Entscheidungsdatum: 25.04.2017
In der Patentnichtigkeitssache
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betreffend das europäische Patent 1 200 092
(DE 600 10 089)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. April 2017 durch den Richter Kätker als Vorsitzenden, die Richterinnen Martens und Dipl.-Chem. Dr. Münzberg, den Richter Dipl.-Chem. Dr. Jäger und die Richterin Dipl.-Chem. Dr. Wagner
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 200 092 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung jeweils in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 1. August 2000 unter Inanspruchnahme der Priorität aus der Anmeldung US 147048 P vom 3. August 1999 als internationale Patentanmeldung PCT/US2000/020981 in englischer Sprache angemeldeten und vor dem europäischen Patentamt in der regionalen Phase erteilten europäischen Patents 1 200 092 (Streitpatent), dessen Erteilung mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland beim Europäischen Patentamt am 21. April 2004 bekannt gemacht wurde und das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 600 10 089 geführt wird. Das Streitpatent, das in vollem Umfang und hilfsweise beschränkt mit neun Hilfsanträgen verteidigt wird, betrifft „Beta-Carboline Drug Products“ ("Beta-Carbolin Arzneistoffprodukte") und umfasst Fassung 19 Patentansprüche, von denen die nebengeordneten Patentansprüche 1, 5, 8, 10, 12, 13 und 16 wie folgt lauten:
In deutscher Sprache lauten sie:
Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1, 5, 8, 10, 12, 13 und 16 rückbezogenen Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerinnen, die das Streitpatent in vollem Umfang angreifen, machen die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der fehlenden Ausführbarkeit geltend
Sie stützen ihr Vorbringen u. a. auf folgende Dokumente:
N1/NiK1 EP 1 200 092 B1 (Streitpatent)
N2 DE 600 10 089 T2 (Streitpatent in der deutschen Übersetzung)
N3/NiK4 WO 01/08688 A2 (Offenlegungsschrift)
N4/NiK2 US 60/147,048 (Prioritätsanmeldung zum Streitpatent)
N5/NiK5 WO 01/08686 A1
N6 WO 95/19978 A1
N7 WO 97/03675 A1
N8/NiK7 WO 96/38131 A1
N9 Lieberman, H.A., et al. (Eds.), "Pharmaceutical Dosage Forms: Tablets", Bd. 1, 2. Aufl., Marcel Dekker, Inc., New York, 1989, S. 1, 2, 5 und 6
N9a S. 57 bis 62 der N9
N10 Gibaldi, M., "Biopharmaceutics and Clinical Pharmacokinetics", 4. Aufl., Lea & Febiger, Philadelphia 1991, S. 51
N11 Gennaro, A. R. (Ed.), "Remington: The Science and Practice of Pharmacy“, 19. Aufl., Mack Publishing Comp., Easton, 1995, S. 1449
N12 Chaumeil, J.C., "Micronization: A Method of Improving the Bioavailability of Poorly Soluble Drugs“, Meth. Find. Exp. Clin. Pharmacol. 1998, 20, S. 211 bis 215
N13 US 4,721,709
N16 WO 01/08687 A1
N17/NiK6 EP 1 120 120 A1
N17a WO 00/20033 A1 (internationale Patentanmeldung zu N17/NiK6)
N17b/NiK6b Englische Übersetzung der Prioritätsanmeldung 10-295947 der N17/NiK6
N17c/NiK6a Englische Übersetzung der Prioritätsanmeldung 10-282378 der N17/NiK6
N20 Bauer, K. H., et al., "Pharmazeutische Technologie", 4. Aufl., Georg Thieme Verlag Stuttgart, 1993, S. 202 und 203
N25/NiK12 US 5,859,006
NiK8 Ansel, H.C., et al., "Pharmaceutical Dosage Forms and Drug Delivery Systems", 6. Aufl., A Lea & Felbiger Book, Williams & Wilkins, Baltimore, 1995, S. 63 und 64
NiK9 Lieberman, H. A., et al. (Eds.), "Pharmaceutical Dosage Forms - Tablets", Bd. 1, 2. Aufl., Marcel Dekker, Inc., New York, 1989, S. 23
NiK10 Voigt, R., und Bornschein, M., "Lehrbuch der pharmazeutischen Technologie", 6. Aufl., VEB Verlag Volk und Gesundheit, Berlin, 1987, S. 471 und 472
NiK13 Boolell, M., "Sildenafil: an orally active type 5 cyclic GMP-specific phosphodiesterase inhibitor for the treatment of penile erectile dysfunction", International Journal of Impotence Research, 1996, S. 47 bis 52
NiK14 Goldstein, I., "Oral Sildenafil (Viagra™) For The Treatment Of Erectile Dysfunction", British Journal of Urology 80, supp. 2, 1997, S. 91, Nr. 356
Nach Auffassung der Klägerinnen sind die Gegenstände der nebengeordneten Patentansprüche des Streitpatents nicht neu gegenüber den Druckschriften N5/NiK5, N16 und N17/NiK6.
Für das Streitpatent sei die Priorität bereits formalrechtlich nicht wirksam in Anspruch genommen worden, so dass die Druckschriften N5/NiK5 und N16 Stand der Technik i. S. d. Art. 54 Abs. 3 EPÜ seien. Die Anmelderin des Streitpatents, L… LLC, sei nicht Inhaberin des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität der Voranmeldung US-60/147,048 (N4/NiK2), da sie nicht belegt habe, dass sie Rechtsnachfolgerin der fünf Anmelder dieser Patentanmeldung sei.
Das Streitpatent nehme auch materiell-rechtlich die Priorität der Voranmeldung N4 nicht wirksam in Anspruch, da insbesondere Tadalafil der N4 nicht zu entnehmen sei und somit keine Identität der Erfindungen bestehe.
Die somit hinsichtlich der Neuheit zu berücksichtigenden Druckschriften N5/NiK5 und N16 offenbarten sämtliche Merkmale der nebengeordneten Patentansprüche des Streitpatents. Dies gelte auch für die in Patentanspruch 8 beanspruchten Blutkonzentrationswerte, die sich bei der in den Druckschriften explizit offenbarten Teilchengröße zwangsläufig ergäben und daher inhärent offenbart seien.
Auch die in jedem Fall zeitrangältere Druckschrift N17 nehme die Gegenstände des Streitpatents angesichts der breiten Definition der Teilchengrößenverteilung im Streitpatent neuheitsschädlich vorweg.
Zudem beruhten die Gegenstände des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Sie seien insbesondere durch eine der Druckschriften N6 oder N7, jeweils in Verbindung mit dem Fachwissen nahe gelegt. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten kämen die Druckschriften N6 und N7 durchaus als geeigneter Ausgangspunkt in Betracht, insbesondere die N7, die Tadalafil spezifisch beschreibe und dessen Verwendung zur Behandlung der erektilen Funktionsstörung angebe. Der einzige Unterschied zum Streitpatent liege in der von diesem beanspruchten kleinen durchschnittlichen Teilchengröße. Die Verkleinerung der Teilchengröße durch Mikronisierung gehöre aber zum allgemeinen Fachwissen auf dem Gebiet der Arzneimittel, was durch verschiedene Druckschriften, insbesondere Fach- und Lehrbuchauszüge, zu belegen sei, so dass der Fachmann auf diese Standardmethode bei der Erhöhung der Löslichkeit mit angemessener Erfolgserwartung zurückgreifen werde. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung anhand von Modellen gemäß den Druckschriften HL7 und HL8 Berechnungen zur Permeabilität von Tadalafil vorgenommen habe, um daraus eine mangelnde Erfolgserwartung des Fachmanns herzuleiten, sei dem entgegenzuhalten, dass die HL7 nachveröffentlicht und die Ausführungen der Beklagten zudem auf einer Vielzahl von Annahmen beruhten, von denen der Fachmann nicht ausgehen werde.
