Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 26.05.2011


BVerwG 26.05.2011 - 3 C 22/10

Verlagerung des Apothekennotdienstes auf Hauptapotheke; Befreiung von der Dienstbereitschaft; Ermessensentscheidung


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
26.05.2011
Aktenzeichen:
3 C 22/10
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Thüringer Oberverwaltungsgericht, 27. April 2010, Az: 3 KO 808/07, Urteilvorgehend VG Gera, 12. Juni 2007, Az: 3 K 32/07, Urteil

Leitsätze

Apotheker mit mehreren Apotheken können nicht verlangen, die turnusmäßigen Notdienste, zu denen ihre Apotheken eingeteilt sind, wegen betrieblicher Vorteile dauerhaft auf eine ihrer Apotheken zu verlagern.

Tatbestand

1

Die Klägerin betreibt in J. eine Hauptapotheke und eine Filialapotheke, die ca. 50 m voneinander entfernt liegen. Die Apotheken in J. nehmen reihum an dem außerhalb der üblichen Öffnungszeiten eingerichteten Notdienst teil, den die beklagte Apothekerkammer nach ihren Richtlinien über die Regelung der Dienstbereitschaft und der Schließzeiten der Apotheken anordnet. Die zum Notdienst eingeteilte Apotheke, muss von 8.00 Uhr bis 8.00 Uhr des Folgetages durchgehend dienstbereit sein.

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Unter dem 4. Juli 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, den Bereitschaftsdienst ihrer Filialapotheke in der Hauptapotheke durchführen zu dürfen. Zur Begründung führte sie aus, dass die Hauptapotheke über ein größeres Warenlager verfüge und besser erreichbar sei.

3

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11. Oktober 2006 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2006 zurück. Für die begehrte Übernahme der Verpflichtung zum Notdienst durch eine andere Apotheke fehle eine Rechtsgrundlage. § 23 Abs. 2 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) habe nur Einzelfälle im Blick, ermögliche aber keine dauerhaften Befreiungen. Außerdem liege ein berechtigter Grund im Sinne der Vorschrift nicht vor. Die Konzentration des Notdienstes auf bestimmte Apotheken begünstige eine unerwünschte Entwicklung hin zu Schwerpunktapotheken und gefährde die flächendeckende Arzneimittelversorgung. Selbst wenn sie berechtigt wäre, eine Apotheke aus betrieblichen Gründen auf Dauer vom Notdienst zu befreien, würde sie davon keinen Gebrauch machen, um Tendenzen zur Ausbildung von Apotheken zweiter Klasse entgegenzuwirken.

4

Die Klägerin hat gegen die Ablehnung ihres Antrags Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen geltend gemacht, dass ein berechtigter Grund im Sinne des § 23 Abs. 2 ApBetrO vorliege. Er ergebe sich aus der besseren Arzneimittelversorgung und dem größeren Personalbestand in der Hauptapotheke. Die räumlichen Verhältnisse der Filialapotheke machten es schwierig, dort alle für den Notdienst erforderlichen Medikamente bereit zu halten. In der Filialapotheke beschäftige sie zwei, in der Hauptapotheke dagegen sechs Apotheker. § 23 Abs. 2 ApBetrO erfasse nicht nur singuläre Anlässe, um eine Verlagerung der Dienstbereitschaft zu rechtfertigen. Dies gelte erst recht, wenn die Inhaber der betroffenen Apotheken identisch seien. Nachdem das Verbot, mehrere Apotheken zu betreiben, teilweise aufgehoben worden sei, müsse dieser Umstand auch bei der Anwendung des § 23 Abs. 2 ApBetrO berücksichtigt werden. Die Entscheidung der Beklagten sei zudem ermessensfehlerhaft.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. Juni 2007 abgewiesen. Es fehle an einem berechtigten Grund im Sinne des § 23 Abs. 2 ApBetrO. Dafür genüge nicht, dass der Apotheker Filialapotheken betreibe. Entsprechendes gelte für betriebswirtschaftliche Gründe im Hinblick auf das vorzuhaltende Sortiment. Die Einführung von Filialapotheken habe nicht zu einer Ergänzung bzw. Änderung des § 23 Abs. 2 ApBetrO geführt. Angesichts des gesetzlichen Versorgungsauftrags müsse die Klägerin mit jeder ihrer Apotheken den Erfordernissen eines Notdienstes genügen.

