, K8 und K9, weil diese den Einsatz von Tris-EDTA/Chlorhexidin-Zusammensetzungen bei völlig anderen Leiden als Ohrenleiden beschrieben.

43

Der von der Klägerin genannte Stand der Technik könne den Gegenstand des Patentanspruchs 1 auch nicht nahelegen, denn die von der Klägerin genannten Druckschriften beschrieben die Anwendung von Tris-EDTA und von Chlorhexidin getrennt (K11) oder offenbarten die Verwendung von Chlorhexidin mit Antibiotika (K12). Keine der Druckschriften lehre die Kombination der drei Komponenten gemäß Anspruch 1 des erteilten Patents bzw. des Anspruchs 1 des Hilfsantrags zur Behandlung der Otitis externa, was insbesondere in Bezug auf K13 gelte, in der im Übrigen auch explizit auf die Ototoxizität von Chlorhexidin hingewiesen werde. Es sei auch kein Anlass ersichtlich, weshalb der Fachmann aus den in K13 zahlreichen für eine Kombination mit Chlorhexidin geeigneten Antiseptika gerade Tris-EDTA herausgreifen sollte.

44

Die Hilfsanträge umfassten besondere Ausführungsformen der Lehre des Streitpatents, die belegten, dass die patentgemäße Kombination der Komponenten zur Behandlung von Otitis externa erstmalig durch das Streitpatent gelehrt worden sei.

Entscheidungsgründe

I.

45

Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Offenbarung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit b EPÜ) und mangelnder Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ) gestützte Klage ist zulässig und auch begründet.

46

1. Das Streitpatent betrifft eine neue Ohrreinigungszusammensetzung für Tiere, insbesondere für Hunde und Katzen. Die Ohrreinigungszusammensetzungen der Erfindung werden zur Behandlung von externer Otitis von Tieren wie Hunden und Katzen eingesetzt.

47

Pharmazeutische Zusammensetzungen zur topischen Anwendung an Augen, Nase oder Ohren sind bekannt. Bekannte Produkte für diese Zwecke enthalten auch Chlorhexidin als aktiven Wirkstoff. Diese sind aber nur in hohen Konzentrationen wirksam, was unerwünschte Schädigungen mit sich bringt (Streitpatent K1 Abs. [0002, 0003]).

48

Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, neue Ohrenreinigungszusammensetzungen für Tiere, insbesondere für Hunde und Katzen, bereitzustellen, die bei niedrigerer Konzentration des aktiven Wirkstoffs Chlorhexidin, wirksam sind und daher besser toleriert werden können (K1 Abs. [0004]).

49

2. Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 durch eine

50

1. Ohrreinigungsmittel-Zusammensetzung für Tiere, insbesondere für Hunde und Katzen,

51

2. mit einem Wirkstoff auf der Basis von Chlorhexidin,

52

2.1 der eine Chlorhexidin-Digluconat-Lösung, oder

53

2.2 eine Chlorhexidin-Dichlorhydrat-Lösung oder

54

2.3 eine Chlorhexidin-Diacetat-Lösung ist,

55

3. und einem von Tris(hydroxymethyl)aminomethan-EDTA abgeleiteten Puffer, wobei der von EDTA abgeleitete Puffer

56

3.1 Dihydratdinatrium-EDTA, Na2H2EDTA.2H2O oder

57

3.2 Ethylendiamintetraessigsäure H4EDTA ist.

58

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags weist das folgende zusätzliche Merkmal auf:

59

1.1 zur Verwendung bei der Behandlung von Otitis externa.

60

3. Zuständiger Fachmann ist ein Team aus einem auf dem Gebiet der Formulierung von Hautreinigungsmitteln oder dermatologischen Zubereitungen vertrauten Chemiker oder Galeniker und einem mit der Behandlung von Kleintieren vertrauten Veterinärmediziner.

II.

61

1. Der erteilte Patentanspruch 1 des Hauptantrags geht aus den ursprünglichen Ansprüchen 1, 2 und 3 hervor. Die Ansprüche 2 bis 6 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 4 bis 8. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags ist zusätzlich aus Abs. [0001] des Streitpatents K1 entnehmbar, der auf S. 1 Abs. 1 der Erstunterlagen zurückgeht. Der Patentanspruch 1 des 2. Hilfsantrags geht darüber hinaus auf den erteilten Anspruch 2 zurück, der dem ursprünglichen Anspruch 4 entspricht. In den Patentanspruch 1 des 3. Hilfsantrag ist zusätzlich der Inhalt des erteilten Anspruchs 3, der aus dem ursprünglichen Anspruch 5 hervorgeht, aufgenommen. Der Patentanspruch 1 des 4. Hilfsantrags entspricht dem Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags und geht zusätzlich auf den erteilten Anspruch 4 zurück, der aus dem ursprünglichen Anspruch 6 abgeleitet ist. Der einzige Patentanspruch des 5. Hilfsantrags ist aus dem Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags und dem erteilten Anspruch 6 entnehmbar, der dem ursprünglichen Anspruch 8 entspricht. Die Anspruchsfassungen sind daher aus den erteilten und ursprünglichen Unterlagen ableitbar, was auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt wurde.