Zudem seien die Gegenstände der Patentansprüche 1, 5 und 8 nicht so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Das Streitpatent lege nicht fest, nach welchem von mehreren genannten Verfahren, die jeweils zu unterschiedlichen Messwerten führten, die Teilchengröße zu bestimmen sei. Das Streitpatent enthalte daher keine ausreichende Offenbarung zur zuverlässigen Bestimmung des beanspruchten Parameters der Partikelgröße.
Weiter seien die Gegenstände des Patentanspruchs 8 und der darauf rückbezogenen Patentansprüche 9 und 16 bis 19 auch deshalb nicht ausführbar, weil die darin beanspruchte freie Arzneistoffform von Tadalafil nicht im mikronisierten Zustand vorliegen müsse, das Streitpatent dem Fachmann jedoch keine ausreichenden Informationen gebe, wie er die beanspruchten pharmakokinetischen Eigenschaften erhalten könne, wenn die beanspruchte Verbindung in einer anderen als der mikronisierten Form eingesetzt werde.
Entsprechendes gelte für die Gegenstände der Hilfsanträge.
Die Klägerinnen beantragen,
das europäische Patent 1 200 092 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen,
hilfsweise die Klagen mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 9 gemäß Schriftsatz vom 29. März 2016 und vom 28. März 2017 erhält.
Gemäß Hilfsantrag 1 wird die in den erteilten Patentansprüchen 1, 5 und 10 enthaltene Angabe "von weniger als etwa 40 Mikron" durch folgende Angabe ersetzt:
"von 1 Mikron bis weniger als etwa 40 Mikron…"
Gemäß Hilfsantrag 2 wird an die erteilten Patentansprüche 1, 5 und 8 jeweils folgender Zusatz angefügt:
"…; zur oralen Verabreichung der Verbindung in einer täglichen Dosis von 1 mg bis 20 mg."
Zudem wird an die erteilten Patentansprüche 13 und 16 jeweils folgender Zusatz angefügt:
"…, dadurch gekennzeichnet, dass das Arzneimittel für die orale Verabreichung einer täglichen Dosis von 1 mg bis 20 mg formuliert ist."
Der erteilte Patentanspruch 19 wird gestrichen.
Die Patentansprüche 1, 4 und 9 gemäß Hilfsantrag 3 entsprechen - in dieser Reihenfolge - den Patentansprüchen 1, 5 und 10 gemäß Hilfsantrag 1 mit dem Unterschied, dass die Angabe der Obergrenze der Teilchengröße von "etwa 40 Mikron" durch die Angabe "etwa 25 Mikron" ersetzt wird. Der erteilte Patentanspruch 2 wird gestrichen. Die Nummerierung und die Rückbezüge der übrigen Patentansprüche werden entsprechend angepasst.
Hilfsantrag 4 entspricht Hilfsantrag 2 mit dem Unterschied, dass die in den Patentansprüchen 1, 5, 8, 13 und 16 enthaltene Dosisangabe nunmehr "5 mg bis 20 mg" lautet.
Die Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 5 entsprechen den erteilten Patentansprüchen, mit dem Unterschied, dass die erteilten Patentansprüche 8, 9 und 16 bis 18 gestrichen und die Nummerierung und die Rückbezüge der weiteren Patentansprüche entsprechend angepasst wird.
Die Hilfsanträge 6 bis 9 entsprechen - in dieser Reihenfolge - den Hilfsanträgen 1 bis 4, jeweils mit dem Unterschied, dass die Patentansprüche 8, 9 und 16 bis 18 bzw. bei Hilfsantrag 8 die ihnen entsprechenden Patentansprüche 7, 8 und 15 bis 17 unter Anpassung der Nummerierung und der Rückbezüge der übrigen Patentansprüche gestrichen werden.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie verweist auf folgende Dokumente:
HL1 "Research and Development Service Agreement" zwischen Eli Lilly and Company, lcos Corporation und Lilly lcos LLC, in Kraft (“Effective”): 30. September 1998
HL2 "YOU AND YOUR JOB" (Auszug aus dem Employee Handbook von Eli Lilly and Company) mit der Angabe "8-98", Seite 35 bis 37
HL3 Janis, M. D., Rechtsgutachten ("Affidavit of Mark D. Janis"), undatiert, 20 Seiten
HL3a deutsche Übersetzung der HL3
HL4 Europäisches Arzneibuch, 8. Ausgabe, 4. Nachtrag vom 31. August 2015, S. V; Grundwerk 2014, S. 1059; 2. Nachtrag, S. 5614 bis 5617
HL5 Yalkowsky, S. H., "Solubility and Solubilization in Aqueous Media", Oxford University Press, New York, 1999, S. 417 bis 439
HL6 Voigt, R. und Bornschein, M., "Pharmazeutische Technologie für Studium und Beruf", 7. Aufl., Ullstein Mosby, Berlin, 1993, S. 78 bis 81
HL7 Yu, L. X., "An Integrated Model for Determining Causes of Poor Oral Drug Absorption", Pharmaceutical Research, 1999, 16, S. 1883 bis 1887
HL8 Oh, D.-M., et al., "Estimating the Fraction Dose Absorbed from Suspensions of Poorly Soluble Compounds in Humans: A Mathematical Model", Pharmaceutical Research, 1993, 10, S. 264 bis 270
HL9 Aulton, M. E. (Ed.), "Pharmaceutics: The Science of Dosage Form Design", Churchill Livingstone, Edinburgh, 1988 (reprinted 1998), S. 135, 156 und 157
HL10 von Bruchhausen, F., et al. (Eds.), "Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis", 5. Aufl., Springer Verlag, Berlin, 1991, S. 846
HL11 Gennaro, A. R. (Ed.), "Remington: The Science and Practice of Pharmacy“, 19. Aufl., Mack Publishing Comp., Easton, 1995, S. 593 bis 604
HL12 Gibaldi, M., "Biopharmaceutics and Clinical Pharmacokinetics", 4. Aufl., Lea & Febiger, Philadelphia 1991, S. 52
HL13 Lin, S.-L., et al., "Interdependence of Physiological Surfactant and Drug Particle Size on the Dissolution Behavior of Water-Insoluble Drugs", J. Pharm. Sci., 1968, 57, S. 2143 bis 2148
HL14 Sheen, P.-C., et al., "Bioavailability of a Poorly Water-Soluble Drug from Tablet and Solid Dispersion in Humans", J. Pharm. Sci., 1991, 80, S. 712 bis 714
HL15 Wu, Y., et al., "The role of biopharmaceutics in the development of a clinical nanoparticle formulation of MK-0869: a Beagle dog model predicts improved bioavailability and diminished food effect on absorption in human", Int. J. Pharm., 2004, 285, S. 135 bis 146
HL16 WO 2012/085927 A2
HL17 Janis, M. D., Rechtsgutachten ("Declaration of Mark D. Janis For the German Federal Court case 3 Ni 10/15 (EP)"), v. 8. Dezember 2016, 18 Seiten
HL17a deutsche Übersetzung zu HL17, 21 Seiten
HL18 eidesstattliche Versicherungen von G.A. Stephenson, K.J. Hartauer, N.R. Anderson, M. Kral, S. Zeckel
HL19 WO 2012/095151 A1
HL20 IUPAC Tentative Rules for the Nomenclature of Organic Chemistry -Sec. E. Fundamental Stereochemistry, Eur. J. Biochem, 1971, 18, S. 151 bis 170
HL21 WO 02/00656 A2
