Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 18.05.2010


BVerwG 18.05.2010 - 3 C 23/09

Teilweise Rückforderung von Lastenausgleich durch Rechtsirrtum der Behörde; Anwendung der Grundsätze über die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
18.05.2010
Aktenzeichen:
3 C 23/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend VG Frankfurt, 29. Mai 2009, Az: 7 K 133/08.F (2), Urteil
Zitierte Gesetze
§ 2 Abs 2 Nr 5 VwVfG

Leitsätze

Hat die Lastenausgleichsbehörde rechtsirrig nur einen Teil der Hauptentschädigung zurückgefordert, obwohl nach § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG von einem vollständigen Schadensausgleich auszugehen war, sind bei einer weiteren Rückforderung die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts zu beachten.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine weitere Rückforderung von Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz.

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Er war neben seinem Bruder Gesellschafter der Rosenbrauerei R. W. KG in P. (Thüringen), zu der eine erhebliche Zahl von Gaststätten und weitere Liegenschaften gehörte. Die Brauerei wurde 1950 durch Strafurteil eingezogen und ab 1951 als VEB Rosenbrauerei P. fortgeführt. Das zuständige Ausgleichsamt stellte deswegen zugunsten des Klägers und seines Bruders einen Wegnahmeschaden in Höhe von 1 789 695 Mark Ost fest. Darauf wurden dem Kläger 144 807,20 DM an Hauptentschädigung und Zinsen gewährt.

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Zwischen 1991 und 1997 übertrug das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (im Folgenden: Landesamt) die ab 1990 zunächst als GmbH weiterbetriebene Brauerei und einen Teil der Liegenschaften an den Kläger und seinen Bruder zurück. Die Rückübertragung des Unternehmens erfolgte mit Teilbescheiden auf der Grundlage des Vermögensgesetzes. Die Rosenbrauerei wurde als Kommanditgesellschaft fortgeführt, deren Kommanditist der Kläger wurde. Für Grundstücke in B., die im Eigentum der Brauerei gestanden hatten, erkannte das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Restitutionsbescheid vom 22. November 1993 eine Entschädigung zu.

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Ab 1995 erbat der Beklagte beim Landesamt und beim Kläger mehrfach Auskunft darüber, ob die Rückübertragung abgeschlossen sei. Daraufhin wurde ihm ein Teil der ergangenen Bescheide übermittelt. Der Kläger teilte 1998 mit, die Rückübertragung sei noch nicht abgeschlossen, weil noch Verfahren, unter anderem beim Verwaltungsgericht Gera, anhängig seien. Im Februar 2002 übersandten der Kläger und das Landesamt Übersichten über die zurückgegebenen Grundstücke und die darüber ergangenen Bescheide. Eine Aufforderung des Beklagten, weitere Angaben zu machen, wurde vom Kläger nicht befolgt; weitere Bescheide übersandte stattdessen das Landesamt.

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Mit Rückforderungs- und Leistungsbescheid vom 16. April 2002 forderte der Beklagte vom Kläger Hauptentschädigung in Höhe von 15 284,88 € zurück. Dazu ist unter Nr. 7 des Bescheides erläutert, der Schaden sei durch Rückgabe der Rosenbrauerei und eines Teils der Grundstücke teilweise ausgeglichen. Für die fehlenden Grundstücke und das Umlaufvermögen werde ein Restschaden von 412 765 Mark Ost abgesetzt, weitere Rückforderung bei zusätzlichen Schadensausgleichsleistungen bleibe vorbehalten. Der Kläger erklärte sich mit der Rückforderung einverstanden.

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Im August 2006 fragte der Beklagte beim Landesamt erneut den Stand des Rückgabeverfahrens ab. Das Landesamt übersandte ihm einen Bescheid des Bundesamtes vom 12. Juni 1998, mit dem der Restitutionsbescheid von 1993 zu den Grundstücken in B. aufgehoben worden war, und ferner einen vor dem Verwaltungsgericht Gera geschlossenen Vergleich vom 4. September 2000, in dem die klagende Rosenbrauerei KG anerkannte, dass eine vermögensrechtliche Rückübertragung von zwei weiteren Flurstücken ausscheide, weil es sich um sog. weggeschwommene Grundstücke handele.

