Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 18.03.2010


BVerwG 18.03.2010 - 3 C 26/09

Unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personennahverkehr; pauschale Erstattung von Fahrgeldausfällen; Härteregelung; Gleichheitsgrundsatz


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
18.03.2010
Aktenzeichen:
3 C 26/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OVG Lüneburg, 26. Mai 2009, Az: 4 LC 653/07, Urteilvorgehend VG Oldenburg (Oldenburg), 26. Juni 2007, Az: 13 A 3349/06, Urteilnachgehend BVerfG, 19. März 2014, Az: 1 BvR 1417/10, Nichtannahmebeschluss
Zitierte Gesetze
§ 148 Abs 5 SGB 9

Leitsätze

§ 148 Abs. 5 SGB IX (juris: SGB 9) ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Namentlich liegt keine Verletzung des Gebots der Systemgerechtigkeit vor.

Tatbestand

1

Die Klägerin betreibt den öffentlichen Personennahverkehr auf der Insel B. Mit Bescheid vom 16. Mai 2006 setzte der Beklagte die Erstattung der Fahrgeldausfälle für die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen für das Kalenderjahr 2005 auf 106 537,33 € und in der Folge die Vorauszahlung für 2006 auf 85 229,00 € (= 80 %) fest. Die Klägerin beansprucht eine um 16 187,65 € höhere Erstattung für 2005 und in der Folge eine um 12 921,00 € höhere Vorauszahlung für 2006.

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Gemäß § 148 SGB IX werden die Fahrgeldausfälle im Nahverkehr pauschal nach einem Prozentsatz der von dem Unternehmer nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Dieser Prozentsatz wird für jedes Land jährlich einheitlich ermittelt und bekannt gemacht; er betrug für Niedersachsen im Jahr 2005 2,59 %. Bei Fahrgeldeinnahmen der Klägerin im Jahr 2005 von 1 882 285 € belief sich die pauschale Erstattung mithin auf 48 751,18 €. Die Klägerin hatte aber durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Jahr 2005 bei ihr den pauschalen Durchschnittswert um mehr als ein Drittel überstieg, nämlich 6,52 % betrug. Für diesen Fall sieht das Gesetz vor, dass neben dem pauschalen Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet wird. Der über dem Drittel, also über (2,59 % mal 1,333 =) 3,45 % liegende Anteil betrug bei der Klägerin (6,52 % - 3,45 % =) 3,07 %, was zu einem zusätzlichen individuellen Erstattungsbetrag von 57 786,15 € führte. Zusammen mit dem pauschalen Betrag errechnete sich der vom Beklagten festgesetzte Erstattungsbetrag von 106 537,33 €, was einer Erstattung in Höhe von (2,59 % + 3,07 % =) 5,66 % der Fahrgeldeinnahmen der Klägerin entspricht.

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Mit ihrer Klage beansprucht die Klägerin eine Erstattung in Höhe von 6,52 % ihrer Fahrgeldeinnahmen. Soweit die gesetzliche Regelung dahinter zurückbleibt, hält sie sie - unter Berufung auf ein Rechtsgutachten von Professor Dr. Jarass - für verfassungswidrig, weil sie gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG verstoße. Im Grundsatz sei es zwar zulässig, die Fahrgeldausfälle nach landesweiten Durchschnittswerten pauschal zu erstatten. Dies gelte aber nur für Unternehmen mit einem gewöhnlichen Fahrgastaufkommen und setze nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Härtefallregelung voraus, die einem Unternehmer den Nachweis eröffne, dass er signifikant mehr Schwerbehinderte als im Landesdurchschnitt befördere. In einem solchen Fall müsse an die Stelle der pauschalen eine individuelle Berechnung des Erstattungsbetrages treten, wie sie das Gesetz seit 1983 auch vorgesehen habe. Dass der Gesetzgeber hiervon 2005 abgewichen sei und die pauschale mit einer nur ergänzenden individuellen Berechnung kombiniert habe, sei systemwidrig und verletze deshalb Art. 3 Abs. 1 GG. Weil dies den Unternehmern einen generellen Selbstbehalt in der Höhe von einem Drittel des Landesprozentsatzes - hier von 0,86 % - der jährlichen Fahlgeldeinnahmen auferlege, werde auch Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.