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Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Klägerin teilweise stattgegeben und die Beklagte zu einer erneuten Bescheidung des Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden § 23 Abs. 2 ApBetrO seien erfüllt. Die erforderliche Sicherstellung der Arzneimittelversorgung durch eine andere Apotheke sei angesichts der geringen Entfernung zwischen den Apotheken der Klägerin gewährleistet. Es liege auch ein berechtigter Grund im Sinne des § 23 Abs. 2 ApBetrO vor. Ein solcher Grund sei hier erforderlich, weil der Notdienst an ganze Tage anknüpfe und sich somit auf Zeiträume erstrecke, die außerhalb der in § 23 Abs. 2 ApBetrO ausdrücklich genannten Zeiten lägen. Der Begriff des berechtigten Grundes sei im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG weit auszulegen und erfasse jedes persönliche oder betriebliche Interesse des Apothekers, sofern nicht der Zweck der Dienstbereitschaft entgegenstehe. Die grundsätzlich ständige Dienstbereitschaft gehöre zu den berufstypischen Pflichten des Apothekenbetreibers. Sie bezwecke, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung auch zu den Tages- und Nachtzeiten sicherzustellen, in denen im Allgemeinen Arbeitsruhe herrsche. Die Regelungen über die Dienstbereitschaft unterlägen als solche keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Allerdings dürfe die Pflicht zur Dienstbereitschaft zu keinen unnötigen Belastungen führen. Es liege zwar nahe, dass ein berechtigter Grund für die Befreiung nicht bereits aus solchen Interessen abgeleitet werden könne, die typischerweise im Widerstreit zur Verpflichtung ständiger Dienstbereitschaft stünden. Das rechtfertige aber nicht, einen berechtigten Grund für eine Befreiung nur bei singulären Ereignissen anzunehmen. Vielmehr seien auch Umstände von nicht nur vorübergehender Dauer zu berücksichtigen. Dem stehe der Ausnahmecharakter der Vorschrift nicht entgegen. Die Entscheidung des Gesetzgebers gegen ein System von Schwerpunktapotheken werde bei einer Konzentration mehrerer Notdienstbereitschaften auf eine Apotheke nicht in Frage gestellt. Auch die gleichmäßige Einbeziehung aller Apotheken in die Dienstbereitschaftspflicht als Gebot des formalen Gleichheitssatzes stehe nicht entgegen. Das überkommene Leitbild des "Apothekers in seiner Apotheke" sei durch die Lockerung des Mehrbesitzverbotes gerade relativiert worden, um die Wirtschaftlichkeit der Betriebsführung zu erhöhen. Aus der Erfüllung des Tatbestands folge indes kein Anspruch der Klägerin auf Erteilung der beantragten Befreiung; denn der Beklagten sei nach § 23 Abs. 2 ApBetrO Ermessen eingeräumt, das sie bislang in der Annahme, schon die Tatbestandsvoraussetzungen seien nicht erfüllt, nicht ausgeübt habe. Die ansatzweisen Ermessenserwägungen in den ablehnenden Bescheiden genügten insoweit nicht.

7

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 23 ApBetrO. Die Norm biete keine Grundlage für eine dauerhafte Verlagerung des Notdienstes auf eine andere Apotheke. Die Anforderungen der Apothekenbetriebsordnung an die Ausstattung einer Apotheke etwa mit einem Nachtdienstzimmer zeigten, dass der Verordnungsgeber davon ausgehe, dass jede Apotheke am Notdienst teilnehme. Unabhängig davon habe das Berufungsgericht den berechtigten Grund im Sinne des § 23 Abs. 2 ApBetrO fehlerhaft bejaht. Seit der Zulassung von Filialapotheken bestehe ein erhebliches wirtschaftliches Interesse der Apotheker an einer Konzentration der Notdienste. Würde schon das als berechtigter Grund ausreichen, geriete die als Ausnahme konzipierte Möglichkeit des § 23 Abs. 2 ApBetrO zum Regelfall; denn ein Grund für eine Verlagerung lasse sich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten praktisch immer anführen. Richtigerweise könne ein berechtigter Grund nicht aus Interessen hergeleitet werden, die typischerweise in Widerstreit mit der Verpflichtung zur ständigen Dienstbereitschaft stünden. Der Begriff sei eng auszulegen und erfasse nur singuläre Umstände. Das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG stehe diesem Verständnis nicht entgegen.