HL22 Hanessian, S. und Wang, J., "Design and synthesis of a cephalosporin–carboplatinum prodrug activatable by a β-lactamase, Can. J. Chem., 1993, 71, S. 896 bis 906
HL23 Leuner, C. und Dressman, J., "Improving drug solubility for oral delivery using solid dispersions", European Journal of Pharmaceutics and Biopharmaceutics, 2000, 50, S. 47 bis 60
HL24 US 4,151, 273
HL25 US 2007/0104792 A2
HL26 Eksaengsri, A., et al., "Dissolution Improvement of Tablets containing a Poor Water-soluble Tadalafil by Solubilizer", Paper W5265, 2013 AAPS Annual Meeting and Exposition, 13. November 2013, Abstract
HL27 Beck, M. D., "Legal Report concerning Lilly ICOS' status as "Successor in Title" to US Provisional Application Number: 60/147,048", vom 3. Juni 2016, 14 Seiten
HL28 "Assignment"-Urkunde, vom 11. August 2000, Atty. Docket No. 29342/36539, 2 Seiten
HL29 Kondo, N., et al., "Improved Oral Absorption of Enteric Copreciptitates of a Poorly Soluble Drug", J. Pharm. Sci., 1994, 83, S. 566 bis 570
HL30 EMEA, "Scientific Discussion" (for the approval of Cialis), EMEA 2005, S. 1 bis 20
HL31 CAS Registry Handbook Number Section – 1995 Supplement, 8149RX
HL32 The Merck Index, 15th Ed., 2013, S. 1669 und 1670
HL33 Ausdruck aus der Internetseite www.nrcresearchpress.com/toc/cjc/ 71/6 vom 21. März 2017, 3 Seiten
HL34 Tribunal de grande instance de Paris vom 16. März 2017, No. RG 15/07920
HL35 Chiou, W.L. und Riegelman, S., "Absorption Characteristics of Solid Dispersed and Micronized Griseofulvin in Man", J. Pharm. Sci., 1971, 60, S. 1376 bis 1380
HL36 Chiou, W.L. and Riegelman, S., "Pharmaceutical Applications of Solid Dispersion Systems", J. Pharm. Sci., 1971, 60, S. 1281 bis 1302
HL37 Lieberman, H. A., et al. (Eds.), "Pharmaceutical Dosage Forms - Tablets", Bd. 1, 2. Aufl., Marcel Dekker, Inc., New York, 1989,S. 17 u. 18
HL38 Goldstein, I., et al., "Oral Sildenafil In The Treatment Of Erectile Dysfunction", The New England Journal of Medicine, 1998, 338, S. 1397 bis 1404
Nach Auffassung der Beklagten sind die Gegenstände der nebengeordneten Patentansprüche des Streitpatents patentfähig und ausführbar.
Die Priorität der Voranmeldung werde für das Streitpatent zu Recht in Anspruch genommen. Gemäß dem zum Prioritätszeitpunkt in den USA geltenden First-To-Invent-Prinzip habe die Voranmeldung US-60/147,048 (N4) auf den Namen der fünf Erfinder eingereicht werden müssen. Die Anmelderin der Nachanmeldung, L… LLC (heute: I… Corp.), sei jedoch Rechtsnachfolgerin der Anmelder i. S. d. Art. 87 Abs. 1 EPÜ geworden, denn sie habe die Rechte an der Erfindung und damit das Prioritätsrecht im Wege einer – nach US-Recht zulässigen – mehrfachen Vorausabtretung erworben.
Entgegen der Auffassung der Klägerinnen nehme das Streitpatent die Priorität der Voranmeldung N4 auch materiell-rechtlich wirksam in Anspruch. Denn Vor- und Nachanmeldung beträfen dieselbe Erfindung, da sogar die chemische Bezeichnung "Tadalafil", wie sie von der EMA und in der chemischen Fachliteratur verwendet würde, in der N4 genannt sei.
Nachdem die Priorität des Streitpatents somit wirksam in Anspruch genommen werde, fehle es den Druckschriften N5/NiK5 und N16 an einem früheren Zeitrang, so dass sie nicht für die Neuheitsprüfung in Betracht kämen. Auch die N17/NiK6 könne den Streitgegenstand nicht vorwegnehmen, weil der dort offenbarte durchschnittliche Teilchendurchmesser nicht der im Streitpatent beanspruchten spezifischen Teilchengröße entspreche.
Die Gegenstände des Streitpatents beruhten auch auf erfinderischer Tätigkeit. Die Druckschriften N6 und N7 kämen nicht als Ausgangspunkt in Betracht. Weder beschäftigten sich diese mit der Formulierung schlecht wasserlöslicher Wirkstoffe noch stellten sie dabei gezielt Formulierungen für den therapeutischen Einsatz von Tadalafil bereit. Die N7 schlage allgemein eine Fülle von Applikationswegen für die darin behandelten Wirkstoffe vor, etwa mit je nach Applikationsweg gewählten Standard-Hilfsstoffen oder auch die Verabreichung ohne jegliche Hilfsstoffe. Eine etwaige schlechte Wasserlöslichkeit werde nicht thematisiert.
Die einzige Druckschrift, die dieses Problem angehe, und damit die einzig spezielle und aussichtsreiche Offenbarung auf der Suche nach Verbesserungen darstelle, sei die N8/NiK7. Diese Druckschrift löse das Problem aber durch Copräzipitation, also durch innige Einbettung in einer polymeren Trägersubstanz, und könne daher den Streitgegenstand nicht nahe legen. Der Fachmann habe ausgehend von N8/NiK7 keinen Anlass gehabt, den Weg der Copräzipitation zu verlassen und die freie Arzneistoffform von Tadalafil zu mikronisieren, zumal die Copräzipitation hinsichtlich der Löslichkeit und der Auflösungsgeschwindigkeit gegenüber in Frage kommender Alternativen überlegen sei und die N8/NiK7 auch nicht in die Richtung der Mikronisierung weise.
Zudem sei die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Das Streitpatent beschreibe ganz konkrete Verfahren, wie die Teilchengröße und Teilchengrößenverteilung eingestellt und gemessen werden könnten. Auch die Gegenstände des Patentanspruchs 8 und der darauf rückbezogenen Patentansprüche seien ausführbar. Denn zum einen setze Patentanspruch 8 die freie Arzneistoffform des Wirkstoffs Tadalafil voraus und zum anderen gebe das Streitpatent dem Fachmann mit der Bereitstellung von Tadalafil in mikronisierter Form einen Weg an die Hand, die beanspruchten Blutkonzentrationen zu erhalten.
Zum Verständnis des Fachmanns hat die Beklagte Sachverständigenbeweis angeboten.
Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) und der mangelnden Ausführbarkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 b) EPÜ) gestützten Klagen sind zulässig und erweisen sich auch als begründet.
I.
1. Das Streitpatent betrifft die Verbindung mit der Formel (I)
eine ß-Carbolin-Verbindung, die zur Behandlung verschiedener medizinischer Indikationen nützlich ist, bei denen die Hemmung von cGMP-spezifischer Phosphodiesterase Typ 5 (PDE5) gewünscht ist, insbesondere bei der Behandlung von sexuellen Funktionsstörungen (vgl. N1/NiK1 Patentansprüche 1, 5, 8, 10, 12, 13 und 16 sowie S. 2 Abs. [0002] und S. 2/3 Abs. [0008]).