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Mit Urteil vom 26. Juni 2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Gesetzgeber müsse nicht um die vollständige Gleichbehandlung aller denkbaren Einzelfälle besorgt sein, sondern dürfe generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen vorsehen. Zwar sei er verpflichtet, für die Gruppe der Verkehrsunternehmen, die typischerweise überdurchschnittlich viele schwerbehinderte Menschen beförderten, eine Härteregelung vorzusehen; er sei aber auch hier nicht verpflichtet, den vollen Fahrpreisausfall zu erstatten. Verfassungsgemäß wäre es vielmehr auch, wenn bei wachsendem Anteil unentgeltlich beförderter Schwerbehinderter zwar der absolute Erstattungsbetrag stiege, der Erstattungsbetrag je Schwerbehindertem aber sinke. Wegen des hohen Anteils an Fixkosten für Personal und Transportmittel hingen die relativen Beförderungskosten je Fahrgast ohnehin von der Auslastung ab.

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Die Berufung der Klägerin hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 26. Mai 2009 zurückgewiesen. Dabei hat es offen gelassen, ob die Klage hinsichtlich der Vorauszahlung für 2006 schon deshalb abzuweisen sei, weil das Jahr 2006 zwischenzeitlich bestandskräftig abgerechnet sei. Jedenfalls sei höchstrichterlich geklärt, dass den Unternehmern bei pauschalierender Berechnung ein Selbstbehalt bis zu einem Drittel der durchschnittlichen Fahrgeldausfälle auferlegt werden könne. Dann aber stelle es auch keinen Verfassungsverstoß dar, einem Unternehmer bei individueller Berechnung einen Selbstbehalt in derselben Höhe aufzuerlegen. Das Verwaltungsgericht habe mit Recht darauf hingewiesen, dass der Selbstbehalt infolge einer Neuberechnung des Landesdurchschnittswerts gesenkt worden sei und 2005 in Niedersachsen nur noch 0,86 % betragen habe. Die relative Belastung eines Unternehmens falle um so geringer aus, je mehr Schwerbehinderte es befördere. Darin könne eine unverhältnismäßige Belastung nicht gesehen werden. Auch der Gleichheitssatz sei nicht verletzt. Dem Gesetzgeber sei es bei der Neuregelung 2005 gerade darum gegangen, eine Ungleichbehandlung zwischen Unternehmern, die die Drittel-Schwelle knapp unterschritten, und solchen, die sie knapp überschritten, zu beseitigen. Auch das Gebot der Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeit sei beachtet. Die gesetzliche Neuregelung kombiniere zwar die Prinzipien der pauschalen und der individuellen Fahrgelderstattung, vermenge sie aber nicht.

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Mit ihrer Revision wiederholt und vertieft die Klägerin ihren Klagevortrag und betont vor allem, dass der Selbstbehalt nicht lediglich zu einem relativ sinkenden Erstattungsbetrag je befördertem Schwerbehinderten, sondern auch dazu führe, dass für einen nachgewiesenen Anteil beförderter schwerbehinderter Menschen am Gesamtfahrgastaufkommen jegliche Erstattung entfalle. Dies könne nicht mit der These relativiert werden, die Belastung des Unternehmers hänge wegen der hohen Fixkosten nicht so sehr vom Anteil beförderter Schwerbehinderter als von der Auslastung der Fahrzeuge ab; gerade Unternehmen in Fremdenverkehrs- und Kurgebieten, die typischerweise überdurchschnittlich viele Schwerbehinderte beförderten, hätten auch zusätzliche Gestehungskosten, weil sie zusätzliche und größere Fahrzeuge und ggf. besonderes Personal einsetzen müssten.

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Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

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Die Revision bleibt ohne Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Klage mit Recht abgewiesen.

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1. Die Revision ist hinsichtlich der Vorauszahlung für das Jahr 2006 schon deshalb unbegründet, weil der Erstattungsbetrag für dieses Jahr mit Bescheid vom 24. Mai 2007 - unter Verrechnung mit den tatsächlich gewährten Vorauszahlungen - endgültig festgesetzt wurde und die Klägerin diesen Bescheid nicht angefochten hat.