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Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil.

9

Der Vertreter des Bundesinteresses unterstützt die Position der Klägerin.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten hat Erfolg, weil das Berufungsurteil gegen Bundesrecht verstößt, soweit der Klage stattgegeben worden ist, und sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig erweist.

11

Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend angenommen, dass sich das Begehren der Klägerin nach § 23 Abs. 2 ApBetrO beurteilt (dazu 1.) und der Tatbestand der Vorschrift erfüllt ist (dazu 2.). Die Annahme eines Ermessensfehlers der Beklagten hält aber der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand (dazu 3.).

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1. § 23 Abs. 2 ApBetrO ist taugliche Grundlage für das Begehren der Klägerin. Diente die Vorschrift nach früherer Rechtslage lediglich als eine Bestimmung, die neben die durch die Schließungsanordnungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ApBetrO herbeigeführte Notdienstregelung trat, so dient sie nunmehr auch und in erster Linie der Regelung des Notdienstes selbst, der nach dem hier maßgeblichen Landesrecht über ein System wechselnder Befreiungen von der Dienstbereitschaft organisiert ist, das sich allein auf § 23 Abs. 2 ApBetrO stützt.

13

Die Öffnungszeiten der Apotheken einschließlich der Notdienstbereitschaften ergeben sich aus einem Zusammenwirken apothekenrechtlicher Vorschriften und solcher der Ladenschlussgesetze. Den Ausgangspunkt bildet § 23 Abs. 1 Satz 1 ApBetrO, der eine ständige Dienstbereitschaft der Apotheken anordnet (Öffnungspflicht) und eine Ausnahme nur für den Fall vorsieht, dass die Apotheke aufgrund einer Anordnung nach § 4 Abs. 2 LadSchlG geschlossen zu halten ist. Nach § 4 Abs. 2 LadSchlG hat die zuständige Landesbehörde anzuordnen, dass während der allgemeinen Ladenschlusszeiten abwechselnd ein Teil der Apotheken geschlossen sein muss (Schließungsanordnung). Der Notdienst der Apotheken wird oder wurde auf dieser Grundlage in der Weise herbeigeführt, dass alle bis auf die jeweiligen Notdienstapotheken zu bestimmten Zeiten geschlossen werden müssen. Für die danach verbleibenden Zeiten der Bereitschaftspflicht ordnet § 23 Abs. 1 Satz 2 ApBetrO für bestimmte Tagesrandzeiten unmittelbar selbst eine Befreiung an und ermöglicht darüber hinaus eine Befreiung durch die zuständige Behörde (§ 23 Abs. 2 ApBetrO).

