Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 06.09.2018


BPatG 06.09.2018 - 3 LiQ 1/18 (EP)

(Patentrecht – einstweilige Verfügung im Zwangslizenzverfahren - "Praluent" – zu den Anforderungen an die Lizenzbemühungen i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG - zum angemessenen Zeitraum der Lizenzbemühungen – Unterbreitung eines Lizenzangebotes kurze Zeit vor Einreichung der Zwangslizenzklage und des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung - Anforderungen an Lizenzbemühungen werden (regelmäßig) nicht erfüllt - Patentinhaber hat sich in der Vergangenheit mehrfach gegen die Vergabe einer Lizenz ausgesprochen – keine Entbindung vom Erfordernis der Lizenzbemühungen – zur Beweislast für das Vorliegen des öffentlichen Interesses an der Erteilung der Zwangslizenz – Geltendmachung des Antragstellers, dass ein öffentliches Interesse an der weiteren freien Verfügbarkeit des von ihm vertriebenen Arzneimittels besteht – Umfang des erforderlichen Beweises – keine Beweislastumkehr – Zurückweisung des Antrags auf vorläufige Benutzungserlaubnis für einen Cholesterinsenker)


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
06.09.2018
Aktenzeichen:
3 LiQ 1/18 (EP)
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:060918U3LiQ1.18EP.0
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Praluent

1. Ein Lizenzangebot, das dem Patentinhaber erst relativ kurze Zeit (hier: drei Wochen) vor Einreichung der Zwangslizenzklage und des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unterbreitetet wird, erfüllt (regelmäßig) nicht die Anforderungen an Lizenzbemühungen, die sich i.S.d. § 24 Abs. 1 PatG über einen angemessenen Zeitraum erstrecken.

Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich das Angebot an ein Konkurrenzunternehmen richtet, mit dem Rechtsstreitigkeiten wegen Verletzung und über die Bestandskraft seines Patents geführt werden und das sich zudem in der Vergangenheit mehrfach gegen die Vergabe einer Lizenz ausgesprochen hat, so dass ein zügiger Abschluss von Lizenzverhandlungen nicht erwartet werden kann.

2. Hat sich der Patentinhaber in der Vergangenheit mehrfach gegen die Vergabe einer Lizenz ausgesprochen, etwa vor dem Hintergrund, dass er ein mit dem Produkt des Lizenzsuchers konkurrierendes eigenes Produkt vertreibt, so entbindet dies nicht von dem sich aus § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG ergebenden Erfordernis, sich (aktuell) innerhalb eines angemessenen Zeitraums um eine rechtsgeschäftliche Lizenz zu bemühen. Wird die Zwangslizenzklage eingereicht, noch bevor sich der Patentinhaber innerhalb eines als angemessen anzusehenden Zeitraums überhaupt zum Lizenzangebot geäußert hat, so spricht dies gegen die Erfüllung des Erfordernisses aus § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG.

3. Im Zwangslizenzverfahren hat der Kläger (und Antragsteller einer einstweiligen Verfügung) zu beweisen (bzw. glaubhaft zu machen), dass das öffentliche Interesse die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 PatG). Macht der Kläger geltend, dass ein öffentliches Interesse an der weiteren freien Verfügbarkeit des von ihm vertriebenen Arzneimittels besteht, hat er zu beweisen, dass dieses Arzneimittel therapeutische Eigenschaften aufweist, die andere auf dem Markt erhältliche Mittel nicht oder nicht in gleichem Maße besitzen und auch, dass das öffentliche Interesse mit anderen, im Wesentlichen gleichwertigen Ausweichpräparaten nicht befriedigt werden kann (Fortführung von BGH v. 5. Dezember 1995 – X ZR 26/92 – Polyferon / Inteferon gamma). Eine Beweislastumkehr in der Weise, dass der Patentinhaber nachzuweisen hat, dass sein Präparat eine gleiche oder bessere Wirkung aufweist, findet nicht statt

Tenor

In dem Verfahren auf Erteilung einer einstweiligen Verfügung

betreffend das europäische Patent 2 215 124

(DE 60 2008 042 526)

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 6. September 2018 durch den Vorsitzenden Richter Schramm, den Richter Kätker, die Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg, den Richter Dipl.-Chem. Dr. Wismeth und die Richterin Dipl.-Chem. Dr. Wagner

für Recht erkannt:

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Antragstellerinnen vertreiben in Deutschland das Arzneimittel Praluent® in verschiedenen Darreichungsformen. Dieses Medikament enthält den monoklonalen anti-PCSK9 Antikörper Alirocumab, der eine Verringerung des LDL-Cholesterinwerts im Blut bewirkt. Praluent® ist zugelassen für die Behandlung von primärer Hypercholesterinämie sowie von gemischter Dyslipidämie.

2

Die Antragsgegnerin vertreibt unter dem Namen Repatha® einen ebenfalls gegen das Protein PCSK9 gerichteten Antikörper, der die Bezeichnung Evolocumab trägt. Das Anwendungsgebiet von Repatha® überschneidet sich mit demjenigen von Praluent® und schließt darüber hinaus die Behandlung homozygoter familiärer Hypercholesterinämie mit ein.

3

Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des in englischer Verfahrenssprache erteilten europäischen Patents 2 215 124, das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 60 2008 042 526 geführt wird (Streitpatent). Das Patent trägt in der deutschen Übersetzung die Bezeichnung „Antigenbindende Proteine gegen Proprotein Convertase Subtilisin Kexin Typ 9 (PCSK9)“. Ein gegen das Streitpatent gerichtetes Einspruchsverfahren ist derzeit vor der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts anhängig. Mit Zwischenbescheid vom 13. Dezember 2017 hat die Einspruchsabteilung ihre vorläufige Auffassung mitgeteilt, dass sie zur Aufrechterhaltung des Streitpatents neigt.

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Der Antikörper Alirocumab fällt unter den Schutzbereich des Patentanspruchs 1 gemäß Streitpatent.

5

Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerinnen vor dem Landgericht Düsseldorf aus dem Streitpatent u. a. auf Unterlassung verklagt (Az: 4c O 39/16). Dieser Rechtsstreit ist mit Beschluss vom 14. November 2017 ausgesetzt worden. Nachdem die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts mit Ladungszusatz vom 13. Dezember 2017 die vorläufige Rechtsauffassung geäußert hat, dass das Streitpatent bestandskräftig sein dürfte, hat das Landgericht mit Ladung vom 6. Februar 2018 Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf den 11. September 2018 bestimmt.

6

Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20. Juni 2018 haben die Antragstellerinnen der Antragsgegnerin - ohne Fristsetzung bzw. Nennung des gewünschten Zeitrahmens für eine Antwort - den Abschluss eines Lizenzvertrages angeboten, wobei sie unter Hinweis auf massive Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Streitpatents und auf die unabhängig von der Offenbarung des Streitpatents erfolgte Entwicklung ihres Wirkstoffs Alirocumab eine Lizenzgebühr von 2 % der mit dem Arzneimittel Praluent® in Deutschland erzielten Nettoerlöse angeboten haben. Hierauf hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 3. Juli 2018 durch ihre Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, dass wegen der Feiertagswoche in den Vereinigten Staaten derzeit zu dem Lizenzangebot nicht Stellung genommen werden könne, eine Stellungnahme jedoch in Kürze erfolgen werde.

7

Mit Schriftsatz vom 12. Juli 2018 haben die Antragstellerinnen Klage auf Erteilung einer Zwangslizenz gegen die Antragsgegnerin erhoben und zugleich Antrag auf Gestattung der Benutzung der streitpatentgemäßen Erfindung durch einstweilige Verfügung gestellt.

8

Die Antragsgegnerin hat den Antragstellerinnen mit Schreiben vom 24. Juli 2018 mitgeteilt, dass eine Lizenzgewährung angesichts des Vertriebs von beiderseitigen Konkurrenzprodukten nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände in Betracht komme. Zur Prüfung des von den Antragstellerinnen geltend gemachten öffentlichen Interesses sei es erforderlich, ihr Zugang zu den Daten bzw. Dokumenten der ODYSSEY OUTCOMES-Studie zu gewähren, auf die sich die Antragstellerinnen in ihrer zwischenzeitlich eingereichten Antrags- und Klageschrift berufen hätten. Solange sie keinen Zugang hierzu erhalte, könne die Behauptung der Antragstellerinnen, die Verfügbarkeit von Praluent® liege im Interesse der Patienten, nicht geprüft werden und es könne keine Entscheidung darüber getroffen werden, ob und in welchem Umfang eine Lizenz erteilt werden solle.