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2. Der Erstattungsanspruch der Klägerin für das Jahr 2005 beurteilt sich nach § 148 SGB IX in der Fassung des Art. 8 Ziff. 4 Buchst. b des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes vom 21. März 2005 (BGBl I S. 818), das nach seinem Art. 32 Abs. 6 insoweit zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist. Nach § 148 Abs. 1 und 4 SGB IX werden die Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach dem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet, der für das jeweilige Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr ermittelt und bekannt gemacht wird; dieser Prozentsatz lag in Niedersachsen im Jahr 2005 bei 2,59 % (vgl. Nds. MBl. 2006 S. 235). Weist der Unternehmer durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den genannten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird nach § 148 Abs. 5 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach § 148 Abs. 1 und 4 SGB IX ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet. Da die Klägerin durch Verkehrszählung nachgewiesen hat, dass die Zahl der von ihr unentgeltlich beförderten Personen im Jahr 2005 6,52 % der Zahl der sonstigen - entgeltlich beförderten - Personen entsprach, hat sie hiernach neben der Erstattung in Höhe von 2,59 % einen Anspruch auf eine weitere Erstattung in Höhe von (6,52 % minus 1,333 mal 2,59 % =) 3,07 %, zusammen also in Höhe von 5,66 % ihrer Fahrgeldeinnahmen. Dem entspricht der Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 16. Mai 2006; das steht zwischen den Beteiligten auch außer Streit.

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3. § 148 Abs. 5 SGB IX ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

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a) Die Klägerin übt den Beruf des Verkehrsunternehmers aus und kann sich hierfür auf das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG berufen. Sie ist eine juristische Person des Privatrechts im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG, an der nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ausschließlich Private Gesellschaftsanteile halten.

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Durch § 145 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB IX wird die Klägerin verpflichtet, schwerbehinderte Menschen und deren Begleitpersonen unentgeltlich zu befördern; die ihr dadurch entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die darin liegende Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe eine Berufsausübungsregelung darstellt, die grundsätzlich durch vernünftige Gründe des Allgemeinwohls, nämlich durch das mit dem Gesetz verfolgte Ziel gerechtfertigt ist, die Beeinträchtigungen Schwerbehinderter durch Vergünstigungen auszugleichen sowie einer Isolierung Behinderter vorzubeugen oder sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Ebenso hat es erkannt, dass die Verpflichtung der Verkehrsunternehmer zur unentgeltlichen Beförderung, verbunden mit einem System grundsätzlich pauschaler Fahrgelderstattung, zur Erreichung des gesetzlichen Ziels geeignet und dem Verkehrsunternehmer auch zumutbar ist, solange Anhaltspunkte dafür fehlen, dass der tatsächliche Umfang der unentgeltlichen Beförderungsfälle erheblich von den Annahmen abweicht, die der Pauschalierung zugrunde liegen (BVerfG, Beschluss vom 17. Oktober 1984 - 1 BvL 18/82 u.a. - BVerfGE 68, 155 <170 ff.>).

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Der Gesetzgeber konnte hiernach eine pauschale Fahrgelderstattung auf der Grundlage des Anteils der nach § 145 SGB IX Beförderungsberechtigten an der Wohnbevölkerung des Landes vorsehen und davon ausgehen, dass Abweichungen von diesem Durchschnittswert nach oben um bis zu einem Drittel die Grenze der zumutbaren Pauschalierung nicht überschreiten. Die Drittel-Schwelle war als § 60 Abs. 5 SchwbG durch Art. 20 Ziff. 4 Buchst. c des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S. 1532) noch vor Ergehen der erwähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ins Schwerbehindertengesetz eingefügt worden und hat ersichtlich die Billigung des Bundesverfassungsgerichts gefunden (Beschluss vom 17. Oktober 1984 a.a.O. S. 174). Sie erscheint auch unverändert als zumutbar, zumal sie wegen der Anknüpfung des Durchschnittswerts an die Wohnbevölkerung nach § 148 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB IX ohnehin niedrig gehalten wird und sich ihr Ausmaß zudem wegen der weiteren Absenkung des Durchschnittswerts infolge der nur noch hälftigen Berücksichtigung der Begleitpersonen seit der Neufassung des § 148 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 SGB IX durch Art. 8 Ziff. 4 Buchst. a des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes vom 21. März 2005 (BGBl I S. 818; zur Begründung vgl. BTDrucks 15/4228 S. 31) noch weiter verringert hat. Vor der Absenkung - im Jahr 2004 - kamen in Niedersachsen im Landesdurchschnitt 3,63 unentgeltlich Beförderte auf 100 entgeltlich Beförderte; als zumutbar galt mithin eine Überschreitung um bis zu 1,21 unentgeltlich Beförderte (Nds. Sozialministerium, Erlass vom 24. Juni 2005, Nds. MBl. S. 526). Nach der Absenkung - im Jahr 2005 - lag der Landesdurchschnitt bei 2,59 (Nds. Sozialministerium, Erlass vom 22. März 2006, Nds. MBl. S. 235), die Obergrenze zumutbarer Überschreitung bei 0,86. Die Verpflichtung, etwa jeden 103. Fahrgast ohne Erstattung unentgeltlich zu befördern, bürdet dem Verkehrsunternehmer aber keine unzumutbare Last auf.