14

Dieses Regelungsgefüge für die Notdienstbereitschaft der Apotheken hat sich durch die Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für das Recht des Ladenschlusses in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG in der Fassung des Gesetzes vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034) geändert, soweit die Länder von der Kompetenz Gebrauch gemacht haben. Das Land Thüringen hat ein Ladenöffnungsgesetz erlassen (Gesetz vom 24. November 2006, GVBl 2006, 541). Es enthält keine § 4 Abs. 2 LadSchlG entsprechende Befugnis zum Erlass einer Schließungsanordnung, sondern sieht lediglich vor, dass Apotheken grundsätzlich an jedem Tag des Jahres geöffnet haben dürfen (§ 3 in Verbindung mit § 5 Satz 1 ThürLadÖffG). Dieses mit der bundesrechtlichen Pflicht zur ständigen Dienstbereitschaft korrespondierende Öffnungsrecht wird gemäß § 5 Satz 2 ThürLadÖffG für Sonn- und Feiertage sowie Heiligabend eingeschränkt für den Fall, dass "durch die Landesapothekerkammer eine Dienstbereitschaft eingerichtet" ist. Ob darin eine Befugnisnorm zur Regelung einer Dienstbereitschaft zu sehen ist oder nicht lediglich die tatbestandliche Anknüpfung an das Gebrauchmachen von einer anderweitig begründeten Regelungsbefugnis, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn damit eine landesrechtliche Befugnis begründet würde, ermächtigte sie nicht zu Schließungsanordnungen im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ApBetrO. Die dortige Verweisung auf eine nach § 4 Abs. 2 LadSchlG erlassene Schließungsanordnung geht mithin ins Leere. Demgemäß begründet das Thüringer Heilberufsgesetz eine Zuständigkeit der Beklagten nicht für den Erlass von Schließungsanordnungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ApBetrO, sondern nur für Entscheidungen über Befreiungen insbesondere nach § 23 Abs. 2 ApBetrO (s. § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Thüringer Heilberufsgesetzes). Auf dieser Grundlage hat die Beklagte - ausdrücklich gestützt auf § 23 Abs. 2 ApBetrO - Richtlinien über die Regelung der Dienstbereitschaft und der Schließzeiten erlassen sowie eine Allgemeinverfügung vom 1. Dezember 2006, durch die die Apotheken mit Ausnahme der zum Notdienst eingeteilten in bestimmter Weise von der Betriebsbereitschaft befreit werden oder befreit werden können. Der Bereitschaftsnotdienst wird im Land Thüringen mithin nicht über Schließungsanordnungen, sondern über Befreiungen von der Dienstbereitschaft nach § 23 Abs. 2 ApBetrO für alle bis auf die jeweiligen Notdienstapotheken herbeigeführt. Daran knüpft das Begehren der Klägerin an.

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2. Der Tatbestand des § 23 Abs. 2 ApBetrO ist erfüllt. Danach kann die zuständige Behörde von der Verpflichtung zur Dienstbereitschaft für die Dauer der ortsüblichen Schließzeiten, der Mittwochnachmittage, Sonnabende oder der Betriebsferien und, sofern ein berechtigter Grund vorliegt, auch außerhalb dieser Zeiten befreien, wenn die Arzneimittelversorgung in dieser Zeit durch eine andere Apotheke, die sich auch in einer anderen Gemeinde befinden kann, sichergestellt ist.

16

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die von der Beklagten nicht angegriffen werden, ist bei einer Verlagerung des Notdienstes auf die Hauptapotheke der Klägerin die Arzneimittelversorgung im Sinne des § 23 Abs. 2 ApBetrO weiterhin sichergestellt.

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Hinsichtlich des weiteren Tatbestandsmerkmals des berechtigten Grundes unterscheidet § 23 Abs. 2 ApBetrO zwischen verschiedenen Zeiten, auf die sich das Befreiungsgesuch bezieht. Für Befreiungen für die Dauer der ortsüblichen Schließzeiten, der Mittwochnachmittage, Sonnabende und der Betriebsferien ist ein berechtigter Grund nicht erforderlich; dagegen ist er für Befreiungen außerhalb dieser Zeiten, also insbesondere für Befreiungen während der üblichen Öffnungszeiten, notwendig. Die Regelung zielt darauf ab, Schließungen zu den üblichen Öffnungszeiten, in denen das Publikum mit einer Dienstbereitschaft einer jeden Apotheke rechnet, durch eine zusätzliche Voraussetzung zu erschweren. Die Dauer der üblichen Öffnungszeiten ergibt sich aus den Vorgaben über die allgemeine Befreiung von der Dienstpflicht, hier aus der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 1. Dezember 2006, wonach die Apotheken - zusammengefasst - Montag bis Freitag von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr mit bis zu zwei Stunden Mittagspause zwischen 12.00 Uhr und 15.00 Uhr sowie am Samstag von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr geöffnet sein müssen und im Übrigen geöffnet sein dürfen.