9

Die Antragstellerinnen sind der Auffassung, sie hätten sich über einen angemessenen Zeitraum erfolglos um eine Lizenz bemüht. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin bereits in den Jahren 2015 und 2016 die Vergabe von Lizenzen kategorisch abgelehnt habe. Der angebotene Lizenzsatz sei angesichts der ernsthaften Zweifel an der Bestandskraft des Streitpatents angemessen.

10

Die weitere Verfügbarkeit des Arzneimittels Praluent® sei zur Sicherung der Versorgung von Atherosklerose-Patienten im öffentlichen Interesse geboten. Dies ergebe sich vor allem aus der therapeutischen Überlegenheit von Praluent® gegenüber dem Medikament Repatha® der Antragsgegnerin, die mit der Langzeitstudie „ODYSSEY OUTCOMES“ belegt sei. Darin sei bei Höchstrisikopatienten ein Rückgang der Gesamtmortalität (d.h. unabhängig von der Todesursache) um 29 % gegenüber der Placebo-Gruppe festgestellt worden. Eine vergleichbare Wirkung könne für das Arzneimittel Repatha® der Antragsgegnerin nicht angenommen werden. Im Rahmen der zu diesem Arzneimittel durchgeführten FOURIER-Studie habe lediglich eine Verminderung von kardiovaskulären Ereignissen in vergleichbarem Umfang wie bei der ODYSSEY-Studie beobachtet werden können. Eine Verringerung der Sterblichkeit sei in der FOURIER-Studie für Repatha® jedoch nicht gezeigt worden.

11

Die behandelnden Ärzte würden entscheidend von den Ergebnissen großer klinischer Studien geleitet und setzten die Präparate studienkonform ein. Entsprechend sei es für Ärzte entscheidend, dass für Praluent® eine Verringerung der Mortalität klinisch belegt sei. Angesichts der nur für Praluent® nachgewiesenen Wirkung wäre es weder mit der öffentlichen Gesundheit noch mit der klinischen Praxis zu vereinbaren, Hochrisiko-Patienten eine Behandlung mit Praluent® zu verwehren. Spreche der Patient nicht auf Repatha® an oder bestehe eine Unverträglichkeit gegen das Medikament, so bestehe noch eine Wechselmöglichkeit von Repatha® auf Praluent®. Das Präparat Praluent® sei zudem in unterschiedlichen Dosierungen verfügbar, so dass dessen Einsatz eine differenzierte Vorgehensweise im Hinblick auf den angestrebten LDL-C-Wert ermögliche.

12

Es bestehe daher ein dringendes öffentliches Interesse, den Antragsstellerinnen die einstweilige Benutzung des Streitpatents bis zur Entscheidung über die Hauptsache zu gestatten, da die Patienten auch in diesem Zeitraum auf die Verfügbarkeit von Praluent® angewiesen seien.

13

Die Antragstellerinnen beantragen,

14

ihnen im Wege der einstweiligen Verfügung die Benutzung der durch den deutschen Teil des europäischen Patents EP 2 215 124 (DE 60 2008 042 526) geschützten Erfindung in der Weise zu gestatten, dass die Klägerinnen bis zur Entscheidung über die Hauptsache einstweilen befugt sind, das Medikament "Praluent®" (ein den Wirkstoff Alirocumab enthaltendes Arzneimittel) in der Bundesrepublik Deutschland zur Behandlung von Erwachsenen mit primärer Hypercholesterinämie (heterozygote familiäre und nicht familiäre) oder gemischter Dyslipidämie für folgende Produkte herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen:

15

- Praluent® 75 mg Injektionslösung in einem Fertigpen, zugelassen unter den Nummern EU/1/15/1031/001 (1 Fertigpen), EU/1/15/1031/002 (2 Fertigpens) und EU/1/15/1031/003 (6 Fertigpens),

16

- Praluent® 75 mg Injektionslösung in einer Fertigspritze, zugelassen unter den Nummern EU/1/15/1031/004 (1 Fertigspritze), EU/1/15/1031/005 (2 Fertigspritzen) und EU/1/15/1031/006 (6 Fertigspritzen),

17

- Praluent® 150 mg Injektionslösung in einem Fertigpen, zugelassen unter den Nummern EU/1/15/1031/007 (1 Fertigpen), EU/1/15/1031/008 (2 Fertigpens) und EU/1/15/1031/009 (6 Fertigpens),

18

- Praluent® 150 mg Injektionslösung in einer Fertigspritze, zugelassen unter den Nummern EU/1/15/1031/010 (1 Fertigspritze), EU/1/15/1031/011 (2 Fertigspritzen) und EU/1/15/1031/012 (6 Fertigspritzen).

19

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

20

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen,

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hilfsweise,

22

anzuordnen, dass die Antragstellerinnen darüber Rechnung legen, in welchem Umfang sie die unter die einstweilige Benutzungsgestattung fallenden Handlungen seit Erlass der einstweiligen Benutzungsgestattung vorgenommen haben, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses unter Angabe der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und unter Angabe von Typenbezeichnungen sowie aufgeschlüsselt nach den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren

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und

24

dass die Antragstellerinnen eine angemessene Sicherheit zu leisten haben.

25

Die Antragsgegnerin tritt dem Vorbringen der Antragstellerinnen entgegen.

26

Sie ist der Auffassung, die Antragstellerinnen hätten sich nicht über einen angemessenen Zeitraum um eine rechtsgeschäftliche Lizenz bemüht. Sie hätten sich erst fast zwei Jahre nach Erhebung der Verletzungsklage und viereinhalb Monate nach der dortigen Terminsbestimmung zu einem Lizenzangebot entschlossen.

27

Dieses lasse die notwendigen vertraglichen Bestimmungen vermissen und sei daher nicht zustimmungsfähig gewesen. Der angebotene Lizenzsatz in Höhe von 2 % sei unangemessen niedrig. Die Antragsgegnerin habe eine Lizenz auch nicht grundsätzlich verweigert, sondern im Schreiben vom 24. Juli 2018 bei außergewöhnlichen Umständen in Erwägung gezogen, dies jedoch berechtigterweise von der Vorlage der Materialien (Rohdaten) zu der ODYSSEY OUTCOMES-Studie abhängig gemacht. Die von den Antragstellerinnen weiter genannten früheren „Angebote“ in den Jahren 2015 und 2016 seien nicht auf das Streitpatent gerichtet gewesen und ohne Bezug zu der hier vorliegenden Begründung für eine Lizenz erfolgt.

28

Zudem sei der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in verzögerlicher Weise rechtsmissbräuchlich gestellt worden, wodurch die Verteidigungsmöglichkeiten der Antragsgegnerin sowie die Erkenntnismöglichkeiten des Senats in erheblicher Weise beeinträchtigt worden seien.

29

Die Antragstellerinnen hätten ein öffentliches Interesse, das die Erteilung einer Zwangslizenz gebiete, auch nicht glaubhaft gemacht. Die Arzneimittel Repatha® und Praluent® führten zu einer vergleichbaren LDL-Senkung. Auch erzielten beide Arzneimittel eine statistische relevante Senkung des Risikos koronarer Krankheiten, Myokardinfarkt und Hospitalisierung aufgrund instabiler Angina pectoris oder Schlaganfall um 15 %.

30

Zudem ließen sich keine Schlüsse für einen Nutzen von Praluent® gegenüber Repatha® bezüglich der Gesamtsterblichkeit ziehen. Aus den beiden Studien FOURIER und ODYSSEY OUTCOMES folge nichts anderes, da es sich insoweit nicht um Vergleichs- bzw. Head-to-Head-Studien handele sondern um Placebo-kontrollierte Doppelblindstudien mit unterschiedlichen Patientenpopulationen und Studiendesigns. Zudem seien die eigentlichen Daten der ODYSSEY OUTCOMES-Studie nicht veröffentlicht und keinem unabhängigen, externen Begutachtungsprozess unterzogen worden. Präsentiert worden seien nur Folien, die zudem teilweise durch eigene Wissenschaftler der Antragstellerinnen erstellt worden seien.

31

Erfahrungen mit einzelnen Patienten ließen keine Rückschlüsse auf bestimmte Patienten bzw. Patientengruppen zu, so dass auch keine Notwendigkeit einer Therapiealternative vorliege.

Entscheidungsgründe

I.