62

2. Das Streitpatent offenbart die Erfindung auch so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

63

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass die im erteilten Anspruch 1 des Hauptantrags angegeben Summenformeln für die Chlorhexidinderivate nicht mit den Benennungen der Derivate übereinstimmen. Dies trifft zwar zu. Es handelt sich bei sachgerechtem, die Patentansprüche und die Beschreibung in ihrem Zusammenhang würdigendem Verständnis jedoch um Schreibfehler, die so offensichtlich sind, dass für den Fachmann sofort erkennbar ist, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte und sich die Richtigstellung aus dem Gesamtinhalt der Offenbarung ohne weiteres aufdrängt (vgl. dazu Schulte, PatG, 8. Aufl., § 14 Rn. 28, § 38 Rn. 38; Benkard, PatG, 10. Aufl., § 38 Rn. 18). Denn in den Summenformeln fehlt das chemische Symbol für Chlor (Cl), das bei der Summenformel für Chlorhexidin aufscheinen müsste. Statt dessen findet sich anstelle „Cl“ nach der ersten Angabe für „C“ eine zweite Angabe für C12 bei Chlorhexidin-Diglukonat und Chlorehexidin-Diacetat (jeweils 2 Chloratome in der Summenformel) und C14 bei Chlorhexidin-Dichlorhydrat (4 Chloratome in der Summenformel). Bei der Angabe im Anspruch 1 und in der Beschreibung des Streitpatents ist somit der Buchstabe „l“ nach dem „C“ offensichtlich als „1“ im Index zu „2“ bzw „4“ angegeben worden. Die Angaben „Cl2" und „Cl4“ ergeben korrekte Summenformeln der Derivate.

64

Auch die Angabe der EDTA Derivate im Anspruch 1 als Dinatriumsalz bzw als freie Säure führt zu keiner Unstimmigkeit in Bezug auf Anspruch 2, wonach das Mittel auf einen pH von 8 eingestellt ist, wie die Klägerin vorgetragen hat. Es trifft zu, dass nach K4 das Dinatriumsalz und die freie Säure pH-Werte in 1%iger Lösung weit unterhalb 8 aufweisen oder nicht angegeben werden können (Tabelle 1 auf S. 96). Die Nennung der Derivate bedeutet jedoch, dass diese in der Zusammensetzung zwar wie angegeben eingesetzt werden, das Dinatriumsalz oder die freie Säure aber dann in der gepufferten Lösung dissoziieren und sich ein Dissoziationsgleichgewicht einstellt, das den geforderten pH ergibt oder dieser durch alkalische oder saure Zusätze eingestellt wird, wie auch den Absätzen [0010] bis [0013] des Streitpatents zu entnehmen ist. Dort wird nämlich Dinatrium -EDTA neben den anderen Bestandteilen in Wasser gelöst und Milchsäure bis zum Erreichen von pH 8 zugesetzt. Dies steht im Einklang mit K12. Dort wird der Tris-EDTA-Puffer auf einen pH-Wert zwischen 7,9 und 8,1 eingestellt (Anspruch 1).

65

3. Es kann dahinstehen, ob der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag neu i. S. v. Art. 54 EPÜ ist.

66

Es bestehen zwar bereits erhebliche Bedenken, ob es sich beim Patentanspruch 1 des Hauptantrags, der auf eine Ohrreinigungsungsmittel-Zusammensetzung gerichtet ist, um einen zweckgebundenen Stoffanspruch der 2. Indikation handelt, bei dem der Verwendungszweck die Neuheit gegenüber jeweils aus K6 bis K9 und insbesondere aus K13 bekannten Reinigungszusammensetzungen, die Chlorhexidin, Tris und EDTA enthalten, begründen könnte.

67

4. Die Gegenstände der jeweiligen Patentansprüche 1 gemäß Hauptantrag und 1. Hilfsantrag beruhen jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit i. S. v. Art. 56 EPÜ.