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Danach bedarf es hier auf der Tatbestandsebene keines berechtigten Grundes. Die Klägerin möchte ihre Filialapotheke nicht außerhalb der ortsüblichen Schließzeiten schließen, sondern gerade während dieser Zeiten an den Tagen, an denen diese Apotheke zum Notdienst verpflichtet ist und deshalb auch für die Dauer der ortsüblichen Schließzeiten offen halten muss. Diese Zeiten möchte sie durch eine Offenhaltung ihrer Hauptapotheke zu den Notdienstzeiten abdecken.

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Daran ändert nichts, dass die Notdienstbereitschaft an ganze Tage anknüpft. Die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass sich das Begehren deshalb nicht nur auf bestimmte Stunden an den betreffenden Tagen, sondern auch auf Zeiträume erstrecke, "die außerhalb der in § 23 Abs. 2 ApBetrO ausdrücklich genannten Zeiten (ortsübliche Schließzeiten, Betriebsferien, Mittwochnachmittage, Sonnabende)" liege, wird dem Klagebegehren nicht gerecht. Die Klägerin möchte ihre zum Notdienst eingeteilte Filialapotheke nicht für ganze Tage schließen, sondern nur für die Zeiten, in denen diese Apotheke an sich von der Dienstbereitschaft befreit ist, aber wegen der sie treffenden Notdienstbereitschaft dennoch öffnen muss, also für die "Dauer der ortsüblichen Schließzeiten". Es geht ihr nur darum, die betrieblichen Erschwernisse des Notdienstes zu verringern, nicht aber darum, ihre Filialapotheke während der üblichen Öffnungszeiten geschlossen zu halten. Das wäre auch betriebswirtschaftlich unverständlich, weil es zu einer Verkürzung der Öffnungszeiten ihrer Apotheke und damit mutmaßlich zu Umsatzeinbußen führen würde.

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3. Ist der Tatbestand des § 23 Abs. 2 ApBetrO erfüllt, eröffnet die Vorschrift der zuständigen Behörde Ermessen, ob sie dem Befreiungsantrag nachkommt. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Beklagte ihr Ermessen schon nicht ausgeübt, jedenfalls aber mit dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Schwerpunktapotheken keine sachgerechte Erwägung angestellt habe, und deshalb zur Neubescheidung verpflichtet sei. Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

21

Es trifft zwar zu, dass sich die Beklagte in den ablehnenden Bescheiden wie auch im gerichtlichen Verfahren in erster Linie auf den Standpunkt gestellt hat, dass schon der Tatbestand des § 23 Abs. 2 ApBetrO nicht erfüllt sei, weil kein berechtigter Grund vorliege. Sie hat allerdings im Widerspruchsbescheid ergänzend als Ermessenserwägung angeführt, eine Befreiung auch deshalb nicht erteilen zu wollen, um eine Entwicklung hin zu Schwerpunktapotheken zu vermeiden. Vor allem aber hat sie mit ihren Ausführungen zum Fehlen eines berechtigten Grundes und dem Charakter des § 23 Abs. 2 ApBetrO als Ausnahmevorschrift Erwägungen in Anwendung ihrer Richtlinien angestellt, die - wenn auch irrtümlich auf ein Tatbestandsmerkmal zielend - eine sachgerechte Ermessensausübung tragen. Eine andere als die getroffene Entscheidung wäre nach dem Regelungsgehalt des § 23 Abs. 2 ApBetrO praktisch ausgeschlossen. Für eine Verpflichtung zur Neubescheidung ist deshalb kein Raum. Dazu im Einzelnen:

22

Die Beklagte hat auf der Grundlage des § 23 Abs. 2 ApBetrO Richtlinien erlassen, in denen vorgegeben ist, in welchen Zeiten - über § 23 Abs. 1 Satz 2 ApBetrO hinaus - die Apotheken allgemein von der Dienstpflicht befreit sind, unter welchen Voraussetzungen sie an einem wechselseitigen Notdienstturnus teilnehmen müssen und unter welchen Voraussetzungen sie darüber hinaus Befreiungen von der Dienstpflicht erreichen können. Diese Richtlinien stellen der Sache nach eine generalisierte Ausübung des nach § 23 Abs. 2 ApBetrO eingeräumten Ermessens dar, indem sie die zu treffenden Einzelentscheidungen nach einem differenzierten Maßstab vorstrukturieren. Die Richtlinien verlangen für Befreiungen, die über die generellen Befreiungen von der Dienstpflicht hinausgehen, berechtigte Gründe und nennen als Beispiele wichtige persönliche Angelegenheiten oder Bauarbeiten in der Apotheke (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 der Richtlinien, jetzt § 6 Abs. 2 Buchstabe c). Damit wird erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass Befreiungen von der Pflicht zur Dienstbereitschaft, die über die ohnehin gewährten allgemeinen Befreiungen hinausgehen, nur aus singulären Anlässen möglich sein sollen, aber nicht zu Dauerbefreiungen allein deshalb führen können, weil sie betriebswirtschaftlich vorteilhaft wären. Die aktuelle Fassung der Richtlinien bringt dies in § 1 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 noch deutlicher zum Ausdruck, indem sie die dauerhafte Verlagerung des Notdienstes auf eine Apotheke im Filialverbund grundsätzlich ausschließt.

23

Diese Kriterien der Beklagten für Befreiungen vom Notdienst sind nicht sachwidrig, sondern durch § 23 Abs. 2 ApBetrO vorgegeben. Sie parallelisieren den von der Vorschrift geforderten berechtigten Grund bei einer Dienstpflichtbefreiung zu den üblichen Öffnungszeiten mit dem Fall einer begehrten Befreiung vom Notdienst. In beiden Fällen will der Apotheker von einer vorgegebenen allgemeinen Regelung der Betriebspflicht abweichen, so dass es gerechtfertigt ist, an die Bewilligung einer Ausnahme von der Notdienstpflicht jedenfalls im Rahmen der Ermessensentscheidung strengere Anforderungen zu stellen als an sonstige Befreiungen von der Betriebspflicht außerhalb der üblichen Öffnungszeiten.

24

Die Entscheidungspraxis der Beklagten ist auch vor Art. 12 Abs. 1 GG tragfähig. Zwar beeinträchtigt die Entscheidung der Beklagten die Möglichkeit der freien Berufsausübung der Klägerin, weil sie gezwungen bleibt, für jede ihrer Apotheken die nach der Apothekenbetriebsordnung vorgesehenen betrieblichen Belastungen einer Notdienstbereitschaft zu tragen. Diese Beeinträchtigungen sind aber durch die sachlichen Gründe, die für einen wechselseitigen Notdienst unter Einbeziehung aller Apotheken sprechen, gerechtfertigt. Er dient dem Gebot der Gleichbehandlung durch eine gerechte Verteilung der Belastungen des Notdienstes auf die Apotheken und ihr Personal, der gleichmäßigen Verteilung der Notdienstapotheken auf das Gemeindegebiet und damit der gleichmäßigen Begünstigung der Einwohner aller Stadtteile, sowie dem Leitbild der Apothekenbetriebsordnung, die jede Apotheke verpflichtet, die notwendigen Arzneimittel und Einrichtungen bereit zu halten, um die Verpflichtung zur Gewährleistung einer Arzneimittelabgabe außerhalb der üblichen Öffnungszeiten sicherzustellen.

25

Insbesondere ist der in diesen Gründen angelegte und in der Versagung gegenüber der Klägerin von der Beklagten zum Ausdruck gebrachte Gesichtspunkt der Vermeidung einer Entwicklung hin zu Schwerpunktapotheken nicht willkürlich. Der Gesetzgeber hat zwar 2004 das Mehrbesitzverbot durch die Zulassung von bis zu drei Filialapotheken gelockert (§ 1 Abs. 2 ApoG), aber nicht die Anforderungen an die Vorhaltungspflichten und die notwendigen Einrichtungen der Apotheken zur Wahrnehmung des Notdienstes (§§ 4, 15 ApBetrO). Vor allem hat er die Pflicht zur Dienstbereitschaft und die Befreiungsmöglichkeiten nach § 23 ApBetrO in Bezug auf Filialapotheken nicht geändert. Er geht mithin nach wie vor davon aus, dass jede Apotheke, gleich ob Haupt- oder Filialapotheke, als "Vollapotheke" alle Anforderungen der Apothekenbetriebsordnung nicht nur formal erfüllen, sondern auch tatsächlich wahrnehmen soll. An dieser Grundentscheidung des Verordnungsgebers ist die Anwendung des § 23 Abs. 2 ApBetrO auszurichten.