32

Der Antrag auf einstweilige Verfügung ist zulässig. Insbesondere ist das sich aus § 85 Abs. 1 PatG ergebende Erfordernis der Anhängigkeit der Hauptsacheklage erfüllt. Nach der Formulierung des § 85 Abs. 1 PatG reicht es hierfür aus, dass zugleich mit dem Antrag auf einstweilige Verfügung eine Zwangslizenzklage als Hauptsacheklage anhängig ist oder anhängig gemacht wird (vgl. Benkard-Hall/Nobbe, PatG, 11. Aufl., § 85, Rn. 3; Fitzner/Lutz/Bodewig-Wilhelmi, PatG, 4. Aufl., § 85, Rn. 11). Die Antragstellerinnen konnten den Antrag und die Hauptsacheklage daher mit dem gleichen Schriftsatz einreichen.

II.

33

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht rechtsmissbräuchlich gestellt worden. Der Senat sieht keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Antrag in verzögerlicher Weise so spät und gezielt in der bayerischen Ferienzeit gestellt worden ist, dass die Verteidigungsmöglichkeiten der Antragsgegnerin und die Erkenntnismöglichkeiten des Senats in erheblicher Weise beeinträchtigt worden sind. Es ist nicht dargetan worden, welche Verteidigungsmöglichkeiten bzw. welches Verteidigungsvorbringen der von mehreren Rechts- und Patentanwälten größerer Sozietäten vertretenen Antragsgegnerin konkret genommen worden sein sollen. Sie hat sich bis zum Verhandlungstermin in insgesamt drei Schriftsätzen umfassend zum Antrag und den zu seiner Stützung eingereichten Glaubhaftmachungsmitteln äußern können. Zudem hat sie (Hilfs-) Anträge auf Urkundenvorlegung und Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt und zwei Gutachten eines Privatsachverständigen als Glaubhaftmachungsmittel vorgelegt.

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Auch dem Senat sind keine Erkenntnismöglichkeiten abgeschnitten worden. Insbesondere kam vorliegend schon mangels geeigneter Anknüpfungstatsachen eine Einholung bzw. Ladung eines gerichtlichen Sachverständigen nach § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 273 Abs. 2 Nr. 4 ZPO nicht in Betracht. Soweit die Antragsgegnerin meint, dass die Hinzuziehung eines Sachverständigen unter Auswertung bisher vorenthaltener Unterlagen erforderlich sei, da bisher keine Beweise für die gegnerische Behauptung einer therapeutischen Überlegenheit vorlägen (Antragserwiderung vom 6. August 2018, S. 46/47) und dies durch das Verhalten der Antragstellerinnen erschwert oder unmöglich gemacht worden sei, kann dies nicht die Erkenntnismöglichkeiten des Senats oder die Verteidigungsmöglichkeiten der Antragsgegnerin sondern allenfalls die Erfolgsaussichten des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verschlechtern und wirkt sich also nicht zu Lasten der Antragsgegnerin aus.

35

Für ein taktisches Zuwarten, um die prozessuale Situation zu Lasten der Verteidigungsmöglichkeiten der Antragsgegnerin zu verbessern, fehlen unter diesen Umständen zureichende Anhaltspunkte. Hierbei war auch zu berücksichtigen, dass die Einreichung eines (seltenen) Antrags auf Erlass einer einstweiligen Benutzungsgestattung erst bei eingetretener Dringlichkeit erfolgreich sein kann und auch dann entsprechender Vorbereitung bedarf. Ein Antragsteller, der – wie hier – bereits Verletzungs- und Anfechtungsstreitigkeiten in Zusammenhang mit dem Streitpatent führt, wird nur zurückhaltend und entsprechend spät diese weitere Rechtsstreitigkeit initiieren. Auch wird im einstweiligen Rechtsschutz die Zumutbarkeit kurzfristiger Reaktionen von Natur aus höher angesetzt werden müssen (vgl. auch § 132 ZPO zu den gewöhnlichen Einlassungsfristen).

III.

36

Der Antrag auf Erlass einer Benutzungserlaubnis im Wege der einstweiligen Verfügung ist nicht begründet. Die Antragstellerinnen haben nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 PatG vorliegen (§ 85 Abs. 1 PatG).

37

1. Die Antragstellerinnen haben nicht dargetan, dass sie sich i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG innerhalb eines angemessenen Zeitraumes erfolglos bemüht haben, von der Antragsgegnerin die Zustimmung zu erhalten, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen. Es fehlt jedenfalls an Lizenzbemühungen, die sich über einen angemessenen Zeitraum erstreckten.

38

a) Die von den Antragstellerinnen erstmals in ihrer Replik vom 20. August 2018, unter Rn. 10 enthaltene sehr kurze Erwähnung von Kontakten zwischen den Parteien, bei denen die Antragsgegnerin in den Jahren 2015/16 im Rahmen paralleler Patentstreitigkeiten und dabei durchgeführter Mediationsverfahren Lizenzanfragen abgelehnt habe, stellt ersichtlich keinen Sachvortrag dar, der nach Art und Dauer angemessene Bemühungen um eine rechtsgeschäftliche Lizenz substantiieren könnte. Dies gilt auch für den in der mündlichen Verhandlung von den Antragstellerinnen genannten weiteren Kontakt aus dieser Zeit. Mit diesem Vortrag wollten die Antragstellerinnen erkennbar auch gar nicht darlegen, dass sie bereits in den Jahren 2015/2016 über einen angemessenen Zeitraum hinweg ernsthafte Bemühungen um eine (weltweite und damit auch für das Streitpatent geltende) Lizenz unternommen habe, die als ausreichende Bemühungen i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG anzuerkennen seien. Vielmehr wollen die Antragstellerinnen mit dem Hinweis auf vergangene Ablehnungen bei Kontakten in den USA und dokumentierten Äußerungen von Organen der Antragsgegnerin deutlich machen, dass die Antragsgegnerin kategorisch die Vergabe von Lizenzen an Konkurrenzunternehmen verweigere, jedenfalls dann, wenn sie selbst ein eigenes Produkt vertreibt (dazu unten c)). Daher stellt sich auch nicht die Frage, ob Lizenzbemühungen, die bereits vor mehr als zwei Jahren gescheitert oder aus sonstigen Gründen nicht weitergeführt worden sind, heute noch als ausreichend i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG angesehen werden können.

39

b) Als Bemühung(en) i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG kommt damit erst das Schreiben der Vertreter der Antragstellerinnen an die Vertreter der Antragsgegnerin vom 20. Juni 2018 in Betracht. Damit haben die Antragstellerinnen jedoch zumindest in zeitlicher Hinsicht nicht den Anforderungen dieser Vorschrift genügt.

40

Wie der Bundesgerichtshof in seiner Raltegravir-Entscheidung vom 11. Juli 2017 ausgeführt hat (X ZB 2/17, GRUR 2017, 1017, Rn. 16 ff. – Raltegravir), war es nach der bis zum 31. Oktober 1998 geltenden Rechtslage erforderlich, dass der Lizenzsucher sich erbietet, eine angemessene Vergütung zu zahlen. Es habe sich um eine Prozessvoraussetzung gehandelt, die im Laufe des Verfahrens nachgeholt werden könne. Hierfür habe es genügt, wenn der Lizenzsucher seine Bereitschaft zur Zahlung einer angemessenen Lizenz grundsätzlich erklärte, ohne dabei gerade oder annähernd die Summe nennen zu müssen, die das Gericht später für angemessen hielt (so noch BGH, X ZR 26/92, BGHZ 131, 247, 250 = GRUR 1996, 190, 191 f. – Polyferon/Interferon-gamma).

41

Nach aktueller Gesetzesfassung sei es hingegen erforderlich, dass sich der Lizenzsucher innerhalb eines angemessenen Zeitraums erfolglos um eine Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen bemühe. Auch diese Voraussetzung müsse zwar nicht zwingend schon im Zeitpunkt der Einreichung der Zwangslizenzklage vorliegen; es reiche aus, wenn sie am Schluss der mündlichen Verhandlung erfüllt sei. Da sich das Bemühen aber über einen angemessenen Zeitraum hinweg erstreckt haben müsse, reiche es nicht aus, wenn sich der Lizenzsucher während des Verfahrens gewissermaßen erst in letzter Minute zur Zahlung einer angemessenen Lizenz bereit erkläre. Vielmehr müsse er über einen gewissen Zeitraum hinweg in einer der jeweiligen Situation angemessenen Weise versucht haben, sich mit dem Patentinhaber über die Erteilung einer Lizenz zu einigen, wobei Zeitraum und Art der Maßnahmen eine Frage des Einzelfalls seien (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 18, 19 – Raltegravir).