Die schlechte Löslichkeit vieler als PDE5-Inhibitoren nützlicher -Carbolinverbindungen, hat zur Entwicklung von Copräzipitat-Zubereitungen geführt. Dabei tritt allerdings die Schwierigkeit auf, die Copräzipitatprodukte in genau reproduzierbaren Chargen herzustellen. Zudem wird mit diesen die maximale Plasmakonzentration an Wirkstoff erst nach drei bis vier Stunden erreicht. Dies erweist sich jedoch als zu langsam, da bei der Behandlung sexueller Funktionsstörungen, wie etwa der erektilen Funktionsstörung des Mannes oder der sexuellen Erregungsstörung der Frau, häufig ein schnelleres Erreichen maximaler Blutkonzentration erwünscht ist (vgl. N1/NiK1 S. 2 Abs. [0005] und [0006]).
2. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent die objektive Aufgabe zu Grunde, eine oral zu verabreichende Form der -Carbolin-Verbindung mit der Formel (I) bereitzustellen, die eine verbesserte Bioverfügbarkeit und damit verbunden eine höhere therapeutische Wirksamkeit aufweist (vgl. N1/NiK1 S. 2 Abs. [0006] le. Satz).
3. Gelöst wird diese Aufgabe durch eine teilchenförmige freie Arzneistoffform nach den Patentansprüchen 1 und 12, durch deren Herstellungsverfahren gemäß Patentanspruch 10, durch pharmazeutische Zusammensetzungen nach den Patentansprüchen 5 und 8, die eine freie Arzneistoffform der Verbindung mit der Formel (I) umfassen, und durch die Verwendung der freien Arzneistoffform bzw. der pharmazeutischen Zusammensetzungen gemäß den Patentansprüchen 13 und 16.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag weist folgende Merkmale auf (vgl. N1/NIK1):
1 Teilchenförmige freie Arzneistoffform
2 einer Verbindung mit der Formel
und pharmazeutisch annehmbarer Salze und Solvate derselben,
3 in der die Verbindung als feste Teilchen vorliegt, die nicht innig in einem polymeren Copräzipitat eingebettet sind,
4 wobei wenigstens 90% der Teilchen eine Teilchengröße von weniger als etwa 40 Mikron besitzen.
Bei der im Merkmal 2 des Patentanspruchs 1 angegebenen Strukturformel handelt es sich um die chemische Formel der Verbindung (6R,12aR)-2,3,6,7,12,12a-hexahydro-2-methyl-6-(3,4-methylenedioxyphenylpyrazino[2',1':6,1]pyrido[3,4-b]indol-1,4-dion, die von der WHO den internationalen Freinamen Tadalafil erhalten hat (vgl. N1/NiK1 S. 5 Abs. [0031]; vgl. HL32 S. 1669/1670 Eintrag 9157).
4. Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um einen pharmazeutischen Technologen mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Galenik, der die mit schwerlöslichen Wirkstoffen verbundenen Schwierigkeiten kennt und Formulierungstechnologien einzusetzen weiß, mit denen die Bioverfügbarkeit solcher Wirkstoffe verbessert werden kann.
II.
Die Patentansprüche 1 bis 19 gemäß Hauptantrag erweisen sich mangels Patentfähigkeit als nicht bestandsfähig.
1. Im Ergebnis kann es dahingestellt bleiben, inwiefern die von den Klägerinnen geltend gemachte mangelnde Ausführbarkeit gegeben ist. Auch die aufgeworfene Frage zur wirksamen Inanspruchnahme der Priorität der Voranmeldung N4 durch das Streitpatent sowie die Frage der Neuheit bedürfen keiner abschließenden Klärung, da die Bereitstellung der streitpatentlichen Gegenstände jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
a) Bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit ist zunächst zu klären, was die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich leistet (BGH GRUR 2003, 693 – Hochdruckreiniger) und ob der Fachmann Veranlassung hatte, diesen Stand der Technik zu ändern. Dabei besteht bei der Wahl des Ausgangspunktes kein Vorrang eines "nächstkommenden Standes der Technik" (BPatG GRUR 2004, 317 – Programmartmitteilung; BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin). Vielmehr bedarf es bei der Auswahl des Ausgangspunktes der Rechtfertigung, die in der Regel in dem Bemühen des Fachmannes liegt, für einen bestimmten Zweck eine andere Lösung zu finden, als sie der bekannte Stand der Technik zur Verfügung stellt. Um die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen, bedarf es daher über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinaus ausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe (BGH GRUR 2009, 746 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung sowie BGH GRUR 2009, 1039 – Fischbissanzeiger).
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben hat der Fachmann, der mit der Suche nach einer Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe betraut ist, seinen Fokus auf die Inhibitoren der cGMP-spezifischen Phosphordiesterase betreffende Druckschrift N7 gerichtet, weil diese Druckschrift dasselbe Fachgebiet wie das Streitpatent betrifft und somit im Blickfeld des Fachmannes liegt. Die N7 zeigt die Verwendung der darin beschriebenen PDE-Inhibitoren, insbesondere von Tadalafil, zur Behandlung der erektilen Dysfunktion durch orale Verabreichung des Wirkstoffs auf (vgl. N7 Patentansprüche 1, 2, 4, 6, 8 bis 10, S. 3 Z. 24 bis 25 und 30 bis S. 4 Z. 1, S. 5 Abs. 2, S. 6 Abs. 1, S. 10/11 "Example 1"). Allerdings erfährt der Fachmann hinsichtlich der Bioverfügbarkeit von Tadalafil aus N7 einzig, dass mit Tadalafil ein IC50-Wert von 2 nM erreicht wird (vgl. N7 S. 17 Tab. 1). Nachdem ihm weitergehende Angaben zur Bioverfügbarkeit von Tadalafil fehlen, wird er diese näher untersuchen. Dabei wird er aufgrund seines Fachwissens berücksichtigen, dass Tadalafil eine schlechte Löslichkeit in Wasser aufweist, wodurch er zugleich – bestätigt durch die einheitliche Meinung in der Fachliteratur – eine Ursache für eine möglicherweise unzureichende Bioverfügbarkeit erkennt. (vgl. NiK10 S. 471/472 seitenübergr. Abs. bzw. HL6 S. 80 Kap. "2.2.3.1 Allgemeines" Abs. 1; vgl. N12 S. 211 li. Sp. Abs. 1 und spaltenübergr. Abs.; vgl. N20 S. 203 li. Sp. Abs. 3). Der Überschuss der im Patentanspruch 1 vermittelten Lehre gegenüber der Lehre der N7 besteht somit ausschließlich in der zu einer besseren Bioverfügbarkeit führenden Teilchengrößenverteilung gemäß Merkmal 4.