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Daraufhin forderte der Beklagte mit dem streitigen Rückforderungs- und Leistungsbescheid vom 26. April 2007 vom Kläger Hauptentschädigung in Höhe von weiteren 51 596,80 € zurück. Der Schaden an der Rosenbrauerei sei durch Rückgabe des Unternehmens vollständig ausgeglichen. Davon habe die Behörde erst im August 2006 erfahren, so dass erst jetzt die Rückforderung der Hauptentschädigung für den Restschaden erfolgen könne. Der Kläger legte gegen den Bescheid Beschwerde ein, den die Beschwerdestelle für den Lastenausgleich beim Regierungspräsidium D. mit Beschluss vom 17. Dezember 2007 zurückwies.

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Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide aufgehoben. Der Rückforderungs- und Leistungsbescheid stelle eine konkludente Teilaufhebung des bestandskräftigen Rückforderungs- und Leistungsbescheides vom 16. April 2002 dar. Weitere Schadensausgleichsleistungen, die die vorbehaltene zusätzliche Rückforderung hätten auslösen können, seien nach Erlass des Bescheides nicht erfolgt. Daher liege eine Änderung der rechtlichen Bewertung dahin vor, dass kein Restschaden verbleibe und nunmehr von einem vollständigen Schadensausgleich ausgegangen werde. Auf eine solche Teilrücknahme seien die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts anwendbar, wonach Ermessen auszuüben sei. Das hätten der Beklagte und die Beschwerdestelle unterlassen. Der Ermessensspielraum sei auch nicht reduziert. Auf die Frage der Verjährung komme es somit nicht mehr an.

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Mit seiner Revision bestreitet der Beklagte, dass die Rückforderung eine Teilaufhebung des bestandskräftigen Bescheides von 2002 enthalte. Die Regelungsgegenstände seien nicht identisch, weil den Bescheiden ein anderer Sachverhalt zugrunde liege. Denn von dem Aufhebungsbescheid aus dem Jahr 1998 und dem gerichtlichen Vergleich vom September 2000 habe er erst 2006 Kenntnis erlangt. Der Kläger habe die Sachverhaltsaufklärung wesentlich erschwert. Zudem habe das Landesamt seine Entscheidungspraxis infolge der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geändert. All dies habe durch eine andersartige Regelung berücksichtigt werden dürfen.

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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht. Die tragende Annahme, der Rückforderungs- und Leistungsbescheid leide an einem zur Aufhebung zwingenden Ermessensfehler, lässt sich auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht treffen. Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).

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1. Das Verwaltungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte weiteren Lastenausgleich nur nach Ermessen zurückfordern darf, bei dem die Grundsätze des Vertrauensschutzes zu beachten sind. Die Rückforderung steht objektiv im Widerspruch zum vorangegangenen Rückforderungs- und Leistungsbescheid vom 16. April 2002; sie kann daher fehlerfrei nur unter jenen Voraussetzungen erfolgen, die für eine Änderung dieses Bescheides gelten.

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a) Rechtsgrundlage für die Rückforderung ist § 349 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 342 Abs. 3 LAG. Danach ist die Behörde verpflichtet, zuviel gewährte Ausgleichsleistungen zurückzufordern, wenn nach dem 31. Dezember 1989 ein Schaden, für den Lastenausgleich gewährt worden ist, ganz oder teilweise ausgeglichen wird.