42

Damit hat sich der Bundesgerichtshof im Hinblick auf die Novellierung des § 24 Abs. 1 PatG durch das 2. Patentänderungsgesetz von der a. a. O., Rn. 16, 17, geschilderten großzügigen Handhabung des abgelösten „sich erbietet“-Erfordernisses“ und der dazu ergangenen Rechtsprechung gelöst. Die hierauf noch Bezug nehmende Kommentarliteratur (vgl. Benkard, a. a. O., § 24, Rn. 13; Schulte, PatG, 10. Aufl, § 24, Rn. 10) wird insoweit als veraltet bzw. klarstellungsbedürftig anzusehen sein.

43

Vorliegend haben die Antragstellerinnen erst mit Schreiben vom 20. Juni 2018 (HE32), damit drei Wochen vor Einreichung der Zwangslizenzklage und des Antrags auf einstweilige Verfügung, um eine rechtsgeschäftliche Lizenz nachgesucht. Dies ist bereits für sich genommen ein sehr kurzer Zeitraum, der nur in besonderen Fallgestaltungen als ausreichend in Betracht kommen könnte, etwa bei konzern- oder geschäftspartnerschaftlich verbundenen Unternehmen, die bereits mehrfach unproblematisch Lizenzverträge mit im Wesentlichen gleichen Bedingungen abgeschlossen haben. Eine solche besondere Fallgestaltung, bei der innerhalb weniger Wochen oder – sofern man den Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. September 2018 mit berücksichtigt – innerhalb weniger Monate Lizenzbemühungen durchgeführt werden können, die sich im Hinblick auf den in § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG zum Ausdruck kommenden Vorrang der rechtsgeschäftlichen Lizenz noch als ernsthafte Bemühungen um eine solche erweisen, liegt hier jedoch gerade nicht vor.

44

Die Umstände des Einzelfalls sprechen vielmehr für das Gegenteil, so dass das Lizenzangebot als ein solches angesehen werden muss, das „gewissermaßen in letzter Minute“ eingereicht worden ist.

45

Das Lizenzangebot richtete sich an ein Konkurrenzunternehmen, das ein eigenes unmittelbar konkurrierendes Produkt entwickelt hat und bereits vertreibt. Anlässlich von Verfahren in den USA hat die Antragsgegnerin zudem deutlich gemacht, dass sie in dieser Situation eine Lizenz nicht oder nur unter besonderen Umständen vergeben will. Zudem waren bzw. sind in Zusammenhang mit parallelen Schutzrechten, aber auch mit dem konkreten Streitpatent, Rechtstreitigkeiten zwischen den Parteien bzw. ihren Konzernunternehmen anhängig, einschließlich des Einspruchsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt. Bereits diese Ausgangslage spricht deutlich dagegen, dass kurzfristige Lizenzbemühungen als angemessen anzusehen sind.

46

Weiter sah das Lizenzgesuch der Antragstellerinnen vom 20. Juni 2018 nur einen sehr niedrigen Lizenzsatz von 2 % vor, was die Antragstellerinnen mit der ihrer Auffassung nach mangelnden Bestandskraft des Streitpatents und der eigenen, unabhängig vom Streitpatent erfolgten Entwicklung ihres Wirkstoffs begründet haben. In dem Lizenzgesuch wird zudem die Erwartung mangelnder Bestandskraft und die Bereitschaft der Antragstellerinnen, diese feststellen zu lassen, besonders betont (Seite 1, vorletzter Absatz). Die Erwartung mangelnder Bestandskraft und die selbständige Entwicklung des eigenen Produkts ohne Rückgriff auf den veröffentlichten Offenbarungsgehalt des Streitpatents bzw. seiner Anmeldung können zwar bei den legitimen „Preisvorstellungen“ des Lizenzsuchers eine Rolle spielen (vgl. Senat, 3 LiQ 1/16 (EP), GRUR 2017, 373, LS 1, Ziff. II.3.b) – Isentress I), wird jedoch ein Lizenzangebot in dieser Weise unterbreitet, so kann der Lizenzsucher nicht davon ausgehen, dass er in kürzester Zeit den Abschluss eines Lizenzvertrages erreicht. Vielmehr ist gerade auch bei solchen Lizenzgesuchen, die nach Inhalt und schroffer Tonlage zunächst eine eher ablehnende Haltung hervorrufen dürften, umso mehr eine gewisse Zeit vorzusehen, in der sich die Beteiligten nach erster Darstellung ihrer gegensätzlichen Grundpositionen doch noch aufeinander zubewegen können.

47

Angesichts der vorläufigen Stellungnahme der Einspruchsabteilung (Bescheid vom 13. Dezember 2017, HE17/HE17a) wäre auch zu erwarten gewesen, dass die Antragstellerinnen, wenn sie eine rechtsgeschäftliche Lizenz anstreben, es nicht bei einem pauschalen Hinweis auf die mangelnde Bestandskraft belassen, sondern auch versuchen, der Antragsgegnerin nahe zu bringen, dass sich das Streitpatent letztlich dennoch nicht als rechtsbeständig erweisen würde und eine rechtsgeschäftliche Lizenz unter den vorliegenden Umständen eine geeignete Lösung für die Streitigkeiten sein kann. Nachdem das kurz gehaltene Schreiben vom 20. Juni 2018 hierzu nichts enthielt, wären die entsprechenden eigentlichen Verhandlungen erst noch zu führen gewesen, wofür aber wiederum eine entsprechende Zeit benötigt wird.

48

Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Lizenzangebot vom 20. Juni 2018 auf der Ebene der beiderseitigen anwaltlichen Vertreter unterbreitet worden ist (Schreiben von Anwalt zu Anwalt), sich letztlich aber an eine ausländische Adressatin richtete. Zwar können auch über Anwälte geführte Verhandlungen Bemühungen i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG sein. Dies gilt mangels anderweitiger gesetzlicher Hinweise auch für Vergleichsverhandlungen zur Beendigung von Verletzungsstreitigkeiten, bei denen eine Lizenzvergabe als Teil des Vergleichs erörtert wird. Allerdings wird in solchen Konstellationen wegen des erhöhten Abstimmungsbedarfs mehr Zeit vorzusehen sein als bei direkten Kontakten auf Fach- und/oder Führungsebene.

49

Den sich nach diesen Umständen des Einzelfalls ergebenden Anforderungen an in zeitlicher Hinsicht angemessene Lizenzbemühungen hat das Lizenzgesuch der Antragstellerinnen nicht genügt.

50

In der Konsequenz haben die Antragstellerinnen eine inhaltliche Reaktion auf ihr Angebot auch nicht abgewartet und – offensichtlich unter dem Eindruck des nahenden Termins beim Verletzungsgericht – bereits drei Wochen später, mit Schriftsatz vom 12. Juli 2018 die vorliegende Zwangslizenzklage eingereicht. Damit haben sie deutlich gemacht, dass auch aus ihrer Sicht kein angemessener Zeitraum für ernsthafte Lizenzbemühungen mehr vorhanden war. Diese Umstände sprechen in ganz besonderer Weise gegen ernsthafte Lizenzbemühungen über einen angemessenen Zeitraum, statt dessen aber für vorgeschobene Lizenzbemühungen zwecks Vorbereitung einer Zwangslizenzklage.

51

c) Die Antragstellerinnen waren auch nicht etwa durch die von ihnen genannten Äußerungen von Organen und Vertretern der Antragsgegnerin in den Jahren 2015/16 vom Erfordernis entbunden, sich innerhalb eines angemessenen Zeitraumes um eine Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu bemühen. Die Bestimmung des § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG sieht keine Ausnahmen vor. Vielmehr sind nach dem Gesetz selbst in schier ausweglosen Situationen zunächst Lizenzbemühungen erforderlich. Unter solchen Umständen ist daher vornherein eine entsprechende Zeit für Lizenzbemühungen vorzusehen.

52

Erst recht ist der im Sommer 2018 bereits nahende Termin am 11. September 2018 beim Landgericht kein Grund, die Angemessenheit des Bemühenszeitraums i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG zu Lasten der Patentinhaberin abzukürzen. Dem Zwangslizenzkläger obliegt es, auch wenn er parallel einen Verletzungsprozess und ein Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren führt, die Lizenzverhandlungen rechtzeitig zu beginnen und ernsthaft zu führen.