68

Zur Lösung der Aufgabe, neue Ohrreinigungszusammensetzungen, insbesondere zur Verwendung bei der Behandlung von Otitis externa, für Tiere, insbesondere für Hunde und Katzen, bereitzustellen, die bei niedrigerer Konzentration des aktiven Wirkstoffs Chlorhexidin wirksam sind und daher besser toleriert werden können konnte der Fachmann von K13, einem Übersichtsartikel in „Veterinary Clinics of North America: Small Animal Practice“, ausgehen.

69

Aus K13 ist eine antiseptische Reinigungszusammensetzung bekannt, die Chlorhexidin, Tris und EDTA enthält (S. 239 Abs. 1). Chlorhexidin wird in Form der Derivate Chlorhexidingluconat bzw Chlorhexidindiacetat und EDTA als Säure eingesetzt (S: 238 Abs. 2 und le: Abs.). Sowohl Chlorhexidin-Lösungen als auch Tris/EDTA-Lösungen werden nach K13 jeweils zur Behandlung von Otitis externa (Außenohrbehandlung) von (Klein)Tieren (K13 beschreibt die Kleintierpraxis, vgl. S. 233 unten) eingesetzt (S. 234 Tabelle 1 li. Sp, 238 Abs. 2 und S. 239 Abs. 1). Bekannt ist auch, dass Tris/EDTA den antibakteriellen Effekt von Chlorhexidindiacetat in Reinigungslösungen potenziert und dass der pH auf 8,0 eingestellt wird (S. 239 Abs. 1). Aus K13 erhält der Fachmann damit den Hinweis, dass die antibakterielle Wirkung von Chlorhexidindiacetat durch den Zusatz des Tris/EDTA-Puffers potenziert wird, also einen synergistischen Effekt aufweist, und damit die Konzentration an Chlorhexidin verringert werden kann. Der Fachmann wird gerade diesem Hinweis nachgehen und die Aufgabe durch Bereitstellung der Gegenstände der jeweiligen Ansprüche 1 des Haupt- und Hilfsantrags lösen.

70

Dem steht nicht entgegen, dass die sowohl aus K13 und K6 bis K9 bekannte Reinigungs- oder Waschlösung mit den drei Komponenten Chlorhexidin, Tris und EDTA bisher nicht zur Behandlung von Außenohrentzündungen von Tieren eingesetzt wurde, zumal die Veröffentlichung von K13 1998, also lediglich 6 Jahre vor dem Prioritätstag des Streitpatents erfolgt ist. Der Fachmann wird an der Bereitstellung der Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 des Haupt- oder 1. Hilfsantrags auch durch die 3 Jahre nach K13 publizierte Veröffentlichung K11 des gleichen Autors nicht gehindert, worin diese Zusammensetzung nicht zur Behandlung von Außenohrentzündungen beschrieben ist. Denn in K11 werden lediglich Ohrbehandlungsmittel beschrieben, die zu Hause hergestellt werden können oder durch Modifikation von Handelsprodukten erhältlich sind, wobei darauf hingewiesen wird, dass mit solchen Abwandlungen vorsichtig umzugehen sei (S. 198 Tabelle 10-5 i. V. m. re. Sp. Abs. 2). Demgegenüber werden in der erst kurz vor dem Prioritätstag des Streitpatents veröffentlichten Abhandlung K9 über die Verwendung von potenzierten Antibiotika bei der Wundbehandlung sowohl Zusammensetzungen mit Chlorhexidin und EDTA/Tris (Tricide) zur Wundreinigung empfohlen als auch implizit im Zusammenhang mit der Behandlung von Otitis externa im Veterinärbereich genannt (S. 171 Abs. 2, Box 1 und S. 172 Abs. 2). Auch kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, dass ein Vorurteil (vgl. dazu Schulte Patentgesetz, 8. Aufl., § 4, Rn. 127) gegenüber dem Einsatz von Chlorhexidin als Ohrreinigungsmittel bestanden habe, da es im Innen- und Mittelohr von Tieren toxisch sei. Denn in K13 wird ausdrücklich auf diesen Umstand hingewiesen und eine Chlorhexidinlösung, wie auch beim Streitpatent, zur Behandlung von Außenohrentzündungen (Otitis externa) vorgeschlagen (S 238 Abs. 2). Gerade der Review-Artikel K13 gibt im Gegensatz zur Auffassung der Patentinhaberin als Anleitung für die Kleintierpraxis die in verschiedenen Quellen beschriebenen Sachverhalte in einem sinnvollen und praxisnahen Zusammenhang wieder. Der Fachmann wird sich daher ohne einen besonderen Anlass nicht zunächst die Originalliteratur beschaffen und nur diese seinen Überlegungen zu Grunde legen. Aber auch ein Blick in die Originalliteratur zeigt, dass dort die hohe Wirksamkeit der Chlorhexidin, Tris-EDTA-Mischung beschrieben wird. Insbesondere in K7, einer Originalliteratur, wird auf die Eignung der Dreiermischung als topisches Antiseptikum hingewiesen, wobei dieser Mischung eine gesteigerte allgemeine Wirksamkeit gegenüber dem alleinigen Einsatz von Chlorhexidin zugesprochen wird. Ein synergistischer Effekt ist dabei aus der Tabelle 1 abzuleiten (S. 107, Abstract le. Satz, S. 108 Tabelle 1, S. 112 Abs. 3).