Den Ausführungen der o. g. Lehrbücher folgend, spielt bei der schlechten Bioverfügbarkeit schwerlöslicher Wirkstoffe die Oberfläche des Wirkstoffs eine wesentliche Rolle (vgl. NiK10 S. 471 Abs. 2 und S. 472 le. Abs. Satz 1 bzw. HL6 S. 79 vorle. vollst. Abs., S. 81 3 Satz 1). Durch eine Vergrößerung der Oberfläche wird nach allgemeiner Fachkenntnis die Lösegeschwindigkeit, die bei vielen Arzneimitteln die Resorptionsgeschwindigkeit bestimmt, in starkem Maße erhöht, wodurch ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Löslichkeit geleistet wird (vgl. N20 S. 203 li. Sp. Abs. 1 bis le. Abs. Z. 6; vgl. NiK8 S. 63 li. Sp. Abschnitt "Surface Area" Abs. 1; vgl. NiK9 S. 23 Abs. 1). Als eine dafür geeignete Methode wird in Lehrbüchern stets als erstes die Mikronisierung aufgezeigt (vgl. NiK10 S. 471 Abs. 2, S. 472 Abs. 2 und le. Abs. bzw. HL6 S. 79 vorle. Abs., S. 81 Abs. 2 und 3; vgl. N20 S. 203 spaltenübergr. Abs.). Zwar werden in diesem Zusammenhang in den Lehrbüchern auch weitere Möglichkeiten zur Vergrößerung der Oberfläche des Arzneistoffs unter Einsatz von Hilfsstoffen und Prozessen offenbart (vgl. NiK10 S. 472 Abs. 3 bzw. HL6 S. 80 le. Abs. und S. 81 Abs. 4 und 5). Allerdings handelt es sich bei der Mikronisierung um eine Maßnahme, die verhältnismäßig einfach daraufhin überprüft werden kann, ob und gegebenenfalls unter welchen Modifikationen sie sich im konkreten Fall als zielführend erweist. Der Fachmann wird sie daher bei der Untersuchung der ihm bekannten Maßnahmen in Erwägung ziehen, wobei es nicht darauf ankommt, dass die Mikronisierung die einzige oder die am nächsten liegende Lösungsmöglichkeit darstellt, da jede für den Fachmann naheliegende Lösung eines technischen Problems bei der Beurteilung der Patentfähigkeit zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2012 – X ZR 50/09). In Anbetracht dieses Sachstandes bedurfte es keiner Überlegungen erfinderischer Art, das durch Lehrbuchauszüge repräsentierte Grundlagenwissen auch zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe anzuwenden und die Mikronisierung von Tadalafil zur Erhöhung der Löslichkeit und damit der Bioverfügbarkeit in Betracht zu ziehen, wodurch Tadalafil als freie Arzneistoffform erhalten wird, wobei sich eine Einbettung des Wirkstoffs in einem polymeren Copräzipitat erübrigt. Die Bestimmung der im Merkmal 4 beanspruchten Teilchengrößenverteilung erfolgt dann im Rahmen einer routinemäßigen Optimierung der Mikronisierung zur Ausarbeitung einer anwendbaren Tadalafil-Formulierung, wobei der Fachmann von der fachüblichen Korngröße von 40 Mikron ausgeht (vgl. z. B. N9 S. 5/6 seitenübergr. Abs.). Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 hat somit ausgehend von N7 in Kombination mit dem Fachwissen nahe gelegen.
b) Es ist zwar zutreffend, dass die in der Einleitung des Streitpatents bereits gewürdigte Druckschrift N8/NiK7 eine Methode beschreibt, bei der die schlechte Wasserlöslichkeit (bzw. die schlechte Lösegeschwindigkeit) des Tadalafils durch die Copräzipitation mit einem wasserlöslichen Polymer verbessert werden kann (vgl. N8/NiK7 Patentansprüche 1, 15, S. 1 Z. 3 bis 18, S. 3 Z. 16 bis 19, S. 4 Z. 10 bis 21). Dennoch kennt der Fachmann die Mikronisierung als alternatives Mittel zur Verbesserung der schlechten Löslichkeit von Wirkstoffen wie Tadalafil, welches er daher ins Auge fasst und ausprobiert. Denn zum einen stellt die Copräzipitation nur eine von mehreren Möglichkeiten dar, schwerlösliche Substanzen besser in Lösung zu bringen (vgl. NiK9 S. 23 Abs. 1; vgl. NiK10 S. 472 Abs. 3 bzw. HL6 S. 80 le. Abs. und S. 81 ab Abs. 2, vgl. N20 S. 203 li Sp. le. Abs. bis re. Sp. vorle. Abs.; vgl. HL10 S. 846 ab Abs. 3). Darüber hinaus ist dem Fachmann im Zusammenhang mit der Copräzipitation bekannt, dass sie nicht nur mit Vorteilen verbunden ist, sondern auch Nachteile wie die schlechte Reproduzierbarkeit der Chargen hat, worauf auch das Streitpatent selbst einleitend hinweist (vgl. N1/NiK1 S. 2 Abs. [0005]). Zum anderen ist weder der N8/NiK7 noch dem sonstigen angeführten Stand der Technik zu entnehmen, dass die Copräzipitation eines Wirkstoffs mit einem wasserlöslichen Polymer hinsichtlich der Löslichkeit und Bioverfügbarkeit des Wirkstoffs im Vergleich zur Mikronisierung in allen Fällen bessere Ergebnisse liefert. Soweit die Patentinhaberin diesbezüglich auf die Druckschrift HL29 verweist, ist anzumerken, dass Druckschrift HL29 einen ganz anderen Wirkstoff als Tadalafil betrifft, nämlich ein als Krebsmittel verwendetes Nitrobenzamid, das weder strukturell noch in seiner Wirksamkeit mit Tadalafil vergleichbar ist. Die Lehre der Druckschrift HL29 für diesen speziellen Einzelfall kann daher keineswegs dahingehend verallgemeinert werden, dass die Copräzipitation eines schwerlöslichen Wirkstoffs mit einem wasserlöslichen Polymer stets eine bessere Bioverfügbarkeit erzeugt als andere Methoden wie zum Beispiel die Mikronisierung.
Auch der Hinweis der Beklagten, wonach es sich bei der Abkehr von der Copräzipitation gemäß N8/NiK7 um einen Perspektivwechsel handele, dessen Anwendung einer konkreten Anregung bedürfe, die für die streitpatentgemäß verwendete Mikronisierung nicht vorliege (vgl. in diesem Zusammenhang auch BPatG Mitt. 2016, 313 – Tongeber), kann nicht durchgreifen. Denn gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht bereits dann Veranlassung zur Heranziehung eines generellen, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel, das seiner Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Durchschnittsfachmanns gehört, wenn sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (vgl. BGH GRUR 2014, 647 – Farbversorgungssystem). Übertragen auf den vorliegenden Fall war die Mikronisierung – belegt durch zahlreiche Druckschriften – als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen zu berücksichtigendes Mittel zur Verbesserung der Auflösung eines schwerlöslichen Wirkstoffs bekannt, die der Fachmann bei der Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe als zweckmäßige Maßnahme insbesondere wegen des geringen verfahrenstechnischen Aufwands auch in Betracht gezogen hat (vgl. N9a S. 62 Kap. "IX. Recommendations"; vgl. N11 S. 1449 re. Sp. vorle. Abs., vgl. N12 u. a. Summary; vgl. NiK8 S. 63 li. Sp. Abs. 3 und 4). Aus der Tatsache, dass in N8/NiK7 ein anderes, ebenfalls allgemein bekanntes Mittel zur Verbesserung der Löslichkeit des Tadalafils eingesetzt wurde, erhält der Fachmann demgegenüber keinen Hinweis, dass die Mikronisierung nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich wäre, zumal N8/NiK7 mit keinem Wort erwähnt, dass die Mikronisierung von Tadalafil nachteilig sei oder dass die Copräzipitation von Tadalafil ein gegenüber dessen Mikronisierung fortschrittliches Verfahren sei.
c) Die Argumentation, der Fachmann habe für eine Anwendung der Mikronisierung von Tadalafil keine angemessene Erfolgserwartung gehabt, da ihn sowohl theoretische Modellbetrachtungen gemäß HL7 und HL8 als auch die gemäß HL29 bekannte bessere Eignung der Copräzipitation bei Wirkstoffen mit derselben Problematik von einer Berücksichtigung der Mikronisierung abgehalten hätten, führt zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage.
Die Mikronisierung ist – wie unter II.1.b) ausgeführt – im Vorfeld der streitpatentgemäßen Erfindung bereits bei einer Vielzahl von Wirkstoffen erfolgreich zur Verbesserung der Bioverfügbarkeit angewendet worden. Der Fachmann ist daher aus Sicht des Senats veranlasst gewesen, die Mikronisierung auch zur Verbesserung der Bioverfügbarkeit von Tadalafil in Betracht zu ziehen. Davon haben ihn die angeführten theoretischen Modellbetrachtungen nicht abgehalten. Denn es gibt kein generell gültiges Modell, nach dem der Fachmann die Mikronisierung in Betracht zieht. Zudem handelt es sich bei dem Modell gemäß HL7 um eine nachveröffentlichte Betrachtung, die der Fachmann zum Zeitpunkt der streitpatentgemäßen Erfindung nicht kennen konnte und die Anwendung des Modells gemäß HL8 gelingt nur unter Berücksichtigung von zahlreichen Hypothesen und Annahmen, die das Ergebnis spekulativ erscheinen lassen, so dass die Erfolgserwartung des Fachmanns an die Mikronisierung dadurch nicht reduziert wird.