53

d) Nichts anderes würde sich ergeben, wenn man entgegen den o. g. Ausführungen bereits die von den Antragstellerinnen genannten Kontakte mit der Antragsgegnerin in den Jahren 2015/2016 als Führung von Lizenzverhandlungen ansehen würde, die an der – aus Sicht der Antragstellerinnen – strikten und unmissverständlichen Ablehnung durch die Antragsgegnerin gescheitert sind. Denn dann würde wegen der inzwischen vergangenen Zeit und mit Blick auf neu eingetretene Entwicklungen ein erneutes Bemühen um eine Lizenz erwartet werden können. Vorliegend machen die Antragstellerinnen mit der Zwangslizenzklage geltend, dass ein öffentliches Interesse an der weiteren freien Verfügbarkeit ihres Arzneimittels Praluent® wegen der Ergebnisse der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie bestehe, die eine Verringerung der Gesamtmortalität bei Hochrisikopatienten durch dieses Medikament belegt habe. Die Ergebnisse der Studie haben die Antragstellerinnen im März 2018 veröffentlicht, zu einem Zeitpunkt, zu dem sie wegen der Terminierung durch das Landgericht bereits unter Druck standen. Bei dieser besonderen Motivationslage wird erwartet werden müssen, dass ein Arzneimittelproduzent es nicht bei längst gescheiterten Verhandlungen aus vergangenen Jahren belässt, sondern nochmals Verhandlungen beginnt. Hierbei kann die Androhung einer auf die Ergebnisse der ODYSSEY-Studie gestützten Zwangslizenzklage ein „Druckmittel“ sein, um selbst eine bis dahin unwillige Patentinhaberin dennoch zur Lizenzvergabe zu bewegen. Dabei geht es nicht etwa um eine Obliegenheit o. ä. zur Darlegung des öffentlichen Interesses i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 2 PatG gegenüber der Patentinhaberin, wie dies offenbar die Antragsgegnerin in ihrem schriftsätzlichen Vorbringen zu sehen scheint, wenn sie in Zusammenhang mit dem Lizenzangebot der Antragstellerinnen mehrfach die Vorlage von Daten zur Beurteilung des öffentlichen Interesses gefordert hat. Vielmehr geht es um ein mögliches Argument zur Vergabe einer rechtsgeschäftlichen Lizenz.

54

Auf weitere von der Antragsgegnerin aufgeworfene Fragen im Zusammenhang mit den Anforderungen an Lizenzbemühungen i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG braucht damit nicht mehr eingegangen zu werden.

55

2. Die Antragstellerinnen haben auch nicht glaubhaft gemacht, dass das öffentliche Interesse die Erteilung der Zwangslizenz gebietet.

56

a) Der Begriff des öffentlichen Interesses i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 2 PatG ist ein von der Rechtsprechung auszufüllender unbestimmter Rechtsbegriff. Er lässt sich nicht in allgemeingültiger Weise umschreiben. Die Frage, ob ein die Erteilung einer Zwangslizenz gebietendes öffentliches Interesse gegeben ist, muss vielmehr unter Abwägung aller für den Einzelfall relevanten Umstände und der betroffenen Interessen beantwortet werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsordnung dem Patentinhaber ein ausschließliches Recht einräumt, über dessen Ausübung er grundsätzlich alleine bestimmen darf. Das öffentliche Interesse kann deshalb nur dann berührt sein, wenn besondere Umstände hinzukommen, die die uneingeschränkte Anerkennung des ausschließlichen Rechts und die Interessen des Patentinhabers zurücktreten lassen, weil die Belange der Allgemeinheit die Ausübung des Patents durch den Lizenzsucher gebieten (vgl. BGH GRUR 1996, 190, 192, li. Sp., Ziff. II.1., erster und zweiter Abs. – Polyferon/Interferon-gamma). In Anwendung dieser Grundsätze kann ein die Erteilung einer Zwangslizenz gebietendes öffentliches Interesse zu bejahen sein, wenn ein Arzneimittel zur Behandlung schwerer Erkrankungen therapeutische Eigenschaften aufweist, die die auf dem Markt erhältlichen Mittel nicht oder nicht in gleichem Maße besitzen, oder wenn bei seinem Gebrauch unerwünschte Nebenwirkungen vermieden werden, die bei Verabreichung der anderen Therapeutika in Kauf genommen werden müssen (vgl. BGH, a. a. O., S. 193, re. Sp., Ziff. 3., erster Abs.). Eine Zwangslizenz kann hingegen grundsätzlich nicht zugesprochen werden, wenn das öffentliche Interesse mit anderen, im Wesentlichen gleichwertigen Ausweichpräparaten befriedigt werden kann (vgl. BGH GRUR 2017, 1017, Rn. 39 – Raltegravir unter Hinweis auf BGH GRUR 1996, 190, 193 – Polyferon/Interferon-gamma).

57

b) Für den Senat bestehen bereits Zweifel, ob das Medikament Praluent® mit dem Wirkstoff Alirocumab die von den Antragstellerinnen behaupteten therapeutischen Eigenschaften aufweist und die Gesamtmortalität (im Vergleich zur Placebogruppe) signifikant zu senken vermag. Mit den in der Folienpräsentation HE19 zusammengestellten Ergebnissen aus der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie ist jedenfalls nicht nachvollziehbar belegt, dass durch die Verabreichung von Alirocumab/Praluent® eine signifikante Reduzierung der Gesamtmortalität erreicht werden kann. Hierbei unterstellt der Senat zugunsten der Antragstellerinnen, dass die Folienpräsentation HE19 die patientenbezogenen Daten aus der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie korrekt wiedergibt, so dass es der Erhebung des von den Antragstellerinnen angebotenen Zeugenbeweises (Zeuge Prof. Dr. S…) nicht bedurfte. Damit geht der Senat davon aus, dass in der ODYSSES-OUTCOMES-Studie von 9462 Studienteilnehmern in der Placebo-Gruppe insgesamt 392 Patienten verstorben sind, während in der Patientengruppe, in der die Patienten das Arzneimittel Praluent® mit dem Wirkstoff Alirocumab erhalten haben, nur 334 Patienten und damit 58 Patienten weniger als in der Placebo-Gruppe verstorben sind.

58

Bedenken ergeben sich allerdings daraus, dass sowohl bei den koronaren Todesfällen („CHD death“) als auch bei den – diese enthaltenden – kardiovaskulären Todesfällen („CV death“) gemäß den Daten der Folie Nr. 33 von HE19 bei einem Vergleich der Wirkstoff-Gruppe mit der Placebo-Gruppe jeweils nur eine nicht signifikante Reduktion der Todesfälle rechnerisch ermittelt wurde. Dies zeigen die in der rechten Spalte der Tabelle angegebenen „P-values“ von 0,38 für „CHD death“ und 0,15 für „CV death“. Bei den angegebenen „P-values“ handelt es sich um Wahrscheinlichkeitswerte, die angeben, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das festgestellte Ereignis auf Zufall zurückzuführen ist. Die Antragstellerinnen haben hierzu mündlich vorgetragen, dass z. B. ein Wert von 0,001 dafür spricht, dass ein Zufallsergebnis extrem unwahrscheinlich ist. Um ein Zufallsergebnis ausschließen zu können, müsse der P-Wert daher grundsätzlich kleiner als 0,05 (= 5%) sein (vgl. a. Antragsschrift, S. 30, Rn. 104). Die festgestellten P-Werte von 0,38 bzw. 0,15 lassen infolgedessen nicht den Schluss zu, dass in der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie bei den „CV-death“- und „CHD-death“-Fällen ausschließlich die Gabe von Alirocumab/Praluent® die Reduzierung der Mortalität bewirkt hat. Nachdem diese nicht signifikanten P-Werte in den für die Gesamtmortalität berechneten P-Wert von 0,026 (= 2,6%) mit einfließen, bestehen somit Bedenken, ob es sich bei dem genannten P-Wert von 0,026 tatsächlich um einen signifikanten Wert handelt, der belegt, dass in der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie mit einer 97,4%-igen Wahrscheinlichkeit aufgrund von Alirocumab/Praluent® in der Wirkstoff-Gruppe 58 Patienten weniger verstorben sind als in der Placebo-Gruppe. Dies erscheint schon deshalb nicht überzeugend, weil sich in diesem Fall aus mehreren nicht-signifikanten P-Werten letztendlich ein deutlich signifikanter P-Wert ergeben würde, was unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich Fehler in mathematischen Rechnungen stets fortpflanzen, nicht folgerichtig erscheint. Bedenken an der klinischen Relevanz des ermittelten P-Werts von 0,026 äußern auch Pocock und Collier (vgl. AG 8, S. 2958, re. Sp., vierter Abs.).