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Die Voraussetzungen für eine vollständige Rückforderung liegen vor. Mit dem Abschluss der - sukzessiven - Rückübertragung des Unternehmens Rosenbrauerei und eines Teils seiner Liegenschaften ist der Schaden in voller Höhe ausgeglichen worden. Denn zwischen dem zurückgegebenen Unternehmen und demjenigen, für das Lastenausgleich gewährt worden war, besteht Objektidentität. Diese wird nicht dadurch infrage gestellt, dass einzelne Vermögensgegenstände nach der Verstaatlichung des Unternehmens - hier im Jahr 1950 - ihre Unternehmenszugehörigkeit verloren haben (Urteil vom 13. Februar 1997 - BVerwG 7 C 54.96 - BVerwGE 104, 92 <93> = Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 25 S. 47; Beschluss vom 17. Dezember 2009 - BVerwG 3 B 18.09 - ZOV 2010, 96 = juris Rn. 6). Für Objektidentität ist in Fällen der Unternehmensrestitution erforderlich, aber auch genügend, dass ein im Sinne des § 6 Abs. 1 Vermögensgesetz (VermG) vergleichbares Unternehmen zurückgegeben worden ist. Dass dies 1997 geschehen ist, wird von den Beteiligten nicht bezweifelt. Spätestens mit dem gerichtlichen Vergleich vom 4. September 2000 stand zudem fest, dass das gesamte Unternehmen zurückgegeben worden war und eine Restitution weiterer Grundstücke nicht mehr in Betracht kam. Damit greift die Fiktion des vollständigen Schadensausgleichs nach § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG ein, die schon bei der ersten Rückforderung zu beachten gewesen wäre. Der Grundsatz, dass entgegen der Fiktion ein Restschaden bei erheblichen Substanzeinbußen anzuerkennen ist (Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 3 C 21.08 - Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 20 Rn. 19 = ZOV 2009, 248 ), gilt für Grundstücke, nicht aber im Falle der Unternehmensrückgabe (Beschluss vom 17. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 7). Bei einer Unternehmensrestitution sind nachträgliche Entwicklungen des Unternehmens in positiver wie negativer Hinsicht hinzunehmen, solange die Vergleichbarkeit gewahrt ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 VermG; Urteil vom 13. Februar 1997 a.a.O. S. 94 f. bzw. S. 48).

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b) Hiervon ausgehend sind die Regelungsgegenstände des ersten und des streitigen zweiten Rückforderungsbescheides identisch. Der von der Regelung des Beklagten im Jahr 2002 betroffene entscheidungserhebliche Sachverhalt und die Rechtslage haben sich nachträglich nicht geändert. Dass dem Beklagten die schon 2002 zu beachtende Fiktion des vollständigen Schadensausgleichs erst rund vier Jahre später bewusst geworden ist, verändert den Regelungsgegenstand nicht. Denn die rechtliche Bewertung, welche die Behörde zu einer Regelung veranlasst, ist selbst ebenso wenig Teil des geregelten Gegenstandes wie die behördliche Tatsachenerkenntnis.

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Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist sowohl mit dem ersten als auch mit dem streitigen Bescheid umfassend - wenngleich gegensätzlich - geregelt worden. Dabei hat der Beklagte im ersten Bescheid die zurückgegebenen Grundstücke als (teilweisen) Schadensausgleich angesehen, die übrigen Grundstücke aber als Restschaden (Nr. 7 des Bescheides), und hat sich mit Blick auf sie eine Nachforderung für den Fall weiterer Rückgaben vorbehalten (Nr. 6 des Bescheides). Dazu setzt sich der streitige zweite Rückforderungsbescheid in Widerspruch. In ihm wird die Rückgabe des Unternehmens nach dem schon 2002 gegebenen Stand nunmehr - zutreffend - als vollständiger Schadensausgleich bewertet. Hinsichtlich der nicht zurückgegebenen Grundstücke wird damit zugleich nicht etwa erstmals eine Regelung getroffen; vielmehr wird die rechtliche Würdigung von 2002, es handele sich um einen Restschaden, durch eine abweichende neue ersetzt.