26

Für die zuständigen Behörden besteht deshalb keine Veranlassung, Verbundapotheken zur Erleichterung der betrieblichen Abläufe hinsichtlich des Notdienstes gegenüber Einzelapotheken zu bevorzugen. Andernfalls geriete die als Ausnahmevorschrift für besondere Fälle angelegte Befreiungsmöglichkeit des § 23 Abs. 2 ApBetrO zu einem generellen Befreiungstatbestand für die Verlagerung des Notdienstes auf eine andere Apotheke aus wirtschaftlichen oder betrieblichen Erwägungen. Würde diese Möglichkeit für Verbundapotheken eröffnet, wäre im Übrigen kein Grund ersichtlich, die Verlagerung des Notdienstes auf solche Apotheken zu beschränken. Vielmehr könnte jeder Apotheker bis an die Grenze der Gefährdung der Versorgungssicherheit verlangen, den seine Apotheke treffenden Notdienst auf eine dazu bereite andere Apotheke zu verlagern. Dadurch würde eine Entwicklung in Gang gesetzt, die das in der Apothekenbetriebsordnung (bislang) angelegte System des wechselseitigen Notdienstes unter Einbeziehung aller Apotheken verändern und zu einer Ausbildung von zentral gelegenen und entsprechend ausgestatteten Schwerpunktapotheken führen würde, die den Notdienst für eine Vielzahl von Apotheken wahrnehmen würden. Einer solchen Entwicklung mag der Gesetz- und Verordnungsgeber den Weg bereiten; sie ist aber in der bisherigen Ausgestaltung der Apothekenbetriebsordnung nicht angelegt.

27

Gewichtige Gründe, die eine ausnahmsweise Konzentration des Notdienstes auf eine ihrer Apotheken im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG nahelegten, hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Sie hat vielmehr allgemein auf betriebliche und wirtschaftliche Vorteile hingewiesen, die eine Befreiung der Filialapotheke mit sich brächte. Die Gestaltung des Notdienstes ist indes kein Instrument, um die Wettbewerbssituation zwischen den teilnehmenden Apotheken zu verändern. Sie soll vielmehr darauf angelegt sein, die Belastungen und Nachteile, die die Teilnahme am Notdienst zwangsläufig mit sich bringt, möglichst gleichmäßig - und somit möglichst wettbewerbsneutral - auf alle Apotheken zu verteilen. Auch deshalb ist es nicht sachwidrig, wenn die Beklagte allein betriebliche Vorteile nicht zum Anlass nimmt, die Notdienstregelung zugunsten der Klägerin dauerhaft zu ändern. Hinzu kommt, dass § 23 Abs. 4 ApBetrO eine geeignete und ausreichende Möglichkeit bietet, um der Situation der Klägerin Rechnung zu tragen. Die Beklagte hat bereits erklärt, einem entsprechenden Antrag der Klägerin nach § 23 Abs. 4 Satz 2 ApBetrO voraussichtlich stattzugeben.

28

Aus einer vormals anderen Verwaltungspraxis kann die Klägerin nichts zu ihren Gunsten herleiten. Dass die Beklagte nach der Lockerung des Mehrbesitzverbotes durch den Gesetzgeber zunächst Verlagerungen des Notdienstes zwischen Apotheken desselben Inhabers genehmigt hatte, verwehrt ihr nicht, bei besserer Erkenntnis später anders zu verfahren. Die Selbstbindung der Verwaltung verpflichtet nur zu einer Behandlung aller Fälle nach den gleichen Maßstäben; sie verbietet aber keine Änderung der Maßstäbe für die Zukunft.