59

Die Bedenken gegen die Aussagekraft des P-Werts von 0,026 können auch die weiteren Argumente der Antragstellerinnen nicht ausräumen. Sie führen u.a. aus, dass es sich hierbei um einen Wert handele, der bei Anwendung der in HEQ50 gezeigten Berechnung sogar mit 0,028 angesetzt werden könne und damit eindeutig gegen ein Zufallsergebnis spreche (vgl. HEQ50, S. 1, letzte Tabelle, re. Sp., letzte Zeile). Außerdem erkläre sich die fehlende Signifikanz der Werte für „CHD death“ von 0,38 und für „CV death“ von 0,15 durch die geringe Fallzahl, die rein rechnerisch automatisch zu einem Anstieg des P-Wertes führe, so dass auch in diesen Fällen durchaus von signifikanten Werten ausgegangen werden könne. Auch die Kennzeichnung des P-Wertes von 0,026 für die Gesamtmortalität als „Nominal P-value“ sei ohne Bedeutung und lediglich der Tatsache geschuldet, dass die beiden zuvor genannten Werte oberhalb von 0,026 lägen. Diese Ausführungen zeigen aber nur, dass die rechnerisch ermittelten Zahlen, wie sie auf der Folie Nr. 33 in HE19 gezeigt werden, nicht absolut gesehen werden können, sondern Spielraum für Interpretationen bieten. Sie stellen rein numerische Ergebnisse dar, spiegeln aber keine klinisch-medizinischen Fakten wieder.

60

Die Zweifel an den Ergebnissen der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie betreffend die Signifikanz bei der Reduktion der Gesamtmortalität unter der Gabe von Alirocumab/Praluent® teilen im Übrigen auch die Privatgutachter der beiden Parteien:

61

So zieht der Gutachter der Antragsgegnerin, Prof. Dr. F…, als Erklärung für den in der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie gezeigten Rückgang der Gesamtmortalität einen bisher unbekannten Effekt in Betracht und kommt zu dem Schluss, dass die Erklärung für den Rückgang der Gesamtmortalität aufgrund dessen nur mit Hilfe von Spekulationen möglich sei. Er hält sogar zufällig falsch-positive Ergebnisse als Grund für dieses Ergebnis für möglich (vgl. AG 13a, Rn. 11).

62

Von einem bisher unbekannten Effekt geht selbst der Gutachter der Antragstellerinnen, Prof. Dr. P…, aus. Außerdem äußert auch er die Vermutung, dass die Ergebnisse durch Fehlklassifikationen verursacht sein könnten, indem kardiovaskuläre Todesfälle nicht als solche erfasst worden seien (vgl. HEQ39, S. 5, zweiter Abs., Sätze 1 bis 4 von unten).

63

Letztlich kann die Frage, ob Praluent® tatsächlich die von den Antragstellerinnen behauptete therapeutische Wirkung hat, jedoch dahingestellt bleiben.

64

c) Selbst unter der Annahme, dass mit dem Medikament Alirocumab/Praluent® in der klinischen ODYSSEY-OUTCOMES-Studie eine signifikante Reduzierung der Gesamtmortalität bei sämtlichen Patienten um 15% und bei Hochrisikopatienten sogar um 29% erreicht wurde, konnten die Antragstellerinnen nicht glaubhaft machen, dass Alirocumab/Praluent® therapeutische Eigenschaften aufweist, die Evolocumab/Repatha® nicht oder nicht in gleichem Maße besitzt, so dass das öffentliche Interesse bei fehlender Verfügbarkeit von Alirocumab/Praluent® nicht durch ein im Wesentlichen gleichwertiges Ausweichpräparat befriedigt werden kann.

65

aa) Für die Überlegenheit von Alirocumab/Praluent® gegenüber Evolocumab/ Repatha® tragen die Antragstellerinnen die Beweislast, Dies ergibt sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 85 Abs. 1 PatG. Danach sind die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 bis 6 PatG, damit wiederum das Bestehen eines öffentlichen Interesses nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 PatG vom Kläger glaubhaft zu machen. Daher haben die Antragstellerinnen die besonderen Umstände darzulegen und ggf. glaubhaft zu machen, die die uneingeschränkte Anerkennung des ausschließlichen Rechts sowie die Interessen des Patentinhabers wegen vorrangiger Belange der Allgemeinheit zurücktreten lassen. Hierzu gehört nach den o. g. Ausführungen des Bundesgerichtshofs auch, dass das öffentliche Interesse nicht mit anderen, im Wesentlichen gleichwertigen Ausweichpräparaten befriedigt werden kann. Dabei handelt sich um eine der Voraussetzungen für das Bestehen des öffentlichen Interesses im Arzneimittelbereich, nicht etwa um eine Einwendung des Beklagten. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Polyferon/Interferon gamma“ festgestellt, dass der dortigen Klägerin der Beweis obliege, dass die beiden zur Verfügung stehenden Präparate nicht vergleichbar seien und dass ein möglicherweise für eine Untergruppe von Patienten bestehendes Bedürfnis, mit Interferon-gamma behandelt zu werden, durch das mögliche Ausweichpräparat nicht befriedigt werden könne (vgl. BGH GRUR 1996, 190, 195, li. Sp., unter b) – Polyferon/Interferon gamma).

66

Den Antragstellerinnen kann damit nicht in ihrem auf eine Beweislastumkehr hinauslaufenden Vortrag gefolgt werden. Sie tragen insoweit vor, dass angesichts der von ihnen für das Medikament Alirocumab/Praluent® belegten Senkung der Gesamtmortalität nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass Patienten, die bei einem Wegfall von Alirocumab/Praluent® gezwungenermaßen auf das Medikament Evolocumab/Repatha® umsteigen müssten, Beeinträchtigungen erleiden oder eine weniger wirksame Behandlung erhalten würden, was wegen der Schwere der Erkrankung mit möglicherweise lebensbedrohlichen Konsequenzen einhergehe. Vorliegend müsse daher seitens der Antragsgegnerin klinisch nachgewiesen werden, dass Evolocumab/Repatha® eine echte Alternative zu Alirocumab/Praluent® darstelle, mit dem die gleichen oder sogar bessere Risikoverringerungen für alle relevanten Ereignisse und alle Patienten erreicht werden könne (vgl. Schriftsatz der Antragstellerinnen vom 20. August 2018, S. 14, Rn. 41). Diese Sichtweise ist mit der insoweit eindeutigen Regelung des § 85 Abs. 1 PatG ebenso wenig vereinbar wie mit den in BGH, a. a. O., getroffenen Feststellungen zur Beweislastverteilung.

67

Eine Beweislastumkehr kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Gefahren- oder Verantwortungsbereichs in Betracht. Denn die therapeutische Gleich- oder Höherwertigkeit von zwei Arzneimitteln entsteht nicht in der Sphäre des Gegners, sondern im Patientenkollektiv, auf das beide Parteien in gleicher Weise Zugriff haben.

68

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen konnten die Antragstellerinnen durch den von ihnen vorgenommenen Vergleich der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie (vgl. HE19, HE23) mit der von der Antragsgegnerin durchgeführten FOURIER-Studie (vgl. HEQ42, HEQ43) nicht glaubhaft machen, dass das in Betracht kommende Ausweichpräparat Evolocumab/Repatha® der Antragsgegnerin nicht oder nicht in gleichem Maße die gleichen therapeutischen Eigenschaften wie Alirocumab/Praluent® aufweist.

69

Gegen einen solchen Nachweis spricht bereits, dass die beiden genannten Studien als Placebo-kontrollierte Doppelblindstudien angelegt sind (vgl. HE23, S. 2, zweiter Abs., zweiter Satz und HEQ42, S. 1713, Abschnitt „Methods“, erster Satz). Dies bedeutet, dass in der einen Studie die Wirkungsweise des im Medikament Praluent® enthaltenen monoklonalen Antikörpers Alirocumab gegenüber einer Standardtherapie mit Statinen untersucht wurde (ODYSSEY-OUTCOMES-Studie), während getrennt davon in der anderen Studie die Wirkungsweise des im Medikament Repatha® enthaltenen monoklonalen Antikörpers Evolocumab (FOURIER-Studie) ebenfalls gegenüber der Standardtherapie klinisch getestet wurde (vgl. HE19, Folie Nr. 5 und HEQ42, S. 1713, Abschnitt „Methods“, zweiter Satz). Ein direkter Wirkungsvergleich der beiden Antikörper, wie er in einer sog. Äquivalenzstudie („Head-to-Head-Study“) untersucht wird, bei der ein einheitliches Patientenkollektiv unter einem einheitlichen Studiendesign entweder den einen oder den anderen Antikörper als Wirkstoff erhält, kann mit den genannten Studien folglich nicht ersetzt werden.