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b) Auch wenn eine generelle Berufsausübungsregelung im Ganzen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, so kann sie gleichwohl Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG verletzen, wenn innerhalb der betroffenen Berufsgruppe nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern bestimmte, wenn auch zahlenmäßig begrenzte Gruppen typischer Fälle ohne zureichende sachliche Gründe wesentlich stärker belastet werden als andere (BVerfG, Beschluss vom 17. Oktober 1984 a.a.O. S. 173; BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2003 - BVerwG 5 B 261.02 - Buchholz 436.61 § 62 SchwbG Nr. 1 = NVwZ 2003, 866). Eine derartige besondere Gruppe bilden im vorliegenden Zusammenhang diejenigen Verkehrsunternehmer, die - wie die Klägerin - den öffentlichen Personennahverkehr in Kur- und Erholungsgebieten oder anderen Gebieten bedienen, in denen sich eine erheblich überdurchschnittliche Anzahl von zur Freifahrt berechtigten schwerbehinderten Menschen aufhält. Mit § 148 Abs. 5 SGB IX besteht aber für diese Gruppe eine Härteregelung, welche ihre Belastung aus der Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen auf höchstens dasjenige begrenzt, was auch für alle anderen Verkehrsunternehmer als zumutbar gilt. Was aber allen anderen Verkehrsunternehmern zumutbar ist, kann für die besondere Gruppe der Verkehrsunternehmer in Kur- und Erholungsgebieten nicht unzumutbar sein, zumal ihre relative Belastung mit Zunahme des Anteils unentgeltlich Beförderter abnimmt: Die Klägerin muss nicht jeden 103., sondern nur etwa jeden 106. Fahrgast ohne Erstattung unentgeltlich befördern.

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4. § 148 Abs. 5 SGB IX ist auch im Übrigen mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Namentlich liegt keine Verletzung des Gebots der Systemgerechtigkeit vor.

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Die Klägerin bemängelt - unter Berufung auf das von ihr vorgelegte Rechtsgutachten von Prof. Dr. Jarass -, dass im Rahmen der Härteregelung des § 148 Abs. 5 SGB IX trotz des individuellen Nachweises einer erheblich überdurchschnittlichen Beförderung Schwerbehinderter die pauschale Fahrgelderstattung nicht durch eine individuelle Erstattung ersetzt wird, sondern als Sockelerstattung erhalten bleibt und mit einer individuellen Resterstattung lediglich kombiniert wird. Sie sieht in der Beibehaltung der pauschalen Sockelerstattung eine unzulässige Gleichbehandlung verschiedener Sachverhalte und zugleich eine sachwidrige Abweichung von dem gesetzlichen Regelungssystem. Nach einer konsequenten Härteregelung für diejenige Gruppe von Verkehrsunternehmern, die typischerweise erheblich mehr schwerbehinderte Menschen befördere als im Landesdurchschnitt, müsse die Erstattung insgesamt individuell berechnet werden. Damit dringt die Klägerin nicht durch.

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a) Eine unzulässige Gleichbehandlung verschiedener Sachverhalte ist nicht erkennbar.

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Das Gesetz mutet sämtlichen Verkehrsunternehmern, die mehr Schwerbehinderte unentgeltlich befördern, als dem Anteil schwerbehinderter Menschen an der Landesbevölkerung entspricht (Landesdurchschnitt), einen mit zunehmendem Anteil beförderter Schwerbehinderter wachsenden Selbstbehalt zu, höchstens jedoch in Höhe von einem Drittel des Landesdurchschnitts. Darin liegt zunächst eine Verschiedenbehandlung von Verkehrsunternehmern, die aber sachlich begründet ist und gegen die sich die Klägerin auch nicht wendet. Dass die Verkehrsunternehmer, die unterdurchschnittlich viele Schwerbehinderte befördern, begünstigt, diejenigen, die überdurchschnittlich viele befördern, hingegen mit einem Selbstbehalt belastet werden, ist der Pauschalierung nach Durchschnittswerten geschuldet, die - wie gezeigt - verfassungsrechtlich zulässig ist. Dass der Selbstbehalt für diejenigen Verkehrsunternehmer, die erheblich überdurchschnittlich viele Schwerbehinderte befördern, nicht beliebig weiter steigt, sondern in bestimmter Höhe begrenzt wird, stellt eine Sonderbehandlung dar, die aber verfassungsrechtlich gerade geboten ist und diese Verkehrsunternehmer nur begünstigt.