Auch ist im Stand der Technik kein generelles Vorurteil gegen die Mikronisierung ersichtlich. Zwar kann eine allgemeine, eingewurzelte technische Fehlvorstellung, die die einschlägigen Fachleute daran gehindert hat, in Richtung auf die geschützte Lehre zu arbeiten oder auch nur Versuche in dieser Richtung anzustellen, regelmäßig als sicheres Anzeichen dafür gewertet werden, dass die Lehre für einen Durchschnittsfachmann nicht nahe gelegen hat. Gerechtfertigt ist dieser Schluss allerdings nur dann, wenn die Fehlvorstellung in dem Sinne technisch begründet gewesen ist, dass die patentierte Lehre aus der Sicht der Fachwelt entweder für technisch nicht ausführbar oder der mit ihr erzielte technische Erfolg für nicht erreichbar gehalten und dieser Irrtum durch die Erfindung widerlegt worden ist. Eine technische Fehlvorstellung wird dagegen nicht überwunden, wenn gegenüber der vorgeschlagenen Lösung zu Recht bestehende Bedenken lediglich ignoriert und mit ihr tatsächlich und vorhersehbar verbundenen Nachteile einfach in Kauf genommen werden. Dann handelt es sich eben nicht um ein Vorurteil oder eine Fehlvorstellung, sondern um fortbestehende Bedenken die lediglich unter Abwägung mit ebenfalls zu erwartenden Vorteilen neu bewertet werden (vgl. BGH GRUR 1996, 857 – Rauchgasklappe). So verhält es sich auch bei der Lehre des Streitpatentes. Weder ist durchgehend im Stand der Technik beschrieben, dass die Mikronisierung derart mit Nachteilen behaftet ist, dass sie nach Möglichkeit zu vermeiden ist. Noch finden sich im Streitpatent oder im Tadalafil betreffenden Stand der Technik Angaben dazu, dass der Fachmann zum maßgeblichen Zeitpunkt davon ausgegangen ist, dass Tadalafil für eine Mikronisierung ungeeignet ist. Ein generelles Vorurteil gegen eine Mikronisierung und insbesondere gegen die Mikronisierung von Tadalafil existiert somit nicht. Weiterhin ist dem Fachmann durchaus bewusst, dass die Verfahrensmaßnahme der Mikronisierung mit Nachteilen verbunden ist. So können beispielsweise mikronisierte Wirkstoffe zur Aggregation neigen, wodurch die effektive Partikeloberfläche und damit die Absorptionsrate verringert wird (vgl. z. B. HL12 S. 52 re. Sp. 1. und 2. vollst. Abs.). Auch eine elektrostatische Aufladung kann zu Schwierigkeiten führen (vgl. N9 S. 6 Abs. 2; vgl. N12 S. 212 li. Sp. Abs. 4). Dem Fachmann ist aber ebenso bekannt, mit welchen Maßnahmen er diese Nachteile überwinden kann (vgl. HL12 S. 52 re. Sp. 2. vollst. Abs.; vgl. N9 S. 6 Abs. 2). Diese Nachteile halten ihn daher insbesondere unter Abwägung der ihm bekannten Vorteile der Mikronisierung nicht von einer Berücksichtigung dieser Methode ab. So handelt es sich bei der Mikronisierung um eine Methode, die verhältnismäßig einfach durchgeführt und daraufhin überprüft werden kann, ob und gegebenenfalls unter welchen Modifikationen sie sich im konkreten Fall von Tadalafil als zielführend erweist. Es gibt somit gute Gründe für den Fachmann, die Mikronisierung in Betracht zu ziehen, um die gewünschte Verbesserung der Löslichkeit von Tadalafil zu erreichen. Die ein Naheliegen begründende angemessene Erfolgserwartung bei der Mikronisierung ist damit ungeachtet nicht von vornherein auszuschließender Schwierigkeiten im Einzelnen, die aber nicht spezifisch mit der Struktur von Tadalafil zusammenhängen, zu bejahen (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2012 – X ZR 50/09).
d) Bei der Berücksichtigung der Mikronisierung von Tadalafil handelt es sich gegenüber der aus N8/NiK7 bekannten Copräzipitation von Tadalafil ferner nicht um einen technischen Rückschritt. Zum einen ist die Copräzipitation seit 1961 bekannt und damit eine ebenfalls schon seit langem verwendete Verfahrensmaßnahme zur Erhöhung der Auflösegeschwindigkeit und damit der Absorptionsrate schwerlöslicher Wirkstoffe (vgl. HL36 S. 1282 spaltenübergr. Abs. Satz 1), so dass N8/NiK7 mit der Copräzipitation von Tadalafil kein gegenüber der Mikronisierung fortschrittlicheres Verfahren beschreibt. Zum anderen offenbart der Stand der Technik selbst 25 Jahre nach der ersten Veröffentlichung der Copräzipitation beide Verfahrensmaßnahmen als gleichwertige Alternativen (vgl. NiK9 S. 23 Abs. 1; vgl. z. B. NiK10 S. 472 Abs. 3 bzw. HL6 S. 80 le. Abs.). Die Mikronisierung ist dem Wissen des zuständigen Fachmanns zur Folge daher eine übliche und sehr häufig eingesetzte Maßnahme zur Verbesserung der Auflösegeschwindigkeit und wird vom Fachmann gegenüber der Copräzipitation nicht als technisch rückschrittlich eingestuft.
e) Der Senat hat davon abgesehen, dem Antrag der Beklagten entsprechend ein Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen über Fragen zum Verständnis des Fachmanns zu verschiedenen Aspekten der Mikronisierung und der Copräzipitation sowie der Löslichkeitseigenschaften von Tadalafil einzuholen. Der Sachverständigenbeweis dient dazu, dem Gericht Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen zu vermitteln oder entscheidungserhebliche Tatsachen festzustellen, soweit hierzu besondere Sachkunde erforderlich ist. Im Verfahren vor dem Bundespatentgericht ist ein solcher Beweis in der Regel nicht erforderlich, da die Nichtigkeitssenate und die technischen Beschwerdesenate mit sachverständigen Richtern besetzt sind (vgl. BGH GRUR 2014, 1235 – Kommunikationsrouter; Schulte, PatG, 9. Aufl., § 81 Rn. 157; Busse, PatG, 8. Aufl., § 87 Rn. 23, § 88 Rn. 11). Insbesondere bedarf es eines Sachverständigenbeweises nicht, wenn sich das Gericht die erforderlichen Sachkenntnisse etwa durch Studium der Fachliteratur selbst beschaffen kann (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl., Vorbem. § 402 Rn. 3). Nach diesen Grundsätzen war vorliegend kein Beweis durch Sachverständige zu erheben, da der Senat aufgrund seiner Fachkenntnisse in der Lage ist, insbesondere anhand der von den Parteien umfangreich zur Verfügung gestellten Fachliteratur, teilweise auch Privatgutachten samt weiterer Anlagen, das darin wiedergegebene Fachwissen zur Tatsachenbeurteilung zur Kenntnis zu nehmen und damit den gegebenen Sachverhalt umfassend zu erkennen und zu würdigen.
2. Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass ihre Antragsstellung gemäß Hauptantrag als in sich geschlossen anzusehen ist, erübrigt es sich, festzustellen, ob in den neben- und nachgeordneten Patentansprüchen 2 bis 19 ein bestandsfähiger Rest zu erkennen ist (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsvermittlungsverfahren II; BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät; BPatG GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).
III.
Die von der Beklagten hilfsweise verteidigten Fassungen gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 8 erweist sich aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit gleichfalls als nicht bestandsfähig. Es kann daher dahingestellt bleiben, inwiefern diese Anspruchsfassungen die von den Klägerinnen geltend gemachten Mängel hinsichtlich Ausführbarkeit und Neuheit aufweisen.
1. Die jeweiligen Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 und 6 sind identisch. Auch die jeweiligen Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen 3 und 8 haben denselben Wortlaut. Diese Patentansprüche sind gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 durch Festlegung der Untergrenze der Teilchengröße auf 1 Mikron und im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 bzw. 8 zusätzlich durch Herabsetzung der Obergrenze der Teilchengröße auf 25 Mikron beschränkt.
Diese Beschränkungen der Teilchengröße sind jeweils nicht geeignet, das Beruhen der streitpatentgemäßen Arzneistoffform von Tadalafil auf einer erfinderischen Tätigkeit zu begründen. Denn bei der Mikronisierung werden in der Fachwelt regelmäßig Wirkstoffpartikel mit einer Teilchengröße von 10 bis 40 Mikron hergestellt, aber auch Teilchengrößen von 5 Mikron sind gebräuchlich (vgl. N9 S. 5/6 seitenübergr. Abs.; vgl. N9a S. 58 Abs. III, S. 59 Tab. 13 und 14; vgl. N10 S. 51 li. Sp. vorle. Abs.; vgl. N13 Sp. 5 Z. 63 bis Sp. 6 Z. 22; vgl. NiK8 re. Sp. vorle. Abs.). Damit handelt es sich bei den genannten Unter- und Obergrenzen der Teilchengröße um dem Wissen des Fachmanns und damit seinem Aufgabenkreis zuzurechnende, übliche Maßnahmen im Zuge der Mikronisierung. So führen die Anspruchsfassungen gemäß den Hilfsanträgen 1, 3, 6 und 8 zu keiner anderen Sachlage, weshalb die zum Patentanspruch 1 des Hauptantrags dargelegten Nichtigkeitsgründe hier ebenso zutreffen.
2. Nichts anderes gilt für die Anspruchsfassungen gemäß den Hilfsanträgen 2 und 7.
Die sich jeweils entsprechenden Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 2 und 7 unterscheiden sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag insofern, als der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 bzw. 7 nunmehr auf die orale Verabreichung von Tadalafil in einer täglichen Dosis von 1 mg bis 20 mg beschränkt worden ist.
Als mögliche Dosierungen für die tägliche orale Verabreichung von Tadalafil waren zum maßgeblichen Zeitpunkt des Streitpatents lediglich die wortgleichen Angaben aus N7 und N8 bekannt. Diese Druckschriften zeigen für Tadalafil einen generellen Dosierungsbereich von 0,5 bis 800 mg pro Tag verabreicht in 0,2 bis 400 mg Wirkstoff enthaltenden Tabletten und Kapseln auf, wobei in den Beispielen oral einzunehmende Tabletten und Kapseln mit 50 mg Tadalafil bzw. mit 100 mg Tadalafil enthaltendes Copräzipitat hergestellt werden (vgl. N7 S. 5 Abs. 1 und S. 12 bis 16 Tabellen, vgl. N8 S. 8/9 seitenübergr. Abs. und S. 16/17 Tab. 1 bis 5, S. 18 Tab. 1 bis 2). Die tatsächlich ausreichende tägliche orale Dosierung von Tadalafil ist allerdings nicht angegeben. Daher wird der Fachmann Dosisfindungsstudien durchführen, die zur Routinetätigkeit bei der Arzneimittelentwicklung gehören. Im Rahmen dieser Studien wird er einerseits das Ziel einer Arzneimittelgabe, die mit dem jeweiligen Wirkstoff verbundene Wirkung auch tatsächlich zu erreichen, als Grundvoraussetzung für den Einsatz des Wirkstoffs im Auge haben. Andererseits wird der Fachmann, um seiner Sorgfaltspflicht nachzukommen, einen Wirkstoff so dosieren, dass mit der Gabe gegebenenfalls verbundene und nicht erwünschte Nebenwirkungen weit möglichst vermieden werden (vgl. BPatG GRUR 2010, 50 – Cetirizin).
Übertragen auf Tadalafil wird sich der Fachmann bei den Dosisfindungsstudien ausgehend von dem aus N7 und N8 bekannten potentiell möglichen Dosisbereich auch an bekannten Dosierungen von Wirkstoffen orientieren, die dieselbe biochemische, physiologische und klinische Wirkung haben, im Streitfall also die cGMP-spezifische Phosphodiesterase (PDE5) inhibieren. Dabei wird sein Blick auf Sildenafil fallen, das zum maßgeblichen Zeitpunkt der einzig bekannte PDE5-Inhibitor für die Behandlung sexueller Dysfunktion gewesen ist, der bereits in Dosierungen von 5 mg bis 100 mg klinisch eingesetzt worden ist (vgl. z. B. NiK13 u. a. Zusammenfassung, S. 49 li. Sp. le. Abs., S. 51 spaltenübergr. Abs. und Fig. 4; vgl. NiK14 v. a. Tab.). Der Fachmann wird sich somit an der unteren Grenze der in N7 bzw. N8 genannten Dosierung, insbesondere aber an Dosierungen von 5 mg bis 100 mg, orientieren, da er zum einen weiß, dass das Auftreten von Nebenwirkungen in aller Regel dosisabhängig ist und hohe Wirkstoffmengen in einem Medikament stets mit Risiken verbunden sind, und ihm zum anderen bewusst ist, dass zumindest mit dem ebenfalls als PDE5-Inhibitor wirkenden Sildenafil bereits bei einer täglichen oralen Dosierung von 5 mg eine gute Wirkung erreicht werden kann. Das Auffinden der beanspruchten täglichen, oral zu verabreichenden Dosis von 1 mg bis 20 mg stellt daher eine dem Aufgabenkreis des Fachmanns zuzurechnende, übliche Maßnahme dar, so dass der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 bzw. 7 zu keiner anderen Sachlage führt. Deshalb treffen die zum Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag dargelegten Nichtigkeitsgründe hier ebenso zu.