70

Maßgebend hierfür ist vor allem, dass in den beiden genannten Studien, wie auch von den Parteien sowie ihren jeweiligen Privatgutachtern mehrfach angesprochen, unterschiedliche Patientenkollektive behandelt wurden. Bei den in der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie untersuchten Patienten lag das akute Koronarsyndrom durchschnittlich erst 2,6 Monate zurück (vgl. HE23, S. 2, zweiter Abs., dritter Satz), während sich bei den Patienten der FOURIER-Studie ein kardiovaskuläres Ereignis durchschnittlich bereits vor 3,3 Jahren ereignet hat (vgl. HEQ42, S. 1716, Tabelle 1, unter „Characteristics“, Zeilen 12 und 14). Damit wiesen die Patienten der FOURIER-Studie jedoch ein wesentlich geringeres Mortalitätsrisiko auf, was auch die Antragstellerinnen anerkennen (vgl. Antragsschrift vom 12. Juli 2018, Rn. 110 sowie HEQ43, S. 55, tabellarische Übersicht zum „Primary Endpoint“, Werte betreffend „Hazard Ratio“ (Relatives Risiko) nahe 1,0 in Bezug auf „Typ of disease“ (z. B. „MI alone“) und „Baseline LDL-C“ (z.B. „Q4“)).

71

Ferner unterscheiden sich die beiden Studien in ihrem Studiendesign. In beiden Studien wurden z.B. unterschiedliche Zielwerte für das LDL-Cholesterin (kurz = LDL-C) definiert. In der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie wird eine Absenkung des LDL-C von einem durchschnittlichen Basiswert von 90 mg/dl auf 45 mg/dl und damit eine 50%-ige Absenkung angestrebt (vgl. HE19, Folie Nr. 17, Abschnitt „Assumptions“, zweiter Aufzählungspunkt). In der FOURIER-Studie gilt dagegen die Vorgabe, einen anfänglichen durchschnittlichen Basis-Wert von 92 mg/dl auf 30 mg/dl zu reduzieren, was einer 59%-igen Absenkung entspricht (vgl. HEQ42, S. 1713, Abschnitt „Results“, erster Satz i. V. m. S. 1717, Fig. 1). Um ein Absinken des LDL-C Wertes unter 15 mg/dl zu vermeiden, wird in der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie außerdem die Alirocumab-Dosis entweder von 150 mg auf 75 mg reduziert oder die Patienten werden auf die Placebo-Gruppe umgestellt (= Titrationsansatz, vgl. HE19, Folie Nr. 15). Ein solcher unterer Grenzwert für den LDL-C Wert ist in der FOURIER-Studie hingegen nicht vorgesehen (vgl. HE23, S. 2, dritter Abs., zweiter Satz).

72

Diskrepanzen zeigen die beiden Studien auch in Bezug auf die darin festgelegten Studienziele. In der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie werden als „Primäre Endpunkte“ koronarer Herztod, nicht tödlicher Herzinfarkt, ischämischer Schlaganfall oder ein Krankenhausaufenthalt wegen instabiler Angina pectoris definiert (vgl. HE19, Folie Nr. 8). Die FOURIER-Studie sieht als primäre Endpunkte neben kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall und einem Krankenhausaufenthalt wegen instabiler Angina pectoris noch eine koronare Revaskularisierung, wie z. B. einen Bypass, vor (vgl. HEQ42, S. 1718, Tabelle 2, erste Zeile unterhalb der Überschrift „Outcome“).

73

Abweichungen sind auch bei den sekundären Endpunkten festzustellen. So bezieht die ODYSSEY-OUTCOMES-Studie die Gesamtmortalität als einen sekundären Endpunkt mit ein, während diese in der FOURIER-Studie unter den sekundären Endpunkten nicht genannt wird. Eine Sterblichkeit unabhängig von der Todesursache wird in der FOURIER-Studie lediglich unter den „weiteren Endpunkten“ („other end points“) aufgeführt. Hinzu kommt, dass die FOURIER-Studie keine positiven Signale betreffend die Gesamtmortalität präsentiert, da in der Placebo-Gruppe mit 426 Patienten weniger Personen verstorben sind als in der Wirkstoff-Gruppe, in der 444 Patienten unter der Einnahme des Medikaments Evolocumab/Repatha® verstarben (vgl. HEQ42, S. 1718, Tabelle 2, achte Zeile unterhalb der Überschrift „Outcome“). Nach der Auswertung der Antragstellerinnen reduziert sich in der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie hingegen die Gesamtmortalität durch die Einnahme des Medikaments Alirocumab/Praluent® generell um 15 % und bei Hochrisikopatienten sogar um 29 %.

74

Diese und weitere Unterschiede zwischen den beiden Studien haben auch die Privatgutachter der Antragstellerinnen, Prof. Dr. C… und Prof. Dr. P…, festgestellt (vgl. HE4a, S. 4, letzter Absatz bis S. 5, zweiter Abs. und HE39, S. 6 bis 8, Abschnitt 4). In der Gesamtbetrachtung machen die aufgezeigten Unterschiede deutlich, dass ein direkter Vergleich der beiden Studien nicht zulässig ist. Auch eine Hoch- bzw. Umrechnung der Ergebnisse aus der einen Studie auf die Ergebnisse der anderen ist nicht möglich, da die Wirkung jedes einzelnen Medikaments aus regulatorisch-ethischen Gründen klinisch nachgewiesen werden muss und daher keinesfalls rein rechnerisch ermittelt werden kann. Ähnlich wie es der Bundesgerichtshof bereits im Fall „Polyferon/Interferon-gamma“ festgestellt hat (vgl. BGH GRUR 1996, 109, 195, li. Sp., unter b)), ließe sich auch vorliegend nur durch eine Äquivalenzstudie klären, ob sich das Medikament Alirocumab/Praluent® der Antragstellerinnen in Bezug auf die Reduzierung der Gesamtmortalität, insbesondere bei Hochrisikopatienten, gegenüber dem möglichen Ausweichmedikament Evolocumab/Repatha® der Antragsgegnerin als überlegen erweist. Eine solche Äquivalenzstudie wurde allerdings nicht vorgelegt.

75

d) Es ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass ein öffentliches Interesse an der weiteren Verfügbarkeit von Alirocumab/Praluent® aufgrund dessen geringerer Dosierbarkeit gegenüber dem Medikament Evolocumab/Repatha® besteht oder weil der monoklonale Antikörper Alirocumab strukturelle Unterschiede gegenüber dem monoklonalen Antikörper Evolocumab aufweist.

76

Zutreffend ist zwar, dass das Medikament Alirocumab/Praluent® in der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie in Dosierungen von 75 mg oder 150 mg eingesetzt worden ist (vgl. HE19, Folie Nr. 15), während Evolocumab/Repatha® in der FOURIER-Studie in Dosen von 140 mg bzw. 420 mg verabreicht wurde (vgl. HEQ42, S. 1713, Abschnitt „Methods“, 2. Satz). Das Medikament Alirocumab/  Praluent® steht daher für die klinische Praxis in einer geringeren Dosierung zur Verfügung als das Medikament Evolocumab/Repatha® der Antragsgegnerin. Zudem kann bei der als Pen für das Medikament Evolocumab/Repatha® vorgesehenen Applikationsform die Dosis nicht reduziert werden. Dies ändert allerdings nichts daran, dass auch das Medikament Evolocumab/Repatha® – wenn erforderlich – mittels einer einfachen Spritze gleichfalls in einer geringeren Dosierung verabreicht werden könnte.

77

Zudem stellt sich die Frage, ob eine solche geringere Dosierung überhaupt erforderlich ist. Denn in der als „Ebbinghaus-Studie“ bezeichneten Substudie der FOURIER-Studie wurde festgestellt, dass auch bei LDL-C Werten von kleiner als 25 mg/dl keinerlei unerwünschte Nebenwirkungen beobachtet werden konnten, was eine Dosisreduktion im Falle des Medikaments Evolocumab/Repatha® obsolet macht (vgl. AG 11, S. 641, re. Sp., erster vollständiger Abs., letzter Satz). Gegenteiliges haben die insoweit beweispflichtigen Antragstellerinnen nicht glaubhaft gemacht. Daher vermögen auch niedrige LCL-C Werte, wie sie mit der Dosierung des Medikaments Evolocumab/Repatha® eintreten könnten, kein öffentliches Interesse zu begründen.