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Die Verkehrsunternehmer, bei denen die Zahl der unentgeltlich beförderten Schwerbehinderten außerhalb der tolerierten Abweichung vom Landesdurchschnitt liegt, werden denjenigen, die die Toleranzgrenze nicht überschreiten, damit gerade nicht gleichgestellt. Sie kommen vielmehr in den Genuss einer zusätzlichen Fahrgelderstattung, die jene nicht erhalten. Dass auch sie einen Selbstbehalt tragen müssen, ändert daran nichts. Die Klägerin leitet ihre Einwände nicht aus tatsächlichen Unterschieden zwischen der Regelgruppe und der Sondergruppe der Verkehrsunternehmer her, die vorwiegend in Kur- und Erholungsgebieten tätig sind, sondern aus - tatsächlichen oder vermeintlichen - Bedingtheiten des vom Gesetzgeber gewählten Erstattungssystems.

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b) Der allgemeine Gleichheitssatz ist aber auch nicht in seiner Ausprägung als Gebot der Systemgerechtigkeit verletzt.

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aa) Ist eine Härteregelung Bestandteil einer gesetzlichen Gesamtregelung, die ein vom Gesetzgeber selbst gesetztes System konkretisierter Rechtspositionen darstellt, so hat der Gesetzgeber bereits bestimmte Wertungen und Vernünftigkeitsraster normiert, innerhalb deren sich der Gleichheitsgrundsatz vor allem als Forderung nach Folgerichtigkeit der Regelungen, gemessen an den Angelpunkten der gesetzlichen Wertungen, zu Wort meldet (BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 1982 - 2 BvL 6/78 u.a. - BVerfGE 60, 16 <40>). Allerdings verstößt eine Sondervorschrift noch nicht allein dadurch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass sie von den den Rechtsbereich bestimmenden Grundregeln abweicht. Die Systemwidrigkeit ist aber Indiz für einen solchen Verstoß. Entscheidend kommt es darauf an, ob die Abweichung vom System sachlich hinreichend gerechtfertigt ist (BVerfG, Beschlüsse vom 6. November 1984 - 2 BvL 16/83 - BVerfGE 68, 237 <253>, vom 10. Oktober 2001 - 1 BvL 17/00 - BVerfGE 104, 74 <87> und vom 13. Februar 2007 - 1 BvR 910/05 u.a. - BVerfGE 118, 1 <28>, jeweils m.w.N.; vgl. allg. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Aufl. 2005, Art. 3 Abs. 1 GG Rn. 44 ff. m.w.N.).

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bb) Im vorliegenden Falle ist schon fraglich, ob die Verbindung der pauschalen mit einer individuellen Erstattung - an Stelle einer allein individuell berechneten Erstattung - eine Abweichung von dem vom Gesetzgeber gewählten Erstattungssystem darstellt.

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Eine Systemwidrigkeit könnte freilich anzunehmen sein, wenn sich der Grund für den Selbstbehalt verschiebt. Im Rahmen der Fahrgelderstattung nach § 148 Abs. 1 und 4 SGB IX stellt der - mögliche - Selbstbehalt den Preis für die unvermeidliche Ungenauigkeit der pauschalen Ermittlung dar, der für deren Vorzug zu entrichten ist, dass der erhebliche Aufwand einer individuellen Erfassung und Abrechnung aller Fahrgeldausfälle erspart wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Oktober 1984 a.a.O. S. 172); die pauschale Erstattung gilt im Rechtssinne als Vollerstattung. Wird aber - wie im Rahmen des § 148 Abs. 5 SGB IX - die Zahl der unentgeltlichen Beförderungen bei bestimmten Unternehmern individuell ermittelt, so entfällt der Grund für die Ungenauigkeit und damit auch für den Selbstbehalt als ihren möglichen Preis. Das wirft die Frage auf, aus welchem Grund diesen Unternehmern gleichwohl ein Selbstbehalt auferlegt wird.

