Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 29.02.2012


BVerwG 29.02.2012 - 3 B 81/11

Milchreferenzmenge; Antrag auf betriebsindividuellen Beitrag; offensichtlicher Irrtum; Berichtigung


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
29.02.2012
Aktenzeichen:
3 B 81/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OVG Lüneburg, 5. Juli 2011, Az: 10 LB 162/10, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 19 EGV 796/2004

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 236,98 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Kläger beansprucht, ihm bei der Festsetzung seiner Zahlungsansprüche für das Kalenderjahr 2005 einen zusätzlichen betriebsindividuellen Beitrag unter Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Milchreferenzmengen zu gewähren.

2

Die Beklagte hatte bei der Festsetzung der Zahlungsansprüche keine Milchreferenzmengen berücksichtigt, weil der Kläger in seinem Antrag unter Abschnitt II Nr. 4.4 bis 4.4.5 des Antragsformulars keinerlei ergänzende Angaben im Zusammenhang mit Milchreferenzmengen und auch bei den Fragen zur Tierhaltung unter Nr. 3.1 keine Angaben zur Haltung von Milchkühen gemacht hatte. Dem Kläger stand jedoch in der Zeit vom 1. April 2004 bis zum 31. März 2005 eine Milchreferenzmenge in Höhe von 223 390 kg zur Verfügung.

3

Das Verwaltungsgericht hat der auf Änderung des Festsetzungsbescheides und Zahlung von 5 236,98 € gerichteten Klage stattgegeben, weil die fehlenden Eintragungen in dem Antragsformular auf einen jederzeit berichtigungsfähigen Irrtum des Klägers zurückzuführen seien, der bei Abgleich mit früheren Antragsunterlagen feststellbar und daher offensichtlich sei. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen, weil es sich bei den unterbliebenen Eintragungen nicht um einen Irrtum handele; denn ein Irrtum im Sinne des Art. 19 VO (EG) Nr. 796/2004 setze Gutgläubigkeit voraus.

Diese könne nur bejaht werden, wenn der unterlaufene Fehler auf einer unbewussten und nicht groben Fahrlässigkeit beruhe. Den Kläger treffe aber zumindest der Vorwurf einer mittleren, bewussten Fahrlässigkeit. Darüber hinaus fehle es an der Offensichtlichkeit des Irrtums; denn der Beklagten habe sich angesichts der Art des Fehlers geradezu aufdrängen müssen, dass der Kläger nicht gutgläubig gewesen sei. Abgesehen davon sei der Irrtum auch deswegen nicht offensichtlich, weil er erst aufgrund eines Datenabgleichs erkennbar gewesen sei, zu dem die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei.

4

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil beruft sich der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; daneben rügt er einen Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

II

5

Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Rechtssache weist weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung auf (1.), noch ist der gerügte Verfahrensmangel erkennbar (2.).

6

1. Der Kläger hält sinngemäß für grundsätzlich klärungsbedürftig, wie der Begriff der Gutgläubigkeit, die Voraussetzung für die Annahme eines Irrtums im Sinne des Art. 19 VO (EG) Nr. 796/2004 sei, auszulegen sei, insbesondere ob Gutgläubigkeit nur dann zu bejahen sei, wenn der unterlaufene Fehler auf einer unbewussten und nicht groben Fahrlässigkeit beruhe.

7

Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie in einem Revisionsverfahren nicht beantwortet werden müsste. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage nicht nur deswegen abgewiesen, weil es einen Irrtum im Sinne des Art. 19 VO (EG) Nr. 796/2004 verneint hat. Eigenständig tragende Grundlage der Klageabweisung ist daneben, dass der vermeintliche Irrtum des Klägers nicht - wie in der genannten Vorschrift gefordert - offensichtlich wäre. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht diese Beurteilung in erster Linie darauf gestützt, dass sich angesichts des Maßes der Fahrlässigkeit des Klägers seine fehlende Gutgläubigkeit geradezu habe aufdrängen müssen, so dass insoweit die Frage nach der Offensichtlichkeit des Fehlers nicht unabhängig von der vom Kläger aufgeworfenen Grundsatzfrage beantwortet werden könnte. Anders verhält es sich jedoch, soweit das Berufungsgericht die Offensichtlichkeit des Irrtums zusätzlich deswegen verneint, weil er aus dem Antragsformular und seinen Anlagen nicht erkennbar war, sondern erst anhand eines Abgleichs mit vorhandenen Verwaltungsvorgängen, zu dem die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei. Diese Erwägung hat keinen Bezug zu der verneinten Gutgläubigkeit und trägt die Klageabweisung eigenständig. Der Kläger gibt diesen Teil der Urteilsbegründung zwar in seiner Beschwerdeschrift wieder, formuliert aber keine darauf bezogene Grundsatzrüge.