78

Auch die von den Antragstellerinnen angesprochenen strukturellen Unterschiede der beiden in Rede stehenden monoklonalen Antikörpertherapeutika sind hierzu nicht in der Lage. Sowohl der monoklonale Antikörper Alirocumab als auch der monoklonale Antikörper Evolocumab binden selektiv an diejenige Region auf dem Protein PCSK9, die mit der extrazellulären Domäne des LDL-Rezeptor-Proteins (kurz LDLR) interagiert und somit PCSK9 daran hindert, mit dem LDLR in Wechselwirkung zu treten. Dies führt dazu, dass das LDLR nicht mehr endosomatisch abgebaut werden kann. Die beiden monoklonalen Antikörper sind infolgedessen in der Lage, die Anzahl an LDLR im Blutplasma zu erhöhen, um so den Abbau des LDL-Cholesterins zu fördern. Daraus ergibt sich, dass die beiden monoklonalen Antikörpertherapeutika Alirocumab/Praluent® und Evolocumab/Repatha® das gleiche Target inhibieren und somit denselben Wirkungsmechanismus aufweisen.

79

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich die beiden Antikörper in ihrer Antigenbindungsstelle strukturell unterscheiden. Dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerinnen zu Folge überlappt das von beiden Antikörpern jeweils erkannte Epitop (= Stelle auf dem Antigen, die vom Antikörper erkannt wird) zwar nur in 2 von 20 Aminosäuren, so dass die Epitope demzufolge nur eine 10%-ige Übereinstimmung aufweisen. Ob diese strukturellen Unterschiede allerdings Auswirkungen auf die Wirksamkeit und/oder die Nebenwirkungsrate der beiden monoklonalen Antikörpertherapeutika zeigen, haben die Antragstellerinnen nicht glaubhaft gemacht. Sie verweisen in diesem Zusammenhang lediglich auf einen weiteren PCSK9-Antikörper, der als Bococizumab bezeichnet wird. Dieser hat sich in klinischen Tests insofern als nachteilig erwiesen, als während der Behandlung mit Bococizumab ein deutlicher Wirknachlass hinsichtlich der LDL-Cholesterinsenkung zu beobachten war und zahlreiche Patienten unter der Einnahme von Bococizumab körpereigene Antikörper gegen den therapeutischen Antikörper, sog. „Anti-Drug-Antikörper“, entwickelten (vgl. HEQ46, S. 1517 Abschnitt „Results“, dritter Satz). Derart negative Effekte wurden allerdings weder bei der Gabe von Alirocumab/Praluent® noch unter der Einnahme von Evolocumab/Repatha® beschrieben (vgl. HE19, Folie Nr. 4, die letzten beiden Aufzählungspunkte; HEQ39, S. 2/3, seitenüberbergreifender Abs.; HEQ42, S. 1713, Abschnitt „Results“, letzter Satz). Demzufolge haben die Antragstellerinnen auch unter dem Gesichtspunkt der Epitoperkennung überlegene Eigenschaften des Medikaments Alirocumab/Praluent® gegenüber dem Medikament Evolocumab/Repatha® nicht belegt.

80

e) Ein öffentliches Interesse an der weiteren Verfügbarkeit von Alirocumab/ Praluent® konnte vorliegend auch unter dem Gesichtspunkt möglicher Unverträglichkeitsreaktionen oder dem Nichtansprechen auf das Medikament Evolocumab/ Repatha® nicht glaubhaft gemacht werden.

81

Der Senat geht dabei mit den Antragstellerinnen davon aus, dass es Einzelfälle gibt, bei denen Patienten auf das Medikament Evolocumab/Repatha® nicht oder nur schlecht ansprechen, während diese Patienten mit Alirocumab/Praluent® erfolgreich behandelt werden können oder bei denen in Zusammenhang mit der Behandlung von Evolocumab/Repatha® auftretende Nebenwirkungen mit Alirocumab/Praluent® vermieden werden können. Die Einvernahme des Zeugen P… war daher nicht erforderlich.

82

Die in den Dokumenten HE26, HE27 und HEQ39 geschilderten Einzelfälle belegen jedoch nicht, dass die in der Praxis beobachteten Unverträglichkeiten bzw. das Nichtansprechen von Patienten auf Evolocumab/Repatha® auf nachteilige Eigenschaften dieses Medikaments zurückzuführen ist. So wird in dem von Dr. D… im Dokument HE26 geschilderten Fall die bessere Wirksamkeit von Alirocumab/Praluent® gegenüber Evolocumab/Repatha® nicht allein auf strukturelle Unterschiede der beiden monoklonalen Antikörpertherapeutika zurückgeführt. Vielmehr wird auch erwogen, dass unter der Gabe von Evolocumab/Repatha® die Kooperation des Patienten Mängel aufwies („compliance issues“) und es zu Fehlern bei der Verabreichung der Injektion gekommen ist („faulty injection technique“, vgl. HE26, S. 1, re. Sp., Abschnitt „Conclusions“). Fehler bei der Verabreichung des Wirkstoffes zieht auch der Sachverständige Prof. C… als eine mögliche Ursache dafür in Betracht, dass sich die Wirkung monoklonaler Antikörper nicht optimal entfalten kann (vgl. HE4a, S. erster Abs.). Im „Amici Curiae“-Dokument HE27 werden zwar in allgemeiner Form Fälle geschildert, in denen Patienten erfolgreich mit dem Medikament Alirocumab/Praluent® behandelt worden sind. Dieser Erfolg wird darin aber weder vor dem Hintergrund eines direkten Vergleichs der Wirkung von Alirocumab/Praluent® mit Evolocumab/Repatha® beschrieben, noch wird dieser durch klinische Daten belegt. Auch die von Prof. P… geschilderten Erfahrungen aus der Klinik werden durch keinerlei konkrete klinische Daten untermauert (vgl. HEQ39, S. 9, erster Abs. und vierter Abs., vorletzter Satz bis S. 10, erster Abs.).

83

Hinzu kommt, dass keines der genannten Dokumente belegt, dass allein das Medikament Alirocumab/Praluent® in der Lage ist, bei einer bestimmten Patientengruppe Leben zu retten und damit eine gegenüber dem Medikament Evolocumab/Repatha® überlegene Eigenschaft besitzt. Die Gefährdung bestimmter Patientengruppen, wie sie im Fall „Raltegravir“ als eine wesentliche Voraussetzung für die Annahme eines öffentlichen Interesses gesehen worden ist (vgl. BGH GRUR 2017, 1017, Rdn. 49 – Raltegravir), konnte durch Vorlage der Dokumente HE26, HE27 und HEQ39 im vorliegenden Fall somit nicht dargetan werden.

84

f) Schließlich kann ein öffentliches Interesse auch nicht damit begründet werden, dass sich Ärzte an Ergebnissen klinischer Studien orientieren und im konkreten Fall bei Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom eher zu einer Verordnung von Alirocumab/Praluent® neigen. Auf diesen Umstand und damit auf eine Verordnung unter Berücksichtigung des Studiendesigns sowie der eingeschlossenen Patientengruppe weist zwar der Privatgutachter der Antragstellerinnen, Prof. Dr. P…, hin (vgl. HEQ39, S. 8). Ein für die Erteilung einer Zwangslizenz erforderliches öffentliches Interesse ist indes nur anzunehmen, wenn festgestellt werden kann, dass eine Behandlung von Patienten mit einem im Wesentlichen gleichwertigen Ausweichpräparat nicht gewährleistet ist. Ist dies wie vorliegend nicht glaubhaft gemacht, kommt es auf ein etwaiges abweichendes Verordnungsverhalten der behandelnden Ärzte nicht an. Denn die nicht auf nachgewiesenen medizinischen Gründen beruhende Bevorzugung eines Medikaments stellt aus rechtlicher Sicht keinen derart besonderen Umstand dar, der die uneingeschränkte Anerkennung des ausschließlichen Rechts und die Interessen des Patentinhabers zurücktreten lässt.

85

g) Die Annahme, dass Patienten, die bisher erfolgreich mit Alirocumab/Praluent® behandelt worden sind, möglicherweise nicht zu Evolocumab/Repatha® wechseln wollen (vgl. HEQ39, S. 10, 2. Absatz), ist in gleicher Weise nicht geeignet, ein öffentliches Interesse, das die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet, zu begründen.

86

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84 Abs. 2 PatG, § 91 Abs. 1 ZPO.

87

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.