Entscheidungsdatum: 11.07.2013
Die Klägerin ist Physiotherapeutin und seit 1991 in eigener Praxis tätig. Sie begehrt die Erteilung einer auf den Bereich der Physiotherapie beschränkten Heilpraktikererlaubnis ohne vorherige Kenntnisüberprüfung. Das Verwaltungsgericht hat ihrer Klage stattgegeben und die Beklagte zur Erteilung einer entsprechenden Erlaubnis verpflichtet. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Eine weitere Kenntnisüberprüfung sei entbehrlich. Die Klägerin verfüge über fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten, die die Annahme rechtfertigten, dass bei der von ihr beabsichtigten Heilkundeausübung im Bereich der Physiotherapie keine Gesundheitsgefährdungen für die Bevölkerung zu befürchten seien. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass die Klägerin ausgebildete Physiotherapeutin sei und eine fünfjährige berufsbegleitende Weiterbildung zur Osteopathin absolviert habe, sie darüber hinaus zahlreiche weitere fachbezogene Aus- und Fortbildungsveranstaltungen besucht habe und über eine langjährige Berufserfahrung verfüge. Des Weiteren hat es auf die Lehrtätigkeit der Klägerin in der Ausbildung von Physiotherapieschülern/innen verwiesen sowie auf ihre Teilnahme an einem Lehrgang des VDB-Physiotherapieverbandes "Zusatzausbildung für Physiotherapeuten/innen ... zur Schließung der normativen Ausbildungslücke gemäß Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.08.2009 - 3 C 19.08".
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (1.). Es liegt auch kein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (2.).
1. Die Beklagte meint, der Besuch von Aus- und Fortbildungsveranstaltungen ohne abschließende Prüfung dürfe bei der Beurteilung, ob von der beabsichtigten Heilkundeausübung des jeweiligen Antragstellers eine Gefahr für die Volksgesundheit ausgehe (§ 2 Abs. 1 Buchst. i der Ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz), keine Rolle spielen, weil die Veranstaltungsteilnahme nichts darüber aussage, ob der vermittelte Stoff von dem Antragsteller auch verstanden worden sei. Ausgehend davon hält sie für klärungsbedürftig,
"ob bloße Teilnahmebescheinigungen ohne anschließende Überprüfung des erworbenen Wissens für ausreichend zu erachten sind"
und
"ob die Teilnahme an der Zusatzausbildung des VDB-Physiotherapieverbandes die Annahme der Schließung etwaiger Ausbildungsdefizite nach den Vorgaben der Rechtsprechung rechtfertigt".
Diese Fragen verleihen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Erlangung einer auf den Bereich der Physiotherapie beschränkten Heilpraktikererlaubnis den Nachweis voraussetzt, über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur physiotherapeutischen Behandlung ohne ärztliche Verordnung zu verfügen. Der Antragsteller muss darlegen, dass er ausreichende Kenntnisse über die Abgrenzung der heilkundlichen Tätigkeit als Physiotherapeut gegenüber der den Ärzten und den allgemein als Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen heilkundlichen Behandlung besitzt und ausreichende diagnostische Fähigkeiten in Bezug auf die einschlägigen Krankheitsbilder hat. Außerdem sind Kenntnisse in Berufs- und Gesetzeskunde einschließlich der rechtlichen Grenzen der nichtärztlichen Ausübung der Heilkunde nachzuweisen. Ob und gegebenenfalls inwieweit die im Regelfall gebotene eingeschränkte Kenntnisüberprüfung für ausgebildete Physiotherapeuten im Hinblick auf absolvierte Zusatzausbildungen ausnahmsweise entbehrlich sein kann, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (Urteil vom 26. August 2009 - BVerwG 3 C 19.08 - BVerwGE 134, 345
Hier ist das Oberverwaltungsgericht unter Zugrundelegung der Senatsentscheidung vom 26. August 2009 - BVerwG 3 C 19.08 - (a.a.O.) im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung der Einzelumstände zu der Einschätzung gelangt, dass die von der Klägerin beigebrachten Aus- und Fortbildungsnachweise eine Kenntnisüberprüfung durch die Beklagte entbehrlich machen. Dabei hat es namentlich darauf abgestellt, dass die mehrjährige Weiterbildung in Osteopathie die Kenntnisse und Fähigkeiten der Klägerin sowohl in quantitativer und qualitativer Hinsicht als auch in Bezug auf eine eigenverantwortliche Tätigkeit als Physiotherapeutin deutlich erweitert habe. Mit ihrer Kritik an der berufungsgerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung legt die Beschwerde keinen grundsätzlichen, über den konkreten Streitfall hinausweisenden Klärungsbedarf dar.
2. Die Verfahrensrüge ist ebenfalls unbegründet.
Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, es könne in eigener Sachkunde beurteilen, ob die vorgelegten Aus- und Fortbildungsnachweise den Schluss auf hinreichende Kenntnisse und Fähigkeiten der Klägerin zur eigenverantwortlichen physiotherapeutischen Behandlung zuließen. Darin liegt kein Verstoß gegen die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO). Einen förmlichen Beweisantrag hat die Beklagte nicht gestellt. Sie kann sich auch nicht darauf berufen, aufgrund entsprechender Hinweise des Berufungsgerichts habe sie davon ausgehen dürfen, dass es eines ausdrücklichen Beweisantrags nicht bedurfte. Weder die Verfügung des Berichterstatters vom 1. September 2011 noch dessen zitierte telefonische Äußerung rechtfertigten eine solche Annahme. Abgesehen davon, dass es sich offenkundig um vorläufige Einschätzungen gehandelt hat, hat das Gericht - wie die Beschwerde selbst vorträgt - lediglich bekundet, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens "unter Umständen in Betracht kommt".
Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, dass sich dem Oberverwaltungsgericht die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen. Die Tatsachengerichte entscheiden über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen ihrer Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen. Stützt sich das Gericht auf eigene Sachkunde, verletzt es seine Aufklärungspflicht nur dann, wenn es eine ihm unmöglich zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne darzulegen, dass ihm das erforderliche Wissen in genügendem Maße zur Verfügung steht, oder wenn die Entscheidungsgründe sonst auf eine mangelnde Sachkunde schließen lassen (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 18. Juni 2012 - BVerwG 5 B 5.12 - ZOV 2012, 289 = juris Rn. 7 und vom 9. Januar 1990 - BVerwG 1 B 1.90 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 55 S. 35, jeweils m.w.N.). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Das Beschwerdevorbringen geht daran vorbei, dass sich die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts nicht allein auf die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen stützt. So werden in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils u.a. der Erlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2010 ("Eingeschränkte Heilpraktiker-Erlaubnis für ausgebildete Physiotherapeuten"), die Stellungnahme der Bundesärztekammer "Wissenschaftliche Bewertung osteopathischer Verfahren" (Deutsches Ärzteblatt 2009, 2325) sowie verschiedene Beschlüsse der Arbeitsgruppe "Berufe des Gesundheitswesens" der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) ausgewertet. Außerdem lagen dem Gericht die fachliche Stellungnahme des Stadtdienstes Gesundheit der Beklagten vom 13. Juli 2011 und die Äußerung des Amtsarztes der Beklagten im Schreiben vom 12. Juni 2012 vor. Vor dem Hintergrund dieser (weiteren) Erkenntnisquellen lässt sich der Schluss auf eine mangelnde Sachkunde des Gerichts nicht ziehen.