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Eine Systemabweichung ist darin dennoch nicht zu sehen. Der Grund für den Selbstbehalt ist durchgängig derselbe. Auszugehen ist davon, dass der Gesetzgeber sich im Grundsatz für ein System der pauschalen Fahrgelderstattung auf der Grundlage des jeweiligen Landesdurchschnitts entschieden hat und dass dies verfassungsrechtlich nur zulässig ist, wenn es für solche Sondergruppen von Unternehmern um eine Härtefallregelung ergänzt wird, die die tolerable Abweichung vom Durchschnitt typischerweise nennenswert überschreiten. Es liegt in der Konsequenz dieser Systemwahl, die Härteregelung nur vorzusehen, wenn die Toleranzgrenze der pauschalen Erstattung überschritten wird, und auch nur soweit sie überschritten wird. Damit geht einher, dass auch für diese Unternehmer die pauschale Erstattung nicht ersetzt, sondern als Sockelerstattung erhalten bleibt und um eine individuelle Erstattung jenseits der Toleranzgrenze ergänzt wird. Dagegen lässt sich nicht einwenden, der Grund für die Pauschalierung sei entfallen, wenn die individuellen Beförderungszahlen bekannt seien. Die Ermittlung der individuellen Beförderungszahlen ist nur für die Härteregelung jenseits der Toleranzgrenze erheblich, innerhalb der Toleranzgrenze aber unerheblich. Auch ein Unternehmer, der zwar mehr Schwerbehinderte als im Landesdurchschnitt befördert, die Toleranzgrenze aber nicht überschreitet, kann die pauschale Fahrgelderstattung nicht dadurch vermeiden, dass er seine Fahrgäste zählt.

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cc) Im Übrigen besteht für diese Art der Verbindung des grundsätzlich pauschalen Erstattungssystems mit einer individuellen Härteregelung ein sachlicher Grund. Der Gesetzgeber wollte eine Ungleichbehandlung zwischen Verkehrsunternehmern, welche den Durchschnittswert um weniger als ein Drittel überschreiten, und Verkehrsunternehmern wie die Klägerin, welche den Durchschnittswert um mehr als ein Drittel überschreiten, vermeiden. Weil jene der Selbstbehalt jedenfalls trifft, sollte der Selbstbehalt auch für diese vorgeschrieben werden (BTDrucks 15/4228 S. 31).

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Dieser Gesichtspunkt ist geeignet, eine Systemabweichung zu tragen. Was die Klägerin hiergegen vorträgt, greift nicht durch. Sie meint vor allem, ein Vergleich mit der Regelgruppe dürfe nicht auf die Extreme der noch tolerierten Abweichung vom Durchschnitt - zudem nur auf die Abweichung nach oben -, sondern müsse auf den Durchschnitt selbst abstellen. Das verkennt, dass es dem Gesetzgeber bei seiner vergleichenden Betrachtung sowohl hinsichtlich der Regel- wie der Sondergruppe durchweg auf den individuellen Unternehmer ankam; der Blick sollte insofern von pauschalierenden Durchschnittswerten - und von der Fiktion einer Vollerstattung "im Rechtssinne" - gerade gelöst werden. Damit stellte sich der Gesetzgeber sämtliche Verkehrsunternehmer auf einer gleitenden Skala eines zunehmenden Anteils unentgeltlicher Beförderungen vor und suchte einen Sprung im Erstattungsanspruch zwischen Unternehmern zu vermeiden, die einander auf dieser Skala dicht benachbart sind, nämlich den Grenzwert der noch zulässigen Pauschalierung knapp unter- oder knapp überschreiten. Diese Sichtweise wäre nur dann als sachwidrig zu bemängeln, wenn sie realitätsfremd wäre, weil es einen gleitenden Übergang von der Regelgruppe der Verkehrsunternehmer, die im Rahmen der tolerierten Abweichung durchschnittlich häufig Schwerbehinderte befördern, zu der Sondergruppe der Verkehrsunternehmer, die der Härteregelung unterfallen, nicht gäbe, sich die Sondergruppe vielmehr von der Regelgruppe stets deutlich absetzte; wenn es mit anderen Worten eine nennenswerte Anzahl von Verkehrsunternehmern, welche zwar den Durchschnittswert überschreiten, die Drittel-Schwelle aber nur knapp verfehlen, gar nicht gäbe. Dafür hat das Berufungsgericht aber nichts festgestellt; es ist auch nicht ersichtlich. Zwar mag einiges dafür sprechen, dass Unternehmer, die - wie die Klägerin (schon infolge der Insellage) - ausschließlich in Kur- und Erholungsgebieten tätig sind, die Toleranzgrenze stets deutlich überschreiten. Doch gibt es andere Unternehmer, die Linienverkehre sowohl inner- wie außerhalb derartiger besonderer Gebiete bedienen und schon deshalb ein heterogenes Fahrgastaufkommen haben.