Insoweit die Lehre der HL38 dahingehend ausgelegt werden könnte, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt die Tendenz bei Wirkstoffen zur Behandlung der sexuellen Dysfunktion eher zu höheren Dosen gegangen sei, weshalb der Fachmann keine Veranlassung gehabt habe, sich mit den beanspruchten niedrigen Dosen zu beschäftigen, kann diese Argumentation nicht durchgreifen. Denn in HL38 mögen zwar die Patienten – vor die Wahl gestellt, die Dosierung von oral einzunehmenden Sildenafil selbst zu bestimmen – zu hohen Prozentanteilen die Dosis von 100 mg anstelle von 25 mg ausgewählt haben (vgl. HL38 S. 1399 li. Sp. Abs. 2 i. V. m. S. 1398 re. Sp. Abs. 3). Diese Dosierungsauswahl erfolgte aber nicht durch den Fachmann sondern durch medizinische Laien in einer subjektiven Wertung der Wirkung. Bei Dosisfindungsstudien ist aber nicht der Wunsch der Patienten sondern die medizinisch wirksame Dosis entscheidend. Dabei spielen für den Fachmann neben der Wirkungsbewertung auch die medizinische Sicherheit und die auftretenden Nebenwirkungen eine wichtige Rolle. Die Tatsache, dass für Sildenafil bereits eine gute Wirkung bei einer Dosierung von 5 mg bzw. 10 mg beschrieben wird (vgl. NiK14 Tab., vgl. NiK13 S. 51 Fig. 4), motiviert den Fachmann, Dosierungen in diesem Bereich zu berücksichtigen. Darin wird er zudem dadurch bestärkt, dass der IC50-Wert für Sildenafil bei 0,0039 ± 0,009 M (= 3,9 ± 0,9 nM) und für Tadalafil bei 2 nM liegt (vgl. NiK13 S. 47 Zusammenfassung, S. 50 li. Sp. Abs. 2 i. V. m. Tab. 2; vgl. N7 S. 17 Tab. 1). Der IC50-Wert, der die Konzentration des jeweiligen PDE5-Inhibitors angibt, bei der halbmaximale Hemmung beobachtet wird, ist für den Fachmann ein wichtiger Hinweis auf die Wirksamkeit eines Wirkstoffs. Da der IC50-Wert von Sildenafil mindestens 33 % über dem IC50-Wert von Tadalafil liegt, geht der Fachmann somit von einer höheren Wirksamkeit von Tadalafil gegenüber Sildenafil aus, weshalb umso mehr die Veranlassung bestand, bei den Dosisfindungsstudien niedrige Dosierungen zu berücksichtigen.
3. Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 bzw. 7 dadurch, dass die täglich oral zu verabreichende Dosis an Tadalafil von 1 mg bis 20 mg auf 5 mg bis 20 mg beschränkt worden ist.
Diese Beschränkung ist nicht dazu geeignet, das Beruhen der streitgegenständlichen Arzneistoffform auf erfinderischer Tätigkeit zu begründen. Denn wie unter III.2. dargelegt, sind dem Fachmann wirksame Dosen von 5 mg und 10 mg für den PDE5-Inhibitor Sildenafil bekannt, so dass er auch die nunmehr beanspruchte Untergrenze für die Tadalafildosierung im Auge hatte. Damit führt die Beschränkung im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 zu keiner anderen Sachlage als beim Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 bzw. 7, so dass die Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag 4 aus den bereits dargelegten Gründen ebenso nicht patentfähig ist.
4. In der Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag 5 sind gegenüber der Anspruchsfassung nach Hauptantrag die Patentansprüche 8, 9 und 16 bis 18 unter Umnummerierung der verbleibenden Patentansprüche 10 bis 15 und 19 gestrichen worden.
Da somit der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag unverändert ist, liegt für ihn kein neuer Sachverhalt vor, so dass für die Anspruchsfassung des Hilfsantrags 5 wiederum dieselben Nichtigkeitsgründe wie für Anspruchsfassung nach Hauptantrag gelten.
5. Die weiteren Patentansprüche der Hilfsanträge 1 bis 8 bedürfen keiner isolierten Prüfung, weil die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung erklärt haben, dass sie die Antragsstellung nach den Hilfsanträgen als geschlossene Anspruchssätze verstehen (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsvermittlungsverfahren II; BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät; BPatG GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).
IV.
1. In der Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag 9 wurde – wie auch in der Anspruchsfassung nach Hilfsantrag 4 – die Anspruchsfassung gemäß Hauptantrag dadurch beschränkt, dass in den nebengeordneten Patentansprüchen 1, 5 und 13 gemäß Hauptantrag das Merkmal "zur oralen Verabreichung der Verbindung in einer täglichen Dosis von 5 mg bis 20 mg" eingefügt worden ist und die Patentansprüche 8, 9 sowie 16 bis 19 gemäß Hauptantrag gestrichen worden sind.
5.2. Da der Patentanspruch 1 von Hilfsantrag 9 wortgleich ist mit dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4, gilt für den Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 9 dieselbe Sachlage wie für den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 4, so dass dieser aus denselben Gründen mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig ist (vgl. III.3.).
5.3. Dieses Schicksal teilen die nebengeordneten Patentansprüche 5, 8, 10 und 11, für die von Seiten der Beklagten kein eigenständiger erfinderischer Gehalt geltend gemacht wurde. Dieser ist auch für den Senat nicht erkennbar.
Die pharmazeutische Zusammensetzung nach Patentanspruch 5 unterscheidet sich von der freien Arzneistoffform gemäß Patentanspruch 1 nur dadurch, dass sie zusätzlich für pharmazeutische Zusammensetzungen übliche Trägerstoffe, Verdünnungsmittel oder Hilfsstoffe umfasst. Da gemäß Streitpatentschrift alle pharmazeutisch annehmbaren Hilfsstoffe für die Formulierung von Tabletten verwendet werden können und aus N7 die streitpatentgemäß bevorzugten Hilfsstoffe Laktose und Stärke als Zusatzstoffe bekannt sind (vgl. N1/NiK1 S. 7 Abs. [0047] Z. 5 bis 7 und N7 S. 5 Z. 4 bis 7 und 15 bis 26), kann das zusätzliche Merkmal im Patentanspruch 5 ein Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit nicht begründen.
Im Patentanspruch 8 wird ein Verfahren zur Herstellung der teilchenförmigen freien Arzneistoffform nach Patentanspruch 1 beansprucht. Dieses umfasst nur Verfahrensschritte, die in Verfahren zur Herstellung mikronisierter Wirkstoffe üblich sind (vgl. z. B. N12 S. 212/213 Kap. "Micronization: A Method Of Reducing Particle Size") und enthält somit ebenfalls kein auf erfinderischer Tätigkeit beruhendes Merkmal.
Der Patentanspruch 10 ist auf die teilchenförmige freie Arzneistoffform nach Patentanspruch 1 zur Verwendung in einem Behandlungsverfahren gerichtet. Da aus dem Stand der Technik bekannt ist, dass Tadalafil zur Behandlung der sexuellen Dysfunktion verwendet wird (vgl. z. B. N7 Patentansprüche 1 bis 6, S. 5 le. Abs. bis S. 6 Abs. 4; N8 S. 7 Z. 23 bis S. 8 Z. 9), ergibt sich für diesen Gegenstand keine andere Sachlage als für den Gegenstand des Patentanspruchs 1, so dass der Gegenstand des Patentanspruchs 10 aus denselben Gründen nicht patentfähig ist.
Nichts anderes gilt für die Verwendung von Teilchen der teilchenförmigen freien Arzneistoffform nach Patentanspruch 11. Denn aufgrund des zuvor belegten Bekanntseins der Behandlung von sexueller Dysfunktion mit Tadalafil sowie des Naheliegens einer Dosierung von Tadalafil im Bereich von 5 bis 20 mg enthält der Patentanspruch 11 keine Merkmale, die eine erfinderische Tätigkeit begründen könnten.
5.4. Bezüglich der auf den Patentanspruch 1 unmittelbar nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 4, der auf den Patentanspruch 5 unmittelbar rückbezogenen Patentansprüche 6 und 7, des auf den Patentanspruch 8 unmittelbar nachgeordneten Patentanspruchs 9 sowie der auf den Patentanspruch 11 unmittelbar rückbezogenen Patentansprüche 12 und 13 hat die Beklagte ebenfalls nicht vorgetragen, dass ihnen ein eigenständiger patentfähiger Gehalt zukäme. Dieses ist auch für den Senat nicht ersichtlich. Diese Patentansprüche, deren selbstständiger Gehalt von den Klägerinnen unter Angabe von Gründen in Abrede gestellt wurde, sind daher ebenfalls nicht patentfähig, ohne dass hierauf näher einzugehen ist (vgl. BGH GRUR 2007, 309 – Schussfädentransport).
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.