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2. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht weiter angenommen, dass die Neuregelung den Anforderungen an die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Bescheides unterliegt. Zwar verhält sich der streitige Bescheid nicht ausdrücklich zu seinem Verhältnis zum vorangegangenen Rückforderungsbescheid; eine Rücknahme kann aber konkludent erfolgen, was bei einem objektiven Widerspruch der Regelungsgehalte regelmäßig anzunehmen ist (stRspr., Urteile vom 20. Februar 1981 - BVerwG 7 C 60.78 - BVerwGE 62, 1 <5> = Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 70; und vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254, 276 = Buchholz 150 § 25 PartG Nr. 1; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 7. Aufl. 2008, § 48 Rn. 244 m.w.N.).

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3. Rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte, die auf der Grundlage des Lastenausgleichsgesetzes ergangen sind, können gemäß § 335a Abs. 2 LAG nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zurückgenommen werden (vgl. Urteil vom 23. Januar 1992 - BVerwG 3 C 83.90 - IFLA 1993, 43 = ZLA 1993, 28). Auch wenn das Verwaltungsverfahrensgesetz gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG für das Recht des Lastenausgleichs nicht gilt, ist dabei eine Orientierung an § 48 VwVfG jedenfalls insofern möglich, als dort allgemeine Grundsätze verkörpert sind. Ausgeschlossen ist lediglich eine unmittelbare Anwendung der speziellen Rücknahmeregelungen in § 48 Abs. 2 und Abs. 4 VwVfG (vgl. Urteil vom 12. März 1987 - BVerwG 3 C 16.86 - Buchholz 427.3 § 288 LAG Nr. 8 = NVwZ 1989, 143 m.w.N.).

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Ob die Voraussetzungen für eine Rücknahme zu bejahen sind, kann auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Eine Rücknahme scheidet andererseits aber auch nicht von vornherein aus Rechtsgründen aus.

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a) Bei dem Rückforderungsbescheid von 2002 handelt es sich um einen rechtswidrigen, dem Kläger teilweise begünstigenden Verwaltungsakt. Dessen Rechtswidrigkeit ergibt sich daraus, dass - wie dargelegt - unter Missachtung der Fiktion des § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG ein teilweiser Schadensausgleich angenommen und nur ein Teil der Hauptentschädigung zurückgefordert wird. Begünstigend ist der Bescheid insoweit, als er entgegen der zwingenden Regelung in § 349 Abs. 1 LAG von der Rückforderung des überwiegenden Teils der Hauptentschädigung absieht. Ein solcher Lastenausgleichsbescheid darf nur zurückgenommen werden, soweit das Vertrauen in den Bestand des Bescheides nicht schutzwürdig ist. In diesem Fall verbleibt dem Begünstigten allerdings ein Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Rücknahmeermessens durch die Behörde (Urteil vom 23. Januar 1992 a.a.O.).

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b) Vertrauensschutz setzt voraus, dass die Gründe für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht in den Verantwortungsbereich des Begünstigten fallen, dass dieser auf die vermeintliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts vertraut hat und unter den gegebenen Umständen auch vertrauen durfte und dass der Begünstigte eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er anderenfalls nicht getroffen haben würde (stRspr, Urteil vom 23. Januar 1992 a.a.O. m.w.N.).

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Das Verwaltungsgericht hat sich mit diesen Fragen nicht befasst und hierfür bedeutsame Tatsachen im Rahmen der Überprüfung des Ermessens nur ansatzweise behandelt. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand spricht freilich wenig dafür, dass der Kläger die teilweise Rückforderung im Bescheid von 2002 durch ein zu missbilligendes Auskunftsverhalten erwirkt hat (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG). Denn sie beruht auch auf einem dem Beklagten anzulastenden Rechtsirrtum. Von ihm durfte erwartet werden, dass er die Vollständigkeit des Schadensausgleichs nach den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Februar 1997 (a.a.O.) entwickelten Grundsätzen der Unternehmensrestitution bereits 2002 selbstständig erkennt.