71

5. Auch die Gegenstände der jeweiligen Patentansprüche 1 der Hilfsanträge 2 bis 5 beruhen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

72

Der Patentanspruch 1 des 2. Hilfsantrags weist gegenüber dem Patentanspruch 1 des 1. Hilfsantrag das Merkmal auf, dass die Zusammensetzung weiterhin ein Ansäuerungs- oder Alkalisierungsmittel umfasst, so dass der pH-Wert der Zusammensetzung 8 beträgt. Diesen pH-Wert auch für eine Lösung mit Chlorhexidin/Tris/EDTA-Lösung einzustellen, wird der Fachmann wird von K13 angeregt. Nach K13 wird nämlich der pH-Wert der Tris/EDTA-Lösung auf 8 eingestellt. Chlorhexidin soll zwar nach K13 S. 237 le. Abs. zwischen pH 5,5 bis 7,0 die größte Aktivität entfalten, nach K7 weisen aber Zusammensetzungen mit TRIS und Chlorhexidin bei pH 7,4 oder 8,4 keine signifikanten Unterschiede in der Wirksamkeit auf (S. 109 Results Abs. 1). Bei der Wahl eines optimalen pH-Werts für die vorliegende Zusammensetzung wird sich der Fachmann am ph-Wert des Puffers orientieren, der für den Puffer Tris bei 8,08 liegt (vgl B1, S. 36 Tabelle 2-3), den er deshalb auch für die Tris/EDTA-Lösung einstellen wird.

73

Nach Patentanspruch 1 des 3. Hilfsantrags umfasst die Zusammensetzung Milchsäure als Ansäuerungsmittel, so dass der pH der Zusammensetzung 8 beträgt. Auch dieses Merkmal wird vom Stand der Technik nahegelegt. Bei K13 erfolgt zwar die Einstellung des pH-Werts der Tris/EDTA-Lösung mit Essigsäure. Durch K16 wird der Fachmann aber angeregt, Milchsäure auch für diesen Zweck zu verwenden, da Milchsäure in Lösungen zur Behandlung von Ohrenerkrankungen bereits eingesetzt wird (S. 244 Tabelle 15-1).

74

Der Patentanspruch 1 des 4. Hilfsantrags und der einzige Patentanspruch des 5. Hilfsantrags betreffen Ohrreinigungszusammensetzungen mit detaillierter Mengenangabe der einzelnen Inhaltsstoffe. Die Ermittlung der geeigneten Mengen der Inhaltsstoffe lässt aber keine Besonderheiten erkennen, die über das handwerkliche Können des mit der Bereitstellung solcher Zusammensetzungen betrauten Fachmanns hinausgehen. Auch der Zusatz von Propylenglykol in solchen Zubereitungen für die Verwendung im Bereich der Ohren von Hunden und Katzen ist für diesen Zweck dem Fachmann aus K16 bekannt (S. 244 Tabelle 15-1). Die Patentinhaberin konnte zur Stütze dieser Hilfsanträge lediglich vortragen, dass sie diese Kombination erstmalig überhaupt für den Einsatz am Ohr zugänglich gemacht habe. Wie dargelegt wird aber die Bereitstellung dieser Kombinationen an Inhaltsstoffen vom Stand der Technik nahegelegt und geht im Übrigen nicht über das Können des Fachmanns hinaus.

75

6. Mit den jeweiligen Patentansprüchen 1 fallen auch die mit dem Haupt- und den Hilfsanträgen verteidigten Unteransprüche des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 4. Im Übrigen lassen auch die Gegenstände dieser verteidigten Unteransprüche keinen eigenen erfinderischen Gehalt erkennen. Zu diesen Unteransprüchen wurde bereits vorstehend im Rahmen der Diskussion der Patentansprüche 1 der Hilfsanträge 2 bis 5 Stellung genommen, da diese jeweils Kombinationen einzelner Unteransprüche mit dem Patentanspruch 1 des Hilfsantrags betreffen.

III.

76

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.

77

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.