8

Schon deswegen scheidet eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache aus; denn das angegriffene Urteil hätte - vorbehaltlich der unter 2. behandelten Verfahrensrüge - selbst dann Bestand, wenn die als grundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage anders als im Sinne des Berufungsgerichts zu beantworten wäre (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 m.w.N.; stRspr).

9

Unabhängig davon käme eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aber auch dann nicht in Betracht, wenn das Beschwerdevorbringen des Klägers dahin zu verstehen wäre, dass er auch die Voraussetzungen für die Annahme der Offensichtlichkeit eines Irrtums zum Gegenstand einer Grundsatzrüge machen will; denn insoweit ist angesichts des Urteils des Senats vom 26. August 2009 - BVerwG 3 C 15.08 - (Buchholz 424.3 Förderungsmaßnahmen Nr. 10) kein weiterer Klärungsbedarf erkennbar. Dort (Rn. 20) hat der Senat Folgendes ausgeführt:

"Nach Auffassung des Berufungsgerichts setzt die Annahme eines offensichtlichen Irrtums voraus, dass der Fehler für jeden mit der Sache vertrauten Betrachter ohne Weiteres erkennbar ist. Dem ist im Grundsatz zuzustimmen. Nach allgemeinem deutschen Rechtsverständnis unterliegen offensichtliche Unrichtigkeiten im Verwaltungs- oder im gerichtlichen Verfahren der jederzeitigen Berichtigung, wobei eine Unrichtigkeit dann offenbar ist, wenn sie sich aus dem Zusammenhang der Erklärung oder aus den Vorgängen bei ihrer Abgabe auch für jeden Dritten ohne Weiteres zweifelsfrei ergibt (stRspr; vgl. zu § 118 VwGO nur Beschluss vom 16. Juli 1968 - BVerwG 6 C 1.66 -BVerwGE 30, 146 = Buchholz 310 § 118 VwGO Nr. 1; zu § 319 ZPO etwa BGH, Beschluss vom 14. September 2004 - VI ZB 61/03 - NJW 2005, 156). Dieses Verständnis liegt auch dem Gemeinschaftsrecht und damit auch Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 zugrunde, wie die einschlägigen Auslegungshinweise der Generaldirektion Landwirtschaft der Europäischen Kommission vom 18. Januar 1999 (VI/7103/98 Rev.2-DE) und aus dem Jahre 2002 (AGR 49533/2002-DE) belegen."

10

Mit diesen Ausführungen, die auf die Auslegung und Anwendung der mit Art. 12 VO (EG) Nr. 2419/2001 inhaltsgleichen Nachfolgeregelung des Art. 19 VO (EG) Nr. 796/2004, aber auch auf die ebenfalls inhaltsgleiche, für die Zeiträume ab 2010 geltende Regelung des Art. 21 VO (EG) Nr. 1122/2009 übertragbar sind, steht das angegriffene Urteil im Einklang, ohne dass sich zusätzliche klärungsbedürftige Fragen ergeben. Das Oberverwaltungsgericht legt im Einzelnen dar, dass sich dem Antrag des Klägers und den beigefügten Unterlagen keine Anhaltspunkte für einen Irrtum entnehmen lassen und die Beklagte nicht verpflichtet war, vorhandene Verwaltungsvorgänge beizuziehen und mit dem Antrag abzugleichen, was schon angesichts des Massenverfahrens - nach Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht 30 000 bis 42 000 Anträge - auf der Hand liegt.

11

2. Schließlich ist auch kein Verfahrensfehler feststellbar, der die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rechtfertigt. Der Kläger rügt, dass das Oberverwaltungsgericht als letztinstanzlich erkennendes Gericht die Sache dem Europäischen Gerichtshof hätte vorlegen müssen. Diese Rüge geht daran vorbei, dass die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über die Nichtzulassung der Revision - wie es auch geschehen ist - mit der Beschwerde angreifbar war, so dass eine Verpflichtung zur Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht bestand (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. März 1986 - BVerwG 3 B 3.86 - NJW 1987, 601). Auch die Voraussetzungen, unter denen für nicht-letztinstanzliche Gerichte abweichend von Art. 267 Abs. 2 AEUV ausnahmsweise eine Vorlagepflicht besteht, liegen nicht vor; denn das Oberverwaltungsgericht hat weder die Gültigkeit von Vorschriften des Unionsrechts noch von Handlungen eines Unionsorgans angezweifelt.

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 GKG.