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Es kommt aber durchaus in Betracht, dass der Kläger auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides deshalb nicht vertrauen durfte, weil er die Rechtswidrigkeit des ersten Rückforderungsbescheides kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG). Wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat, wusste der Kläger aufgrund seiner genauen Kenntnis der Verwaltungsverfahren und der damit verbundenen Streitigkeiten, dass die Unternehmensrestitution im Zeitpunkt der ersten Rückforderung abgeschlossen war. Demgemäß wird das Verwaltungsgericht zu klären haben, inwieweit ihm darüber hinaus klar war oder hätte klar sein müssen, dass die Annahme eines teilweisen Schadensausgleichs durch den Beklagten auf einem Rechtsirrtum beruhte.

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c) Sollte es danach an schutzwürdigem Vertrauen fehlen, könnten sich die Gewichte bei der Ermessensausübung entscheidend zu Lasten des Klägers verschieben. Zwar steht die Rücknahme des Rückforderungsbescheides auch dann, wenn ein Betroffener keinen Vertrauensschutz genießt, im Ermessen der Ausgleichsbehörde (Urteile vom 26. Oktober 1978 - BVerwG 3 C 18.77 - BVerwGE 57, 1 <4> = Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 62 und vom 23. Januar 1992 a.a.O.). Doch kann sich dieses Ermessen im Einzelfall auf Null reduzieren, wenn die Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht ausschließlich in den Verantwortungsbereich der Verwaltung fällt (dazu Urteil vom 8. Oktober 1981 - BVerwG 3 C 36.81 - Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 70 S. 3) und der Betroffene nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht geltend machen kann, die Rückforderung sei unzumutbar. In solchen Fällen wird die Abwägung regelmäßig zugunsten des hoch zu bewertenden öffentlichen Interesses an einer - nach § 349 Abs. 1 LAG prinzipiell zwingenden - Rückführung von rechtsgrundlos gewährten Ausgleichsleistungen ausfallen müssen.

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4. Die Rückforderung ist im Übrigen nicht wegen Fristablaufs ausgeschlossen. Diese Frage, die zwischen den Beteiligten unter dem Gesichtspunkt der Verjährung diskutiert und vom Verwaltungsgericht offen gelassen worden ist, lässt sich anhand der Rechtsprechung des Senats zu § 349 Abs. 5 Satz 4 LAG hinreichend beurteilen.

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Nach Halbsatz 1 der Vorschrift ist die Rückforderung nach Ablauf von vier Jahren nach dem Kalenderjahr, in dem die Ausgleichsbehörde von dem Schadensausgleich und von der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt hat, ausgeschlossen. Die Frist beträgt nach Halbsatz 2 zehn Jahre, wenn der Empfänger einer Schadensausgleichsleistung seiner Verpflichtung nach Satz 3 nicht nachgekommen ist, die für die Rückforderung erforderlichen Angaben zu machen. Das ist der Fall, wenn der Verpflichtete auf entsprechende Aufforderung hin nähere Angaben, die für die Rückforderung erforderlich sind, nicht, unvollständig oder unrichtig macht und dadurch die Rückforderung tatsächlich erheblich erschwert oder verzögert (Urteil vom 30. April 2008 - BVerwG 3 C 17.07 - Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 15 = NVwZ-RR 2008, 732). So verhält es sich hier; denn der Kläger hat die vom Beklagten erbetenen Auskünfte ausweislich der verwaltungsgerichtlichen Feststellungen zögerlich und unvollständig erteilt. Kausal für die Verzögerung der vollständigen Rückforderung ist jedenfalls das Unterlassen einer Mitteilung über die vergleichsweise Beendigung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Gera im Jahr 2000; die Kenntnis hiervon war für den Beklagten Anlass für die weitere Rückforderung. Der Kläger war verpflichtet, den Beklagten über den Verfahrensausgang zu informieren, obwohl er nicht selbst an dem Verfahren beteiligt war. Er hatte den Beklagten auf dessen Anhängigkeit mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 28. Dezember 1998 hingewiesen und musste sich bewusst sein, dass es aus der Sicht der Ausgleichsbehörde hierauf ankommen konnte. Die somit geltende Zehnjahresfrist war bei der Rückforderung im Jahr 2007 nicht abgelaufen.